Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Philipper 2, 1 – 4 Gott hat es nicht eilig

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'Supermarket check out', Velela, 2005

7. Sonntag nach Trinitatis

Gott hat es nicht eilig Philipper 2, 1 – 4

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2000

Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Philipper 2, 1 – 4

Wir leben in einem ungeduldigen Zeitalter. Ich habe nie vergessen, was ich vor etwa 10 Jahren in einem HL-Laden erlebte. Es war eine Kasse auf und es standen 8 Leute in der Schlange. Ein Kunde kam dazu und als er die Schlange sah, sagte er laut und zornig: „Das ist eine Zumutung!“ Er ließ seinen Einkaufskorb stehen und stürmte wütend heraus. Der Grund, weshalb ich diesen Moment nie vergessen habe, ist, dass es mir manchmal fast genau so geht. Ich bilde mir ein, dass ich ein relativ geduldiger und gelassener Mensch bin, aber manchmal möchte ich mich genau so verhalten, wie dieser Mann.

Es gab neulich einen Zeitungsartikel mit der Überschrift: Warum sind alle so gereizt? Dieser Artikel berichtete als Erstes von einer Begebenheit in einem Lebensmittelladen. Eine neue Kasse wurde aufgemacht und zwei Kunden gingen gleichzeitig hin; jeder von ihnen meinte, er hätte Anspruch auf den ersten Platz. Es kam zu einem Streit, - zuerst mündlich und dann handgreiflich. Ein Kampf entstand, weil zwei Menschen ein paar Sekunden Zeit nicht entbehren konnten.

Die Menschen haben es eilig und wehe, wenn jemand den Weg für einige Sekunden blockiert. Zum Beispiel als Autofahrer habe ich hundertmal folgende Situation erlebt. Ich bin auf der Autobahn auf der rechten Spur und will überholen. Hinter mir ist niemand zu sehen. In wechsele auf die mittlere Spur. Auf einmal kommt ein Wagen von hinten – so schnell wie ein Kampfflugzeug – und drängt sich so nahe wie möglich an meinen Kofferraum. Es handelt sich hier um Autosprache und die Übersetzung dieser Autosprache lautet: „Hau ab, ich bin viel schneller als du – und deshalb wichtiger als du -, du bist im Weg und du nervst mich!“ Solches Verhalten ist menschenverachtend. Ungeduld und Menschenverachtung gehören heutzutage zusammen.

'Die Stressformel', Peter Forster, 2006

Es gibt ein medizinisches Institut, das den Zusammenhang zwischen Stress und Herzkrankheit untersucht. Der Direktor dieses Instituts redet von der sogenannten Eiligkeits-Krankheit, die Krankheit einer Gesellschaft, die es immer eiliger hat. Er sagte in einem Interview: „Wenn jemand es eilig hat und ein anderer im Wege steht, der ihn zwingt, langsamer zu gehen, kann der Eilige extrem wütend werden. Einige werden diese Wut selten zeigen, andere verlieren die Beherrschung.“

Diese Eiligkeits-Krankheit wird verstärkt durch andere Erscheinungen: denn in Menschen, die gewohnt sind, viel zu erleben und viel zu konsumieren, entstehen übertriebene Ansprüche. Eine Autorin, die ein Buch schrieb mit dem Titel: „Warum sind alle so schlecht gelaunt?“ schrieb folgendes:

Materialismus, Konsum und Werbung tragen dazu bei, dass die Menschen übertriebene Erwartungen an das Leben stellen. Sie meinen, dass sie Anspruch auf tägliche Lebenserfüllung hätten und glauben, dass das Leben leicht sein müsste und dass andere gefälligst beiseite zu gehen haben, wenn sie im Wege stehen.

Die Eiligkeits-Krankheit kommt auch in der Kirche vor. Auch in einer Kirchengemeinde gibt es manchmal wenig Geduld mit Menschen, die scheinbar im Wege stehen oder zu langsam sind oder zu kleinkariert oder zu unausgeglichen oder zu stur oder zu aggressiv oder zu geschwätzig. Die Ungeduld, die in unserer Umwelt vorkommt, ist wie eine ansteckende Krankheit und kann auch eine Gemeinde erwischen.

