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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 13. Sonntag nach Trinitatis 1. Joh. 4, 7 – 12 Bedingungslose Wertschätzung

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'Staatsporträt Friedrich Wilhelm I.', um 1733, Antoine Pesne

13. Sonntag nach Trinitatis

Bedingungslose Wertschätzung 1. Joh. 4, 7 – 12

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen. 1. Joh. 4, 7 – 12

Am Anfang des 18. Jahrhunderts regierte Friedrich Wilhelm der I. in Preußen. Einmal hatte er seinen Stock gegen einen Major erhoben und hat ihn öffentlich geschlagen – und zwar vor dessen Regiment. Diese Demütigung konnte der Offizier nicht erdulden und er regierte sofort: er zog seine Pistole und schoss zweimal – zuerst auf den Boden vor die Füße des Königs und dann sich selbst in den Schädel. Auf diese Weise hat er seine Ehre gerettet. Seine Würde wiederherzustellen, war ihm wichtiger als sein Leben. Er brauchte überhaupt nicht nachzudenken, sondern die Entscheidung für die Ehre und gegen das Leben vollzog sich in Sekundenschnelle.

Dieser Vorgang ist scheinbar extrem außergewöhnlich. Aber dieser Moment offenbart etwas, was in jedem Menschen steckt. Denn dieser preußische Offizier hat etwas Urmenschliches gezeigt.

Einen vergleichbaren Vorgang gibt es im Neuen Testament. Als Jesus zu seinen Jüngern sagte: „Folge mir nach“, haben sie sofort alles liegen gelassen, um ihm nachzufolgen. Simon, Andreas, Jakobus und Johannes z.B. waren Fischer, und als Jesus sie rief, trafen sie in Sekundenschnelle die Entscheidung, ihre Existenzgrundlage zu verlassen – nämlich ihre Netze und Boote – um bei Jesus dauerhaft zu bleiben und damit ein Leben der Nichtsesshaftigkeit auf sich zu nehmen. Hinter diesen Blitzentscheidungen steckt derselbe Beweggrund, der einen preußischen Offizier zum Selbstmord treiben konnte.

Denn es gibt ein urmenschliches Bedürfnis, das dringlicher ist als die eigene Sicherheit: es ist das Bedürfnis, wichtig zu sein. Dieses Bedürfnis ist so stark, dass man von einem unersättlichen Verlangen sprechen muss. Dieses Verlangen bestimmt unsere Identität. Ein Verhaltensforscher hat gesagt: „Sag mir, was du tust, um dir wichtig vorzukommen, und ich sage dir, wer du bist“. Dieses Verlangen muss erfüllt werden, denn sonst fliehen Menschen in eine Scheinwelt, um ein Gefühl der Wichtigkeit zu bekommen. Die Stärke dieses Verlangens erklärt auch, warum Menschen immer bereit waren, sich auf den Wahnsinn eines Krieges einzulassen: Krieg kann nur deswegen entstehen, weil das Verlangen nach Wichtigkeit dringlicher ist als die eigene Sicherheit.

'Die Berufung der Apostel Petrus und Andreas', 1308-1311, Duccio di Buoninsegna

Die Tatsache, dass Menschen bereit waren, alles liegen zu lassen, um Jesus nachzufolgen, zeigt, dass Jesus dieses Verlangen, wichtig zu sein, erfüllt hat. Dass Jesus eine so große Anziehungskraft auf sogenannte einfache Menschen hatte, zeigt, dass er ein Gefühl von Wichtigkeit geschenkt hat. Denn wie ist es sonst zu erklären, dass Menschen bereit waren, ihre eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen, um Tag und Nacht bei ihm zu sein? Wie ist es sonst zu erklären, dass Menschenmassen ihm nachfolgten, als er in die Wüste ging, um allein zu sein?

Der vorhin erwähnte Verhaltensforscher schrieb folgendes: „Wenn du Menschen dazu bringen willst, irgendetwas zu tun, dann gibt es nur eine einzige Möglichkeit; du musst anerkennen, dass Menschen zuletzt nur das tun, was sie tun wollen. Durch Erpressung und Zwang kann man kurzfristig etwas erreichen, aber solche brutalen Methoden erzeugen unheilsame Nebenwirkungen. Aber wenn ich dich dazu bringen will, etwas zu tun, dann muss ich dir das geben, was du brauchst. Und was brauchst du?“ Das ausschlaggebende Bedürfnis, meint er, ist das Geltungsbedürfnis, das Bedürfnis, sich wichtig vorzukommen. Er bezeichnet dieses Bedürfnis als einen Hunger des Herzens, der selten eine Sättigung findet. Wer dieses Bedürfnis sättigen kann – durch aufrichtige Anerkennung, durch bedingungslose Wertschätzung, der wird Menschen motivieren.

Und das bringt uns zu unserem Text für heute. In diesem Text heißt es: die Liebe ist von Gott. Und es heißt:

Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.

Liebe ist nichts anderes als bedingungslose Wertschätzung, Liebe vermittelt die Botschaft: du bist unermesslich wichtig. Dass wir Menschen für Gott unermesslich wichtig sind, hat er demonstriert, indem er Fleisch und Blut annahm, unter uns wohnte, und sich für uns in den Tod hingegeben hat. Diese Art Liebe ist die Erfüllung des tiefsten Hungers des Herzens. Dementsprechend nannte sich Jesus das Brot des Lebens, der endgültig den Hunger der Menschen sättigt.

