Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 22. Sonntag nach Trinitatis - Micha 6, 6-8 „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“

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'Skyline Frankfurt am Main', 2006, Nicolas Scheuer

22. Sonntag nach Trinitatis

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“ Micha 6, 6-8


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 27. Oktober 2013 in der Dreikönigskirche

Liebe Gemeinde!

Unrecht, Lug und Trug

Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander. Die Reichen bereichern sich auf Kosten der Armen. Die Immobilienpreise steigen ins Astronomische, so dass nur noch Millionäre das Land besitzen und den anderen allen Raum zum Leben nehmen. Kleine Bauern und Handwerker gehen in den Ruin.

Dazu kommen Wucher und ein ungerechtes Finanzsystem. Die Oberschicht lebt im Luxus. Die Unterschicht verarmt und erfährt keine Gerechtigkeit, auch wenn sie ihre Rechte einklagt. Der Regierung kann man kein Wort glauben. Es herrschen Lug und Trug in der Hauptstadt.

Selbst die Geistlichen stehen nicht mehr für Wahrheit. Sie übertönen das soziale Unrecht mit frommen Gesängen. Sie ziehen sich lieber in ihre prächtigen Gotteshäuser zurück und zelebrieren mit viel Hokuspokus ihre Gottesdienste, anstatt sich um die Nöte der Menschen zu kümmern.

Gesellschaftsanalyse aus dem 8. Jahrhundert v. Chr.

'Der Prophet Micha', 
					1426-1432, Hubert van Eyck

Tief Luft holen, liebe Gemeinde: Das ist keine Gesellschaftsanalyse von heute, auch wenn sie erschreckend danach klingt. Das sind Missstände, die der Prophet Micha im 8. Jahrhundert vor Christus anprangert. Man kann sich der Wucht seiner Worte schwer entziehen.

Micha nimmt kein Blatt vor den Mund. Er hat sich vor 2800 Jahren wenig Freunde mit seiner Botschaft gemacht, dass es im Unheil endet, wenn die Gesellschaft so weitermacht wie bisher. Er ist ein scharfsichtiger und scharfzüngiger Sozialkritiker. Mehr als das.

Wurzel des Übels

Er führt seinen Zeitgenossen nicht nur die Symptome eines aus der Balance geratenen Gemeinwesens vor. Er sucht nach der Wurzel des Übels. Welche Werte sind verrutscht, wenn sich Reiche und Religiöse in ihrem Wohlstand einlullen und das Elend der anderen gar nicht mehr sehen?

Wie kann man im Tempel zu Jerusalem großspurig Gottesdienst feiern und spektakuläre Brandopfer darbringen, wenn draußen mit unrechten Waagen und falschen Gewichten Geschäft gemacht wird und jeder zum Schaden anderer nur auf Bereicherung aus ist? Das geht nicht zusammen.

Es ist dir gesagt, Mensch

Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem Prophetenbuch Micha im 6. Kapitel. Sie finden ihn zum Mitlesen auf der Rückseite Ihres Gottesdienstblattes.

„Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?“ Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Micha 6, 6-8)

Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

'Offering Up a Burnt Sacrifice to God', 1897, Charles Foster

Prophetische Polemik

Micha spitzt polemisch zu. Er äfft die Priesterschaft am Tempel geradezu nach: „Wir beugen doch ständig die Knie vor Gott! Wir bringen Gott doch schnuckelige einjährige Kälbchen zum Opfer dar und sparen nicht an Widdern. Wir lassen für Gott Öl in Strömen fließen.“

Micha geht noch weiter: Selbst wenn ihr den eigenen Sohn, die eigene Tochter Gott opfern würdet, würde euch das nicht einen Deut besser machen. Da stockt einem der Atem. Bis zum Anschlag spannt der Propheten den Bogen, mit dem er seine Worte wie Pfeile schießt. Äußerlichkeiten helfen nicht

'Offering to Molech', 1897, Charles Foster

Micha führt drastisch vor Augen: Äußerlichkeiten helfen euch nichts. Eure Gottesdienste bleiben leere Worte, eure Opfer leere Handlungen, wenn ihr euch nicht selbst und euer Verhalten ändert. Umkehr, einen Weg aus dem Übel gibt es nur, wenn ihr bei euch selbst anfangt.

