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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Palmsonntag: Johannes 12,12-19 Ein gespaltenes Herz

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Assisi Fresco: 'Einzug Jesu in Jerusalem', 1320, Pietro Lorenzetti.

Palmsonntag

Ein gespaltenes Herz Johannes 12,12-19

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2003

Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach. Johannes 12,12-19

Es gibt in Norddeutschland einen Pfarrer, der eine unvergessliche Silberhochzeit erlebte. Als er die Feier aufsuchte, sah er einen langen Tisch, festlich geschmückt. 30 Personen waren versammelt. Aber er stellte auch fest, dass die Atmosphäre merkwürdig war, als ob etwas nicht stimmte. Aber er konnte sich nicht erklären, was ihn störte. Vor dem Kaffeetrinken hielt er eine kleine Andacht. Sie fing mit dem Lied „Lobe den Herrn, den mächtigen König“ an. Alle sangen kräftig mit. Dann gab es eine kurze Ansprache zu dem Text „Befiehl dem Herrn deine Wege“; das Silberhochzeitspaar hatte diesen Text selber ausgesucht. Anschließend wurde wieder gesungen: „Bis hierher hat mich Gott gebracht“. Danach blieb der Pfarrer für Kaffee und Kuchen.

Am nächsten Tag musste er in einem Nachbarhaus einen Besuch machen. Er wurde wegen des Silberhochzeitsfestes angesprochen und gefragt: „Wissen Sie denn eigentlich, was gestern los war? Bevor Sie zu der Andacht kamen, war ein Streifenwagen da – wegen Messerstecherei bei der Hochzeitsgesellschaft. Der war gerade weg, da kamen Sie. Und kaum waren Sie weg, ging es wieder los. Da kamen sogar zwei Streifenwagen“. Ein Vierteljahr später wurde der Silberbräutigam wegen Verführung Jugendlicher verhaftet und mit zwei Jahren Gefängnis bestraft.

Hier sehen wir einen Widerspruch. Offensichtlich geht es hier um Herzen, die gespalten sind. Mit einem Teil des Herzens singen sie Lob- und Danklieder und hören bei einer Ansprache andächtig zu. Aber ein anderer Teil des Herzens ist voller Aggressivität und Hemmungslosigkeit. Aber diese Spaltung ist etwas typisch Menschliches. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn ein Teil des Herzens für den christlichen Glauben zugänglich ist; und ein anderer Teil eigensüchtig ist. Und das Merkwürdige an diesem Widerspruch ist, dass jeder Beobachter ihn sofort erkennen kann, nur nicht derjenige, der diesen Widerspruch in sich trägt.

Ein zweites Beispiel dieses Vorgangs veranschaulicht diese Blindheit. Helmut Thielike, ein inzwischen verstorbener Theologe aus Hamburg, erzählte einmal von einem Besuch: „Ein sehr wohlhabender Kirchenvorsteher hatte mich zum Tee in sein schönes Haus gebeten. Ich drückte mein Bedauern darüber aus, dass die Bomben auch dieses Haus (während des Krieges) nicht verschont hätten. Da antwortete er: ‚Sprechen Sie nicht von Bedauern. Auch bei diesem Verlust habe ich die Gnade Gottes erfahren...Gott hat mir nämlich gerade so wenig Raum gelassen, dass ich nach dem Kriege keine Flüchtlinge aufnehmen musste’“. Thielike kommentierte dazu: „Der Mann war wirklich fromm, er betete, und auch die sozialen Bemühungen um seinen Betrieb waren ihm Herzenssache. Dass aber auch die Wohnraumfrage etwas mit Gott und dem Nächsten zu tun hatte, war ihm offensichtlich nicht klargeworden.“ Hier sehen wir noch einmal diese innere Gespaltenheit: ein Teil des Herzens ist für die Christus-Botschaft zugänglich; ein anderer Teil ist noch verschlossen und lebt nach eigenen Gesetzen.

Und es gibt in der Bibel ein klassisches Beispiel für diesen Widerspruch: der Einzug Jesu in Jerusalem. Bei diesem Einzug wurde Jesus mit einem Loblied empfangen und als König von Israel gefeiert. Aber ein paar Tage später wurde seine Kreuzigung gefordert und König von Israel wurde zu einem Spottbegriff. Die Bevölkerung Jerusalems, die Jesus als Siegesheld aufgenommen hat, hat ihn zuletzt als Versager abgelehnt und verspottet.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann mich sehr gut mit dieser Jerusalembevölkerung identifizieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich bei dem Einzug Jesu mitgesungen und mitgefeiert hätte, denn es war sicherlich eine Stimmung wie bei einem Kirchentag. Aber als es darum ging, sich zu Jesus zu bekennen, als er am Kreuz hing, wenn alle gegen ihn waren und über ihn lästerten, da weiß ich nicht, ob ich den Mut dazu gehabt hätte.

Diese innere Uneinigkeit ist etwas Urmenschliches. Der Apostel Paulus kannte sie auch und brachte sie in seinem Römerbrief zum Ausdruck, als er schrieb:

Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich... Denn ich weiß, dass in mir ...nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht ... Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?

Mit dieser Frage - Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? - deutet Paulus auf die Antwort. Diese innere Spaltung, die in jedem Herzen vorkommen kann, hängt mit unserer Vergänglichkeit zusammen. Denn wenn ein Mensch nicht weiß, wie er mit seiner Vergänglichkeit fertig wird, dann entsteht Widerstand gegen Gott.

