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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Mose 8,21-22 Chaos und Schöpfung

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Erntedankfest: 1. Mose 8,21-22 Chaos und Schöpfung

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

'Fire Storm: WTC 7 stands amid the rubble of the recently collapsed Twin Towers.', Photograph by New York Office of Emergency Management, Federal Emergency Management Agency (Johnny Galt, 2007)

Nach der Sintflut sprach Gott:
Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

1. Mose 8,21-22

Es gibt einen alten Witz, den Sie wahrscheinlich schon mehrmals gehört haben. Es geht dabei um drei Personen: einen Arzt, einen Architekten und einen Politiker. Sie kamen auf die Frage: wer von ihnen den ältesten Beruf hätte. Der Arzt sagte: „Mein Beruf ist wohl der älteste, denn Gott hat die erste Operation vollzogen, indem er Adam in einen Tiefschlaf versetzte, seine Seite aufmachte und eine Rippe herausnahm. Der Architekt sagte: Aber vorher hatte Gott die Welt erschaffen; Gott war also der erste Architekt; mein Beruf ist älter. Der Politiker erwiderte: „Ja, aber ehe Gott die Welt erschaffen hatte, gab es Chaos; dafür sind wir zuständig.“

Diese Bemerkung bezieht sich auf die ersten zwei Sätze der Bibel, wo es heißt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüst und leer.“ Diese Lutherübersetzung gibt nicht vollständig wieder, was eigentlich gemeint ist: die Ausdrücke, die Luther mit „wüst und leer“ übersetzte, haben andere Übersetzungsmöglichkeiten: z.B. Chaos, Verwüstung, Nichtigkeit, Öde, Sinnlosigkeit, Leere.

Und wie dieser biblische Begriff „Chaos“ zu verstehen ist, wurde für mich vor zwei Wochen veranschaulicht. Es gibt jeden Monat ein Treffen aller Pfarrer eines Dekanats: d. h. einmal im Monat müssen wir uns treffen, ob wir wollen oder nicht. Und unser letztes Treffen war am 17. September. Selbstverständlich wurden die Ereignisse des 11. Septembers besprochen, und eine Aussage ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ein Kollege sagte: „An dem Tag nach den Anschlägen hätte ich keinen Gottesdienst halten können, denn in meinem Inneren war Chaos“. Diese Aussage drückt eine Wahrheit aus. Viele Menschen haben in diesem Monat erlebt, wie zerbrechlich die Ordnung ist, mit der wir leben. In einem Moment kann ein Gefühl von Weltordnung zusammenbrechen und in der Seele kann ein totales Chaos entfesselt werden. Und Chaos bedeutet: es gibt eine Haltlosigkeit, es gibt maßlose Ängste; Gedanken und Gefühle sind nicht unter Kontrolle zu bringen und kommen auf eine willkürliche, aggressive Weise zum Vorschein. Auf einmal kann das Gefühl entstehen, dass das Leben nicht mehr gut ist und nicht mehr lebenswert. Die Seele ist auf einmal „wüst und leer“.

'Noah's Ark' by Hans Acker (1430), Joachim Köhler, 2007

Solche Erlebnisse sind allerdings nichts Neues, sondern so alt wie die Bibel. Die Sintflutgeschichte im ersten Buch Mose spricht dieses Thema „Chaos“ an. Vordergründig gesehen, geht es um ein Naturereignis. Aber es geht eigentlich um etwas Anderes. Denn was ist eine Sintflut? Biblisch gesehen, bedeutete die Sintflut, dass die Ordnung der Schöpfung rückgängig gemacht wurde. Die Unterscheidung zwischen Wasser oben und Wasser unten wurde in der Sintflut aufgehoben, danach wurde die Unterscheidung zwischen Land und Wasser aufgehoben, und das ursprüngliche Chaos kehrte zurück. Und wenn Gott nicht Gnade gezeigt hätte, wäre alles Leben ausgelöscht worden. Aber es heißt: Noah fand Gnade. Und das heißt: es ist eine Gnade Gottes, wenn das Leben - trotz aller chaotischer Zerstörungsgewalt in dieser Welt - weiter geht. Dass wir leben dürfen ist kein Rechtsanspruch, sondern eine Gnade.

