Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Palmsonntag - Abschiedsgottesdienst für Gemeindepädagogin Natascha Schröder-Cordes und Pfarrer Martin Vorländer

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Fastenzeit - Palmarum

Die Wolke, die uns trägt Hebräer 12, 1-3


Predigt von Pfarrer Martin Vorländer 13. April 2014 in der Dreikönigskirche zum Abschied für Gemeindepädagogin Natascha Schröder-Cordes und Pfarrer Martin Vorländer

Liebe Gemeinde!

Auszug zum Einzug

Wir begehen einen Auszug. Der Palmsonntag heute feiert einen Einzug. Jesus zieht in Jerusalem ein. Die Stadt ist voller Menschen, weil das Passahfest bevorsteht. Jesus reitet auf einem jungen Esel. Jeder in Jerusalem erkennt das Zeichen. Denn so klingt die große Hoffnung beim Propheten Sacharja:

„Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter, Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel.“ (Sacharja 9, 9)

Palmen statt Pälmchen

Der da auf dem Esel geritten kommt, ist der König. Die Menschen schwenken Palmzweige. Das darf man sich nicht als die Pälmchen vorstellen, die wir hierzulande in kleinen Blumentöpfen päppeln. Im damaligen Israel waren besonders die Blätter der Dattelpalme bei politischen Demonstrationen populär. Bis zu drei Meter hoch konnte so ein Palmblatt gewachsen sein. Ein ganzes Menschenmeer schwenkt drei Meter hohe Palmblätter – ein großartiges Bild. Damals ein Zeichen des Triumpfs, wenn Israel einen Sieg über seine Feinde errungen hat.

Alles andere als harmlos

Was so harmlos auf einem Esel daherkommt, musste die römische Besatzungsmacht als eine gefährliche Provokation begreifen. So wie autoritäre Regime heute nervös werden, wenn ihre Untertanen in großer Zahl symbolträchtig demonstrieren. „Hosianna!“, rufen die Menschen Jesus zu. „Hilf doch!“, heißt das aus dem Hebräischen übersetzt. Von einem König in Siegeslaune erwartet man, dass er die Nöte im Volk hört. Höchste Hoffnungen decken Jesus zu, so wie die ausgebreiteten Kleider seinen Weg bedecken.

Von „Hosianna“ zu „Kreuzige ihn!“

Die großen Erwartungen werden schon fünf Tage später enttäuscht. Der da kommt, ist nicht so, wie die Leute glauben. Das „Hosianna – hilf doch!“ schlägt um in die Forderung: „Kreuzige ihn!“ Der triumphale Einzug in Jerusalem führt zum tödlichen Ausgang auf Golgatha. Die Geschichte vom Palmsonntag hat in erzähleri­sche Form gekleidet, was Jahrzehnte später ein Autor des Neuen Testaments mit ganz anderen Worten ausdrückt: Die Erfahrung, dass mit dem christlichen Leben von Anfang an Konflikte und Widersprüche verbunden sind. Nichts kann einen Christen davor bewahren, zu zweifeln, in existenzielle Krisen zu geraten oder zu leiden.

Maria schreibt uns?

Wer der Mensch ist, der den Predigttext für den heutigen Palmsonntag aus dem Hebräerbrief geschrieben hat, wissen wir nicht. Als Verfasser waren im Lauf der Geschichte ganz unterschiedliche Persönlichkeiten im Verdacht: vom Apostel Paulus bis hin zu Maria. Das wäre was: Die Mutter Jesu schreibt uns! Leider vermutlich eher nicht. Aber die Frage, die den Hebräerbrief beschäftigt, bewegt Christen bei Maria und Paulus angefangen bis heute: Wie trägt uns unser Glaube an Jesus Christus? In den Hoch-Zeiten, in denen man vor Freude Palmenzweige schwenken möchte.

Was ist mein Glaube wert?

