Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Apostelgeschichte 2, 41 – 47 Was würde ein Fremder denken?

« Predigten Home

'Pfingstwunder und Auferstehung', Meister des Schöppinger Altars, um 1449

7. Sonntag nach Trinitatis

Was würde ein Fremder denken? Apostelgeschichte 2, 41 – 47

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle Seelen, und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden. Apostelgeschichte 2, 41 – 47

Heutzutage sind die Menschen anspruchsvoll. Denn sie stellen Forderungen und verlangen Rechte, die in früheren Zeiten undenkbar waren. In diesem Zusammenhang gab es in den 80er Jahren eine Forderung, die nicht zu übertreffen ist. Ein Mann Namens Bazon Brock forderte nichts Geringeres als die Abschaffung des Todes. Er hielt den Tod für unnötig und unzumutbar. Er stellte die folgende Frage: „Ist das denn nötig? Was wird zur Vermeidung von Todesfällen geleistet?“ Er argumentierte, dass es ausdrücklich im Grundgesetz heißt: „Jeder hat das Recht auf Unversehrtheit“ Na, so fragte er, und wie verhält sich die Forschung? Welche Anstrengungen werden unternommen, um der Forderung des Grundgesetzes nachzukommen? Das Grundgesetz wird in diesem Punkt missachtet, stellte er zornig fest, und machte dafür die Medizin haftbar. Seine Forderung fasste er in drei Sätzen zusammen: „Der Tod muss abgeschafft werden. Diese verfluchte Abscheulichkeit muss endlich aufhören. Wer ein Wort des Trostes sagt, ist ein Verräter!“

Zunächst wirkt es so, als ob dieser Mann ein Spinner wäre. Aber was er sagt, entspricht genau der biblischen Botschaft. Der Gott, der in der Bibel offenbart wird, denkt genauso wie dieser Herr Brock. Für die Bibel ist der Tod kein neutrales Naturgesetz, sondern – wie vorhin bezeichnet - eine verfluchte Abscheulichkeit, die irgendwann endlich aufhören muss. Denn Gott ist der Inbegriff des Lebens und er kann sich auf die Dauer nicht mit etwas abfinden, was eindeutig gegen seinen Willen ist. Der Tod ist ein Feind des Lebens und deshalb ein Feind Gottes. Und dieser Feind ist deshalb für Vernichtung vorgesehen, wie Paulus in dem 1. Korintherbrief bezeugt.

Aber es geht hier um etwas Größeres. Es geht um Gerechtigkeit. Es gibt einen Volksspruch, der lautet: „Der Tod ist die einzige Gerechtigkeit.“ Gemeint ist offenbar, dass der Tod eine Art Gerechtigkeit darstellt, weil er alle Menschen gleich stellt. Aber dieser Spruch entspricht nicht der biblischen Botschaft. Für die Bibel ist der Tod nicht die einzige Gerechtigkeit, sondern er ist der Inbegriff aller Ungerechtigkeit. Jeder Trauernde weiß, was hier gemeint ist: wer eine geliebte Person verloren hat, empfindet den Tod als etwas Unzumutbares, als etwas Ungeheuerliches, als etwas total Ungerechtes. Auch wenn das Sterben manchmal eine Erlösung vom Leiden ist, ist der Tod trotzdem kein Erlöser, und er ist auch kein Vollstrecker der Gerechtigkeit.

In diesem Zusammenhang hat der Text aus der Apostelgeschichte, der für heute vorgesehen ist, eine Relevanz. Der Hintergrund zu diesem Text ist die Frage: Warum konnten die Jesusanhänger behaupten, dass Jesus der erwartete Messias sei? Was Judentum und Christentum unterscheidet, ist die Frage, ob der Messias schon gekommen ist, oder ob man noch auf ihn warten muss. Das Judentum sagt: Jesus kann nicht der Messias gewesen sein, denn ein Messias muss auf eine eindeutige, sichtbare Weise die Gerechtigkeit Gottes verwirklichen.

