Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Mose 22, 1 – 14 Abraham - ein Fanatiker?

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'Mount St. Helens', 1980, Austin Post, USGS

Judica

Abraham - ein Fanatiker? 1. Mose 22, 1 – 14

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

Abrahams Versuchung: 1. Mose 22, 1 – 14

  1. Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.
  2. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
  3. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
  4. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne
  5. und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
  6. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.
  7. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
  8. Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.
  9. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
  10. und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
  11. Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
  12. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
  13. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.
  14. Und Abraham nannte die Stätte »Der HERR sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sieht.
    14 (nach der Einheitsübersetzung) Abraham nannte jenen Ort Jahwe-Jire (Der Herr sieht), wie man noch heute sagt: Auf dem Berg lässt sich der Herr sehen.

Vor 6000 Jahren explodierte ein Vulkan in Nordamerika. Der ausgehöhlte Krater befindet sich in dem Bundesstaat Oregon. Die Ureinwohner überlieferten eine Erzählung von dieser Naturkatastrophe. Nach dieser Erzählung war jener Feuerberg der Erscheinungsort des Häuptlings der Unterwelt, der Llao hieß. Das Volk, das am Fuß des Berges wohnte, hatte diesen Unterweltgott eines Tages tief enttäuscht, und er erschien als Rauchwolke auf seinem Berg, wo er zornig tobte und spuckte. Zwei Medizinmänner versuchten, ihn zu besänftigen, indem sie den Feuerberg bestiegen und in den Abgrund des Kraters gesprungen sind. Sie hatten gemeint, dass zwei Menschenopfer ihn besänftigen könnten.

In dieser Erzählung sehen wir eine Anschauung, die offenbar tief in unseren Menschenseelen verwurzelt ist. Denn seit Tausenden von Jahren – und bis zu dem heutigen Tag – gibt es die Vorstellung, dass Gott Gefallen hat an Menschenopfern. Offenbar steckt tief in unseren Herzen die Angst, dass nur tödliche Menschenopfer Gott zufrieden stellen könnten. Denn in vielen Religionen findet man diesen Glauben, dass Gott Menschenopfer sehen will.

Das jüngste Beispiel für diese Denkweise war nach der Flutwellenkatastrophe nachzulesen. Es gab religiöse Fanatiker, die diese Naturkatastrophe als Strafe Gottes auslegten. Zum Beispiel hat ein Geistlicher folgendes gepredigt: „Es gibt nur einen Grund, weshalb diese Länder (von Gott) zerstört wurden: sie logen, sie sündigten, und sie waren untreu....Sind diese Länder nicht voll von Zauberei, Hexerei, Falschheit und Scheußlichkeit?“ Ein anderer Prediger sagte: „Diese großen Tragödien und kollektiven Strafen, die Dörfer, Städte und ganze Länder ausradierten, sind Gottes Strafen für die Völker dieser Länder.“ Es spielt keine Rolle, zu welcher Religion diese Geistlichen gehören, denn die Vorstellung, dass Gott Menschenopfer fordert, ist etwas Urmenschliches.

Denken Sie z. B. an Menschen, die schwer krank sind. Wenn ein Mensch so krank wird, dass er um sein Leben fürchten muss, dann kommen unweigerlich Fragen zum Vorschein, wie z. B.: Will Gott vielleicht mein Leben fordern? Habe ich etwas getan, um diese Krankheit zu verdienen? Wir können es nicht unterlassen – in krisenhaften Momenten – die Frage zu stellen, ob Gott nicht ein Gott ist, der verletzen kann und töten will.

'Opfergang', 1977 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Opfergang', 1977 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

Die Geschichte der Versuchung Abrahams, die wir gerade gehört haben, stammte aus einer Zeit, als Menschenopfer im Namen einer Gottheit nicht ungewöhnlich waren. Und es gibt Bibelausleger, die überzeugt sind, dass diese Geschichte verkündigen sollte, dass Gott keinen Gefallen an Menschenopfern hat. Diese Erzählung soll veranschaulichen, dass Gott es nicht haben will, dass in seinem Namen getötet wird. Ist das die Botschaft hier?

