Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 12. Sonntag nach Trinitatis - Lebenssätze. Die Zehn Gebote Ex_20,_1-17

« Predigten Home

'Les tables de la Loi*, vitrail de synagogue, Alsace, fin du 19e siècle, Musée alsacien de Strasbourg.', 2011, Ji-Elle

12. Sonntag nach Trinitatis

Lebenssätze. Die Zehn Gebote Ex 20, 1-17


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 18. August 2013 in der Bergkirche Frankfurt a. M.

Und Gott redete alle diese Worte:
Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.
Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist:
Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen,
aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest.
Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.
Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.
Du sollst nicht töten.
Du sollst nicht ehebrechen.
Du sollst nicht stehlen.
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat. Ex 20, 1-17

Liebe Gemeinde!

'Kleinmarkthalle Frankfurt, Gemüsestand', 2007, EvaK

Lebensmittel

Schlendern Sie mit mir gedanklich über einen Wochenmarkt, zum Beispiel über den am Südbahnhof oder durch die Stände in der Kleinmarkthalle. Eine Fülle von Wohlgerüchen lässt die Nasenflügel sich weiten: Der Duft von Tomaten, Äpfeln oder von einer saftig-heiß geräucherten Frankfurter Rindswurst Gref-Völsing. Dazu die frischen Farben, die eine Augenweide sind: knackiges Salatgrün, elegant-dunkles Aubergine, leuchtendes Karotten-Orange, die Grüntöne der sieben Kräuter für „Grie Soß“ Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch.

Lebenssätze

So duftend, kräftig, farbenfroh können die Mittel sein, die wir zum Leben brauchen. Zutaten für ein gutes Leben stellt der heutige Predigttext vor Augen. Sie kennen ihn alle. Die Konfirmanden müssen ihn auswendig lernen. Die Zehn Gebote. Oft missverstanden als ein moralinsaurer Katalog des Unerlaubten. Hören wir die Zehn Gebote heute als Lebenssätze, die verlocken, nachzudenken und anders zu handeln.

Ich lese aus dem 2. Buch Mose im 20. Kapitel, 1-17
Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

„Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt hat.“

Das ist die Präambel der Zehn Gebote. Die Überschrift, unter der alles Weitere steht. So höflich begegnet uns Gott: „Darf ich mich vorstellen? Ich bin der Herr, dein Gott“. Auf Gottes Visitenkarte steht die Freiheit groß geschrieben: „Ich habe dich aus der Knechtschaft geführt.“ Alles, was dann folgt, dient dazu, dass wir nicht wieder in Knechtschaft geraten, uns nicht abhängig machen und nicht machen lassen - auch andere nicht in seelische oder körperliche Sklaverei führen.

Du sollst nicht – du wirst nicht

„Du sollst nicht“, das ist die wiederkehrende Formulierung. Aus dem Hebräischen übersetzt bedeutet sie eigentlich: „Du wirst nicht“. Wenn ich jemanden schätze, erst recht wenn ich jemanden liebe, dann werde ich von alleine nichts tun, was den anderen kränkt oder verletzt. Und ich traue anderen zu, dass sie aus sich heraus, dem anderen zuliebe Freude daran haben, das Richtige zu tun.

Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Das könnte eifersüchtig klingen. Aber es befreit. Nichts und niemanden zum Gott machen. Sich von keiner Macht dieser Welt im Kleinen oder Großen Angst machen lassen. Die Mächte und die Mächtigen dieser Welt können viel tun. Aber sie haben keine letzte Macht über mich. Es wirkt auch befreiend, andere nicht zu vergöttern: Der Partner, die Partnerin, die Kinder, Menschen, die man als Vorbild sehr bewundert – sie sind nicht Gott. Sie sind nicht dazu da, einen zu erlösen von allen Übeln und Schwierigkeiten. Wer an Gott glaubt und sich von ihm ewige Zuwendung erhofft, kann seinen Mann, seine Frau, seine Kinder entlasten vom Terror der totalen Verantwortung für das ganze eigene und gemeinsame Leben.

'Jhwh soderhamn', 2009, Ulca08

Du wirst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen.

