Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Kor 1,18 - 25 Wie spielt man Gott?

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5. Sonntag nach Trinitatis: 1. Kor 1,18 - 25 Wie spielt man Gott?

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

'Lightning', 2005, Saperaud

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

1. Kor 1,18 - 25

Es gibt ein Computerspiel mit dem Namen Schwarz und Weiß. In diesem Spiel kann man Gott spielen. In den Anweisungen zu diesem Spiel steht folgendes: Sie werden auf den Olymp des Fantasy-Landes Eden versetzt. Von hier aus herrschen Sie über Ihre menschlichen Untertanen. Ihr Ziel: möglichst viele Jünger unter Ihre Knute zu zwingen und so Omnipotenz zu erreichen. Entweder können Sie sich als fürsorglicher Allvater um Ihre Untertanen kümmern, volle Felder bescheren und sie aus finsterster Stunde erretten. Oder Sie schleudern Tod und Verderben hinab auf „Eden“, sorgen mit Sturm, Eis, Blitzen und Feuersbrunst dafür, dass sich Ihre Bildschirmsklaven sputen. Sie können Flammenwände über die Landschaft rasen lassen oder schleudern ganze Gebirge durch die Lüfte.

So stellt man sich also Gott vor. Dieses Spiel enthält natürlich eine Karikatur-Vorstellung von Gott, aber trotzdem ist sie nicht weit entfernt von dem, was Menschen tatsächlich von Gott erwarten. Wir Menschen möchten öfters einen Gott haben, der mit übernatürlicher Allmacht eingreift, wenn es hier auf Erden unerträglich wird.

Aber ein Computerspiel zum Thema Gott müsste ganz anders aussehen. Es müsste heißen: in diesem Spiel verlassen Sie ihre himmlische Herrlichkeit, Sie nehmen das Menschsein an, Sie setzen sich Hunger, Hitze und Kälte aus, Sie nehmen Verwundbarkeit und Vergänglichkeit an, Sie sterben am Kreuz als Versager und Verfluchte. Und das tun Sie, weil Sie die Entfremdung nicht aushalten können, die Sie von Ihren Geschöpfen trennt. Aus Liebe wollen Sie unbedingt die Menschen dort aufsuchen, wo sie sich befinden und alles mitfühlen, was sie erleben und erleiden.

Diese Art Gott ist ganz anders als das, was die Menschen suchen. In dem Korintherbrieftext, der für heute vorgesehen ist, schreibt Paulus, dass die Menschen nicht einen gekreuzigten Gott haben wollen, sondern sie suchen Zeichen und Weisheit. Paulus schrieb diese Zeile etwa im Jahre 55. Im Jahre 54 tauchte in Jerusalem ein Mann aus Ägypten auf, der sich als Prophet Gottes ausgab und 30.000 Menschen überredete, ihm auf den Ölberg hinaus zu folgen, um mitzuerleben, wie auf sein Wort hin die Mauern von Jerusalem zusammenbrechen werden. Oder 9 Jahre früher erschien ein Mann mit dem Namen Theudas, der Tausende von Menschen überredete, ihre Heimat zu verlassen, indem er ihnen versprach, auf sein Gebot hin werde der Jordan sich teilen, so dass er sie trockenen Fußes hinüberführen könne. Solche falschen Messias-Kandidaten bekamen Anhänger, weil die Juden damals mit sensationellen Ereignissen gerechnet hatten. Sie meinten, dass der Messias, wenn er kommt, erstaunliche und erschütternde Ereignisse einleiten würde. Ein gekreuzigter Messias war nicht nur kein Messias, er galt als von Gott abgelehnt. Die Juden damals waren genauso erlebnissüchtig wie unsere Bevölkerung heute. Heute steht die Kirche unter dem Erwartungsdruck, auf diese Erlebnissucht einzugehen. Denn wer keine Events zu bieten hat, d.h. wer keine dramatischen, inszenierten Erlebnisse zu bieten hat, wird kaum zur Kenntnis genommen.

Und dann heißt es in unserem Text: die Griechen suchen Weisheit, denn für sie ist die Botschaft vom Kreuz eine Torheit. Was heißt das genau? Nach griechischer Auffassung war es ein Kennzeichen Gottes, dass er völlig unempfindlich ist. Die Griechen der nach-olympischen Zeit behaupteten, Gott sei gefühllos; denn wenn Gott Freude, Schmerz, Zorn, Kummer oder dergleichen empfinden könnte, so würde das besagen, dass jemand ihn zeitweilig beeinflussen könne und damit größer sei als Gott – eine Unmöglichkeit. Daraus folgerten die Griechen, dass Gott unfähig sein müsse, überhaupt zu empfinden; ein leidender Gott war in ihren Augen ein Widerspruch in sich selbst. Darüber hinaus erklärte der Philosoph Plutarch, es sei geradezu eine Beleidigung Gottes, wolle man ihn in die Angelegenheiten der Menschen mit einbeziehen. Der Kirchenvater Augustin, ehe er Christ wurde, war ein Gelehrter, und er konnte sagen, dass er in den Schriften der griechischen Philosophen zu fast allen Lehren des Christentums Parallelen entdeckt hatte; aber eine Botschaft war für die Christenheit absolut einzigartig, nämlich die Menschwerdung Gottes, die in Bethlehem eingeleitet und am Golgatha vollendet wurde. Die christliche Botschaft von einem verwundbaren Gott war in der hellenistischen Welt nicht nur einmalig, sie war auch empörend, denn so könnte Gott sich nicht erniedrigen, hat man gedacht.

