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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Matt. 16, 13 – 19 Woher wissen wir, dass wir den richtigen Jesus haben?

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Predigt: Matt. 16, 13 – 19 Woher wissen wir, dass wir den richtigen Jesus haben?

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am Tag der Apostel Petrus und Paulus (29. Juni 2003): Matt. 16, 13 – 19

Die zwölf Apostel Jesu

Im Jahre 1913 veröffentlichte Albert Schweitzer ein Buch mit dem Titel „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“. Es ging in diesem Buch um die Suche nach dem sogenannten „historischen Jesus“. Nach Einschätzung Schweitzers wurden im 19. Jahrhundert etwa 60.000 Bücher zu diesem Thema geschrieben. Im 20. Jahrhundert kamen vermutlich eine weitere 60.000 dazu. Bei dieser Forschung geht es darum, den sogenannten „echten“ Jesus zu finden, d.h. Jesus von Nazareth, so wie er angeblich wirklich war und nicht wie er im Neuen Testament dargestellt wird. Diese Forschung geht davon aus, dass das, was in der Bibel steht, eine Verfälschung ist. Denn diese Forschung will wissenschaftlich sein; deshalb gelten die Wunder Jesu als Legenden oder Übertreibungen, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt und seine Göttlichkeit sollen mythologische Ausschmückungen sein.

Diese Suche nach dem echten Jesus fing allerdings nicht erst im 19. Jahrhundert an, sondern schon im 1. Jahrhundert und diese Suche geht heute weiter. Es gibt Bücher heute, die erstaunliche Behauptungen machen.

Ich kannte z. B. ein Gemeindeglied – eine intelligente junge Frau, die Jura studierte – die überzeugt war, dass Jesus die Kreuzigung überlebt hatte, dass er Maria Magdalena heiratete und nach Gallien gezogen ist – was heute Frankreich heißt. Und die Nachkommen Jesu sollen heute dort noch auffindbar sein. Warum glaubte sie das? Weil sie es in einem Buch gelesen hatte, das für sie überzeugender war als die Bibel.

Ein anderes Gemeindeglied hatte in seinem Besitz das sogenannte Urevangelium. Dieses Urevangelium war angeblich das ursprüngliche Evangelium. Dieser Mann war überzeugt, dass dieses Urevangelium den wahren Jesus darstellt, und dass die vier Evangelien, die in der Bibel vorkommen, nachträgliche Verfälschungen sind. Dieses Urevangelium wurde angeblich in einem Verließ des Vatikans versteckt, aber auch in einem buddhistischen Kloster in Tibet, wo es 1902 entdeckt wurde. Der Jesus, der in diesem sogenannten Urevangelium vorkommt, hat wenig Ähnlichkeit mit dem Jesus des Neuen Testaments. Denn dieser Jesus ist ein naturverbundener Esoteriker, der die Geheimnisse der Heilpflanzen kennt.

Und dann gibt es ein Buch mit dem Titel „Verschluss-Sache Jesus: die Qumran-Rollen und die Wahrheit über das frühe Christentum“. In diesem Buch wird behauptet, dass der Apostel Paulus ein römischer Agent war, der eine Bekehrung vortäuschte, um sich in die christliche Urgemeinde einzuschleichen. Paulus hat – nach Darstellung des Buches - die ursprüngliche Botschaft Jesu verfälscht, indem er die Gesetzestreue der ersten Judenchristen untergraben hatte und indem er aus Jesus eine göttliche Person machte, denn als Gott war Jesus angeblich besser zu verkaufen. Diese sensationellen Begebenheiten sollen in Qumran-Texten nachzulesen sein. Es wurde in diesem Buch behauptet, dass der Vatikan von dieser Sache Bescheid wusste und deshalb versucht hatte, die Qumran-Rollen unter Verschluss zu halten, damit die wahre Geschichte über die Entstehung der Christenheit nicht an die Öffentlichkeit kommt. Unter Wissenschaftlern wird dieses Buch nicht ernst genommen, denn es enthält wilde Spekulationen, Halbwahrheiten und falsche Informationen. Trotzdem: es gibt Leute die solche Bücher ernst nehmen, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.