Der Gottesname JHWH bedeutet „ich bin, der ich bin“ oder auch „ich werde sein, der ich sein werde“. Das ist eine Zusage und zugleich die Warnung davor, Gott festlegen zu wollen. Gott ist dynamisch da, an unserer Seite, nicht nur heute, sondern auch in Zukunft. Wir können seinen Namen nicht im Mund führen wie eine Waffe, nicht als Legitimation für unsere eigenen Anliegen oder im Irrglauben, wir könnten über Gott verfügen. In Gottes Namen lassen sich keine Kanonen segnen. Wo Menschen es trotzdem getan haben, führte es ins Unheil.

Jüdinnen und Juden gehen so achtsam mit diesem Gebot um, dass sie den Namen Gottes „JHWH“ nicht aussprechen, stattdessen „Adonaj“, „mein Herr“ sagen. Unter den vier Buchstaben des Gottesnamen JHWH stehen im Hebräischen die Vokalzeichen für „Adonaj“. Dadurch kam es in Europa zu der irrtümlichen Aussprache „Jehova“.

Den Namen nicht missbrauchen. Heilsam auch zwischen Mensch und Mensch. Es gibt viele gehässige Namen, mit denen man andere belegt auf dem Schulhof, hinter vorgehaltener Hand, hinter ihrem Rücken oder im Streit ungehemmt dem anderen ins Gesicht geschleudert. Wie sehr es verletzt, mit hässlichen Worten angesprochen zu werden, weiß jeder von uns. Du wirst nicht den Namen missbrauchen…

Du wirst den Feiertag heiligen.

Nach jüdischer Zählung ist der siebte Tag der Woche der Samstag, der Schabbat. An ihm ruhte Gott. Wenn der Allmächtige einen Tag ruht, dann müssen wir nicht pausenlos durchwerkeln, online sein, nur mal schnell 148.713 Mails checken in dem Allmachtswahn, wir würden die Welt retten. Die dreht sich weiter, auch wenn wir einen Tag in der Woche Ruhe geben, mal nicht tätig, sondern müßig sind.

Der Sonntag, unser christlicher Feiertag, ist der erste Tag der neuen Woche. Der Tag, an dem Jesus von den Toten auferstanden ist. Die Woche beginnt nicht mit Anforderung, sondern mit Auferstehung, nicht mit Leistung, sondern mit dem Geschenk neuen Lebens.

'Alek Rapoport. Anastasis-1, 1996

Du wirst Vater und Mutter ehren.

Oft missverstanden als Erziehungsmittel für Eltern, die ihren minderjährigen Kindern Gehorsam einbläuen wollen. In der Bibel ist damit jedoch die Achtung von erwachsenen Kindern gegenüber ihren alt gewordenen Eltern gemeint, wenn sich das Verhältnis umgedreht hat: Nicht mehr die Kinder, sondern die Eltern brauchen Hilfe und Pflege. Die Eltern ehren, auch wenn sie hinfällig, hilfsbedürftig geworden sind oder sich nach und nach geistig verabschieden. Das ist eine hohe Aufgabe und Herausforderung bis heute. Wer sie auf sich nimmt, trägt eine schwere Last - gewinnt aber eine unvergleichliche Tiefe und Nähe der Existenz.

Du wirst nicht töten.

Unmissverständlich. Kompromisslos ohne Wenn und Aber. Leben ist Gabe Gottes. Leben ist heilig. Wir Menschen sollen uns nicht aufschwingen zu Herr oder Herrin über Leben und Tod. Das ist und bleibt ein Stachel im Fleisch bei den nicht einfach zu lösenden Fragen nach Krieg und Frieden, bei der Frage nach lebensverlängernden Maßnahmen in der Medizin, assistiertem Suizid, bei Abtreibung, bei dem Hang, sich auf Kosten anderer zu entfalten, bei dem Aggressions- und Gewaltpotenzial in mir selbst. Du wirst nicht töten, ist wie ein tiefer kritischer Blick in den Spiegel. Martin Luther hat das Gebot im Kleinen Katechismus so gedeutet: dem Nächsten keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten.

'Michaeliskirche am Wendischen Kirchhof in Bautzen', 2009, Frank Vincentz

Du wirst nicht ehebrechen.

