Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Philipper 2, 1 – 4 Die kürzeste Predigt aller Zeiten

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'Fußwaschung', Margret Hofheinz-Döring, 1932

7. Sonntag nach Trinitatis

Die kürzeste Predigt aller Zeiten Apostelgeschichte Philipper 2, 1 – 4

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Philipper 2, 1 – 4

Was ist die kürzeste Predigt aller Zeiten? Es gibt eine eindeutige Antwort auf diese Frage. In dem US-Bundesstaat Georgia gibt es eine kleine Universität, für die ein Pfarrer mit dem Namen Roy DeLamotte zuständig ist. Vor einem Gottesdienst hat er eine Predigt angekündigt mit dem Titel: „Was sagt Christus, wenn wir fragen: was bringt es mir, wenn ich mich auf Religion einlasse?“ Der Titel der Predigt war länger als die Predigt selber. Denn die Ansprache bestand aus einem einzigen Wort. Der Prediger stieg auf die Kanzel und sagte nur ein Wort, nämlich „Nichts“. Das war seine Erwiderung auf die Frage: „Was sagt Christus, wenn wir fragen: was bringt es mir, wenn ich mich auf Religion einlasse?“ Später erklärte er, dass er auf diese Weise Menschen ansprechen wollte, die das Evangelium von einer egoistischen Perspektive betrachten – er wollte Leute erreichen, die meinen, dass es nur dann sinnvoll ist, sich auf Gott einzulassen, wenn ein persönlicher Vorteil dabei herauskommt. Er wurde gefragt, wie lange es gedauert hatte, diese Ein-Wort-Predigt vorzubereiten. Seine Antwort lautete: „20 Jahre“.

Diese Predigt ist eine Reaktion auf eine Wende, die innerhalb der letzten 30 oder 35 Jahre eingetreten ist. Für frühere Generationen war es selbstverständlich, dass ein Mensch nicht für sich selbst leben kann oder leben darf. Diese frühere Einstellung erlebe ich bei Beerdigungsgesprächen, wenn ich immer wieder höre, dass eine verstorbene Person – wie es heißt – „immer für andere da war“. Im Rahmen der Familie, im Beruf oder in der Nachbarschaft waren Menschen in früheren Zeiten „immer für andere da“. Ob eine solche Aussage wirklich zutreffend ist oder nicht, spielt zunächst keine Rolle. Für frühere Generationen war es selbstverständlich, was Paulus in dem Römerbrief schrieb: „Unser keiner lebt sich selber“. Aber Ende der 60er Jahre – vielleicht könnte man sogar sagen seit 1968 – trat eine Wende ein. Die neue Ausrichtung des Lebens hieß „Selbst-Verwirklichung.“ Die erste Verantwortung eines Menschen war nicht mehr für die Familie, für seinen Beruf oder für die Allgemeinheit zu leben, sondern die erste Verantwortung war es, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen und die eigenen Interessen durchzusetzen. Es ist nicht so, dass die Menschen ab 1968 auf einmal moralisch schlechter waren; sondern die westliche Welt hatte sich verändert. Damit unsere Welt funktioniert, wird es von Menschen verlangt, dass sie möglichst selbstständig und selbstverantwortlich leben.

Es gibt einen Universitätsprofessor mit dem Namen Daniel Jankelowitsch, der in den 70er Jahren diese Wende wissenschaftlich dokumentiert hat; seine Ergebnisse veröffentlichte er Anfang der 80er Jahre mit dem Buch „Neue Regeln“. Er hatte 3000 Menschen persönlich und tief gehend untersucht; außerdem hatte er einige Hunderttausende von Fragebögen ausgewertet. Er kam zu dem Ergebnis, dass Ichbezogenheit nicht mehr als etwas Niederträchtiges gilt, wofür man sich schämen sollte - wie in früheren Zeiten -, sondern es hat sich als etwas Selbstverständliches durchgesetzt, dass die eigenen Bedürfnisse und Interessen die erste Priorität haben.

Aber Jankelowitsch hat auch festgestellt, dass die Suche nach Selbst-Verwirklichung zum Scheitern verurteilt ist; denn diese Suche führt unweigerlich zu Zweifelhaftigkeit und Verwirrung. Er fasste seine Ergebnisse mit der Frage zusammen: „Wenn du dich selbst gefunden hast, was wirst du mit dir selbst anfangen?“

Und wie ist es mit Christen? Sind sie weniger selbstbezogen? Eine Nachfolge-Untersuchung unter bewusst-gläubigen Christen hat ergeben, dass gerade bekennende Christen am ehesten dazu neigen – viel mehr als die übrige Bevölkerung - , nach Selbst-Verwirklichung zu streben. D. h. Selbst-Erfüllung gilt nicht mehr als Nebenprodukt eines Lebens im Dienst des Herrn, sondern ist ein Lebensinhalt geworden, der mit Berechnung verfolgt wird.

Ob solche Untersuchungen zutreffend sind oder nicht: es ist auf jeden Fall zu beobachten, dass ein Leben im Glauben immer mehr von einer selbstbezogenen Kundenmentalität geprägt worden ist. Der religiöse Kunde sucht nach Selbst-Erfüllung, und er nimmt das, was er individuell für sich selbst braucht. Sein religiöses Leben ist nach den eigenen Bedürfnissen und Interessen ausgerichtet. Seine Einstellung lautet nicht: ich bin für die christliche Gemeinschaft da, sondern sie lautet: die Kirche hat für mich da zu sein und sollte für meine Bedürfnisse entsprechende Angebote haben.

In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, den Philipperbrieftext für heute zu betrachten. Paulus schreibt:

„Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.“

Eine solche Aussage passt scheinbar nicht in die heutige Zeit. Ist sie noch relevant oder ist sie überholt?