Wenn es um Jesus geht, gibt es offenbar keine Grenzen der Phantasie. In einem Buch kann man nachlesen, dass Jesus die Kreuzigung überlebt hatte und nach seiner Genesung in den Kaschmir zog, wo er in der Himalajastadt Srinagar gestorben ist und begraben liegt. Angeblich gibt es Dokumente, die von dem Dalai Lama geheim gehalten werden, die beweisen, dass Jesus wirklich dort ankam.

In einem anderen Buch kann man nachlesen, dass Jesus in Japan war. Es gibt Dokumente, die im Jahre 1935 von einem Shintopriester entdeckt wurden, die angeblich belegen, dass Jesus als junger Mann in Japan war und dort japanische Philosophie und Kultur studierte. Er zog nach Palästina zurück und nachdem er einer Kreuzigung ausgewichen ist – indem sein Bruder an seiner Stelle gekreuzigt wurde – zog er nach Japan zurück, wo er heiratete, drei Kinder bekam und im Alter von 112 starb. Sein Grab ist angeblich in der Stadt Shinjo zu sehen.

Aber das alles ist nichts Neues. Schon im 1. Jahrhundert gab es abenteuerliche Geschichten über Jesus. Von Anfang an gab es Gruppen, die behauptet hatten: der Jesus der Kirche ist eine Verfälschung; wir kennen den echten Jesus! Es gab z.B. die Gnostiker, die Jesus verehrten, aber natürlich nicht der Jesus der gewöhnlichen Christenheit, sondern sie hatten Zugang zu dem „wahren“ Jesus. Die Gnostiker behaupteten, dass Jesus eine Geheimlehre hatte, die für die breite Öffentlichkeit nicht vorgesehen war, sondern für besonders Eingeweihte. Angeblich hatte Jesus diese Geheimlehre einem Geheimschüler anvertraut. Die Gnostiker hatten auch eigene Evangelien, dazu gehörte das Thomasevangelium.

Und es gibt einen Mann, der besonders erwähnenswert ist: Marcion, der im 2. Jahrhundert lebte. Er war einer der ersten, der versucht hatte, eine eigene Bibel zusammenzustellen. In seiner Bibel gab es kein Altes Testament, denn er lehnte den Gott des Judentums ab. Seine Bibel bestand hauptsächlich aus dem Lukasevangelium und den Paulusbriefen. Allerdings hat er die Paulusbriefe überarbeitet und hat sie von allem gereinigt, was sich nach dem Alten Testament richtete. Und auch das Lukasevangelium musste er – wie er meinte - von Verfälschungen befreien.

Mit anderen Worten: von Anfang an gab es christliche Sekten. Von Anfang an gab es die Frage: wie können wir wissen, ob die Bibel zuverlässig ist? Wie können wir wissen, ob Jesus, so wie er im Neuen Testament und in der kirchlichen Tradition vermittelt wird, authentisch ist und nicht eine Erfindung oder eine Verfälschung?

Und es gab damals eine konkrete Antwort auf solche Fragen. Die Antwort der Kirche lautete folgendermaßen: wenn Jesus eine Geheimlehre gehabt hätte, dann hätte er diese Lehre seinen Jüngern anvertraut. Und die Apostel hätten diese Geheimlehre an ihre Nachfolger weitergegeben. Aber es gab keine Geheimlehre: dafür bürgen die Apostel und ihre Nachfolger, die Bischöfe und die Ältesten. Der Begriff „apostolische Sukzession“ entstand in diesem Zusammenhang; d.h. die Apostel übertrugen ihre Lehre und ihre Vollmacht auf ihre Nachfolger. Diese Übertragung war vollständig. Die Kirche konnte im 2. Jahrhundert eine fast lückenlose apostolische Sukzession nachweisen, denn in den ältesten Zentren der Christenheit – in Städten wie Rom, Antiochien, Ephesus, u.s.w. - gab es Listen, die dokumentiert hatten, wo die Apostel tätig waren und wer ihre Nachfolger waren.