Wie gesagt – es geht hier nicht um ein Naturereignis, sondern es geht hier um die Menschheit und um die menschliche Seele. Die Botschaft hier lautet: wenn Menschen sich von Gott entfremden, entsteht Chaos. Ein anderer Begriff für dieses Chaos der Seele ist der Begriff Nichtigkeit. Paulus beschreibt in dem Römerbrief, was eintritt, wenn Menschen sich von Gott abwenden; er schreibt:

„Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert.“

Die Christenheit entwickelte in diesem Zusammenhang einen Glaubensinhalt, der in der antiken Welt unerhört war, nämlich die Vorstellung, dass Gott aus dem Nichts die Welt erschuf. Hinter dieser Vorstellung war die Erkenntnis, dass ein Mensch, der von Gott entfremdet ist, die eigene Nichtigkeit entdeckt. Wer die Beziehung zu Gott verliert, kehrt zurück zu dem ursprünglichen Zustand der Schöpfung, nämlich Nichtigkeit und Chaos.

Und die Kehrseite dieses Glaubensinhalts lautet: es ist eine Gnade Gottes, dass wir leben dürfen. Es ist eine Gnade Gottes, wenn wir eine lebenserhaltende Ordnung in unserer Welt haben. Die Sintflutgeschichte offenbart die Wahrheit, dass die Menschheit, wenn sie sich selbst überlassen wäre, sich selbst zugrunde richten würde. Die Bibel offenbart einen Gott, der seine gesetzliche Ordnung in die Herzen der Menschen einpflanzt. Und durch die Gnade Gottes bleibt die Ordnung der Schöpfung erhalten – symbolisiert in der Arche Noah – und das Leben geht weiter. Deswegen heißt es am Ende der Sintflutgeschichte:

Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf...(Aber) solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Diese Worte aus dem ersten Buch Mose bezeugen einen Gott, der diese Welt im Griff hat. Egal was eintreten mag, Gott wird seine Schöpfung zur Vollendung bringen. Die Ereignisse, die unsere Fernsehnachrichten dominieren, sind deshalb nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend sind die alltäglichen Kleinigkeiten: vor allem die kleinen, unauffälligen Worte und Taten der selbstlosen Liebe.

Landschaft mit dem Dankopfer Noahs', um 1803, Joseph Anton Koch

Es gibt eine jüdische Legende, die veranschaulicht, worum es hier geht. Es gab zwei Brüder, die zusammen eine Mühle hatten, mit der sie Weizen verarbeiteten. Einer war verheiratet und hatte drei Kinder. Der andere war unverheiratet. Am Ende jedes Tages teilten sie das Weizenmehl in zwei Hälften, die sie in Säcke füllten. Jeder bekam genau 50% des Tagesergebnisses. Eines Abends dachte der unverheiratete Bruder: „Diese Teilung ist nicht gerecht. Mein Bruder muss eine Frau und drei Kinder ernähren, während ich allein bin. Er sollte mehr als ich bekommen“. Und jede Nacht ging er heimlich zur Mühle und nahm Mehl aus seinem eigenen Sack und füllte es in den Sack seines Bruders. Der verheiratete Bruder war aber auch am Nachdenken. Er dachte: „Es ist eigentlich nicht gerecht, wie wir das Mehl verteilen, denn ich habe Kinder, die mich im Alter unterstützen werden, aber mein Bruder wird allein sein“. Also ging er jede Nacht heimlich zur Mühle und nahm Weizenmehl aus seinem eigenen Sack und füllte es in den Sack seines Bruders. Jeden Morgen kam es den Brüdern so vor, als ob ein Wunder passiert wäre: denn obwohl jeder etwas Mehl aus dem eigenen Sack herausnahm, waren die Säcke am Morgen wieder aufgefüllt. Eines Nachts aber trafen sie sich zufällig und sofort wurde Beiden klar, was geschehen war. Sofort umarmten sie sich. Und Gott schaute diese Begegnung an und sagte: „Hier an dieser Stelle, wo Liebe sich begegnet, werde ich meinen Tempel bauen. Hier will ich ewig wohnen.“