„Ja, ja, du hast ja Recht. Ich will mich ändern. Ich fange morgen damit an – oder übermorgen, da passt es besser.“ Solche Sätze bleiben Lippenbekenntnisse und Ausflüchte vor mir selbst, wenn ich nicht tief im Herzen merke: So geht’s nicht weiter. Es geht, aber es geht nicht gut. Eine Änderung zum Besseren kommt in Gang, wenn ich mich darauf besinne, was im Argen liegt und woran ich mich ausrichten kann, um einen neuen Anfang zu machen.

Menschenskind!

Micha erinnert seine Zeitgenossen und schreibt es ihnen in Herz und Hirn: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Menschenskind, eigentlich weißt du es ja selbst! Micha appelliert an das, was seinen Hörern nicht fremd, vielmehr vertraut ist.

Es ist ein Dreiklang, den er aufruft: Gottes Wort halten – Liebe üben – demütig sein vor deinem Gott. Der Grundton: Gottes Wort halten. In der rabbinischen Auslegung dieser Worte wird das bezogen auf die 613 Gebote im Judentum. Es sind 365 Verbote und 248 Gebote. 365 – so viele, wie das Jahr Tage hat.

Von innen heraus

248 – so viele Glieder hat der Mensch in der talmudischen Körpersymbolik. Gottes Wort halten ist demnach kein bloßes Befolgen von Befehlen, das gedankenlos und äußerlich bleibt wie die Verrenkungen einer Marionette, die sich nur bewegt, wenn man an den Fäden zieht. Gottes Wort halten kommt von innen heraus.

Wie geht das? Wir tun es gerade, indem wir uns auf die Bibel besinnen, die - so Gott will - zu Gottes Wort für uns wird. Wir tun es, indem wir beten und damit in ein Zwiegespräch mit Gott eintreten. Damit bleiben wir im Haus unseres Lebens nicht allein. Wir öffnen die Sinne für Gottes Einfälle bei unseren Entscheidungen, Gedanken und Sorgen.

Gottes Wort halten hat dann keinen zwingenden Charakter à la „ich muss, ich darf nicht.“ Es ist eine innere Wohltat, wenn ich aus einer Schieflage heraus wieder zu Stimmigkeit finde. Stimmigkeit zwischen mir und meinem Gott: Das kann ich nicht, weil es dem zuwiderläuft, was gut ist. Das kann ich, weil es stimmt und gut ist.

Lebensfreude wird uns damit geschenkt – so, wie es Martin Luther herzerfrischend sagt: „Wer mit Traurigkeit, Verzweiflung oder anderm Herzeleid geplagt wird und einen Wurm im Gewissen hat, derselbige halte sich erstlich an den Trost des göttlichen Worts, darnach so esse und trinke er und trachte nach Gesellschaft und Gespräch gottseliger und christlicher Leute, so wird's besser mit ihm werden.“ Wir sind also in bester Gesellschaft!

'The good Samaritan heals the traveller', 1665, Geheugen van Nederland

Liebe üben

Liebe üben, die Terz im Dreiklang des Propheten Micha. Liebe üben hat im Alten und Neuen Testament nichts damit zu tun, dass ich den anderen mögen muss. Liebe üben ist Mitmenschlichkeit. In Jesu Erzählung vom barmherzigen Samariter erfahren wir nicht, ob der Samariter den Verletzten im Straßengraben sympathisch fand.

Aber er hat aus Sympathie gehandelt, das bedeutet: aus Mit-Leiden heraus. Er hat den, der unter die Räuber fiel, nicht links liegen gelassen, sondern seine Wunden verbunden und ihn in eine Herberge gebracht, wo der Verletzte weiter versorgt werden konnte.

