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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Bachkanate "Erhalt uns; Herr, bei deinem Wort"

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Kantatengottesdienst: Predigt zur Bachkanate "Erhalt uns; Herr, bei deinem Wort"

Christen lassen Gott für sie streiten

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 04. Februar 2007:

Porträt des Papstes Leo X., 1518 - 1519

Porträt des Papstes Leo X., 1518 - 1519

Wir haben vorhin gehört: "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord". In der ursprünglichen Fassung heißt es: "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, Und steur' des Papsts und Türken Mord." Bei den Chorproben musste überlegt werden, ob diese ursprüngliche Fassung gesungen werden sollte, - so wie Martin Luther sie geschrieben hatte - oder die revidierte Fassung – so wie sie im Gesangbuch steht.

Bei der ursprünglichen Fassung dieses Liedes muss man bedenken, dass Päpste damals ganz anders waren als Päpste heute. Einige Päpste hatten tatsächlich Morde begangen. Wir können uns heute nicht vorstellen, wie pervers Kirchenmänner damals sein konnten. Nach Einschätzung katholischer Historiker haben mindestens 40 Päpste ihr Amt durch Bestechung bekommen. Leo X, der Papst zur Zeit der Reformation, war ein Beispiel, wie bestechlich die Kirche damals war. Denn als er 7 Jahre alt war, bekam er als Geschenk bei seiner Erstkommunion das Amt eines Abtes. Mit 13 war er Kardinal - durch Bestechung natürlich. Als er zum Papst gewählt wurde, soll er gesagt haben: „Jetzt kann ich mein Leben richtig genießen“. Von ihm wird berichtet, dass er Mahlzeiten veranstaltete, die 65 Gänge hatten. Papst Leo X finanzierte seine Freizeitvergnügungen durch die Einnahmen von Bordellen und durch die Vergabe von kirchlichen Ämtern. Er schaffte 2150 Ämter, die durch Versteigerung zu gewinnen waren. Am begehrtesten war das Kardinalsamt, das durchschnittlich 30.000 Dukaten kostete. Dieser Papst verordnete Ablassverkauf, der den Eindruck erweckte, dass auch der Platz im Himmel zu kaufen war. Und dieser Papst ordnete die Folterung und qualvolle Hinrichtung von Personen an, die gegen ihn ein Attentat planten. (Kontrast zum Papst Johannes Paul II, der seinem Attentäter vergab und ihn jedes Jahr im Gefängnis besuchte) Was Luther schrieb – „Und steur' des Papsts und Türken Mord“ – war in der damaligen Zeit nicht übertrieben. Man fragt sich: wie hat die Kirche so viel Abartigkeit überlebt? Wobei die Protestanten nicht besser waren, denn sie hatten auch ihre Abartigkeiten und Gewaltätigkeiten.

Und wie ist es heute? In der revidierten Fassung des Eingangschorals heißt es: „...und steure deiner Feinde Mord“. Haben Gott und seine Kirche tatsächlich Feinde? Bei uns in Europa gibt es offenbar keine richtigen Christenfeinde. Unsere Feinde sind Gleichgültigkeit, Erlebnissucht, Oberflächlichkeit. Manchmal wird so geredet, als ob der Ev. Regionalverband unser Feind wäre. Wenn unser einziger Feind der Regionalverband sein sollte, dann geht es uns wirklich nicht schlecht.

Aber weltweit gesehen gibt es eine enorme Feindschaft. Die heutige Bachkantate hat eine brennende Aktualität. Denn es gibt durchschnittlich 175.000 christliche Märtyrer jährlich, d.h. Menschen, die wegen ihrer auffälligen Zugehörigkeit zur Christenheit umgebracht werden. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion lag die Zahl der Märtyrer sogar bei 300.000 im Jahr. In ca. 40 Ländern werden Christen verfolgt. Schätzungsweise gibt es 200 Millionen Christen, die zu einer verfolgten Gruppierung gehören. Zusätzlich dazu gibt es 400 Millionen Christen, die unter Diskriminierung und Unterdrückung leiden.

