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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Epheser 2, (11 – 16) 17 – 22 In Christus werden unerbittliche Abgrenzungen nebensächlich

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Warntafel, die 1871 entdeckt wurde, Tamar Hayardeni, 2000.

Warntafel, die 1871 entdeckt wurde, Tamar Hayardeni, 2000

2. Sonntag nach Trinitatis

In Christus werden unerbittliche Abgrenzungen nebensächlich Epheser 2, (11 – 16) 17 – 22

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Darum denkt daran, dass ihr, die ihr von Geburt einst Heiden wart und Unbeschnittene genannt wurdet von denen, die äußerlich beschnitten sind, dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes der Verheißung; daher hattet ihr keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch das Blut Christi. Denn er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft....
Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist. Epheser 2, (11 – 16) 17 – 22

In diesem Text geht es um die Abgrenzung zwischen Juden und Heiden, die Christus überwunden hatte. Es gab im 19. Jahrhundert eine archäologische Entdeckung, die uns helfen kann, diese Worte aus dem Epheserbrief zu verstehen.

Im Jahre 1871 wurde eine steinerne Tafel entdeckt, die ursprünglich zu einer Mauer gehörte, die auf dem Tempelplatz in Jerusalem stand. Diese Mauer auf dem Tempelplatz war eine Grenze. Heiden - d.h. Nicht-Juden - durften zwar den Tempelplatz betreten, aber sie mussten Abstand halten von dem Tempel, der als Wohnsitz Gottes galt. Es gab deshalb eine Grenzmauer um den inneren Tempelbezirk herum, 1, 30 Meter hoch. Nur Juden durften diesen heiligen Bereich betreten. Und an der Grenzmauer gab es in regelmäßigen Abständen Warnschilder, die in Griechisch und Lateinisch mit roten Buchstaben geschrieben waren. Auf der Warntafel, die 1871 entdeckt wurde, stand folgendes:

„Niemand, der einem fremden Volk angehört, darf sich innerhalb der Mauern und Schranken aufhalten, von denen das Heiligtum umgeben ist. Wer dabei ergriffen wird, ist selbst schuld, dass er dem Tode verfällt.“

'Solomon's Wall, Jerusalem', Jean-Léon Gérôme

Die Römer – obwohl sie sich sonst als Besatzungsmacht alles erlaubt hatten – beachteten diese Grenze, und obwohl es den Juden sonst nicht erlaubt war, eine Todesstrafe zu vollziehen, gab es hier eine Ausnahme: hier war es den Juden erlaubt, Menschen hinzurichten, - sogar Römer - welche diese Grenzmauer missachteten.

Der Apostel Paulus kannte diese Mauer ganz genau. Denn es wurde ihm vorgehalten, dass er einen Heidenchristen aus Ephesus durch diese Grenzmauer mitgenommen hätte. Diese Anklage war falsch – denn Paulus hatte diese Grenze geachtet – aber Paulus wurde wegen dieser falschen Anklage verhaftet und kam nicht mehr aus der Gefangenschaft heraus - bis zu seinem Tode.

Diese Grenzmauer auf dem Tempelplatz war also ein sichtbares Zeichen, wie tief die Kluft zwischen Juden und Heiden war. Nur Juden hatten Zugang zu der Nähe Gottes. Heiden durften sich nicht in der Nähe Gottes aufhalten, denn ihre bloße Anwesenheit in dem inneren Tempelbezirk hätte diesen Bezirk verunreinigt.

Anhand dieser Hintergrundinformation kann man besser einschätzen, was Paulus in dem Epheserbrieftext schreibt. Paulus richtet seine Worte an sogenannte Heidenchristen und schreibt:

Ursprünglich wart ihr „ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes der Verheißung“

Er greift damit die Sprache auf, die auf der Warntafel stand, die alle Nicht-Juden als „Fremde“ bezeichnete. Dann schreibt Paulus:

„Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch das Blut Christi. Denn er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft.“

Paulus behauptet, dass die Grenzmauer auf dem Tempelplatz unwesentlich geworden ist; Heiden und Juden dürfen gleichberechtigt die Nähe Gottes aufsuchen.