Liebe üben heißt nicht Selbstaufopferung. Der Samariter gab dem Wirt Geld und sagte: Pflege ihn, bis ich wiederkomme. Und ging dann erst einmal den Dingen nach, die er zu tun hatte. Das Verhalten des barmherzigen Samariters nennt Jesus Nächstenliebe. Ich muss nicht alle meine Nächsten mögen. Aber Liebe üben, Mitmenschlichkeit zeigen und danach handeln, das kann ich.

Demütig sein vor deinem Gott

Der letzte Ton des Dreiklangs, sozusagen die Quinte: Demütig sein vor deinem Gott. Die Demut hat schon verschiedene Moden mitgemacht. Sie war mal in, mal absolut out. Es gibt den Spruch in Poesiealben: „Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“

Das bekam man schon als Kind ins Stammbuch geschrieben: Immer schön bescheiden, nur nicht auffallen wollen, am besten kümmerlich und geduckt wie eine graue Kirchenmaus das Dasein fristen – das sei moralisch lobenswert. Kümmerlich und verkrümmt ist keine Lebenshaltung, die Gott den Menschen zugedacht hat. Die Bibel ist durchzogen von Geschichten, wie Gott Menschen aufrichtet.

Man kann mindestens von zwei Seiten vom Tisch herunterfallen. Heute scheinen besonders auftrumpfende Qualitäten gefragt: sich darstellen können, im Mittelpunkt stehen bis hin zu der gespielten Demut: „Ich wollte nie ein Star werden. Man hat mich gebeten, hier aufzutreten.“

'Wildes Veilchen', 2010, 4028mdk09

Mut zum Dienen

Demütig ist weder das Veilchen noch die Rose, weder missverstandene Bescheidenheit noch von Bewunderung abhängiger Stolz. Demut meint Mut zum Dienen. Ich brauche Mut, ich muss mir ein Herz fassen, wenn ich für andere da sein will. Es kostet Kraft, mich auf die Situation eines anderen Menschen einzulassen.

Demut mutet mir zu, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung schließt die Möglichkeit ein, dass ich Fehler mache, schuldig werde, auch wenn meine Absichten gut sind. Wer sich einsetzt, setzt sich aus. Wer Mut zum Dienen zeigt, wird auch Widerspruch ernten und Rückschläge hinnehmen müssen. Verantwortung für andere, für den Partner oder die Partnerin, für Kinder, für die eigenen Eltern, Freunde, für Kolleginnen und Mitarbeiter, für den Nächsten – das fordert Mut zum Dienen.

Dreiklang für eine Symphonie des Lebens

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“

So steht der Dreiklang des Propheten Micha im Raum. Es dürfen noch viele Töne und Rhythmus dazukommen, damit Musik daraus wird. Eine Symphonie des Lebens. Dazu helfe uns Gott. Amen.

Die Photographie 'Skyline Frankfurt am Main', 2006, Nicolas Scheuer, ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert.
Das Altarbild 'Der Prophet Micha', 1426-1432, Hubert van Eyck (Genter Altar, Altar des Mystischen Lammes, rechter Außenflügel, äußere Lünettenszene: Der Prophet Micha), ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.)
Das Bild 'Offering Up a Burnt Sacrifice to God', 1897, Charles Foster, ist gemeinfrei in den Vereinigten Staaten. Dies gilt für US-amerikanische Werke, deren Urheberrecht erloschen ist, üblicherweise, weil ihre Erstveröffentlichung vor dem 1. Januar 1923 liegt.
Die Abbildung 'Offering to Molech', 1897, Charles Foster, ist gemeinfrei in den Vereinigten Staaten. Dies gilt für US-amerikanische Werke, deren Urheberrecht erloschen ist, üblicherweise, weil ihre Erstveröffentlichung vor dem 1. Januar 1923 liegt.
Das Gemälde 'The good Samaritan heals the traveller', 1665, Geheugen van Nederland, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Die Photographie 'Wildes Veilchen', 2010, 4028mdk09, ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported lizenziert.

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