Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Petrus 2, 18 – 25 „Wie Gerechtigkeit wirklich aussieht“

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Misericordias Domini

Wie Gerechtigkeit wirklich aussieht 1. Petrus 2, 18 – 25

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Kreuzgang des Essener Münsters, Essen, Deutschland

Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen. Denn das ist Gnade, wenn jemand vor Gott um des Gewissens willen das Übel erträgt und leidet das Unrecht. Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr um schlechter Taten willen geschlagen werdet und es geduldig ertragt? Aber wenn ihr um guter Taten willen leidet und es ertragt, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt, er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet; der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen. 1. Petrus 2, 18 – 25

Drei Studenten einer Universität in Paris unternahmen an einem Karfreitag einen Spaziergang. Sie beobachteten, wie die Menschen zur Kirche unterwegs waren. Sie sprachen verächtlich von diesen Kirchgängern, nannten sie „unaufgeklärt“ und bezeichneten Religion als Aberglauben. Plötzlich kamen sie auf eine Idee. Sie sollten nicht nur unverbindlich über Religion diskutieren, sondern einen Priester konfrontieren. Einer von ihnen sollte in eine Kirche gehen und einen Priester in seinem Beichtstuhl aufsuchen und herausfordern. Einer der Studenten erklärte sich dazu bereit. Er ging in eine Kirche, er ging in den Beichtstuhl und er sagte zu dem Priester: „Ich bin hierher gekommen, um Ihnen zu sagen, dass das Christentum eine sterbende Institution und dass Religion Aberglaube ist.“ Der Priester erwiderte mit einer eigenen Herausforderung. Er sagte zu dem Studenten: „Ich möchte, dass Sie etwas für mich tun, ehe Sie die Kirche verlassen. Sie behaupten, Religion ist Ihnen egal; dann dürfte es für Sie kein Problem sein, zum Altarraum zu gehen, das Kruzifix anzuschauen und zu sagen: „Jesus, du bist für mich gestorben, und es ist mir verdammt egal.“ Der Student nahm diese Aufforderung an, und folgte der Anweisung des Priesters. Dann ging er zum Priester zurück und meldete, dass er Jesus gesagt hatte, dass sein Leiden ihm egal sei. Der Priester sagte: „Dann tun Sie es noch einmal; denn es bedeutet ihnen nichts.“ Der Student ging zum Altarraum und sagte wieder in Richtung Kruzifix: „Jesus, du bist für mich gestorben, und es ist mir verdammt egal.“ Der Priester forderte ihn dazu auf, dies ein drittes Mal zu machen, dann wäre er überzeugt, dass der Student ernsthafte Ansichten hätte. Aber bei dem dritten Versuch, konnte der Student die Worte nicht aussprechen. Auf einmal merkte er, dass die Kreuzigung Jesu ihm doch nicht egal war. Er ging zum Priester und machte eine aufrichtige Beichte. Er studierte danach Theologie, wurde Priester und wurde zuletzt sogar Erzbischof von Paris.

Diese wahre Begebenheit veranschaulicht, welche Wirkung die Kreuzigung Jesu auf Menschen haben kann, nämlich eine entwaffnende Wirkung. Wir haben vorhin in dem Text aus dem Petrusbrief folgendes gehört:

Christus hat für euch gelitten und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt, er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet; der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.

Diese Wehrlosigkeit, dieser Verzicht auf Vergeltungsgedanken, diese stellvertretende Selbstaufopferung hat buchstäblich Millionen von Menschen entwaffnet und verwandelt.

Und was unsere Welt offenbar dringend braucht, ist diese Bereitschaft, auf Drohung und Vergeltung zu verzichten, die Bereitschaft, das eigene Geltungsbedürfnis aufzuopfern. Denn in den Gebieten dieser Erde, wo chaotische Zerstörungsgewalt herrscht, ist das Motiv immer das Gleiche: auf Gewalt wird mit Gewalt reagiert, nach dem Motto: auf Rache und Terror darf nicht verzichtet werden, denn wer auf Rache und Terror verzichtet, gilt als gedemütigt.

Diese Denkweise kommt aber auch im Alltag vor. In der Schule z. B. herrscht die Regel: man darf sich nichts gefallen lassen. Wer beleidigt wird, muss mit einer Beleidigung oder mit Aggressivität reagieren. Man muss seine Ehre verteidigen, notfalls mit der Faust. Denn wer sich nicht wehrt, ist ein Depp.