Vordergründig gesehen, geht es in dieser Erzählung um die Frage: Wird Abraham wirklich seinen Sohn opfern? Ist Abraham tatsächlich bereit, Gott so bedingungslos zu vertrauen, dass er ihm seinen einzigen Sohn als Schlacht- und Brandopfer hingeben wird? Vordergründig gesehen, ist diese Geschichte deswegen unerträglich. Denn was sollen wir davon lernen? Sollen wir lernen, dass Gott Kadavergehorsam sehen will? Soll Abraham ein Vorbild des Glaubens sein – ein Mann, der sofort bereit ist, seinen Sohn zu opfern, ohne zu zögern, ohne nachzufragen? Abraham ist eher ein Vorbild für religiöse Spinner, Fanatiker und Terroristen. Diese Geschichte hat trotzdem eine sinnvolle Botschaft, die allerdings etwas versteckt ist.

Wer den Sinn dieser Geschichte finden will, muss auf eine sprachliche Feinheit achten. Der Erzähler hat uns ein Signalwort geliefert. Dieses Schlüsselwort ist ein Hinweis auf die eigentliche Botschaft. Und dieses Signalwort heißt „Sehen“. Es geht hier zuletzt nicht um die Frage, ob Abraham bereit ist, seinen Sohn zu opfern: es geht vielmehr um die Frage: Was wird Abraham sehen? Denn das ist die eigentliche Prüfung. Wird Abraham sehen können, was Gott ihm zeigen will? Es fängt damit an, dass Abraham, wenn er von Gott angesprochen wird, mit den Worten erwidert: „Hier bin ich!“ Warum sollte Abraham zu Gott sagen: Hier bin ich! - als ob Gott blind wäre oder nicht wüsste, wo Abraham sich befindet? Aber der Leser soll merken, dass Abraham sich nicht vor Gott versteckt – wie Adam und Eva es einmal taten. Abraham macht sich für Gott sichtbar.

Und Gott macht für Abraham einiges sichtbar. Es heißt an einer weiteren Stelle: Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. Es ist ganz klar hier, dass Abraham etwas sehen kann, was das normale Auge nicht sehen könnte. Gott hat für Abraham die Opferstätte sichtbar gemacht. Und dann, als Isaak nach dem Opfertier fragt, erwidert Abraham: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Da, wo Luther „ersehen“ übersetzt hat, steht im Urtext ein Wort, das bedeutet: sehend machen, zum Sehen bringen. Man könnte diese Stelle übersetzen: Gott wird das Opferschaf sichtbar machen. Und dann als Abraham das Messer erhob, um seinen Sohn zu opfern, wird er vom Himmel gerufen und er sagt zum dritten Mal: „Hier bin ich!“ Und es heißt: „Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke.“ Abraham muss Augen im Hinterkopf haben, wenn er einen Widder sehen kann, der sich hinter ihm befindet. D. h. dieses Sehen ist auch von Gott.

Normalerweise ist die Geschichte an dieser Stelle zu Ende. Der vorgeschlagene Predigttext endet mit Vers 13, mit den Worten: (er) nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt. Es gibt auch eine Schulbibel, welche die Geschichte an dieser Stelle beendet.

Aber der entscheidende Satz ist der nächste. Der ganze Sinn dieser unzumutbaren Geschichte steht offensichtlich in Vers 14, wo es nach Luther heißt: Und Abraham nannte die Stätte »Der HERR sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sieht. Anhand dieser Übersetzung kann man nicht erkennen, worum es hier wirklich geht. Man könnte diesen Vers 14 offenbar folgendermaßen übersetzen: Und Abraham nannte den Namen jenes Ortes „Der Herr macht sehend.“ Von dem man sagt heute: „Auf dem Berge, wo der Herr sich sehen lässt“ Diese Formulierungen: sehend machen und sich sehen lässt scheinen der Schlüssel zu dieser Geschichte zu sein. Abraham hat die Prüfung bestanden, denn er hat gesehen, was er sehen sollte. Denn Gott ist an diesem Berg sichtbar geworden. Aber wo ist Gott hier sichtbar geworden? Wo ist Gott zu sehen?

'Opfergang Abrahams', Vitrail de la Création, début du 16ème siècle, église de la Madeleine de Troyes

Es gibt offenbar zwei Antworten auf diese Frage: eine vordergründige Antwort und eine hintergründige. Vordergründig gesehen, ist Gott sichtbar geworden in dem Widder. Denn Gott hat den Widder als Opfertier sichtbar gemacht. Gott will kein Menschenopfer, sondern er bietet ein stellvertretendes Opfer an. Und so wie die Geschichte aufgebaut ist, ist der Widder ein Sichtbarwerden der Fürsorge Gottes. Gott wird in dem Widder sichtbar.