Es gibt eine Geschichte von einem Schüler eines Rabbiners, der gehört hatte, dass der Messias erschienen wäre. Er suchte seinen Lehrmeister auf und rief: „Meister, ich habe gehört, dass der Messias gekommen ist!“ Der Gelehrte war gerade dabei, in seinen Büchern zu lesen; er erhob sich, ging ruhig zum Fenster und schaute hinaus. Dann murmelte er: „Das kann nicht sein: die Welt sieht genau so aus, wie vorher; nichts hat sich geändert“ und kehrte zu seinem Studium zurück. Diese Begebenheit veranschaulicht, warum das Judentum Jesus als Messias nicht akzeptieren konnte.

Denn wie kann Jesus der Messias sein, wenn er keine sichtbare Veränderung der Welt eingeleitet hatte? Die Apostelgeschichte des Lukas geht auf diese Frage ein. Für die Urgemeinde war Jesus doch der Messias, weil seine Auferstehung die Antwort Gottes auf alle Ungerechtigkeit dieser Erde war. Die urchristliche Botschaft lautete: Der Ostersieg Jesu hat eine Gerechtigkeit eingeleitet, die sichtbare Änderungen bewirkt, und sie wird zuletzt alles verändern. Diese sichtbaren Änderungen werden in der Apostelgeschichte aufgelistet. Der Text, der für heute vorgesehen ist, soll dokumentieren, dass die Auferstehung Jesu Christi eine Gerechtigkeit eingeleitet hat, die in der Gemeinde in Jerusalem zu sehen ist:

Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle Seelen, und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Dieser Text beschreibt die Anhaltspunkte, an denen man erkennen sollte, dass Jesus der Messias ist, der Gerechtigkeit verwirklicht. Die Stichworte lauten: „Furcht über alle Seelen“ (d.h. eine Ehrfurcht vor Gott war in allen Jesusanhängern erkennbar), „Zeichen und Wunder“ (Fachausdrücke für die Wirkung Gottes) „Güter und Habe“ wurden verkauft, damit die Bedürftigen eine Lebensgrundlage bekommen (hier wird Gerechtigkeit konkret realisiert), „sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel“ (d.h. es gab keinen Bruch mit dem Judentum: Jesus als Messias hat die Verheißungen der Propheten erfüllt und deswegen war der Tempel nach wie vor der Brennpunkt der Anbetung). Und es heißt: sie „fanden Wohlwollen beim ganzen Volk“ (d.h. die ersten Jesusanhänger hielten sich tadellos an die Vorschriften des Alten Testaments und hatten damit bezeugt, dass Jesus die Erfüllung der Torah und der Propheten war). Und es heißt zuletzt: „Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden“ (d.h. da, wo eine Glaubensgemeinschaft wächst, ist der Segen Gottes sichtbar geworden.)

Am auffälligsten in dieser Aufzählung ist das Verkaufen des Besitzes, damit die Ärmeren versorgt sind. Hier ist ein Gerechtigkeits-Wunder eingetreten. Man könnte hier von Verteilungs-Gerechtigkeit sprechen, denn hier werden die Güter so verteilt, dass jeder genug zu essen und eine Grundversorgung bekommt. Normalerweise sind wir Menschen nicht bereit, unseren Besitz zu verkaufen, damit die Ärmeren versorgt werden. Denn wir haben alle Angst, im Leben zu kurz zu kommen. Todesangst sitzt uns allen im Nacken, und deswegen will niemand sein Hab und Gut verkaufen, um den Ärmeren zu helfen. Aber diese Urgemeinde in Jerusalem steht unter dem Eindruck der Auferstehung Christi. Diese ersten Christusanhänger sind von allen Ängsten befreit worden, denn sie wussten, dass die Gerechtigkeit Gottes in der Auferstehung Jesu Christi erschienen ist. Deswegen konnten sie unerschrocken alles verkaufen und das dadurch gewonnene Geld unter den Bedürftigen verteilen. Sie wollten auf diese Weise sichtbar machen, dass die Gerechtigkeit Gottes in Jesus eingetreten war, und dass Jesus der Messias ist.