Was Paulus hier schildert, klingt heute harmlos, aber seine bildliche Vorstellung von Heiden, die berechtigt sind, den inneren Tempelbezirk zu betreten, war in der damaligen Zeit schockierend. Auf unsere Zeit übertragen, wäre es etwas Vergleichbares, wenn man sich vorstellen würde, dass der Papst eine Messe in dem heiligen Bezirk von Mekka halten würde. Oder es wäre etwas Vergleichbares, wenn der Vatikan es zulassen würde, dass ein Rabbi oder ein Imam in dem Altarraum der Peterskirche in Rom einen Gottesdienst leiten dürfte.

Die Grenzen, mit denen Religionen sich voneinander abgrenzen, sind normalerweise absolut unerbittlich. Aber in Christus werden diese Abgrenzungen nebensächlich.

Es handelt sich hier um eine unvorstellbare Ausstrahlungskraft, die von Jesus ausgeht. Die Versöhnung, die Jesus bewirken kann, übersteigt unsere Vorstellungsfähigkeit. Auch wir Christen neigen dazu, maßlos zu unterschätzen, was Jesus Christus bewirken kann. Ich möchte Ihnen deshalb von einem Beispiel erzählen, das veranschaulicht, wie Jesus Christus jede Abgrenzung überwinden kann.

Mazhar Mallouhi, 2006

Mazhar Mallouhi, 2006

In der heutigen Zeit sind die Abgrenzungen zwischen Christen und Muslimen scheinbar unüberwindbar. Aber die Ausstrahlungskraft Jesu Christi kann sogar hier Grenzmauern niederreißen. Es gibt einen Muslimen aus Syrien mit dem Namen Mazhar Mallouhi. Er ist im Islam tief verwurzelt, denn zu dem Stammbaum seiner Familie gehört der Prophet Mohammed. Ursprünglich war er dem Christentum gegenüber feindlich eingestellt. Für ihn war Christentum ein Instrument des westlichen Imperialismus. Aber als er ein Soldat war, der an der Golanhöhe stationiert war, studierte er die Bibel. Und nachdem er ein Jahr lang in der Bibel gelesen hatte, fühlte er sich von Jesus Christus unwiderstehlich angezogen. Er fühlte sich besonders von den Worten angesprochen: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid...“ Als er 24 Jahre alt war, sagte er in seinem Herzen: „Dieser Christus ist mein Herr!“. Und er richtete ein Gebet an Jesus: „Gib mir dieses neue Leben, wie du versprochen hast.“ Er war in diesem Moment verwandelt. Er spürte neues Leben. Er hatte in seinem Herzen keinen Hass mehr, sondern er wurde auffallend gütig, besonnen und sanft; er wollte so viele Menschen wie nur möglich kennen lernen und ihnen von seiner Entdeckung erzählen.

Zuerst wurde er von seiner Familie ausgestoßen; ein Onkel versuchte sogar, ihn umzubringen. Von christlichen Gemeinden wurde er auch nicht voll und ganz akzeptiert. Sie verlangten von ihm, dass er seinen Namen ändert, dass er Kaffeehäuser vermeiden sollte, weil sie traditionelle Treffpunkte für arabische Männer sind, er sollte nicht mehr an den religiösen Festen seiner Familie teilnehmen, er sollte Abstand halten von Moscheen und Muslimen, er sollte nicht mehr fasten, er sollte seine Körperhaltung beim Beten ändern, und er sollte Schweinefleisch essen, um zu beweisen, dass er wirklich bekehrt sei.