Der Text aus dem Philipperbrief, den wir am Anfang gehört haben, ist eine Mahnung an eine christliche Gemeinde. Die Mitglieder dieser Gemeinde wurden dazu aufgefordert, geduldig und behutsam miteinander umzugehen. Wie es heißt:

Tut nichts aus Eigennutz, oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.

Solche Mahnungen sind sinnlos, wenn sie aus dem Zusammenhang heraus gerissen werden. Denn niemand wird durch moralische Appelle verbessert. Diese Mahnung bekommt erst ihre Wirksamkeit, wenn man den Textzusammenhang sieht. Denn als nächstes steht folgendes:

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

Diese Selbstentäußerung Gottes in Jesus ist eine Triebkraft für uns Christen. Wenn es heißt: er war Gehorsam bis zum Tode, so ist damit die totale Wehrlosigkeit gemeint, die Jesus zeigte. Diese totale Wehrlosigkeit entstand, weil Jesus sich voll und ganz seinem Vater anvertraute. Im Gegensatz zu unseren Zeitgenossen, die täglich eine sofortige Lebensbefriedigung verlangen, hat Jesus geduldig auf Lebensvollendung gewartet. Er hat darauf gewartet, dass Lebensvollendung irgendwann als Geschenk Gottes eintreten würde. Und auch wenn diese Lebensverwirklichung erst jenseits des Grabes eintreten würde, war er bereit zu warten. Denn Jesus wartete bis in den Tod hinein. Deswegen heißt es: er war gehorsam bis zum Tode. Das heißt: es gab bei Jesus keine Kurzschlusshandlungen; er ist nicht ausgerastet, er hat nicht versucht, seine Anliegen mit aller Gewalt durchzusetzen. Warten, Geduld und Wehrlosigkeit gehören zusammen.

Portrait of Gandhi in 1931

Eine Veranschaulichung, wie Wehrlosigkeit sich auswirken kann, war in Mahatma Gandhi zu sehen. Es gibt im Buddhismus ein Prinzip, das „ahimsa“ heißt. Ahimsa bedeutet übersetzt „Nichtschädigung“. Es handelt sich um eine Haltung der totalen Gewaltlosigkeit allem Lebenden gegenüber. Gandhi verkörperte diese Ahimsa und er war so konsequent, dass er sich weigerte, Obst von einem Baum zu pflücken, sondern er wartete ab, bis es abfiel. Und so ist Gott: er greift nicht vorzeitig ein, sondern wartet ab, bis ein Reifungsprozess abgeschlossen ist. Kompromisslose Wehrlosigkeit bedeutet eine unendliche Geduld – die Geduld, Reifungsprozesse abzuwarten. Obwohl Gandhi nicht Christ war, war der geduldig leidende Christus ein Leitbild für ihn.

Und deswegen hat es Gott nicht eilig, sondern er kann endlos lange warten. Ein prominenter englischer Prediger mit dem Namen Phillip Brooks bekam einmal Besuch von einem Freund. Als der Freund ankam, war der Prediger offenbar nervös, er lief hin und her und konnte nicht still bleiben. Der Freund fragte: Was ist los mit dir? Und bekam als Antwort: „Was ist los mit mir? Ich werde dir sagen, was mit mir los ist. Ich habe es eilig, aber Gott hat es nicht eilig!“

Jesus offenbarte die unendliche Geduld Gottes mit den Menschen: als Jesus bedroht und verspottet wurde, schlug er nicht zurück – auch nicht mit der Zunge – sondern hat geduldig abgewartet. Als das Leben Jesu bedroht war, hat der die Füße der Jünger gewaschen. Als Jesus geschlagen wurde, hat er nicht zurückgeschlagen. Als er am Kreuz hing, hat er Worte der Vergebung ausgesprochen. Jesus veranschaulichte, wie behutsam und wie geduldig Gott mit uns umgeht.

