Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Joh. 7, 37 – 39 Die Fülle des Lebens ist ein Geschenk

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Exaudi: Joh. 7, 37 – 39 Die Fülle des Lebens ist ein Geschenk

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 1999

'Impact of water in a water-surface', Marlon Felippe, 2008

Aber am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Joh. 7, 37 – 39

Es gibt eine Sekte, deren Name aus drei Buchstaben besteht: CBJ. (Diese drei Buchstaben sind die Anfangsbuchstaben der drei Gründer.) CBJ bietet die Unsterblichkeit an, und hat im Moment etwa 30.000 Klienten in 18 Ländern. Einer der Gründer dieser Gemeinschaft behauptet: „Sterben ist eine Dummheit. Sterben ist eine Blamage.“ Eine führende Person in dieser Sekte sagte einmal folgendes: „Es ist nicht bewiesen, dass ein Mensch sterben muß. Freilich sehen wir, dass Menschen sterben, aber das bedeutet nicht, dass sie sterben müssen. Damit ist überhaupt nichts erwiesen.“ Und CBJ hat eine Antwort auf die angebliche Sterblichkeit der Menschen. Es wird behauptet: in uns Menschen steckt die Unsterblichkeit als genetische Möglichkeit. Es gib ein Gen, das für Unsterblichkeit zuständig sein soll. Und diese Gruppe behauptet: „Wir erwecken das unsterbliche Gen, das in uns wohnt, damit es das dominierende Gen des Körpers wird und alle anderen Gene überwältigt, die sich mit der Sterblichkeit abgefunden haben.“ Und wie wird dieses unsterbliche Gen zum Leben erweckt? Dieser Prozess beginnt damit, daß die Mitglieder sich gegenseitig umarmen und bestimmte Lieder singen.

Kritiker dieser Sekte haben festgestellt, dass einige Mitglieder gestorben sind. Die Antwort der Sekte darauf lautet: „Sie hatten bei den Zusammenkünften vermutlich nicht genügend Energie entfesselt.“ Aber die Unsterblichkeit kostet nicht nur Energie, sondern auch Geld. Wer an der jährlichen Tagung teilnehmen will, muss DM 1700 bezahlen. Und finanziell ist diese Sekte erfolgreich, denn in einem Jahr hatte sie einen Nettogewinn von fast DM 4 Millionen.
Was diese Sekte bieten will, ist so alt wie die Menschheit. Wir Menschen können uns nicht damit abfinden, dass wir sterben müssen. Und seit Adam und Eva wollen wir glauben, dass die Unsterblichkeit in uns wohnt.

Wir wollen glauben, dass irgendein Teil von uns unsterblich ist, wie z.B. die Seele. Diese Sehnsucht ist uralt. Der Apostel Paulus zum Beispiel wollte die Korinther überzeugen, dass es durch Christus eine Auferstehung der Toten geben wird. Einige Korinther haben erwidert: wozu brauchen wir eine Auferstehung der Toten? Wir sind schon unsterblich, denn die Seele ist unvergänglich.

2000 Jahre später leben wir im Zeitalter der Genmanipulation: es ist also nur folgerichtig, dass jemand auf die Idee kommt, das Problem der Sterblichkeit genetisch zu lösen. Und diese CBJ-Sekte kann in einem Jahr DM 4 Millionen Netto verdienen, weil wir Menschen glauben wollen, dass wir die Unsterblichkeit auf irgendeine Weise schon besitzen. Wir wollen das Ewige besitzen und nicht auf irgendeine Gnade angewiesen sein. Denn die Alternative lautet: entweder die Ewigkeit besitzen oder auf die Gnade eines ewigen Gottes total angewiesen zu sein. Und auch für gläubige Menschen ist es nicht leicht, sich Gott anzuvertrauen. Zum Beispiel: Es soll in einem baltischen Land einen Bischof gegeben haben, der sich weigerte, Bootsreisen zu unternehmen. Als er gefragt wurde, warum er sich weigerte, in ein Boot zu steigen, antwortete er mit verblüffender Ehrlichkeit: „Wissen Sie, in einem Boot mitten auf einem See, da fühle ich mich total ausgeliefert, da ist man allzusehr auf die Gnade Gottes angewiesen.“ Und genau dasselbe gilt, wenn ein Mensch seine Sterblichkeit wahrnimmt: entweder muss ich anerkennen, dass ich total auf die Gnade Gottes angewiesen bin, oder ich muss versuchen, mir einzubilden, dass ich selber ein kleiner unsterblicher Gott bin – und dann vielleicht eine Sekte suchen, die mir dabei hilft, diese Selbsttäuschung zu pflegen.