Was Christen von ihm forderten, erinnert an die Anfangszeit der Christenheit. In der Anfangszeit, als alle Jesusanhänger Juden waren, musste man zuerst alle Vorschriften des Judentums beachten, um Christ zu sein. Man musste Jude sein, um Christ zu sein. Aber später, als die Judenchristen eine kleine Minderheit wurden, kippte alles um 180° um. Ab 325 war es Christen nicht mehr erlaubt, Feste und Vorschriften des Judentums einzuhalten. Um Christ zu sein, mussten Juden ihre jüdische Identität völlig aufgeben. Das heißt: wenn Jesus und seine Apostel nach 325 gelebt hätten, wären sie von der Christenheit offiziell ausgeschlossen gewesen.

Später gab es christliche Missionare, die das Evangelium in einer europäischen Verpackung vermittelten. Es wurde z. B. in früheren Zeiten von Afrikanern verlangt, ihre afrikanische Identität aufzugeben und sich der westlichen Kultur anzupassen, um Christen zu sein. Inzwischen ist es offensichtlich geworden, dass Jesus Christus solche Kulturzwänge sprengt, indem er seine eigenen Wege zu den Menschen sucht.

Der vorhin erwähnte Mazhar Mallouhi, der Jesusnachfolger wurde und weder von Muslimen noch von Christen akzeptiert wurde, zeigt, wie Christus neue Wege zu Menschen bahnen kann, auch durch Abgrenzungen hindurch. Dieser Mazhar Mallouhi hatte sich die Aufgabe gestellt, Jesus für Muslime verständlich zu machen. Er hat deshalb eine eigene Ausgabe des Lukasevangeliums herausgegeben. Als Vorbereitung auf dieses Werk hat er Hunderte von Muslimen gebeten, das Lukasevangelium zu lesen und aufzuschreiben, was für sie unverständlich ist. Er ging dann auf diese Fragen ein und schrieb einen Kommentar zu dem Lukasevangelium. Begriffe wie Messias oder Sohn Gottes erläuterte er in dem kulturellen Kontext des Mittelostens, wo Jesus auch hingehört.

'View from Al-Azhar Park',  ThutmoseIII, 2006

Dieser Kommentar wurde in der muslimischen Welt enorm erfolgreich. Es gab z. B. eine Buchmesse in einer nordafrikanischen Stadt, in der es kaum Christen gibt. Der Kommentar zum Lukasevangelium war dabei das meistverkaufte Buch. Ein muslimischer Professor, der diesen Lukaskommentar las, sagte dazu: „Zum ersten Mal ist mir deutlich geworden, dass Christus mittelöstliche Wurzeln hat, die eine Beziehung zu unserer Kultur haben. Historisch gesehen, wurde uns Jesus durch westliche Kolonisten vermittelt. Aber ich will, dass jeder Mensch und jeder Student diesen Kommentar liest.“ Inzwischen ist jeder Student an der muslimischen Universität dieses Professors verpflichtet, den Lukaskommentar von Mallouhi zu lesen. Der frühere Premierminister von Irak schrieb das Vorwort zu dem Lukaskommentar und in diesem Vorwort ermutigte er Muslime, diesen Kommentar zu lesen, damit sie besser verstehen können, was Christen glauben.

Dieser Mazhar Mallouhi hat also eine erstaunliche Offenheit für Jesus Christus erweckt. Er konnte z. B. in der Al-Azhar Moschee in Kairo vor muslimischen Studenten seinen Glauben an Jesus offen vortragen. Sie saßen um ihn herum und hörten andächtig zu, als er für sie die Bibel auslegte. Einmal wurde er in Kairo verhaftet und kam in ein Gefängnis mit muslimischen Fundamentalisten zusammen. Als sie ihn fragten, warum er verhaftet wurde, erklärte er offen, dass er im Gefängnis war, weil er seinen Glauben an Jesus Christus vor anderen Muslimen bezeugt hatte.

