Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Matthäus 6, 1 – 4 Anonyme Wohltätigkeit

« Predigten Home

'Halbfigurenbild des Heiligen Nikolaus von Myra. Erste Hälfte des 13. Jahrhunderts', 2008, McLeod

12. Sonntag nach Trinitatis

Anonyme Wohltätigkeit Matthäus 6, 1 – 4

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007

Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Matthäus 6, 1 – 4

Es gibt eine Stadt in der Türkei, die im 4. Jahrhundert Patera hieß und direkt an der Mittelmeerküste lag. In dieser Stadt wohnte ein Mann, der früher wohlhabend war, der aber alles verloren hatte und an der Grenze der Armut lebte. Er hatte drei Töchter, die in einem heiratsfähigen Alter waren. Die Töchter hatten überlegt, wie sie ihrem Vater helfen könnten. Und es gab scheinbar nur eine einzige Möglichkeit: nämlich, dass eine von ihnen sich am Sklavenmarkt verkauft, damit die restliche Familie überlebe. Aber sie konnten es zuletzt doch nicht tun, denn das hätte das Herz des Vaters gebrochen. Es gab in der Nachbarschaft einen Mann, der mitbekommen hatte, wie verzweifelt die Lage dieser Familie war. Er wollte helfen, und er wäre bereit gewesen, dieser Familie einfach Geld zu schenken. Aber er wusste, dass eine solche Direkthilfe für diese Familie unerträglich wäre; eine Almosenspende hätte sie als eine tiefe Demütigung empfunden und nie angenommen. Also dachte er sich einen Plan aus, wie er diesen 4 Personen heimlich aushelfen könnte. Mitten in der Nacht ist er aus seinem Haus geschlichen; er wollte nicht, dass seine Haushälterin oder sein Diener merkten, was er vorhatte. Er schlich an das Fenster seines Nachbars heran: er konnte durch ein Fenster sehen, wie der Vater in einem Stuhl eingeschlafen war. Der Wohltäter warf einen Beutel mit Gold durch das geöffnete Fenster und entfernte sich sofort. Als der Beutel auf dem Boden landete, wachte der Vater auf. Als er das Gold entdeckte, glaubte er, dass es ein Geschenk des Himmels war, das von einem Engel geliefert wurde, und nahm es freudig an. Dreimal hat der Nachbar auf diese heimliche Weise Gold geschenkt. Er blieb völlig anonym im Hintergrund.

1870, Wereschtschagin, Wassilij Wassiljewitsch

Vielleicht wissen Sie, wer dieser unsichtbare Spender war: er hieß Nicholas und ist die Vorlage für den heiligen Nikolaus und für den Weihnachtsmann. Es gibt verschiedene Variationen dieser Erzählung, aber der gemeinsame Nenner ist die Anonymität des Gebers. Durch diese Handlungsweise werden die Worte Jesu aus dem heutigen Text veranschaulicht:

„Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe“.

Nicholas von Patera hat dieses Jesuswort verwirklicht. Es geht darum, dass wir Menschen dazu bestimmt sind, so zu sein wie Gott. Denn Gott schenkt seine Gaben anonym.

Ein paar Sätze vorher hatte Jesus gesagt: „Er (Gott) lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“. Das heißt: Gott schenkt seine Gaben, weil er gütig ist, ohne Rücksicht darauf, ob seine Gnadengaben dankbar oder gedankenlos angenommen werden.

Wie das alles gemeint ist, wird noch deutlicher, wenn man das Judentum kennt, denn Jesus war im Judentum verankert. Es wird berichtet, dass Almosengeben für Juden die heiligste Pflicht war. Dieser hohe Stellenwert ist daran zu erkennen, dass es im Hebräischen ein einziges Wort gibt, das gleichzeitig Gerechtigkeit und Almosengeben bedeutet. Den Armen mit Spenden auszuhelfen galt als Inbegriff der Gerechtigkeit. Diese Form der Wohltätigkeit wurde so hoch geschätzt, dass es hieß: damit könnte ein Mensch begangene Sünden sühnen. Wie es in einer jüdischen Schrift heißt: „Almosen erlösen vom Tode und tilgen die Sünden“.

Und die Rabbiner haben genau dasselbe gesagt wie Jesus; auch sie haben vor Wichtigtuerei bei Wohltätigkeit gewarnt. Es hieß: „Wer heimlich Almosen gibt, ist größer als Mose.“ Und es hieß: die Almosen bewahren vor dem Tode „wenn der Empfänger nicht weiß, woher sie kommen, und der Geber nicht, wer sie erhält.“ Es gab dementsprechend einen Rabbi, der, wenn er an Armen vorbeiging, Geld auf den Boden fallen ließ - ohne anzuhalten, so dass er nicht sehen konnte, wer es aufhob, und die Empfänger konnten ihm nicht danken.

'Mahatma Gandhi, 1946', 2007, Editor at Large

Das erinnert an eine Begebenheit aus dem Leben von Mahatma Gandhi. Einmal ist er in einen Eisenbahnwagen gestiegen und verlor dabei eine Sandale, die unter den Wagen auf dem Schienenbett landete. Weil der Zug schon angefahren war, konnte die Sandale nicht geholt werden. Sofort warf Gandhi die zweite Sandale auf das Schienenbett. Hinterher wurde er gefragt, warum er das tat. Er antwortete: wer die erste Sandale findet, sollte beide haben, damit sie zu gebrauchen sind. Hier sieht man reine, göttliche Wohltätigkeit, ein Geben ohne Hintergedanken. Es war Gandhi völlig egal, ob er Anerkennung von der Person bekäme, die seine Sandalen finden würde. Es ging ihm allein darum, eine intakte Hilfe zu leisten. Er musste nicht eine Sekunde darüber nachdenken.