'Christ Carrying the Cross', EL GRECO - 1580

Auch die Christenheit tat sich schwer, diese Botschaft voll und ganz anzunehmen. Und man könnte behaupten: da, wo die Christenheit das Kreuz nicht einordnen kann, ist sie auch nicht lebensfähig. Zum Beispiel: die Christenheit breitete sich von Anfang an auch Richtung Osten aus. Im Jahre 800 gab es sogar mehr Christen östlich von Damaskus als westlich von Damaskus. Diese östliche Christenheit bezeichnet sich selbst als die apostolische Kirche des Ostens. Auf der einen Seite hat diese östliche Christenheit sich bis China ausgebreitet und hat es geschafft, in Ländern wie Syrien, Türkei, Irak und Iran bis heute kontinuierlich zu überleben. Aber auf der anderen Seite konnte diese östliche Variante des Christentums dem Islam nicht standhalten. Und vielleicht hängt es damit zusammen, dass diese östliche Christenheit eine große Lücke in ihrem Glaubenssystem hatte. Ein wissenschaftlicher Historiker hat festgestellt, dass die östliche Christenheit es strikt abgelehnt hat, an die Leidensfähigkeit Gottes zu glauben. Und vielleicht deswegen ist die östliche Christenheit so zusammengeschrumpft. Denn genau hier ist der springende Punkt. Die ganze Vitalität des christlichen Glaubens hängt davon ab, dass wir an die Leidensfähigkeit Gottes glauben; dafür steht das Kreuz als Symbol. Wie Paulus in unserem Text für heute schreibt:

Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Die Leidensfähigkeit Gottes ist anscheinend eine Schwachheit Gottes, die ihn angeblich ungöttlich macht. Aber für die Christenheit hängt alles davon ab, dass Gott für uns Menschen eine Schwäche hat.

Ein christlicher Zeuge drückte diese Wahrheit mit den Worten aus: „Der gekreuzigte Jesus ist das einzige zutreffende Bild von Gott, das die Welt jemals gesehen hatte.“ Und Dietrich Bonhoeffer, als er in seiner Todeszelle saß, schrieb: „Nur der leidende Gott kann helfen.“ Gott hilft nicht, indem er mit übernatürlicher Macht eingreift, sondern mit seinen Wunden. Es ist seine verwundbare Liebe, die befreit. Und Martin Luther bezeugte: Gott konnte uns Menschen nur deswegen helfen, weil er ein Mensch geworden war, von dem man sagen konnte: Gott hat gelitten, Gott hat geblutet, Gott ist in den Tod gegangen.

Ein japanischer Schriftsteller mit dem Namen Shusaku Endo ist Christ. In Japan ist weniger als 3% der Bevölkerung christlich. Dieser Shusako Endo hat eine Erklärung dafür, dass der christliche Glaube so wenig Anklang in Japan gefunden hat. Dieser Schriftsteller sagt, dass die christlichen Missionare von der Macht Gottes erzählt hatten. Sie sagten, er sei ein Gott mit Kraft und Herrlichkeit. Aber sie hatten es versäumt, die Botschaft deutlich zu machen, dass dieser Gott bis zum Kreuz ging, dass er ein Gott ist, der unsere Ohnmacht angenommen hatte, dass er ein menschliches Gesicht hat, ein gewöhnliches Gesicht an einem gewöhnlichen Mann. Weil diese Botschaft vom Kreuz gefehlt hatte, ist die christliche Botschaft in Japan ohne Ausstrahlungskraft geblieben, meint der christliche Schriftsteller.

Das heißt also: wir kommen an dem Kreuz nicht vorbei. Denn die verwundbare Liebe Gottes, die am Kreuz offenbart wurde, ist für uns eine Vorlage, wie wir leben können. Die christliche Lebensweise ist nicht ein Weg der Macht, des sichtbaren Erfolges oder der lauten Töne. Wir Christen stehen nicht unter dem Druck, dass wir erfolgreich sein müssen, dass wir uns durchsetzen müssen, dass wir Machtworte aussprechen müssen, dass wir auf den Tisch hauen müssen; wir dürfen scheitern, wir dürfen mit leisen Tönen reden, wir können es uns leisten, richtig zuzuhören, wir dürfen verlieren, wir stehen nicht unter Rechtfertigungszwang. Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn die Liebe, die wir schenken, uns verwundbar macht. Wir dürfen an dieser Welt leiden, denn Gott leidet an dieser Welt. Wie Paulus schreibt: das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.

Möge Gott uns helfen, dass wir die befreiende Kraft dieser Botschaft vom Kreuz täglich wahrnehmen, damit wir bescheidener, geduldiger und liebevoller werden. Möge Gott uns helfen, eine Lebensweise zu finden, die seiner verwundbaren Liebe entspricht.

Die Photographie 'Lightning', 2005, Saperaud, ist gemeinfrei (public domain) weil sie Material enthält, dass von einem Angestellten des National Oceanic and Atmospheric Administration im Verlaufe seiner offiziellen Arbeit erstellt wurde.
Das Gemälde 'Christ Carrying the Cross', EL GRECO - 1580, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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