Stellen Sie sich diese Situation vor: ein Missionar für Jesus, unter fundamentalistischen Muslimen in einem ägyptischen Gefängnis eingesperrt, weil er Muslime für Jesus gewinnen wollte. Normalerweise würde man erwarten, dass der Missionar diese Situation nicht überleben würde. Wie reagierten diese Fundamentalisten? Einer teilte mit ihm eine Decke, ein anderer teilte mit ihm sein Essen. Warum haben sie so reagiert? Weil sie merkten, dass er sie versteht und respektiert, weil er Jesus Christus in Kategorien erläutern kann, die Menschen des Mittelostens verstehen.

Diese Beispiele zeigen, dass es keine Grenzen gibt, die Christus nicht überwinden kann. Nationale Grenzen spielen keine Rolle: denn die Christenheit ist die einzige Religion, die in allen Ländern der Erde vorkommt. Sprachliche Grenzen spielen keine Rolle, denn die Bibel oder Teile der Bibel sind in 2.355 Sprachen übersetzt worden. Die Verbreitung des christlichen Glaubens hängt mit der Sprachfähigkeit der Christenheit zusammen. Es geht nicht nur um Bibelübersetzungen, sondern es geht auch darum, Jesus Christus so zu vermitteln, dass der Zuhörer weiß, was gemeint ist. Der Friede Jesu Christi kann überall einkehren, wo diese Sprachfähigkeit vorkommt, sogar in einem Gefängnis in Kairo, wo ein Jesusanhänger mit muslimischen Fundamentalisten zusammen eingesperrt wurde.

Unsere Aufgabe als Christusanhänger ist es, uns eine Sprachfähigkeit anzueignen. Dabei geht es darum, Christus von dogmatischer Sprache, von Kulturformen und von Anstandsregeln zu befreien, die organisch nicht zum Evangelium gehören. Wir Christen haben also die Aufgabe, eine Sprache zu finden, die für Kirchenfremde verständlich ist.

Es gibt im Moment eine Grenzmauer zwischen treuen Gottesdienstbesuchern und einer Bevölkerung, die mit der Kirche offenbar nicht viel anfangen kann. Diese Abgrenzung kann und will Christus überwinden – mit unserer Hilfe. Was Gott von uns erwartet, ist keine Überforderung. Denn wir können und müssen die Menschen nicht zu Gott bringen, sondern Gott will zu den Menschen kommen. Er sucht dabei Jesusanhänger, die für ihn als Sprecher dienen können. Und das ist unsere Aufgabe. Jeder Einzelne von uns kann dazu beitragen, dass die Mauern zwischen Gott und Mensch überwunden werden.

Möge Gott uns helfen, unsere Sprachfähigkeit für die Sache Jesu Christi zu entfalten, damit die Entfremdung zwischen Gott und Mensch und die Entfremdungen der Menschen untereinander überwunden werden. Denn dies ist eine urchristliche Aufgabe.

Die Photographie der Warntafel 'The Soreg inscription - an inscription in Greek from the late 1st century BCE or the beginning of the 1st century CE, found in Jerusalem, warning non-Jews from entering the sanctuary where the Jewish temple was located. The inscription now stands at the National Archaeological Museum in Istanbul', die 1871 entdeckt wurde, Tamar Hayardeni, 2000, ist urheberrechtlich geschützt. Der Urheber gestattet jedermann unter der Bedingung der angemessenen Nennung seiner Urheberschaft (beispielsweise in der Bildunterschrift) jegliche Nutzung. Weiterverbreitung, Bearbeitung und kommerzielle Nutzung sind gestattet.
Die Photographie 'Solomon's Wall, Jerusalem', Jean-Léon Gérôme, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie von Mazhar Mallouhi, 2006 (Paul-Gordon Chandler. Episcapal Priest and friend of Mallouhi), wurde von mir, ihrem Urheber, zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Das Bild ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'View from Al-Azhar Park', ThutmoseIII, 2006, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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