Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 1. Sonntag nach Epiphanias Jesaja 42, 1-9

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'Nectarine ripened fruit', 2008, jjron

1. Sonntag nach Epiphanias

Jesaja 42, 1-9


Gedanken von Pfarrer Martin Vorländer 12. Januar in der Dreikönigskirche

Liebe Gemeinde!

Erfolg und Frucht

Martin Schmidt, der in der Zeit des Nationalsozialismus Pfarrer an der Dreikönigskirche war, hatte eine feinsinnige Art, ein biblisches Menschenbild zu predigen, das fundamental der Barbarei der Nationalsozialisten widersprach.

Als er frisch gewählt war, schrieb er seiner neuen Gemeinde, der Dreikönigsgemeinde:

„Der Mensch auf Erden lebt im, mit und unter den Dingen (…). Sind wir Herren über die Dinge oder sind wir trotz der Berufung zur Gemeinde des lebendigen Christus Knechte der Dinge? (…) Die in den Dingen Gebundenen verwechseln Erfolg mit Frucht (…) Nach Erfolg wird gejagt (…) Auf Frucht wird gewartet.“

Nach welchem Bild richten wir uns aus?

Die Nazis damals wollten mit aller Gewalt den Kraft- und Herrenmenschen schmieden, der Erfolg hat und sich ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzt. Der biblische Mensch, von dem Pfarrer Schmidt sprach, tut sich nicht hervor durch brachiale Stärke, sondern kann wachsen lassen. Er wartet auf Frucht und bringt Frucht.

Das ist ein feiner, doch fundamentaler Unterschied im Menschenbild. Ich finde es eine wichtige Frage für uns noch am Anfang eines neuen Jahres: Nach welchem Bild von uns selbst und von den anderen um uns herum richten wir uns aus? Welchem Menschenbild folgen wir in unserer Gesellschaft? Einem, das Erfolg will um jeden Preis, oder einem, das jeden Einzelnen wachsen und Frucht bringen lässt.

'Prophet Isaiah', first quarter of XVIII cen. , 18 century icon painter

Der Mensch, an dem Gott Wohlgefallen hat

Der Predigttext für den heutigen 1. Sonntag nach Epiphanias stellt das Bild des Menschen vor, wie Gott ihn meint, an dem Gott Wohlgefallen hat. Das Prophetenbuch Jesaja verheißt den so genannten Knecht Gottes, dem Gott seinen Geist gibt und ihn in seinem Auftrag in die Welt schickt.

Die Figur dieses Gottesknechtes steht in heilsamen Kontrast zu der sonst oft herrschenden Schau von Leistungen und Erfolgen. Im heilsamen Kontrast zu der Forderung, dass man sich behaupten und durchsetzen muss. Der von Gott auserwählte Gottesknecht bringt behutsam, still und beharrlich das Licht in die Welt und das Recht auf Erden.

Ich lese aus dem Prophetenbuch Jesaja im 42. Kapitel. Sie finden den Bibeltext auf der Rückseite des Gottesdienstblattes.

„Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

So spricht Gott, der HERR, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Odem gibt und den Geist denen, die auf ihr gehen: Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden,

dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.

Ich, der HERR, das ist mein Name, ich will meine Ehre keinem andern geben noch meinen Ruhm den Götzen. Siehe, was ich früher verkündigt habe, ist gekommen. So verkündige ich auch Neues; ehe denn es aufgeht, lasse ich's euch hören.“ (Jesaja 42, 1-9)

'Reed', 2008, Dori

Wer ist das? Kyros, Israel, Christus?

Wer ist dieser Gottesknecht? Manche meinen, in der Zeit damals gut 500 Jahre vor Christus wäre mit dem Gottesknecht der Perserkönig Kyros gemeint gewesen. Der war der Hoffnungsträger für Israel, das von Babylon erobert worden war. Im Perserkönig Kyros sah man den Befreier, der Babylon besiegt. Persien, der heutige Iran, und Babylon, 90 Kilometer südlich des heutigen Bagdad waren schon damals von Großmächten heiß umkämpfte Gebiete.

Andere Ausleger identifizieren den von Gott auserwählten Gottesknecht mit dem Volk Israel selbst. Die ersten Christen wiederum haben den Gottesknecht als die Prophezeiung von Jesus, dem Messias, dem Christus verstanden. Jesus, der auserwählte Mensch Gottes, der Gottes Licht und Gottes Recht in die Welt trägt, zu allen Inseln, zu allen Völkern.

Wie ist er?

Fast noch wichtiger als die Frage „wer ist das?“ ist die Frage: Wie ist der, an dem Gott Wohlgefallen hat? Er ist nicht der Siegertyp, der mit großem Getöse Einzug hält und den Triumph über Gottes Feinde feiert. Drei Eigenschaften des Gottesknechtes nennt das Prophetenbuch Jesaja.