Aber es geht dabei nicht nur darum, das Problem der Sterblichkeit in den Griff zu kriegen. Unendlich lange zu leben ist an sich nicht anziehend, sondern dieses ewige Leben muss auch eine andere Qualität haben als das normale, alltägliche Leben. Und das ist es, was Sekten wirklich bieten: das Gefühl, dass man ein aufregendes Geheimnis entdeckt hat; das Gefühl, dass man entdeckt hat, warum es sich lohnt, zu leben und warum es sich lohnt, ewig zu leben. Und die Gefahr dabei ist, dass man irgendetwas Vergängliches vergöttlicht und sich dadurch von dem wahren, lebendigen Gott abschneidet.

Diese CBJ-Sekte hat zum Beispiel die menschliche Genetik vergöttlicht. Andere Sekten vergöttlichen ein Dogma, oder eine heilige Schrift oder eine Führerpersönlichkeit. Das ist es, was eine Sekte ausmacht: dass irgendetwas vergöttlicht wird. Und auch die Christenheit muss gegen diese Versuchung kämpfen, irgendeine Tradition, ein Dogma oder eine Person zu vergöttlichen.
Zum Beispiel: in der Gemeinde in San Francisco, in der ich aufgewachsen bin, gab es die Gottesdienstzeit 11.00 Uhr. In der lutherischen Kirche in Nordamerika war fast überall um 11.00 Uhr Gottesdienst. Eines Tages wurde in meiner Gemeinde die Gottesdienstzeit aus pragmatischen Gründen auf 10.30 Uhr geändert. Und einer der Säulen dieser Gemeinde, ein Mann, der jahrzehntelang im Kirchenchor sang und Kindergottesdienst leitete, hielt diese Zeitänderung für eine Entheiligung des Sonntags und ist deshalb aus dieser Gemeinde ausgetreten. Auf der einen Seite kann ich diesen Mann fast verstehen, denn ein gleichbleibender Zeitrhythmus ist eine große Hilfe, wenn es darum geht, den Sonntag zu heiligen. Aber dieser Mann hat eindeutig eine Grenze überschritten und hat eine menschliche Tradition vergöttlicht, und hat sich deshalb von allem getrennt, wofür er jahrzehntelang gelebt hatte: und als Folge wurde er starr und verbittert.
Denn die Vergöttlichung hat als Folge, dass ein Mensch sich von seiner wahren Lebensquelle abschneidet, die Gott heißt. Vergöttlichung hat unweigerlich eine erstarrende Wirkung auf den menschlichen Geist; denn wenn etwas Menschliches vergöttert wird, entsteht eine tödliche Starrheit.

Water waves on a flowing water, when a drop fell in the middle.

In unserem Text für heute geht es um Leben, das nicht in Erstarrung endet, sondern das sich selbst immer wieder erneuert. Jesus spricht:

Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.

Um diese Worte aus dem Johannesevangelium richtig einzuordnen, kann uns eine jüdische Allegorie helfen. Nach dieser Allegorie gab es 5 weise Juden, die unsere Welt geprägt haben sollen. Der erste sagte: „Es ist alles hier oben“ – und zeigte dabei auf den Kopf – das war Mose. Der zweite Jude sagte: „Nein, es ist nicht hier oben im Kopf, sondern es ist alles hier!“ – und zeigte auf das Herz – das war Jesus. Da kam der dritte weise Jude und sagte: „Es ist nicht im Kopf und es ist auch nicht im Herzen, sondern es ist alles hier!“ – und er zeigte auf den Bauch – das war Karl Marx. Dann kam der vierte weise Jude und sagte: Es ist nicht im Kopf, nicht im Herz, nicht im Bauch, sondern das Wesentliche ist hier!“ - und zeigte auf den Unterleib – das war Sigmund Freud. Schließlich kam der fünfte weise Jude und sagte: „Es ist nicht im Kopf, nicht im Herzen, nicht im Bauch und nicht in dem Unterleib, denn es ist alles relativ!“ – das war Albert Einstein.

