Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Johannes 21, 1 – 14 Wie sieht ein Mensch aus?

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Ausschnitt aus 'Auferstehungsikone', Ikonenmuseum Frankfurt

Ausschnitt aus 'Auferstehungsikone', Ikonenmuseum Frankfurt

Quasimodogeniti

Wie sieht ein Mensch aus? Johannes 21, 1 – 14

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, daß Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war. Johannes 21, 1 – 14

Vor einiger Zeit hatte ein Erfinder eine Idee, wie man Armbanduhren besser bauen könnte, so dass sie zuverlässiger und billiger sind. Er baute den Prototyp einer Digitaluhr, bei der die Zeit nur mit Ziffern angegeben wird. Dann suchte er die Schweiz auf, das Land der Uhrmacher, um seine Erfindung vorzustellen und finanzielle Unterstützung für eine Serienproduktion zu bekommen. Aber die Uhrmacher dort nahmen seine Erfindung nicht ernst. Sie sagten: „Das ist keine Uhr: Sie hat keine Zeiger. Sie hat nur Nummern. Aber eine Uhr muss einen großen Zeiger für die Minuten und einen kleinen Zeiger für die Stunden haben.“ Und als sie die Uhr hinten aufmachten, reagierten sie noch negativer. Sie fanden kein Getriebe, es gab keine Feder; es gab nur Elektronik. Überall in der Schweiz bekam der Erfinder zu hören: „Dieses Ding ist keine Uhr.“ Und niemand wollte ihn finanziell unterstützen. Also zog er weiter und suchte Japan auf und zeigte dort seine Erfindung. Da fand er Unterstützung für seine Idee. Und wie wir inzwischen alle wissen, sind Digitaluhren völlig alltäglich geworden und Asien – nicht die Schweiz – hat davon profitiert.

Vielleicht kann uns diese Begebenheit helfen, den Text aus dem Johannesevangelium zu verstehen, den wir gerade gehört haben. An einer Stelle heißt es: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“ Zwei Mal bei Johannes und einmal bei Lukas wird berichtet, dass Jesus als Auferstandener erschien, aber dass er nicht erkannt wurde. Warum wurde er nicht erkannt? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, aber vielleicht liegt die Erklärung darin, dass Jesus eine Art Prototyp darstellt. Denn es ist ein Anliegen des Johannesevangeliums, den auferstandenen Jesus als den neuen Adam darzustellen, als Anfang einer neuen Menschheit, als Verkörperung eines neuen Menschseins.

Das heißt: es geht hier um die Frage: wie sieht Menschsein aus? Auf der einen Seite scheint diese Frage überflüssig zu sein. Denn wissen wir nicht aus eigener Erfahrung, wie Menschsein aussieht? Aber vielleicht sind wir in dieser Hinsicht vergleichbar mit den Schweizer Uhrmachern, die sich einbildeten, dass sie ganz genau wussten, wie eine Armbanduhr auszusehen hat, die deshalb blind waren für einen neuen Prototyp. Diese Uhrmacher sahen vor ihren Augen, wie eine Uhr künftig aussehen würde, aber sie haben diese Vorlage nicht einmal als Uhr erkannt.

Und vielleicht ging es den Jüngern ähnlich. Sie sahen den Auferstandenen, sie sahen den Prototyp eines neuen, wahrhaftigen Menschseins vor ihren Augen - und konnten nicht erkennen, dass dieses neue Menschenbild der auferstandene Jesus war.

In diesem Zusammenhang sollte man sich daran erinnern, dass der Mensch in dem Ebenbild Gottes geschaffen war, aber dass diese Ebenbildlichkeit verdorben wurde. Aber Jesus war das Abbild Gottes, der unsere Ebenbildlichkeit wiederherstellen sollte. Der große Kirchenvater Athanasius schrieb dazu folgendes: „Sie wissen, was passiert, wenn ein Porträt, das auf einer Holztafel gemalt worden ist, durch Verschmutzung verdorben wird. Der Maler wirft das Bild nicht weg, sondern er holt die Person, die er gemalt hatte, und lässt ihn noch Mal sitzen, damit er das Bildnis wiederherstellen kann. Genauso war es mit dem heiligen Sohn Gottes. Er, das Abbild des Vaters, kam und wohnte unter uns, um die Menschheit nach seinem Gleichnis zu erneuern.“

Und in diesem Kontext kann man sagen, dass Gott uns mit anderen Augen sieht, als wir uns selbst sehen, denn er hat uns geschaffen und weiß, was er mit uns vorhat.

Dazu ein Gleichnis: Es wird von einem Maler berichtet, der aus dem Fenster seines Ateliers schaute und einen sogenannten Penner sah, der auf dem Bürgersteig saß und darauf wartete, dass Passanten ihm Geld in seinen Hut warfen. Irgendetwas an diesem Bettler fand der Künstler interessant, und er fing an, den Mann zu malen. Die ganze Körperhaltung dieses Nichtsesshaften – hängende Schulter, Augen nach unten gerichtet – zeigte, dass er sich selbst aufgegeben hatte. Als der Maler fertig war, nahm er das Bild und ging über die Straße. Er zeigte dem Straßenbettler das Bild. Der Bettler fragte: „Wer ist das?“ Auf der einen Seite konnte er erkennen, dass der Mann im Bild ihm bekannt vorkam, aber auf der anderen Seite sah er einen Mann mit Würde, mit geraden, aufgerichteten Schultern und mit lebhaften Augen. Nach längerem Schauen fragte der Bettler: „Soll das mich darstellen? Ich sehe aber nicht so aus!“ Der Maler erwiderte: „Aber diese Person sehe ich in Ihnen.“

So ist es auch mit Gott. Gott sieht uns Menschen nicht nur in unserem jetzigen Zustand, sondern er sieht uns so, wie wir nach seinem Ebenbild aussehen sollten und aussehen werden. Jesus – besonders der auferstandene Jesus – ist das Urbild des Menschseins, so wie Menschsein von Gott vorgesehen ist. Und es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der auferstandene Jesus nicht sofort zu erkennen ist.