Andrea Bonvicino: Kruzifix, Barbarelli, 2007

Aber der Petrusbrieftext offenbart eine andere Art Gerechtigkeit, die nicht aus Vergeltung besteht, sondern aus einer bedingungslosen Güte. Diese Art Gerechtigkeit ist keine menschliche Leistung, sondern wird von Gott verwirklicht. Wie es im Text heißt: Jesus vertraute darauf, dass Gott seine Gerechtigkeit durchsetzt: „er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet.“ Hier wird angedeutet, dass die Gerechtigkeit Gottes, die aus Gnade besteht, das Schicksal dieser Erde zuletzt bestimmen wird. Und wir Menschen können mitwirken, indem wir so handeln wie Jesus: indem wir z. B. auf zynische Bemerkungen verzichten – wie Jesus, von dem es heißt: in dessen Mund fand sich kein Betrug; indem wir auf Herabsetzungen mit Güte und Geduld reagieren, wie Jesus am Kreuz.

Die Begebenheit mit dem französischen Studenten, der auf ein Kruzifix schaute und verwandelt wurde, zeigt, wie diese Gerechtigkeitsdynamik funktioniert. Jesus ist nicht nur ein Vorbild, sondern er bewirkt selber die Verwandlung, die notwendig ist.

In Südafrika findet man Beispiele für diese Art Gerechtigkeit, die durch Jesus bewirkt wird. Es gibt z. B. ein Mitglied des African National Congress. Dieser Schwarze wurde unter dem Apartheidsregime ohne Grund verhaftet und kam in ein berüchtigtes Gefängnis, das sich auf der Robben Insel befindet. Damals wollte dieses heutige Regierungsmitglied bei der erst besten Gelegenheit weiße Menschen töten. Es war ihm vollkommen egal, welchen weißen Mann er erwischte. Er wollte unbedingt sein Bedürfnis nach Rache sättigen. Aber in dem Gefängnis lernte er ältere Männer kennen, die sich vornahmen, ihn zu erziehen. Er lernte von ihnen, dass er niemals etwas erreichen würde, solange er seinen Feind hasst. Er lernte, dass er die Politik des Feindes hassen darf, er darf das Böse hassen, aber er darf niemals Menschen hassen. Denn Hass macht einen Menschen kraftlos. Dieser Zeuge berichtet folgendes. „Ich habe fünf Jahre gebraucht, ehe ich lernen konnte, zu vergeben. Die alten Männer im Gefängnis haben mich fünf Jahre lang unterrichtet. Und als ich lernte, zu vergeben, war ich verwandelt. Ich wusste, dass ich Vergebung gelernt hatte, als ich an einem Freitag zum Abendmahl ging. Ich lud den weißen Wächter dazu ein, sein Gewehr abzulegen und mit mir das Sakrament zu empfangen.“ Was dieser Zeuge berichtet, veranschaulicht, dass es eine Gerechtigkeit gibt, die aus Gnade und Vergebung besteht, die am Kreuz offenbart wurde, die in dem Abendmahl gefeiert wird und die in dem Verhalten von Christusanhängern konkrete Gestalt annimmt.

Wer diese Gerechtigkeit Gottes noch nicht kennt, wird in dem Petrusbrieftext mit einem irrenden Schaf verglichen. Denn durch das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung wird ein Mensch zu einem Spielball seiner Triebe. Er hat es nicht in der Hand, wo er hingetrieben wird. Er ist friedlos und heimatlos, wie ein Schaf, das seinen Hirten verloren hat. Wer sich aber nach der Gerechtigkeit richtet, die in Jesus offenbart wurde, hat – wie es im Text heißt – den Hirten und Bischof seiner Seele gefunden.

Möge Gott uns helfen, dass wir uns nach seiner Gerechtigkeit richten, dass wir auf Aggressivität mit Güte und Geduld reagieren, dass wir wie Jesus eine grenzenlose Vergebungsbereitschaft zeigen, dass wir nicht mitmachen, wenn bösartig oder zynisch gelästert wird. Amen.

Die Photographien vom Kreuzgang des Essener Münsters, Essen, Deutschland (Andreas Praefcke, 2008) und des Kruzifixes, Andrea Bonvicino (Barbarelli, 2007) wurden von ihren Urhebern zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Die Bilder sind damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.

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