Erstes Merkmal: Nicht schreiend

Das erste Merkmal dessen, dem Gott seinen Geist geschenkt hat, ist sein dezentes Auftreten. Er ist kein Volkstribun, der mit plakativen Parolen die Massen in Bann zieht.

„Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen“,

sagt der Prophet. Der Gottesknecht ist gleichsam ein Feind akustischer Umweltverschmutzung.

Er weiß, dass Leben ohne Stille taub wird. Er hat Ohren auch für das Verschwiegene. Mit leisen Tönen trifft er den Nerv der Menschen. Von ihm kann man lernen, dass sich die Qualität echter Kommunikation nicht nach Frequenz und Lautstärke bemisst, sondern daran, ob das ausgesprochen wird, was an der Zeit ist.

Mit diesem Bild vom Gottes Knecht vor Augen kann jede und jeder sich selber fragen: Welche Anliegen verfolge ich mit dem, was ich sage oder nicht sage? Wozu und wem helfen meine Worte? Was richte ich verbal an? (Das predige ich an erster Stelle mir selbst, der ich mitunter der Devise verfalle „Ich mache Krach, also bin ich“)

Zweites Merkmal: nicht zerbrechen, nicht auslöschen

Die zweite vorbildhafte Eigenschaft des Gottesknechts ist seine Sympathie, sein Mitleiden mit denen, die am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen sind.

'Harrowing of Hell, 15th century English alabaster relief with traces of poychrome and gilding, Honolulu Museum of Art', 2011, Hiart

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“

Das unterscheidet die Vernunft des Gottesknechts von einer weltlichen Rationalität, die sich allein an Erfolg orientiert. Das „geknickte Rohr“, der niedergedrückte, gebrochene Mensch, der nicht mehr aufrecht seinen Weg gehen kann, ist für den Gottesknecht eben kein lästiger Versorgungsfall, sondern kostbares Leben, das es zu schützen gilt.

Menschlichkeit, meine eigene und die einer Gesellschaft ist an der Fähigkeit abzulesen, Hoffnungslosigkeit zu überwinden. Eben nicht: „Die oder der bringt es nicht mehr – weg mit ihm, der Nächste bitte!“ Erst hochjubeln und nach der ersten Enttäuschung niedermachen.

Es ist leicht, das geknickte Rohr niederzutreten und den glimmenden Docht auszulöschen. Ein weit größere Stärke ist zu wissen, dass wir alle unsere großen Zeiten haben, aber eben auch geknickt sein können, wie ausgelöscht, freudlos, verzagt, ohne Perspektive, wie es anders, besser werden soll.

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“

Da verkörpert einer die Mitleidensfähigkeit Gottes. Wenn man verzweifelt ist, ist das schon unendlich viel: Dass nicht auch noch zerbrochen wird, was schon geknickt ist. Dass nicht ausgelöscht wird, was nur noch ganz schwach glimmt.

Drittes Merkmal: Er richtet das Recht auf

Das dritte Merkmal des Gottesknechts ist so maßgeblich, dass es mehrfach vom Propheten betont wird: Der Gottesknecht richtet das Recht auf. Die biblische Hoffnung ist höchst realistisch. Ohne verbindliches Recht ist Zusammenleben auf Dauer nicht möglich. Ohne Recht dominiert Willkür. Und darunter haben stets diejenigen am meisten zu leiden, die sich nicht zu Wort melden können.

Unter dem Recht, das der Gottesknecht auf Erden aufrichten soll, ist allerdings nicht nur verlässliche Gesetzgebung und Rechtsprechung zu verstehen. Es geht um wesentlich mehr. Es geht um ein Recht, das – wie es im Prophetenbuch Jesaja heißt – die Augen der Blinden öffnen und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen kann.

Nicht nur detaillierte Gesetze für alles und jedes – und trotzdem das Gefühl von Ungerechtigkeit. Sondern ein Recht, das die Erde mit Gerechtigkeit erfüllt. Ein Recht also, das, wie man ehrlicherweise zugeben muss, die Möglichkeiten weltlicher Gesetzgeber erheblich übersteigt. Aber als Horizont menschlicher Bemühungen um Recht und Gerechtigkeit ist es eine gute Orientierung und ein heilsames Korrektiv.

„Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus.“

Ich wünsche uns, dass wir solche Treue erfahren. Und dass wir nach unsere Möglichkeiten so wirken können: Das geknickte Rohr nicht zerbrechen. Den glimmenden Docht nicht auslöschen. Etwas von Gottes Gerechtigkeit in die Welt hinaus tragen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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Das Relief 'Harrowing of Hell, 15th century English alabaster relief with traces of poychrome and gilding, Honolulu Museum of Art', 2011, Hiart, wird unter der Creative Commons CC0 1.0 Verzicht auf das Copyright zur Verfügung gestellt.

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