'Betender Franziskaner', Fresco, 13. Jhd., 2008, Wolfgang Sauber

Es gibt eine andere Möglichkeit, wie man diesen Hunger des Herzens beschreiben kann. Vor einigen Jahren gab es im Fernsehen einen Vortrag über die drei tiefsten Bedürfnisse des Menschen. Der Sprecher sagte: Als erstes brauchen wir jemanden, der uns zuhört – und zwar auch dann zuhört, wenn das, was man zu sagen hat, nicht unbedingt spannend ist. Wir brauchen jemanden, der auch dann zuhört, wenn man von persönlichen Schwächen und von eigener Schuld redet. Zweitens brauchen wir jemanden, der glaubt, was wir sagen; der erkennt, dass wir die Wahrheit sagen. Und schließlich, wenn wir jemanden gefunden haben, der uns zuhört und uns glaubt, müssen wir wissen, dass diese Person auf unserer Seite ist, dass diese Person das Anvertraute nicht gegen uns verwenden wird. Was dieser Sprecher beschreibt, ist Gebet. Denn im Gebet werden diese drei Bedürfnisse erfüllt. Der zweite Punkt, dass wir eine Person brauchen, die an uns glaubt, erinnert an eine Messe, die Leonard Bernstein schrieb. In dieser Messe kommt an einer Stelle die Frage vor: „Ich glaube zwar an Gott, aber glaubt Gott an mich?“ Das ist die große Frage. Und die Antwort lautet: Gott hat demonstriert, dass er an uns glaubt, indem er Mensch wurde und am Kreuz für uns starb. Er hat damit offenbart, dass wir einen unermesslichen Wert für ihn haben.

Und wer diese Wertschätzung Gottes erlebt hat, wird sie fast automatisch weitergeben. Wie es im Text heißt:

Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.

Es gibt unzählige Beispiele für diese Art Liebe, die von Gott ausgeht und in Menschen Gestalt annimmt. Zum Beispiel: Als Italien von Mussolini regiert wurde, wurde Äthiopien im Jahre 1935 von italienischen Streitkräften überfallen und besetzt. Italien hat im nächsten Jahr das afrikanische Land annektiert. Die äthiopischen Christen wurden in dieser Besatzungszeit verfolgt und verhaftet. Die Besatzungsarmee hat die Gefangenen nicht mit Essen versorgt, sondern Gefangene waren absolut auf die Unterstützung von Familien und Freunden angewiesen. Für die christlichen Gefangenen war diese Situation kein Problem: sie bekamen mehr Nahrung, als sie essen konnten. Von dem Überfluss haben die nicht-christlichen Gefangenen profitiert. Für die Nicht-Christen war diese Zuwendung überwältigend, denn diese selbstlose Liebe von Menschen, die nicht verpflichtet waren, ihnen zu helfen, und bei der keine Gegenleistung verlangt wurde, war für sie bisher unbekannt. Hier wurde für sie die bedingungslose Wertschätzung Gottes anschaulich. Diese Speisung im Gefängnis führte dazu, dass sie mehr über den christlichen Glauben wissen wollten. Und viele sind in eine Kirchengemeinde eingetreten, als sie entlassen wurden und wieder zu Hause waren. Denn sie bekamen im Gefängnis nicht nur leibliche Nahrung, sondern haben eine Art Liebe gesehen, die den tiefsten Hunger des Herzens erfüllt.

Dieses Beispiel veranschaulicht, wie christliche Liebe aussieht. Sie geschieht spontan und ohne Berechnung, auch an wildfremden Menschen. Die christlichen Gefangenen in Äthiopien haben rein freiwillig ihre Nahrung geteilt. Sie standen nicht unter Erwartungsdruck; sie hatten keine Hintergedanken, denn sie konnten nicht damit rechnen, irgendeine Gegenleistung von ihren nicht-christlichen Gefangenen zu bekommen. Es ging ihnen offenbar nur darum, Leben zu erhalten, das bedroht war. Dieses Beispiel in Äthiopien veranschaulicht, wie die Liebe Gottes aussieht. Und wenn Menschen dazu fähig sind, bedingungslos gnädig zu sein, um wie viel mehr gilt dies für Gott.

Deshalb die Forderung des Textes aus dem 1. Johannesbrief:

Lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.

Als Gemeinde können wir die Liebe Gottes veranschaulichen, indem wir auch Fremden gegenüber Liebe erweisen – durch spontane, persönliche Zuwendung, durch unsere Besuchsdienste oder z. B. durch Spenden für Essensgutscheine. Möge Gott uns helfen, seine Liebe zu verkörpern und zu bezeugen. Amen.

Die Abbildung 'Staatsporträt Friedrich Wilhelm I.', um 1733, Antoine Pesne, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Das Bild 'Die Berufung der Apostel Petrus und Andreas', 1308-1311, Duccio di Buoninsegna (Maestà, Altarretabel des Sieneser Doms, Rückseite, Predella mit Szenen zur Versuchung Christi und Wundertaten), und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Das Fresco 'Betender Franziskaner', 13. Jhd. (Pfarrkirche Nørre Alslev), 2008, Wolfgang Sauber, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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