Aber die meisten von uns sind nicht in der Lage, so spontan selbstlos zu handeln wie ein Gandhi. Zum Beispiel wird von einer Mutter berichtet, die ihre kleine Tochter erziehen wollte, selbstverantwortlich mit Spendengeldern umzugehen. Für die Gottesdienstkollekte gab sie ihrer Tochter eine Zwei-Euro-Münze und eine 50-Cent-Münze. Das Mädchen konnte frei entscheiden, welches Geldstück sie spendete und welches sie für sich selbst behielt. Hinterher fragte die Mutter, welche Münze sie in die Kollekte gab. Die Tochter erwiderte: „Also: ursprünglich wollte ich die Zwei-Euro-Münze einwerfen. Aber dann hat der Pfarrer diese Bibelstelle zitiert, wo es heißt: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Und ich wusste, wenn ich 50 Cent spenden und zwei Euro behalten würde, wäre ich viel fröhlicher.“

Was dieses Mädchen noch nicht gelernt hat, ist, dass sie zuletzt viel fröhlicher wird, wenn sie lernt, die größere Summe zu spenden. Denn sie würde damit etwas von der Fröhlichkeit Gottes widerspiegeln. Denn so zu werden wie Gott, ist gemeint, wenn Jesus von „Lohn“ spricht. Wie es in unserem Matthäustext heißt:

Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.

Wenn man Geld spendet, um dafür Anerkennung zu bekommen, - nach dem Motto: „Tue Gutes und rede davon“ - dann geht etwas Wesentliches verloren. Was verloren geht ist die Gottähnlichkeit, für die wir Menschen vorgesehen sind. Die Motivation für Spenden sollte sein, dass Gott uns Menschen vorbehaltlos Segen schenkt - egal, ob er dafür Anerkennung bekommt oder nicht. Genauso wie Gott seinen Segen vorbehaltlos spendet, sollen wir von unserem Segen vorbehaltlos weitergeben, damit wir so werden wie Gott.

Es gibt dazu eine wahre Begebenheit, die als Gleichnis dienen kann. Es gibt einen Baptistenprediger mit dem Namen Robert Newell, der folgendes Erlebnis hatte:

„Eines Abends fuhr ich auf einer einsamen Landstraße, als der Motor meines Autos plötzlich funktionsunfähig wurde. Ich musste anhalten und auf Hilfe warten. Ein Autofahrer hielt an und als er merkte, dass ich gestrandet war, holte er ein Schleppseil aus seinem Kofferraum und zog mein Auto zu der nächsten Werkstatt, die 50 Kilometer entfernt war. Als wir ankamen, wollte ich ihn für seine Hilfe bezahlen. Er weigerte sich, Geld anzunehmen. Dann bot ich an, voll zu tanken, damit ich ihm mindestens die Benzinkosten erstatten könnte. Auch diesen Vorschlag lehnte er ab. Ich sagte: „Ich muss auf irgendeine Weise Ihre Freundlichkeit vergelten.“ Der Fremde erwiderte: „Wenn Sie unbedingt Ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen möchten, dann habe ich einen Vorschlag: kaufen Sie ein Schleppseil, damit sie jederzeit bereit sind, die Hilfe zu geben, die Sie heute Abend empfangen haben.“

Dieser Vorschlag entspricht genau dem, was Jesus in unserem Matthäustext vermitteln will, wenn er von Lohn redet. Wir sollen uns darauf einstellen, die Wohltätigkeit weiterzugeben, die wir empfangen haben, damit wir – wie Gandhi – nicht zögern müssen, wenn sich eine Gelegenheit zur Hilfe ergibt. Es gibt täglich viele Gelegenheiten, Gutes zu tun, die einfach übersehen werden, weil man nicht richtig eingestellt ist, weil man nicht vorbereitet ist, weil man auf solche Gelegenheiten nicht gewartet hat. Es fängt damit an, dass viele Dankworte unausgesprochen bleiben, weil man einfach nicht daran denkt, so etwas zu tun.

Einmal kam ich spät nach Hause mit dem 47er Bus, der fast direkt vor unserem Haus hält. Als ich ausstieg, erinnerte ich mich daran, dass es in England üblich ist, dem Busfahrer zu danken, wenn man aussteigt. Das habe ich an der Haltestelle spontan getan. Der Busfahrer ist fast vom Stuhl gefallen, weil er so etwas nicht gewohnt war, aber er hat mir einen schönen Abend gewünscht. Solche Momente, in denen kleine Almosen der Menschlichkeit ausgetauscht werden, machen uns Menschen gottähnlich. Es gibt jeden Tag unzählige Gelegenheiten, Almosen zu schenken, die nicht nur aus Geldspenden bestehen.

Möge Gott uns helfen, solche Gelegenheiten rechtzeitig zu erkennen.

Das 'Halbfigurenbild des Heiligen Nikolaus von Myra', erste Hälfte des 13. Jahrhunderts, 2008, McLeod, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Mahatma Gandhi, 1946', 2007, Editor at Large, ist eine Auftragsarbeit, die vor 1968 von einem Photographen der 'New York World-Telegram & Sun' aufgenommen wurde. Sie ist Teil einer Sammlung, die der Kongressbibliothek gestiftet wurde.
Dem Stiftungsdokument zufolge widmete die 'New York World-Telegram & Sun' alle Rechte der Öffentlichkeit, die sie auf die Photographien dieser Sammlung der Stiftung der Bibliothek besitzt. Daher sind keine Restriktionen für die Verwendung dieser Photographie bekannt.
Das Bild der Bettler von 1870, Wereschtschagin, Wassilij Wassiljewitsch, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

^ Zum Seitenanfang

PSch