Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Gal. 2, 16 – 21 Gibt es Fegefeuer?

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'Beginning of the Epistle to Galatians', 2006, Tomisti

11. Sonntag nach Trinitatis

Gibt es Fegefeuer? Gal. 2, 16 – 21

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2000

Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht. Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben. Gal. 2, 16 – 21

Die katholische Kirche hat mindestens einen Vorteil der evangelischen Kirche gegenüber: sie hat bessere Witze. Und es gibt eine katholische Anekdote, die besonders inhaltsreich ist.

'Hans Küng', 2009, Muesse
'Joseph Ratzinger as Cardinal', 2005, CamilloPIZ

Drei prominente Katholiken sind gestorben: Hans Küng (ein widerborstiger Theologieprofessor, der im Namen der katholischen Kirche offiziell nicht mehr sprechen darf), Eugen Drewermann (bekannt für seine umstrittenen psychologisch-orientierten Bibelauslegungen) und Kardinal Josef Ratzinger (seit 1982 Präfekt der Glaubenskongregation in Rom – Nachfolgeorganisation der Inquisition – zu der Zeit der Entstehung dieser Anekdote war er noch nicht Benedikt XVI). Sie sind gleichzeitig gestorben und befinden sich in einem Warteraum. Es soll festgestellt werden, wie viel Fegefeuer sie ableisten müssen, ehe sie in den Himmel einkehren dürfen. Während sie warten, geht eine Tür auf und Drewermann wird zuerst aufgerufen. Er geht durch die Tür, die Tür wird geschlossen. 30 Minuten später kommt er heraus: er ist leichenblass im Gesicht aber er lächelt krampfhaft und sagt: Ich habe nur fünf Jahre bekommen. Dann muss Küng durch die Tür. Eine Stunde später kommt er heraus: er ist leichenblass im Gesicht; er lächelt krampfhaft und berichtet: ich habe nur 10 Jahre bekommen. Jetzt ist Kardinal Ratzinger dran. Nach 30 Minuten hört man eine laute Stimme; nach einer Stunde hört es sich so an, als ob jemand auf einen Tisch haut; nach 2 Stunden hört man Donnergeräusche und durch die Türritzen kommt Rauch heraus. Kurz danach geht die Tür auf und Jesus steht da. Sein Gesicht ist leichenblass und er lächelt krampfhaft und sagt: ich habe nur 30 Jahre bekommen.

'Eugen Drewermann', 2008, ludger1961

Diese Anekdote veranschaulicht eine Denkweise, die in uns Menschen tiefverwurzelt ist. Diese Denkweise lautet: jeder Mensch sollte genau das bekommen, was er verdient hat, egal wer er ist. Die Vorstellung, dass es nach dem Tode ein Fegefeuer gibt, gehört zu dieser Denkweise. Die Vorstellung von einem Fegefeuer als Zwischenstation zwischen Himmel und Hölle entstand deswegen, weil die Christenheit im Mittelalter nicht glauben konnte, dass die Gnade Gottes allein ausreichend sein könnte. Zwar gibt es Vergebung der Sünden – das konnten sogar die Christen im Mittelalter nicht leugnen, - aber angeblich reicht diese Vergebung nur aus, um einen Sünder vor der endgültigen Trennung von Gott zu bewahren. Angeblich reicht die Gnade Gottes nicht aus, um die Folgen der Sünden zu tilgen. Dafür ist das Fegefeuer da. In dem Fegefeuer sollten die Sünden und die Folgen der Sünden abgebüßt und abgearbeitet werden, die im Laufe eines Lebens entstanden sind. Hinter dem Konzept eines Fegefeuers steckt die Vorstellung, dass Gerechtigkeit aus Vergeltung besteht und dass diese Vergeltung unerbittlich ist. In der Anekdote von vorhin war sogar Jesus dieser unerbittlichen Gerechtigkeit unterworfen, wobei es in der Anekdote auch um die Arroganz geht, die entstehen kann, wenn Menschen sich einbilden, dass sie die Gerechtigkeit Gottes zu verwalten haben.

Historisch gesehen, hat die Christenheit ein Problem, wenn es um die Gnade Gottes geht. Es fällt der Christenheit schwer, zu glauben, dass die Gnade Gottes – und nicht ein Vergeltungssystem – zuletzt ausschlaggebend ist. Es fällt Christen schwer, die Gnade Gottes konsequent zu akzeptieren. In unseren tiefsten Herzen lauert die Vorstellung, dass es doch irgendwie ein Fegefeuer geben muss, wo ein Mensch seinen Weg in den Himmel erarbeitet, indem er alles abbüßt und alles abarbeitet, was er Falsches getan hat. Es fällt Christen schwer, wirklich zu glauben, dass das Geschenk der Gnade Gottes das ewige Schicksal eines Menschen allein bestimmt und nicht eine Mischung aus Gnade und Vergeltung.