Um diese Frage zu beantworten, sollte man die Worte betrachten, die direkt anschließend stehen. Denn in der Fortsetzung heißt es:

„Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war...entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“

Es handelt sich hier um eine grundlegende christliche Dynamik, die auf Jesus selbst zurückgeht. Nicht Selbst-Verwirklichung steht hier im Mittelpunkt, sondern Selbst-Entäußerung.

Mutter Teresa veranschaulichte diese Dynamik, denn es wurde von ihr gesagt: „Ihr Geheimnis ist, dass sie frei ist, nichts zu sein. Deshalb kann Gott sie in jeder Situation einsetzen.“ Diese Freiheit, nichts zu sein, ist tatsächlich etwas Befreiendes.

Ich habe einmal eine Ahnung bekommen, was es heißt, nichts zu sein. Als ich 20 Jahre alt war, gab es einen Zeitpunkt, als ich so gut wie kein Geld hatte. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber es hatte sich so ergeben, dass ich eine Zeitlang kein Geld auf irgendeinem Bankkonto hatte. Mein persönlicher Besitz zu diesem Zeitpunkt war minimal. Und ich werde nie vergessen, wie befreit ich mich fühlte. Ein Mensch ohne Geld ist in den Augen der Welt ein Nichts. Aber dieser Moment – als ich ein Nichts war – war einer der schönsten Momente meines Lebens, weil ich eine Freiheit spürte, die man selten im Leben erlebt.

Aber die wirkliche Freiheit besteht darin, in dem Einsatz für einen Menschen oder für eine Aufgabe so völlig aufzugehen, dass man sich selbst total vergisst. Die reinste Freude entsteht, wenn ein Mensch nicht mehr an sich selbst denkt, weil er sich in Liebe hingegeben hat. Und so etwas muss manchmal gelernt werden.

'William Booth', Bain News Service, publisher, 1912

Zum Beispiel: Im Jahre 1865 gründete William Booth in London die Heilsarmee. 12 Jahre später war die Heilsarmee so bekannt geworden, dass Menschen aus aller Welt nach London pilgerten, um mitzumachen. Dazu gehörte ein Pfarrer aus Amerika mit dem Namen Samuel Brengle, der eine große Gemeinde hatte und der einmal davon geträumt hatte, ein Bischof zu werden.. Aber William Booth war von diesem Pfarrer nicht begeistert und hat ihn nur widerwillig in die Heilsarmee aufgenommen. Er sagte zu ihm: „Sie sind für zu lange Zeit Ihr eigener Chef gewesen.“ Damit dieser Bengel tauglich wird für einen Dienst in der Heilsarmee bekam er eine erniedrigende Aufgabe: Er sollte die Schuhe von allen neuen Mitgliedern der Heilsarmee putzen. Zuerst war dieser Bengel entmutigt und fragte sich: „Habe ich den Atlantik überquert, um Schuhe zu putzen?“ Und in dem Moment, als er sich diese Frage stellte, sah er Jesus - wie in einer Vision - wie er die Füße seiner Jünger gewaschen hatte. Und daraufhin sagte er: „Herr, wenn du Füße waschen kannst, kann ich Schuhe putzen.“ Hier sehen wir, wie Selbst-Entäußerung aussehen kann. Und Selbst-Entäußerung ist die wahre Verwirklichung des Lebens; denn dazu sind wir als Geschöpfe unseres Schöpfers bestimmt, - so zu werden wie Jesus – in seiner Selbst-Erniedrigung und in seiner ewigen Herrlichkeit.

Ein Beobachter des kirchlichen Lebens hat festgestellt, dass zwei Sorten von Dienst in einer Kirchengemeinde vorkommen: Selbstbezogener Dienst und selbstloser Dienst. Und er hat dazu eine Gegenüberstellung gemacht. Diese Gegenüberstellung sieht so aus:

Selbstbezogener Dienst verlangt Belohnungen; selbstloser Dienst ist damit zufrieden, im Verborgenen zu bleiben.
Selbstbezogener Dienst ist beeindruckt von großen Projekten; selbstloser Dienst unterscheidet nicht zwischen großen und kleinen Aufgaben.
Selbstbezogener Dienst macht sich große Sorge um erfolgreiche Ergebnisse; selbstloser Dienst ist frei von Erfolgszwang.
Selbstbezogener Dienst will nicht jedem dienen; selbstloser Dienst kann jedem dienen.
Selbstbezogener Dienst ist von Launen und Stimmungen abhängig; selbstloser Dienst bleibt treu, weil Hilfe gebraucht wird.
Selbstbezogener Dienst hat keine Ausdauer; selbstloser Dienst ist eine Lebensweise.
Selbstbezogener Dienst spaltet eine Gemeinschaft; selbstloser Dienst baut Gemeinschaft auf.
Selbstbezogener Dienst entsteht durch menschliche Mühe; selbstloser Dienst entsteht durch eine innige Beziehung zu Gott.

Diese Gegenüberstellung ist eine Auslegung des letzten Satzes des Philipperbrieftextes, wo Paulus schreibt:

ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.

Möge Gott uns helfen, Erfüllung zu finden in einem selbstlosen Dienst, der von der Selbst-Entäußerung Jesu Christi geprägt ist. Amen.

Die Photographie 'William Booth' (Bain News Service, publisher, 1912) ist eine Pressephotographie der George Grantham Bain collection, die von der Nationalbibliothek der USA 1948 gekauft wurde. Dieser Bibliothek zufolge sind keine Einschränkungen bekannt, dieses Photo zu nutzen.
Der Linolschnitt 'Fußwaschung', Margret Hofheinz-Döring, 1932, wurde unter den Bedingungen der Creative Commons "Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported"-Lizenz veröffentlicht.

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