Denn wenn ein Mensch ausrastet, gibt es keinen Blitz vom Himmel, der ihn totschlägt, sondern Gott ist wie ein Bauer, der geduldig darauf wartet, dass eine Ernte reif wird; er zieht die Pflanzen nicht vorzeitig aus dem Boden. Und deshalb sollen wir auch behutsam miteinander umgehen und Reifungsprozesse abwarten. Geduld und Behutsamkeit sind zwei Seiten derselben Münze.

Natürlich wird es manchmal Konflikt geben; natürlich muss Streit um die Wahrheit erlaubt sein. Aber in einer christlichen Gemeinde dürfen wir die Geduld miteinander nie verlieren, denn Gott verliert niemals die Geduld mit uns. Es darf niemals zu menschenverachtenden Worten kommen, denn Gott verachtet niemanden.

Es gab einmal einen Autoaufkleber, auf dem der folgende Spruch stand: „Sei geduldig mit mir, denn Gott ist mit mir noch nicht fertig.“ Manchmal braucht ein Mensch 20 oder 30 Jahre, bis er seine Rolle in der Gemeinde findet, bis er die Aufgabe findet, die für ihn richtig ist. Es kommt vor, dass Menschen, die scheinbar unerträglich sind, 10 Jahre später Säulen einer christlichen Arbeit werden. Es kommt vor, dass Nervensägen, die eine christliche Gemeinschaft jahrelang getragen hat, auf einmal zeigen, wie wertvoll sie sind. Wir müssen lernen, zu warten.

Es wird von einem Mann berichtet, der jeden Morgen dieselbe Routine hatte: sein Wecker ging um 6.30 Uhr los, er stand auf, rasierte und duschte sich, frühstückte, stieg in sein Auto, fuhr zu einem Fährschifflandungsplatz, stieg auf ein Fährschiff, das ihn in die Innenstadt brachte, ging zu seinem Bürohaus, nahm den Aufzug zum 17. Stockwerk und pünktlich um 8.00 Uhr war er an seinem Arbeitsplatz. 8 Jahre lang gab es keine Abweichung von diesem Ablauf. Aber eines morgens versagte sein Wecker und er stand 15 Minuten später auf, als er sollte. Jetzt war er im Stress: er duschte sich in Eile, er schnitt sich beim Rasieren, er verschlang sein Frühstück, er hetzte mit dem Auto zum Landeplatz. Er sah, dass das Fährschiff mehr als ein Meter von dem Landeplatz entfernt war. Er dachte: „Das kann ich noch schaffen.“ Er rannte und sprang und landete tatsächlich auf dem Deck des Schiffes, allerdings mit Schürfwunden an seinen Knien. Ein Matrose, der ihn beobachtet hatte, sagte: „Das war ein großartiger Sprung, aber warum wollten Sie nicht warten, bis das Schiff gelandet war, dann hätten Sie in aller Ruhe draufsteigen können?“

Diese Begebenheit kann als Gleichnis für uns dienen. Wir haben es oft zu eilig und haben Angst, etwas zu verpassen oder bei einer Aufgabe zu versagen. Wer es zu eilig hat, wird Wunden bekommen und Wunden verursachen. Auf Gott zu warten ist vergleichbar mit dem Warten darauf, dass ein Schiff landet. Manchmal kommt es nur darauf an, etwas abzuwarten, bis der Geist Gottes etwas bewirkt hat, was den nächsten Schritt erleichtert. Wer im Gebet auf Gott wartet, wird feststellen, dass Brücken entstehen, wo vorher Abgründe waren. Gott hat es nicht eilig und deshalb sollen wir es auch nicht eiliger als Gott haben. Gott geht behutsam mit uns um, deshalb sollen wir behutsam miteinander umgehen. Gott hat endlose Geduld mit uns; deswegen sollen wir miteinander Geduld haben.

Es ist erlaubt, die Photographie 'Supermarket check out', Velela, 2005, zu kopieren, zu verteilen und/oder zu modifizieren unter den Bedingungen der GNU Free Documentation License, Version 1,2 oder einer späteren Version veröffentlicht von der Free Software Foundation.
Die Photographie 'Portrait of Gandhi in 1931', ist im public domain in Indien, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Grafik 'Die Stressformel', Peter Forster, 2006, ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.5.

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