Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Mose 16, 2 – 3. 10 - 18 Weil wir an Gott glauben, sehen wir Wunder

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'The Gathering of the Manna', James Tissot, vor 1903

7. Sonntag nach Trinitatis

Weil wir an Gott glauben, sehen wir Wunder 2. Mose 16, 2 – 3. 10 - 18

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 06. Juli 2008 in der Bergkirche und im Kirchsaal Süd

Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
Und als Aaron noch redete zu der ganzen Gemeinde der Israeliten, wandten sie sich zur Wüste hin, und siehe, die Herrlichkeit des HERRN erschien in der Wolke. Und der HERR sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin. Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte. 2. Mose 16, 2 – 3. 10 - 18

Im vorigen Jahrhundert gab es Zeiten, als Menschen in Deutschland in der Gefahr waren, zu verhungern. z. B. gab es vor einigen Jahrzehnten im Ruhrgebiet eine Witwe mit vier Kindern. Eines Abends, als das Wetter stürmisch war, war sie verzweifelt und sie betete folgendes: „Herr, du weißt doch, wie es um mich steht, vier hilflose Kinder, kein Brot, keine Kartoffeln, keine Kohlen im Haus! Hilf mir, lass uns nicht elend umkommen! Du hast doch gesagt, dass du der Witwen Helfer und der Waisen Vater sein willst!“ Unmittelbar nach diesem Gebet klopfte jemand an ein Fenster ihres Hauses. Es war ein Bekannter, der einen Korb voller Lebensmittel für sie hatte.

Dieser Bekannte hatte schon im Bett gelegen, als eine innere Stimme sagte: „Bringe sofort einen Korb mit Lebensmitteln zu dieser Witwe!“ Zuerst hat er versucht, diese innere Regung nicht ernst zu nehmen, aber diese innere Stimme wiederholte sich und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Also weckte er seine Frau auf und zusammen haben sie einen Korb gepackt. Trotz Sturm und Dunkelheit machte er sich auf dem Weg zu der Frau und kam gerade in dem Moment an, als die Frau betete.

Wie ist dieser Vorgang zu verstehen? War es ein direktes Eingreifen Gottes? Handelt es sich um ein Wunder, das einen übernatürlichen Ursprung hat? Oder handelt es sich um eine Gedankenübertragung, die zu unseren verborgenen menschlichen Fähigkeiten gehört? Lässt sich dieser Ablauf vielleicht durch Vorgänge im Unterbewusstsein erklären und durch ein zufälliges Zusammentreten von zwei Ereignissen? Denn die Nahrungslieferung trat zufällig genau in dem Moment ein, als für sie gebetet wurde.

Auf der einen Seite lässt sich dieser Vorgang vielleicht durch unbekannte Naturgesetze erklären. Aber auf der anderen Seite: jedes Ereignis, das Befreiung bringt und Ehrfurcht erregt, kann als Wunder verstanden werden. Fast jedes Wunder hat diese zwei Dimensionen: sie spielen sich weitgehend im Rahmen der Gesetzmäßigkeit der Schöpfung ab und die gesetzliche Ordnung der Schöpfung ist wie ein Mysterium, aber es liegt in dem Herzen des Betrachters, ob dieses Mysterium mit Ehrfurcht und Dankbarkeit angeschaut oder mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen wird.

This map showes one of the supposed roads of the jewish exodus, Ori229, 2008

Dieser Zwiespalt der Betrachtungsweise betrifft auch die alttestamentlichen Wunder. Die Wunder im Alten Testament haben einen anderen Charakter als die Wunder im Neuen Testament. De Wundererzählungen im Neuen Testament sind Augenzeugenberichte. Die Wunder im alten Testament sind etwas Anderes. Das Zentralereignis in der Geschichte des Volkes Israels war die Befreiung der hebräischen Sklaven aus Ägypten durch die Spaltung des Schilfmeeres. Dieses Wunder galt als die Geburtsstunde Israels als Volk Gottes. Aber dieses Wunder wurde im Judentum heftig umstritten.

Es gab einmal eine Rabbinerversammlung, bei der ein Talmudmeister, ein Rabbi Samuel, folgendes sagte: Ich glaube nicht, dass etwas Übernatürliches eingetreten war. Es handelte sich mit größter Wahrscheinlichkeit um die Ebbe, die es den Israeliten ermöglichte, das Schilfmeer „trockenen Fußes“ zu durchqueren, während in der darauffolgenden Flut Ägyptens Rosse und Reiter ganz naturgemäß ertrunken seien. Alles andere sei lediglich fromme Nachdichtung, und sonst nichts. Diese Meinung löste eine heftige Debatte aus. Und zuletzt ergab sich folgender Konsens: Falls Rabbi Samuel recht haben sollte – was keineswegs als gesichert gelten kann -, so wäre das Wunder noch viel größer. Denn dann bedurfte es gar keines göttlichen Eingriffs in die von Gott gegebene Naturordnung, um das Volk Israel aus der Knechtschaft zu erlösen. Ebbe und Flut waren eben „natürlich“ so programmiert worden, dass sie im normalen Lauf der Dinge das Heilsvorhaben Gottes fördern konnten. Es war alles eine Frage der zeitlichen Abfolge der Ereignisse. Das Wunder Gottes bestand darin, dass zufällig alles rechtzeitig zusammenkam, damit Israel in die Freiheit ziehen konnte.

Wie gesagt: es ist nicht eindeutig, ob die Spaltung des Schilfmeeres so verstanden werden kann.