Und merkwürdigerweise bringen die Medien und Regierungsvertreter diese massive, weltweite Verfolgung und Unterdrückung der Christenheit kaum zur Sprache. Verantwortlich für diese Verfolgung sind weitgehend islamistische und kommunistische Regierungen, die religiöse Gruppen aktiv unterdrücken oder deren Verfolgung akzeptieren. Islamistische Regierungen verfolgen nicht nur Christen, sondern auch gemäßigte Muslime und muslimische Minderheiten. Es kommt auch vor – wie z. B. in Äthiopien und Mexiko – dass Christen von anderen Christen verfolgt werden.

Der Eingangschor der Bachkantate ist also hoch relevant: "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord." Oder auch die Stelle, wo es heißt: "Der Menschen Gunst und Macht wird wenig nützen, wenn du nicht willt das arme Häuflein schützen." Der Menschen Gunst und Macht nützt uns Christen tatsächlich wenig, denn – wie gesagt - die weltweite Verfolgung der Christenheit wird öffentlich kaum zur Kenntnis genommen. Regierungsvertreter und Journalisten interessieren sich wenig für dieses Thema – außer wenn es politische Konsequenzen hat – wie z. B. bei der Frage, ob ein Land wie die Türkei, in dem christliche Minderheiten unterdrückt werden, Mitglied der EU werden kann.

Es gibt zwei Gründe, weshalb die weltweite Verfolgung der Christenheit so wenig Aufmerksamkeit bekommt. Ein Grund ist, dass die Verfolgung außerhalb der westlichen Welt stattfindet, denn die meisten aktiven Christen leben außerhalb Europas und Nordamerikas. Schätzungsweise 80% aller aktiven Christen – d. h. Christen, die regelmäßig den Gottesdienst besuchen und für die der christliche Glaube eine zentrale Rolle spielt – leben in Südamerika, Afrika und Asien. In China z. B. – wo Christen unterdrückt werden - soll es sonntags mehr Gottesdienstbesucher als in Europa geben, obwohl mehr Christen in Europa leben.

Ein zweiter Grund weshalb die Verfolgung von Christen wenig Aufmerksamkeit bekommt, hängt mit dem Wesen des christlichen Glaubens zusammen. Christen reagieren auf unrechtmäßige Verhaftung und Hinrichtung im Allgemeinen wie Jesus – schweigsam und hinnehmend, sich allein auf Gott verlassend. Die Medien interessieren sich aber nicht für Menschen, die auf Unrecht mit Geduld reagieren. Geduldiges Vertrauen ist kein Medienereignis.

Es heißt in dem Schlusschoral: Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine. Das heißt: Christen lassen Gott für sie streiten. Denn auf Ungerechtigkeit mit Rache und Vergeltung zu reagieren würde der christlichen Botschaft widersprechen; Terrorismus als Reaktion auf Unrecht ist keine christliche Option. Denn Christen kämpfen nur mit geistigen Waffen: mit Gebet, mit Musik, mit dem Wort, mit Sakramenten, mit der Suche nach Wahrheit.

Der Kampf gegen Verfolgung ist ein geistiger Kampf. Das wird in der Bach-Kantate immer wieder durch die Gebete betont. Gott wird in den Gebeten der Kantate immer wieder angefleht, dass er sich für seine Christenheit kämpferisch einsetzt.

'Kain und Abel', 1973 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Kain und Abel', 1973
Walter Habdank. © Galerie Habdank

In diesem Zusammenhang sollte man bedenken, warum religiöse Minderheiten unterdrückt werden. Wenn Christen verfolgt werden, dann liegt die Erklärung nicht bloß darin, dass die Unterdrücker zu einer anderen Religion gehören oder ideologisch verblendet sind. Sondern biblisch gesehen, kann man kategorisch sagen: ein Mensch, der andere gewaltsam unterdrückt, betet etwas an, was nicht Gott ist. Wer im Namen Gottes einen anderen unterdrückt, betet einen Götzen an. Es ist ausgeschlossen, dass ein Mensch, der Gott liebt oder die Liebe Gottes erfahren hat, einen anderen Menschen erniedrigen könnte. Es ist deshalb von dem Philosophen Voltaire festgestellt worden: wer einen anderen Menschen im Namen Gottes gewalttätig angreift, tut so etwas, weil er seinen eigenen Gott hasst – bzw. das, was er für Gott hält.