Wenn man liest, wie dynamisch und harmonisch diese Urgemeinde war, könnte man neidisch werden und sich wünschen, dass eine christliche Gemeinde heute so aussehen könnte. Aber es gibt kein Idealbild der Kirche. Eine christliche Gemeinde heute kann und darf nicht so aussehen, wie eine jüdische Christusgemeinde vor 2000 Jahren. Aber eine Botschaft von damals gilt heute noch. Nämlich: in einer Gemeinde sollte sichtbar werden, wie Jesus die Welt sichtbar verändert hat und deshalb der Messias ist, d.h. der Erlöser der Welt. Die Gemeinde ist das Fenster, durch das die Menschen sehen sollen, was Jesus bewirken kann.

Und hier haben wir ein Problem als evangelisches Kirchenvolk. Es ist vielen Kirchenmitgliedern nicht bewusst, dass sie Teil einer Gemeinschaft sind. Es gibt nach wie vor zu viel Vereinzelung, zu viel Abkapselung in unseren evangelischen Gemeinden.

Man sollte sich fragen: was würde ein Fremder denken, der unsere Gemeinde besucht – der einen Gottesdienst oder eine Veranstaltung der Gemeinde aufsucht? Würde er feststellen können: hier ist eine christliche Gemeinschaft, hier ist der Geist Jesu Christi spürbar und sichtbar? Wenn dieser Fremde sieht, wie wir singen und beten, wie unsere Körpersprache im Gottesdienst aussieht, wie wir miteinander umgehen, wie wir Interesse füreinander zeigen oder nicht zeigen, wie wir Zeit füreinander nehmen oder nicht nehmen, wie wir auf Fremde zugehen oder nicht zugehen – wird er dann sagen können, dass diese Menschen den Messias gefunden haben, und er heißt Jesus? Es ist diese Frage, die der Text aus der Apostelgeschichte an uns richtet.

Es gibt einen Mann, der 18 verschiedene Gemeinden an 18 Sonntagen hintereinander besuchte. Er wollte herausfinden, wie es ist, als Fremder in einer fremden Gemeinde zu sein. Er sagte dazu folgendes: „Ich saß immer vorne. Nach dem Gottesdienst verweilte ich so lange ich konnte und ging an möglichst vielen Gottesdienstbesuchern vorbei. Ich war korrekt angezogen und lächelte die Leute an. Ich sprach immer eine Person an und stellte eine Frage: z.B. „Wo ist das Gemeindebüro“ Oder: „Gibt es außer der Kirche einen Gemeindesaal?“ Seine Erfahrung war ernüchternd. Er fühlte sich überall wie ein unerwünschter Fremdkörper. Seine Schlussfolgerung lautete: „Es mag sein, dass der Gottesdienst schön war, dass das Singen der Gemeinde anregend und die Predigt erbaulich waren, aber wenn ein fremder Besucher den Eindruck bekommt, dass es der Gemeinde egal ist, ob er da ist oder nicht, hat er keine Lust, wiederzukommen.“

Es gibt natürlich Fremde, die anonym bleiben und in Ruhe gelassen werden wollen, wenn sie einen Gottesdienst besuchen. Aber trotzdem: es gibt hier eine große Lücke. Denn evangelische Christen im Allgemeinen fühlen sich nicht dafür zuständig, dass eine christliche Gemeinschaft entsteht, die nach außen hin einladend wirkt. Aber wir sind alle dazu berufen, an einer einladenden christlichen Gemeinschaft mitzuwirken. In dieser Hinsicht bleibt die Urgemeinde in Jerusalem ein Leitbild, von der es heißt: sie blieben in der Gemeinschaft, sie waren einmütig beieinander, es kamen Neue dazu. Möge Gott uns zu dieser Gemeinschaftsorientierung die nötige Motivation geben. Amen.

Die Abbildung 'Pfingstwunder und Auferstehung', Meister des Schöppinger Altars, um 1449, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.

^ Zum Seitenanfang

PSch