Und in diesem Zusammenhang entstand das Wort „katholisch“. Mit diesem Begriff hat die Christenheit sich von ketzerischen Bewegungen abgegrenzt. Katholisch bedeutet wortwörtlich „nach dem Ganzen“; die Kirche war „nach dem Ganzen“ ausgerichtet. Das heißt: die Kirche richtete sich nach dem ganzen Zeugnis aller Apostel. Ketzer dagegen richteten sich nach einzelnen Personen. Typisch ist Marcion, der nur ein Teil des Lukasevangeliums und nur einen reduzierten Paulus akzeptiert hat. Typisch ist es, dass die Gnostiker ein Thomasevangelium hatte, das nur kleine Bruchstücke der Jesusgeschichte enthält. Aber die Kirche bewahrte die gesamte apostolische Tradition. Deswegen stehen 4 Evangelien in der Bibel, nicht nur eines. Deswegen stehen nicht nur Paulus-Briefe im Neuen Testament, sondern auch Briefe, die die Traditionen von Johannes, Jakobus, und Petrus enthalten.

Es gibt heute mehr als 65.000 Bücher zum Thema Jesu. Und die Jesus-Bücher, die wilde Spekulation verbreiten, haben einen gemeinsamen Nenner – alle diese Bücher leben davon, dass die apostolische Überlieferung einfach nicht zur Kenntnis genommen wird. Aber die apostolische Überlieferung gehört organisch zu dem christlichen Glauben. Es gibt keinen direkten Zugang zu Jesus durch angebliche Geheimdokumente, und es gibt keinen „echten“ Jesus, der von dem Zeugnis der Apostel losgelöst werden kann. Wer Jesus kennen will, kommt an die Apostel nicht vorbei.

In dem Ausschnitt aus dem Matthäus-Evangelium, der für heute vorgesehen ist, wird diese Dynamik des christlichen Glaubens vorgeführt.

Jesus fragt seinen Jüngern: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Jesus will, dass die Jünger ihre eigenen Formulierungen finden. Sie sollen überlegen, wer Jesus ist, und sollen überlegen, wie sie die Wahrheit über ihn ausdrücken können. Jesus gibt ihnen keine vorgefertigte Antworten. Und dann antwortet Petrus: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Daraufhin sagt Jesus: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus (Petrus heißt Stein), und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen. Hier wird von Jesus bestätigt, dass die Apostel eine göttliche Vollmacht haben. Diese Vollmacht kommt zum Ausdruck in Bekenntnissen, die nicht bloß menschliche Formulierungen sind, sondern eine Offenbarung Gottes. Petrus ist so zu sagen der erste Stein in dem Bauwerk der Kirche. Deswegen wird er hier besonders hervorgehoben. Aber die Grundlage der Christenheit ist nicht allein das Bekenntnis des Petrus, sondern die Bekenntnisse aller Apostel. Denn die Kirche ist katholisch und apostolisch: d.h. sie richtet sich nach der Gesamtheit der apostolischen Tradition.

Es gibt dazu eine Legende. Nach dieser Legende versammelten sich die 12 Apostel ein letztes Mal, ehe sie endgültig auseinander gingen, um den christlichen Glauben in alle Welt zu verbreiten. Und sie haben ein Bekenntnis gemeinsam formuliert, zu dem jeder Apostel einen Satz beitrug. Auf diese Weise soll das apostolische Glaubensbekenntnis zustande gekommen sein und soll aus zwölf Bekenntnissen bestehen. Diese Legende enthält eine Wahrheit: nämlich, dass christlicher Glaube – wenn er authentisch ist - sich nach der Gesamtheit des apostolischen Zeugnisses richtet.

Es ist passend, dass wir heute eine Taufe im Gottesdienst hatten. Denn jede Taufe, die wir vollziehen, bei der wir das apostolische Glaubensbekenntnis sprechen, erinnert uns daran, dass wir die Aufgabe haben, den Glauben in seiner Vollständigkeit zu bewahren und zu bezeugen. Denn nur der vollständige Glaube hat befreiende Kraft. Nur das vollständige Zeugnis der Bibel vermittelt Jesus auf eine zuverlässige Weise. Und darum geht es. Es geht nicht um dogmatische Haarspalterei: es geht um die befreiende Kraft des Evangeliums. Nur wenn das Evangelium in seiner Vollständigkeit bewahrt und bezeugt wird, nur dann hat es eine befreiende Wirkung, nur dann wird Jesus authentisch vermittelt. Möge Gott uns helfen, diese Vollständigkeit zu erkennen, zu bewahren und zu bezeugen.