Das Urbild aller Verfolgung ist die Geschichte von Kain und Abel. Kain hatte einen Hass auf Gott, aber einen unsichtbaren Gott kann man nicht angreifen. Kain hat Abel umgebracht, weil er damit Gott treffen wollte. Der Apostel Paulus ist auch ein Beispiel für diese Dynamik, denn er hat Christen verfolgt. Er hatte eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus, der fragte: „Warum verfolgst du mich?“ Die Verfolgungswut des Paulus richtete sich eigentlich gegen Jesus, und das heißt: gegen Gott.

Den Kampf zwischen Gott und seinen Verfolgern kann nur Gott kämpfen. Aber die Christenheit ist in diesen Kampf verwickelt, wenn sie singt und betet, wenn sie kompromisslos nach Wahrheit sucht, wenn sie Wort und Sakrament nicht verfälschen lässt.

Die Verfälschung des Evangeliums ist eine Gefahr, die von Innen kommt. Die Kantate weist darauf hin, dass die Feinde der Christenheit oft in den eigenen Reihen stecken. Es heißt an einer Stelle der Kantate: „Du weißt, dass die verfolgte Gottesstadt den ärgsten Feind nur in sich selber hat durch die Gefährlichkeit der falschen Brüder.“

Die „Gefährlichkeit der falschen Brüder“ erlebte ein Jude im 14. Jahrhundert. Ein Tuchhändler in Paris mit dem Namen Abraham reiste nach Rom. Er hatte sich für die Christenheit interessiert und wollte sehen, wie es im Zentrum aussieht. Er hat folgendes berichtet:

„Bei keinem einzigen Geistlichen fand ich Frömmigkeit, Gottesfurcht, Nächstenliebe, sondern nur Geilheit, Habsucht, Betrug, Neid, Stolz und andere Laster. Rom erschien mir als eine Werkstatt des Teufels. Mir scheint, dass der oberste Seelenhirt und mit ihm alle anderen Geistlichen, statt Fundament und Stütze der Kirche zu sein, nach besten Kräften auf jede erdenkliche Art und Weise darauf bedacht sind, die christliche Kirche zu zerstören und vom Erdboden verschwinden zu lassen. Weil ich aber sehe, dass nicht geschieht, was sie anstreben, dass im Gegenteil dieser Glaube sich immer weiter ausbreitet und in immer klarerem Lichte erstrahlt, scheint mir das ein Beweis dafür, dass der Heilige Geist selbst das Fundament und die Stütze der Kirche ist. Das Christentum muss wahrer und heiliger sein als die anderen Religionen der Welt. Noch heute will ich mich taufen lassen.“

Dieser Text fasst alles zusammen. Auf der einen Seite: wenn man bedenkt, wie die Christenheit von Außen und von Innen massiv angegriffen wurde, wenn man bedenkt, wie viel blutige Verfolgung es gegeben hat, wie viele öde Gottesdienste vorgekommen sind und wie viel Eitelkeit und Unfähigkeit es in der Kirche gegeben hat, müsste die Christenheit längst von der Bildfläche verschwunden sein. Aber anstatt dass sie eingeht, wird sie immer wieder erneuert, sie breitet sich aus und entwickelt geistige Energien, die explosivartig sind. Während der Reformation z. B. sind 100.000 neue Kirchenlieder entstanden; das sind 100.000 geistige Waffen. Und in diesem Jahr werden fast 4,8 Milliarden Bibeln und Bibelteile weltweit verbreitet. Solche Ausbrüche an Energie sind Hinweise, dass Gott für uns kämpft.

Es ist unsere Aufgabe, Gott bei seinem Kampf zu unterstützen. Mit unseren Gebeten, mit unseren geistigen Waffen und mit unseren Spenden können wir uns an dem Kampf Gottes beteiligen. So wie Jesus den Beistand seiner Jünger brauchte, als er in Gethsemane einen Willenskampf um Leben und Tod ausfechten musste, so will Gott unseren Beistand im Gebet, wenn er die Feinde des Lebens bekämpft und zuletzt besiegt. Und dass Gott siegt ist keine Frage. Wie es in dem 1. Korintherbrief heißt: „Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod...damit Gott sei alles in allem.“

Möge Gott uns helfen, die geistigen Waffen zu pflegen und einzusetzen, die uns gegeben sind.

Das Porträt des Papstes Leo X., 1518 - 1519, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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