Aber Gott wird an einer anderen Stelle noch deutlicher sichtbar. Und das ist die hintergründige Botschaft dieser Geschichte. Wo ist Gott zu sehen? Die Antwort lautet: Gott ist in Isaak sichtbar. Denn Isaak ist eine Christusvorlage.

Isaak und Christus haben zwei Merkmale gemeinsam. Beide haben das Holz zur Opferstätte getragen, auf der sie getötet werden sollten. Beide haben in dem entscheidenden Moment schweigend den Opfertod auf sich genommen. In Isaak und in Christus offenbart sich Gott. Denn Gott will keine Menschenopfer. Im Gegenteil: Gott ist derjenige, der mit den Opfern leidet.

Eli Wiesel, ein Jude, der ein Konzentrationslager des dritten Reiches überlebt hatte, berichtete folgendes aus dieser Zeit: „Ein junger Knabe wurde zu Tode verurteilt; er sollte mit zwei Erwachsenen gehenkt werden. Sie stiegen auf drei Stühle. Als der Strick um den Hals des Kindes gelegt wurde, schrie einer der Zuschauer: „Wo ist Gott... wo ist er?“ Die Stühle wurden weggezogen. Es dauerte eine halbe Stunde bis das Kind starb. Wir mussten ihm voll ins Gesicht schauen. Hinter mir hörte ich, wie derselbe Mann fragte: „Wo ist nun Gott?“ Und ich hörte eine Stimme in mir, die ihm antwortete: „Wo ist Er? Hier ist Er – Er hängt hier an dem Galgen.“ Eli Wiesel hat gesehen, was Abraham sah – nämlich: Gott tötet nicht, sondern Gott ist bei denen, die getötet werden. Und das ist unser Trost – im Leben und im Sterben. Gott ist mit uns und Gott bleibt bei uns. Wie es so schön heißt in Psalm 139: Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Gott begleitet uns mit einer kompromisslosen Treue – bis zum Ende des Lebens und sogar weiter - bis in den Himmel hinein, bis in die Ewigkeit hinein.

Diese merkwürdige Geschichte von der Versuchung Abrahams ist zuletzt eine Trostgeschichte. Gott hat Abraham sehend gemacht; möge Gott auch uns die Augen öffnen, dass wir ihn sehen, wo er zu sehen ist. Wie Gott durch den Propheten Jesaja spricht: Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen.

Wie hieß der Berg zuletzt: „der Herr sieht“ oder „der Herr lässt sich sehen“?

14 Und Abraham nannte die Stätte »Der HERR sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sieht.
14 (nach der Einheitsübersetzung) Abraham nannte jenen Ort Jahwe-Jire (Der Herr sieht), wie man noch heute sagt: Auf dem Berg lässt sich der Herr sehen.

Welche Übersetzung ist richtig: die Luther- oder die Einheitsübersetzung? Wenn die Lutherübersetzung richtig ist, wirkt Vers 14 wie eine Nebenbemerkung. Wenn die Einheitsübersetzung richtig ist, ist Vers 14 offensichtlich der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte – wie die Auslegung oben behauptet.

Zwei Hinweise auf die korrekte Übersetzung:

  • Der hebräische Text: Die Passivform („Niphal“ genannt) von dem Hebräischen Wort „Ra‘ah“ (= sehen) wird am Ende von Vers 14 eingesetzt. Diese Form wird übersetzt: erscheinen, sichtbar sein, gesehen werden“. Eine wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen (Mechon Mamre Übersetzung) lautet: „Auf dem Berg wo der Herr gesehen wird.


  • Die griechische Übersetzung: Die Septuaginta war die erste Bibelübersetzung, die ca. 200 Jahre vor Christus in Alexandria von jüdischen Gelehrten ausgearbeitet wurde, und gilt als eine authentische Übersetzung. Sie wurde von den Verfassern des Neuen Testamentes öfters zitiert. Das entscheidende Wort wird als ω Φ θ η übersetzt: ist erschienen, hat sich gezeigt. Dieser Begriff wird eingesetzt, um die Auferstehungserscheinungen Christi oder auch um die Erscheinungen von Mose und Elia bei der Verklärung Jesu zu bezeichnen. Es geht also um eine sichtbare Erscheinung.

Das Bild 'Mount St. Helens', 1980, Austin Post, USGS, ist im public domain, weil es Material enthält, das ursprünglich vom United States Geological Survey stammt, einer Agentur des United States Department of Interior.
Das Bild vom Glasfenster wurde von Vassil, seienm Urheber, zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Das Bild ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
* Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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