Diese Dynamik des Glaubens wurde deutlich, als Jesus mit den Sadduzäern eine Auseinandersetzung hatte. Es ging um die Frage, ob die Toten auferstehen oder nicht. Es ist kein Zufall, dass die Sadduzäer, die eine Auferstehung der Toten leugnen, die eigentlichen Todfeinde Jesu waren. Die Hohenpriester, die Jesu Hinrichtung inszenierten, waren Sadduzäer. Und zu den Sadduzäern sagte Jesus: Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden. Jesus machte damit deutlich: wer die Auferstehung leugnet, leugnet auch Gott. Wer die Auferstehung leugnet, gehört zu den Toten und nicht zu Gott, denn Gott ist nicht ein Gott der Toten. Wie auch der Prophet Jesaja sagte: Die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue. Das heißt also: Die Feindschaft gegen Gott, die teilweise in uns allen lauert, wird allein durch Auferstehungsglaube überwunden.

Und der Johannestext, der für heute vorgesehen ist, deutet diese Wahrheit an. Denn es heißt:

Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan... siehe, alle Welt läuft ihm nach.

Hier wurde Ostern vorweggenommen. Jesus hatte auf die Menschen eine magnetische Anziehungskraft, weil er in Lazarus demonstrierte, dass Gott die Macht hat, die Toten aufzuwecken. Und auf diese Weise werden auch unsere Herzen von ihrer inneren Zerrissenheit befreit: durch Osterglaube, durch den Glauben, dass Gott mächtiger ist als der Tod.

Im Jahre 1963 gab es in Afrika in einem kleinen Dorf mit dem Namen Rwanda einen einheimischen Pfarrer namens Yona. Als ein Krieg zwischen zwei Stämmen ausbrach, wusste dieser Pfarrer, dass er in Lebensgefahr war, aber er weigerte sich, sein Dorf zu verlassen. Eines Abends wurden er und zwei andere Dorfbewohner von feindlichen Soldaten abgeholt und zu einer Brücke gebracht. Alle drei sollten dort erschossen werden. Diese Soldaten haben zwar den Pfarrer erschossen, aber sein Verhalten vor seiner Hinrichtung hat sie so aus der Fassung gebracht, dass sie nicht mehr in der Lage waren, die zwei anderen zu erschießen; sie wurden freigelassen. Die Soldaten waren verblüfft, denn sie hatten nie erlebt, dass einer mit Lobgesang zu seiner Hinrichtungsstätte ging und dass einer so dahinging, als ob es ein Sonntagsspaziergang wäre. Als die Gruppe zu der Brücke kam, bat der Pfarrer um Erlaubnis, ein paar Notizen in sein Tagebuch zu schreiben. Er schrieb als Erstes: „Wir gehen jetzt in den Himmel.“ Und danach schrieb er in aller Seelenruhe ausgerechnet einen Finanzbericht. Er wollte die Kirchenkasse, die in seinem Haus war, in einem ordentlichen Zustand hinterlassen. Als die Soldaten die Hinrichtung an diesem Geistlichen durchführten, fühlten sie sich beschämt, und sie konnten keine weitere Gewalttat vollbringen. Deswegen haben sie die zwei Anderen freigelassen. Diese Begebenheit zeigt, wie viel Ausstrahlungskraft ein Glaube hat, der fest mit Auferstehung rechnet, der fest damit rechnet, dass Gott mächtiger ist als der Tod. Diese Art des Glaubens hat nicht nur eine Wirkung auf die eigene Person, sondern hat auch eine Auswirkung auf andere.

Es ist diese Art Glaube, die zuletzt die inneren Widersprüche, die in unseren Herzen vorkommen, überwinden kann. Es ist diese Art Glaube, die zuletzt das ganze Herz jedes einzelnen Menschen erfassen und heilen sollte.

Es gibt eine Stelle aus der Osterliturgie der russisch-orthodoxen Kirche, die veranschaulicht, dass Auferstehungsglaube die ganze Wirklichkeit durchdringen soll. Da heißt es:

Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod durch seinen Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt. Jubeln sollen die Himmel, jauchzen soll die Erde, feiern soll die ganze sichtbare und unsichtbare Welt, denn Christus ist erstanden, die ewige Freude! Auferstehungstag! Lasst uns von dem Feiertag durchstrahlt werden und einander umarmen! Lasst uns „Bruder“ sagen auch zu denen, die uns hassen! Lasset uns alles verzeihen um der Auferstehung willen und also rufen: Christus ist auferstanden von den Toten!

Dieser liturgische Text zeigt, was Gott mit dieser Welt vorhat: er hat vor, alle Feindschaft, alle Zerrissenheit, alle Unversöhnlichkeit durch Auferstehungsfreude zu überwinden.

So wie das Johannesevangelium den Einzug Jesu in Jerusalem berichtet, ist dieses Ereignis eine Vorschau, was zuletzt überall eintreten sollte: damals, als Jesus einzog, hat Jerusalem Gott gelobt, weil er in Jesus seine Macht demonstriert hatte, die Toten zu erwecken, zuletzt soll alle Welt Gott loben, weil er Jesus von den Toten auferweckt hat und alle Toten auferwecken will. Damals mussten die Gegner Jesu zugeben: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach. Zuletzt werden alle Feinde Gottes kapitulieren müssen, weil sie gegen die Macht Gottes nichts ausrichten können, denn alle Welt soll zuletzt Gott nachlaufen und von seinem Heil erfasst werden.

Das Assisi Fresco: 'Einzug Jesu in Jerusalem', 1320, Pietro Lorenzetti, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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