Und diese Legende veranschaulicht, was zuletzt in dieser Welt ausschlaggebend sein wird. Da, wo selbstlose Liebe vorkommt, da wohnt Gott ewiglich. Die Liebe geht nicht verloren und wird zuletzt über allen Hass siegen. Die Liebe schafft eine Ordnung, die keine Verwüstung auslöschen kann. Durch Liebe entsteht ein Lebenssinn, den keine Katastrophe antasten kann.

Es gibt also eine Lebensordnung, die Gott aufrechterhält inmitten einer scheinbar chaotischen Welt. Und deswegen sollen wir heute am Erntedankfest Gott danken. Denn er hat uns die Möglichkeit gegeben, durch unsere kleinen Worte und Taten der Liebe an der Zukunft der Schöpfung beteiligt zu sein.

'1-DM-Goldmünze von 2001', Auchwaswisser, 2005

Einmal waren drei Mädchen zusammen, die befreundet waren. Eine der Freundinnen sagte: „Heute wollte ich meiner Mutter eine Mark schenken. Einfach so. Aber sie gab mir das Geld zurück und sagte, ich sollte ein Stück Schokolade kaufen. Ich finde, das ist wahre Liebe.“ Aber eine der Freundinnen war nicht beeindruckt. Sie sagte: „Das ist nichts. Wenn ich meiner Mutter eine Mark geben würde, würde sie mir zwei Markstücke zurückgeben und sagen: „Kaufe dir zwei Stücke Schokolade. Das ist wahre Liebe.“ Die dritte in der Runde hat aber beide übertrumpft. Sie sagte: „Wenn ich meiner Mutter eine Mark schenken würde, würde sie sagen: „Ich danke dir; ich werde dieses Markstück in die Kasse tun, mit der ich Lebensmittel einkaufe. Das ist wahre Liebe. Denn sie nimmt mein Geschenk an; ich darf etwas für sie tun“.

Und so ist auch die Liebe Gottes. Man sollte die Liebe Gottes nicht daran messen, wie viel er uns gibt. Seine Liebe lässt sich auch nicht daran ermessen, wie sehr wir von unangenehmen Dingen verschont bleiben. Wahre Liebe besteht darin, dass wir an seinem Werk beteiligt sein dürfen. Er wird seine Schöpfung vollenden – jede Ernte ist ein Sinnbild der Vollendung, für die wir vorgesehen sind - und mit unseren Worten und Taten können wir zu dieser Vollendungsernte beitragen. Das ist wahre Liebe. Denn wir dürfen etwas für Gott und für diese Welt tun. Wir grausam wäre es, einen Gott zu haben, der sich nichts schenken lässt. Wir dürfen Gott Liebe und Dank schenken. Das ist wahre Liebe.

Die Photographie 'Fire Storm: WTC 7 stands amid the rubble of the recently collapsed Twin Towers.', Photograph by New York Office of Emergency Management, Federal Emergency Management Agency (Johnny Galt, 2007), ist eine Arbeit eines Mitarbeiters der Federal Emergency Management Agency, die er während der Ausübung seiner officiellen Pflichten machte. Als Arbeit des U.S. federal government, ains alle FEMA Bilder im public domain.
Das Glasfenster 'Noah's Ark' by Hans Acker (1430) - detail of the coloured window of the besserer-chapel, Joachim Köhler, 2007, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Das Bild Landschaft mit dem Dankopfer Noahs', um 1803, Joseph Anton Koch, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Photographie '1-DM-Goldmünze von 2001', Auchwaswisser, 2005, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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