Aber auch und vor allem, wenn uns nichts als Widerspruch entgegenschlägt. Wenn wir uns in Fehler verstricken. Wenn wir matt werden und uns der Mut sinkt. Wenn wir leiden. Was ist unser Glaube dann wert? Der Verfasser des Hebräerbriefs versucht eine Antwort. Sie ist sehr verdichtet und fällt ein bisschen hochtrabend aus. Aber sie enthält ein große Portion Mut zum Leben. Ich lese aus dem Hebräerbrief im 12. Kapitel:

„Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ (Hebräer 12, 1-3)

Die Wolke von Zeugen

Wie trägt uns unser Glaube? Eine Antwort des Hebräerbriefs: Durch die Wolke von Zeugen. Das ist keine wolkige Formulierung. In dem Kapitel vor unserem Text werden im Hebräerbrief konkret benannt, wer damit gemeint ist: Menschen, die schon in früheren Zeiten an Gott geglaubt haben. Die für ihren Glauben leiden mussten, dabei von Gott getragen wurden.

Ganoven, Könige und Propheten

Abraham und Sara, die über ihrer vergeblichen Hoffnung auf Kinder alt geworden sind und dann doch einen Sohn bekommen. Jakob, der Ganove, der seinem Zwillingsbruder Esau den Segen des Erstgeborenen klaut. (Passend zum Wortwechsel: „Sollen wir brüderlich teilen? – Ne, lieber gerecht!“) Doch am Ende erleben die Brüder Versöhnung. Wer Geschwisterzwist kennt, weiß: Das ist ein Wunder für sich. Der Hebräerbrief erinnert an Mose und die ewig nörgelnden Israeliten in der Wüste. Er nennt Könige und Propheten.

Löwen den Rachen gestopft

Sie alle haben in ihrem Glauben an Gott durchgehalten. Zitat:

„Diese haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen erlangt, Löwen den Rachen gestopft. (…) Sie sind gesteinigt, zersägt, durchs Schwert getötet worden. (…) Sie haben Mangel, Bedrängnis, Misshandlung erduldet. Sie, deren die Welt nicht wert war, sind umhergeirrt in Wüsten und auf Bergen. Diese alle haben durch den Glauben Gottes Zeugnis empfangen.“ (Aus Hebräer 12)

Wow, was für eine Wolke!

Wow, was für eine Wolke von Zeugen! Sie alle waren nicht perfekt. Sie waren keine Übermenschen. Erfolg ist nicht das Kriterium, sondern allein ihr Vertrauen auf Gott. Sie alle, mit ihren guten und ihren schwachen Seiten, mit dem was ihnen gelungen und misslungen ist, sind Väter und Mütter des Glaubens. Darum auch wir: Wir haben diese Wolke von Zeugen um uns. Das ist entlastend. Gerade weil wir alle, wie wir hier sind, in einen größeren Zusammenhang hineingehören, sind wir so frei, ein jeder und eine jede von uns, den eigenen Lebens- und Glaubensweg zu gehen.

Wolke - Himmelsbotin

Niemand steht unter dem Druck, religiöse Pioniertaten vollbrin­gen zu müssen. Jeder und jede von uns ist unverzichtbar für die Geschichte des Glau­bens, aber von keinem allein hängt sie entschei­dend ab. „Wolke“ beschreibt die Sache des Glaubens sehr gut: Eine Wolke ist nicht greifbar oder anzufassen, aber doch da und eine Botin des Himmels, zu dem wir unterwegs sind. Als Wolkensäule ist sie in der Bibel Zeichen für die Nähe Gottes auf unserer Wanderschaft durchs Leben.

Dreikönigs-Wolke

Die Wolke von Zeugen ist um uns hier in der Dreikönigskirche, auf dem Berg, in Süd. Die Wolke derer, die im Mittelalter diesen Platz am Main für ein Gotteshaus gewählt haben, als eine Spitalskapelle, also ein heilsamer Ort für Kranke. Die Wolke derer, die sich in bedrängten Zeiten zu dem Glauben an den Gott Israels, den Vater Jesu Christi bekannt haben. „Sie, deren die Welt nicht wert war…“ Die Wolke derer in Dreikönig, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten ermordet wurden, deren Namen auf einem Leinenband in der Gedenkvitrine eingestickt sind.