Einmal gab es in der Tageszeitung „New York Times“ eine ungewöhnliche Anzeige. In dieser Anzeige hat ein Millionär angeboten, denen alle Schulden zu bezahlen, die sich bei ihm melden. Das war alles: wer Schulden hatte, konnte sich bei diesem Mann melden, und er würde die Schulden übernehmen. Es gibt 7 Millionen Menschen in New York. Wie viele davon haben sich anhand dieser Anzeige gemeldet? Die Antwort lautet: ein einziger Mensch. Ein Mann war so verzweifelt, dass er es sich nicht leisten konnte, diese scheinbar verrückte Anzeige zu übergehen. Als er sich bei dem Mann meldete, der die Anzeige aufgegeben hatte, lautete seine erste Frage: „Wo ist der Haken?“ Der Millionär antwortete: es gibt keinen Haken. Er wollte nur Menschen helfen, die in Not geraten sind. Und er zahlte auch die Rechnungen für den einzigen Mann, der sich meldete, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Dieses Beispiel zeigt, wie schwer es uns Menschen fällt, zu glauben, dass es wirklich so etwas wie ein freies Geschenk gibt. Angeblich hat alles seinen Preis. Wir Menschen glauben nicht an Geschenke – auch nicht wenn sie von Gott kommen. An Vergeltung können wir glauben, an Vergebung glauben wir nicht so bereitwillig.

Ein Mann mit dem Namen Gerald Sittser erlebte vor etwa 5 Jahren eine persönliche Katastrophe. Als er mit seiner Familie im Auto unterwegs war, fuhr ein anderes Auto mit voller Wucht in sein Auto hinein. Seine Mutter, seine Frau und seine 4-jährige Tochter sind dabei umgekommen.

'Verkehrsunfall', 2006, Hendrike

Zuerst hat er die Fragen gestellt, die jeder in einer solchen Situation stellt: Warum musste das mir passieren? Was habe ich getan, um das zu verdienen? Warum ist das Leben so ungerecht?

Jeder Mensch – ob bewusst oder unbewusst - geht davon aus, dass das Leben gerecht abzulaufen hat, dass jeder Mensch ein Recht auf ein faires Leben hat. Es wird einfach vorausgesetzt, dass jeder mehr oder weniger das bekommen sollte, was er verdient hat.

Aber nach einer Weile hat jener Gerald Sittser diese typische Einstellung in Frage gestellt. Auf der einen Seite - sagte er sich - hatte er es nicht verdient, seine Familie auf solch tragische Weise zu verlieren. Aber gleichzeitig musste er feststellen, dass er es auch nicht verdient hatte, seine Familie zu bekommen. Dass er diese drei Personen bekommen hatte, war ein Geschenk, das er auch nicht verdient hatte. Und in einer christlichen Zeitschrift schrieb er folgendes dazu: „Vordergründig gesehen, würde ich gern in einer Welt leben, in der alles gerecht zugeht. Aber wenn ich tiefer darüber nachdenke, bin ich nicht sicher, ob das so gut wäre. In einer solchen Welt würde ich vermutlich keine Katastrophen erleiden, aber in einer solchen Welt würde ich niemals Gnade erleben ... Wer in einer vollkommen gerechten Welt leben will, müsste auf Gnade verzichten. Denn Gnade ist nur dann Gnade, wenn sie unverdient ist.“

Diese Aussage veranschaulicht die Frage, die in dem Galaterbrieftext für heute gestellt wird: wollen wir in einer Welt Leben, in der es zuletzt allein auf Verdienst ankommt, oder wollen wir in einer Welt leben, in der es zuletzt auf Gnade ankommt? Paulus hat es hier mit Menschen zu tun, die es nicht ausgehalten hatten, in einer Welt zu leben, in der es zuletzt allein auf die Gnade Gottes ankommt; sie wollten doch den Platz im Himmel erarbeiten durch eine strenge Einhaltung der biblischen Gebote. Paulus bezeugte, dass das ewige Schicksal eines Menschen allein von der Gnade abhängt; die ewige Geborgenheit in Gott ist zuletzt ein unverdientes Geschenk der Gnade. Ein Mensch kann sich anstrengen, wie er will, er kann sein ewiges Schicksal nicht selber in die Hand nehmen, denn er ist total auf die unverdiente Gnade Gottes angewiesen.

Sich total auf die Gnade Gottes zu verlassen, ist scheinbar zu einfach, um wahr zu sein. Aber für Jesus war es nicht einfach. Er hat 30 Jahre Fegefeuer auf sich genommen – d.h. 30 Jahre lang hat er hier auf Erden gelebt und gelitten, um die Gnade zu offenbaren, die zuletzt unser ewiges Schicksal bestimmen wird. Die Gnade ist zwar ein Geschenk, aber sie ist nicht billig, denn es hat Jesus sein Leben gekostet, um diese Gnade zu vermitteln. Es wäre von uns Menschen vermessen, wenn wir uns einbilden würden, dass wir diese Gnade durch eigene Anstrengung ergänzen oder nachträglich verdienen könnten. Denn wie Paulus im Text sagt: Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

Ein christlicher Zeuge hat die Sache so zusammengefasst: „Die Religion der Bibel ist entweder eine Religion der Gnade oder sie ist nichts. Wenn es keine Gnade gibt, gibt es kein Evangelium. Alles ist aus der Gnade und Gnade ist für alle ... Es ist alles Gnade, vom Anfang bis zum Ende.“

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