Aber das Mannawunder gehört auch in diesen Kontext hinein. Manna gibt es noch heute im Innern der Sinaihalbinsel, und es wird von den nomadischen Bewohnern dieses Gebiets „mann“ genannt. Manna ist ein tropfenartiges Gebilde an den Blättern der Tamariske. Eine bestimmte Art von Schildläusen muss im Frühling aus den Zweigen der Tamariske beträchtliche Mengen Pflanzensaft saugen, um Nitrogen für Larven herauszuholen. Es entsteht dabei ein Saftüberschuss. Aus dem Saftüberschuss entstehen runde Tropfen, die zu weißlich-gelblichen Kügelchen verhärten, wenn es kühl ist. Das Sammeln des Mannas muss deshalb morgens erfolgen, denn die Kügelchen schmelzen in der Mittagshitze. Dementsprechend haben die Israeliten das Manna in der Zeit des Morgentaus gesammelt.

Auch die Wachteln sind eine bekannte Erscheinung. Im Frühjahr und Herbst fliegen sie von der Mittelmeerküste über die Sinaihalbinsel. Sie fallen aus Erschöpfung zu Boden und sind leicht einzufangen. Mit anderen Worten: die Speisung in der Wüste lässt sich durch Naturgesetze erklären. Aber Israel sah in dieser Speisung durch Manna und Wachteln die wunderbare Fürsorge Gottes für sein Volk. Denn offenbar wurde Manna gerade in dem Moment entdeckt, als Israel vor Gott ihre Hungersnot klagte. Es handelt sich wieder um einen sogenannten Zufall. Eine Hungersnot droht, Gott erscheint, und es wird in dem Moment entdeckt, dass es Manna gibt und dass es essbar ist.

Aber an Wunder kann man sich schnell gewöhnen. Und trotz der wunderbaren Speisung in der Wüste – die man auch als ein Wunder der Natur verstehen kann – hielten die Dankbarkeit und die Ehrfurcht nicht an. Die Israeliten haben sich während der Wüstenwanderung immer wieder gegen Gott aufgelehnt, sie haben sich immer wieder geweigert, sich Gott anzuvertrauen. Die Begeisterung für das Manna-Wunder war nicht dauerhaft.

Wir als Kirche haben ein ähnliches Problem. Wir Christen kennen auch ein Manna-Wunder, denn wir bekommen auch Brot vom Himmel. Gemeint ist das Altarsakrament, das uns die unmittelbare Nähe Gottes vermittelt. Wenn wir vor dem Altar Brot essen und aus dem Kelch trinken, ist der Auferstandene Christus unter uns anwesend. Wir empfangen eine Gnade, die uns mit dem unvergänglichen Leben Gottes verbindet. Jede Abendmahlsfeier verbindet uns mit Christen an allen Orten und aus allen Zeiten. Jede Abendmahlsfeier ist ein Wunder, das über alle Naturgesetze weit hinausgeht.

'Manna reigning from heaven on the Israelites'

Aber auch hier gibt es zwiespältige Betrachtungsweisen. Manche Christen sehen in dem Abendmahl nichts Besonderes; sie leben jahrzehntelang ohne Abendmahl. Andere sehen in dem Altarsakrament nur ein Gedächtnismahl. Es ist lediglich eine Erinnerung an Jesus, aber nicht etwas Himmlisches. Andere sind von Ehrfurcht ergriffen, weil sie die unmittelbare Nähe der Heiligkeit Gottes erleben. Ist das Abendmahl ein Wunder oder ist es nur eine Gedächtnisstütze?

Wunder haben diese Eigenart, dass sie nie ganz eindeutig sind. Wunder sind schon etwas Objektives, denn es ist keine Frage, dass wunderbare Dinge passieren. Es gab Manna in der Sinaiwüste, denn es gibt Manna noch heute in der Sinaiwüste. Es ist ein Wunder der Schöpfung, dass Schildläuse ein Nahrungsmittel erzeugen können, das Menschen vor dem Hungertod bewahrt. Man kann in dieser Gesetzmäßigkeit der Natur die Fürsorge Gottes sehen, aber man muss es nicht so sehen.

In diesem Zusammenhang sagte Albert Einstein im Jahre 1952 folgendes: „Ich kann mich nicht freimachen von der großen Bewunderung, die mich immer auf's Neue ergreift, sooft ich mich in die Gesetzlichkeit der Natur versenke. Das bloße Vorhandensein dieser überwältigenden Gesetzlichkeit ist eine Wundervision, die einer ständig sich erneuernden Offenbarung gleichkommt.“

Die Schöpfung enthält unermesslich viele Wunder. Manna in der Wüste war ein Wunder, das für die Israeliten relativ schnell langweilig wurde. Jedes Stück Brot ist ein Wunder, für das man Gott in Ehrfurcht danken könnte, aber Brot wird auch achtlos weggeschmissen. Jede Abendmahlsfeier ist ein Wunder, aber nur eine winzige Minderheit des Kirchenvolkes hat Hunger nach diesem Wunder. Jede Gebetserhörung ist ein Wunder, aber wie viele Gebetserhörungen werden ohne Dankbarkeit einfach hingenommen?

Es ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, die Wunder zu sehen und mit Dankbarkeit zu feiern, die Gott in seiner Barmherzigkeit uns schenkt. Wie ein christlicher Zeuge sagte: „Wir glauben nicht an Gott, weil wir seine Wunder gesehen haben, sondern weil wir an Gott glauben, sehen wir seine Wunder.“ Möge Gott uns helfen, die Wunder zu sehen und zu bezeugen, die täglich zu entdecken sind.

Das Bild 'The Gathering of the Manna', James Tissot, vor 1903, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung der Karte 'one of the supposed roads of the jewish exodus' (Ori229, 2008), wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Das Bild 'Manna reigning from heaven on the Israelites', c. 1250, Maciejowski Bible (Anoymous), ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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