Ganz persönliche Wolke

Liebe Schwestern und Brüder, Sie haben jede und jeder Ihre ganz persönliche Wolke von Zeugen um sich. Wer gehört zu Ihrer Wolke? Großeltern oder Eltern, die mit ihrem Glaubens- und Lebenszeugnis prägend für Sie waren. Andere haben unabhängig von ihrem Elternhaus einen Zugang zu christlichem Glauben gefunden: Die eine in einer kleinen, aber bekenntnisstarken Kirche zur Zeit der DDR. Ein anderer durch enthusiastische Gemeindeerfahrung bei einem Amerika-Aufenthalt. Eine dritte sucht in einer Lebenskrise neu ihre Verbindung zu Gott.

Zeuge und Zeugin füreinander

Zeuge und Zeugin sind wir auch füreinander. So wie wir hier versammelt sind, ob Sie regelmäßig hier sind oder gelegentlich, ob die Verbindung unter uns lange vertraut oder punktuell ist. So erlebe ich die Dreikönigsgemeinde: Als Gemeinschaft von Menschen, die versuchen, aus ihrem Glauben heraus füreinander und für andere da zu sein. Menschen, die sich einsetzen und sich damit auch manchem Widerspruch aussetzen. Das kennt jede und jeder, der sich engagiert oder über christlichen Glauben spricht, auch wenn das manchen weltfremd erscheint.

Sünde

Alle Menschen, die als Wolke von Zeugen um uns sind, taugen nicht dazu, sie zu heroisieren. Kaum jemand ist darunter, der nicht einmal gezweifelt, gehadert und große Fehler gemacht hätte. Das sagt der Hebräerbrief auch von uns: Wir sind ständig von Sünde umstrickt. Sünde ist an erster Stelle keine moralische Verfehlung. Sünde kommt von „Sund“: Der Abgrund in uns, der sich auftut, wenn wir uns himmelweit von Gott entfernen durch das was, wir denken und sagen, durch das Falsche, das wir tun, und das Gute, das wir unterlassen.

Das Kreuz ist die Brücke

Diesen Abgrund hat Gott überwunden. Er hebt auf, was uns von ihm trennt. Das Kreuz Jesu ist die Brücke über den Sund der Sünde hin zu Gott. Mit den Worten des Hebräerbriefs: Jesus Christus hat unser Kreuz getragen und den Widerspruch der Sünde erduldet. Jesus, der Anfänger und Vollender des Glaubens. Er hat ausgehalten, wo andere fliehen. Er hat Leiden auf sich genommen, wo andere erwarten, dass das Leben nur aus Freude besteht.

Glaube in Passionszeiten

Was ist unser Glaube in den Passionszeiten unseres Lebens wert? Der Hebräerbrief verdichtet die Antwort: Jesus selbst hat gelitten bis zum Tod am Kreuz. Auf ihn können wir schauen, damit uns der Mut nicht sinkt. Seine Geduld, sein Durchhalten und Festhalten an Gott hat uns den Weg durch Leiden und Tod hindurch geöffnet. So können wir Gott festhalten, packen, wenn wir ihn brauchen. Glaube trägt, bis wir zu neuem Leben in die pure Freude des Ostermorgens hinein auferstehen. Für mich beschreiben das Worte eines Liedes, das in meine Wolke von Zeugen gehört:

„Ich traue Gott, was soll ich sorgen?
Er sagt, er habe auf mich Acht.
Ich bin in seinem Schutz geborgen.
Mein Schicksal ist mir zugedacht.

Und wenn einmal die Schatten fallen und find ich keinen sichern Stand,
so weiß ich doch, ich bin mit allen, die leiden, fest in seiner Hand.
So will ich bis ans Ende wandern, bis ich die offne Türe find.
Der Tisch lädt ein, mich und die andern, die dort mit mir zu Hause sind.“

Amen.

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