Third Appearance of Christ
, Anfang des 16. Jhd.

Aber der Auferstandene wurde zuletzt erkannt – und zwar an seiner Handlungsweise. Es heißt im Text: „Er (Jesus) aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr!“ Diese Beherrschung der Schöpfung und diese verschwenderische Großzügigkeit reichen aus für den sogenannten Lieblingsjünger: In dieser Handlung erkennt er Jesus.

Vielleicht klingt das dürftig, dass eine Person anhand einer einzigen Handlung erkannt werden kann, aber so etwas gibt es tatsächlich. Zum Beispiel: es gab einen Soldaten, der in einem Land stationiert war, in dem die Lebensbedingungen der Soldaten etwas trostlos waren. Er schrieb einen Brief an seine Frau, dass er sieben gute Freunde gefunden hatte und dass er für diese Freundschaften dankbar war, weil er sonst verzweifeln würde. Als er Geburtstag hatte, bekam er ein Paket. Als er das Paket aufmachte, entdeckte er nicht ein Geschenk, sondern acht. Als er die acht Geschenke sah, war er tief gerührt und sagte spontan: „Das ist meine Frau: Jawohl, das ist meine Frau!“ Hier sehen wir, wie eine Person anhand einer einzigen Handlung sofort erkannt wird. So wurde Jesus am See Tiberias erkannt.

Und dann stellt es sich heraus, dass 153 Fische im Netz waren. Es gibt keine eindeutige Erklärung, was diese Zahl 153 bedeutet, aber eine Erklärung aus dem 5. Jahrhundert scheint die einleuchtendste zu sein. Der Kirchenvater Hieronymus, der im Jahre 419 oder 420 starb, stellte fest, dass es in der damaligen Zeit 153 bekannte Fischarten gab. Die Zahl 153 steht für die Gesamtheit. Die Zahl wäre dann ein Symbol dafür, dass alle Völker dafür vorgesehen sind, zu Jesus Christus zu gehören. 153 steht für eine allumfassende Gemeinschaft, die keine Rassenschranken oder sonstige Abgrenzungen kennt. Denn alle sind zusammen in einem Netz und das Netzt zerreißt nicht. Dementsprechend: als Mutter Theresa einmal gefragt wurde, was sie für das größte Problem der Welt hielt, antwortete sie: „Das größte Problem ist, dass wir den Kreis der Familie zu klein ziehen; wir müssten diesen Kreis täglich ausdehnen.“ Mit anderen Worten: die Menschheit ist eine einzige Familie; wir gehören alle zusammen in einem Netz.

Und der gemeinsame Mittelpunkt dieser Familie ist – nach unserem Johannestext - eine Mahlzeit mit dem Auferstandenen.

Hier haben wir also einige Anhaltspunkte, wie wahres Menschsein aussieht. Es fängt mit der Erkenntnis an, dass der auferstandene Jesus der Herr ist, der die Schöpfung beherrscht und der mit ausschweifender Großzügigkeit schenkt. Und zu einem wahren Menschsein gehört die Erkenntnis, dass alle Menschen für Gemeinschaft mit Gott vorgesehen sind. Und das heißt: die Erkenntnis, dass alle Menschen zuletzt zusammen gehören. Wir sind nicht unbedingt alle in demselben Boot, aber wir sind in demselben Netz, d.h. wir sind darauf angewiesen, gefangen zu werden. Aber es handelt sich dabei nicht um eine Zwangsmaßnahme, sondern es ist die verschwenderische Großzügigkeit Gottes, die das Herz eines Menschen gewinnt und fesselt. Menschsein fängt mit der Erkenntnis an, dass Gott gebefreudig ist, dass er uns unermesslich mehr schenkt, als wir jemals wahrnehmen könnten. Wahres Menschsein fängt also mit Dankbarkeit an, und in der Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen wird diese Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht.

Es gibt eine Menge Leute, welche die unermessliche Güte Gottes noch nicht anerkannt haben. Sie würden Jesus auch nicht erkennen, wenn er direkt vor ihnen stehen würde. Sie haben noch nicht erkannt, wozu sie vorgesehen sind.

Es heißt in Psalm 8:

Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.

Was ist der Mensch? fragt Psalm 8. Eine Antwort auf diese Frage steht in Johannes 21.

Wir danken dem Ikonenmuseum Frankfurt (www.ikonenmuseumfrankfurt.de ) für die Genehmigung, Ikonen aus diesem Museum kostenlos zeigen zu dürfen.
Das Kunstwerk 'Third Appearance of Christ', Anfang des 16. Jhd., ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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