Bei dieser Erzählung geht es um die Frage: wo befindet sich die Wahrheit, die das Leben in seiner Fülle aufschließt? Und in dieser Allegorie ist Jesus derjenige, der auf das Herz deutet. Aber in unserem Johannestext deutet Jesus nicht auf das Herz, sondern auf den ganzen Leib. Er sagt: Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das wahre, ewige Leben erfasst den ganzen Menschen, vom Kopf bis zum Fuß, nicht nur einen Teil, und d. h.: nicht nur die Seele, nicht nur den Verstand, nicht nur das Gewissen, nicht nur die Genetik, sondern alles.

Gian Lorenzo Bernini - Dove of the Holy Spirit (ca. 1660, stained glass, Throne of St. Peter, St. Peter's Basilica, Vatican)

Jesus würde auch nicht wie Einstein sagen: es ist alles relativ, denn dieses Leben hat eine konkrete Gestalt und einen Namen, nämlich: der heilige Geist. Wie es heißt:

Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten.

Das heißt: das wahre Leben wird in uns wohnen und konkrete Gestalt annehmen - als Geist Gottes, - aber dieses Leben ist trotzdem kein Besitz und kann nicht mit irgendetwas Menschlichem identifiziert werden.

Es gibt unzählige Beispiele für das, was Jesus hier schildert. Zum Beispiel: am 6. Januar 1985 beging ein 18-jähriger Junge Selbstmord, indem er sich selbst mit einem Gewehr erschoss. Die Eltern, die Familienangehörigen und die Freunde waren alle erschüttert und entsetzt. Der Gemeindepfarrer besuchte die Eltern. Das Haus war mit Besuchern gefüllt, die hilflos herumstanden oder -saßen, fassungslos und in tiefer Trauer. Der Pfarrer traf sich mit den Eltern in dem Schlafzimmer, wo sie allein waren und er betete mit ihnen. Er lud diese Eltern dazu ein, im Gebet sich Gott anzuvertrauen und Gott zu bitten, sie mit seinem Geist zu erfüllen. Sechs Monate später erinnerte sich der Vater des Selbstmörders an diesen Tag. Er sagte folgendes dazu: „Ich bat Gott um seinen Geist, dass sein Geist mein Leben ausfülle. Und fast sofort wurde ich mit einer warmen, friedlichen Ausstrahlung erfüllt, die meinen ganzen Leib erfasste. Es war wie das Auftauen von etwas Gefrorenem, das aber von Innen beginnt und sich nach Außen ausbreitet. Seit dieser Zeit befinde ich mich in einem Zustand des Friedens mit Gott und mit der Welt. Verstehen Sie mich aber nicht falsch: ich weine immer noch für meine Familie und für meinen Sohn, aber ich bin voller Frieden, wenn ich das tue.“

Hier ist ein Beispiel dafür, wie der Geist Gottes den ganzen Menschen mit Leben erfüllen kann – mit einem Leben, das tödliche Erstarrung vertreibt und das Leben erneuert, aber Schmerz auch nicht betäubt.

Aber diese Erscheinung hat Voraussetzungen: dass man auf die Vergöttlichung von vergänglichen Dingen verzichtet und dass man sich der Gnade Gottes völlig anvertraut. Und manchmal ist es nur eine Frage des Bittens. Wie Jesus an einer anderen Stelle sagte:

Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Wer also das wahre Leben sucht, braucht nicht in eine Sekte einzutreten und teures Geld dafür bezahlen. Wahres Leben ist ein Geschenk Gottes. Es ist nur eine Frage des Bittens und des Annehmens.

Das Glasfenster von Gian Lorenzo Bernini - Dove of the Holy Spirit (ca. 1660, Throne of St. Peter, St. Peter's Basilica, Vatican), ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographien 'Impact of water in a water-surface', Marlon Felippe, 2008, sowie 'Water waves on a flowing water, when a drop fell in the middle' wurden unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Dateien unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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