Jesus hat das Gebot in der Bergpredigt zugespitzt:

„Wer eine andere Frau ansieht und sie begehrt (und das gilt sicher beidseitig: wer einen anderen Mann ansieht und ihn begehrt), hat schon die Ehe mit ihr bzw. ihm gebrochen in seinem Herzen.“ (Matthäus 5, 27)

Hand aufs Herz: Wer kann da bestehen? Die Kirschen in Nachbars Garten sind süßer als die eigenen. Gegen Versuchungen hilft, Liebe, Leidenschaft, Zärtlichkeit zu pflegen. Man kann Abend für Abend erschöpft nebeneinander auf dem Sofa abschlaffen oder sich so in Arbeit und andere Projekte stürzen, dass der andere nichts mehr von einem hat. Das hat mitunter seine Zeit. Man kann sich aber auch Zeit und Aufmerksamkeit schenken, Zeit für Zärtlichkeit.

Du wirst nicht stehlen.

Der unmittelbare Sinn ist klar. Den Unterschied zwischen „mein“ und „dein“ müssen nicht nur Kinder und Jugendliche einüben. Martin Luther führt im Kleinen Katechismus das Gebot noch weiter aus: den anderen nicht mit falscher Ware oder Handel um sein Geld und Gut bringen. Klingt wie für eine Wirtschafts- und Finanzkrise gleich welcher Zeit geschrieben. Martin Luthers Deutung regt an, das Gebot auf verschiedene Lebensbereiche zu beziehen. Nicht stehlen – dem anderen gönnen können, was er oder sie hat an Begabungen und Gaben.

Auf Freundschaft, Ehe, Partnerschaft bezogen: Dem anderen nicht sein eigenes Leben stehlen. Es gibt sie und ihn nicht nur als Paar, sondern auch als eigenständige Persönlichkeit. Sie hat Freundinnen, er Hobbies – warum nicht? Es tut gut, sich für kurze Zeit voneinander zu trennen, um bereichert, erfüllt wieder zueinander zurückzukehren, sich zu erzählen und auszutauschen.

Du wirst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Das Gebot hat den Richterspruch am Tor der damaligen Dörfer und Städte vor Augen. Da man damals noch keine technische Spurensicherung wie im heutigen Tatort kannte, kam es auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen an. Aber auch jenseits vom Gericht hat das Gebot tiefe Bedeutung für das zwischenmenschliche Zusammenleben.

Man ist schnell bei der Hand, den anderen zu verdächtigen. Warum hat sie das so gesagt? Was führt er mit dieser Aktion im Schilde? Statt der Hermeneutik des Verdachts dreht Martin Luther in seiner Deutung des Gebots den Spieß um: Wir sollen unseren Nächsten an erster Stelle entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.

'Moses with the Ten Commandments', 1659, Rembrandt

Du wirst nicht begehren

Wir sollen nicht haben wollen, was dem anderen gehört. Seine Gaben, ihre Charismen, sein Erfolg, ihre Chancen – freuen wir uns darüber und werden wir nicht neidisch. Augustinus nannte den Vergleich eine Wurzel der Sünde. Vergleichen macht entweder hochmütig oder bitter, denn es wird immer jemanden geben, der mehr oder weniger als ich hat, den ich beneide oder verachte. Du wirst nicht begehren – das macht frei von dem Zwang des Vergleichens und lässt entdecken, was mir gegeben ist.

Gottes Zumutung

Die Zehn Gebote sind eine Zumutung. In der Bibel heißt es: Alles Volk wurde Zeuge von dem Donner und Blitz und dem Ton der Posaune und dem Rauchen des Berges Sinai. Und das Volk sagte zu Mose: Sprich du lieber mit Gott! Uns reicht es, wenn du uns übermittelst, was er sagt.

Eben mal so heruntergesagt, sind die Zehn Gebote bis heute nicht. Sie haben es in sich. So wie gute Lebensmittel: nicht labbrig, sondern knackig. In ihnen steckt die Gott geschenkte Freiheit zu entdecken, was für unser Leben wirklich wichtig und lebenserhaltend ist. Es ist menschlich, dass wir immer wieder an ihnen scheitern – und mit Gottes Hilfe hoffnungsvoll Wege aus dem Scheitern suchen.

Man kann sich an den Zehn Geboten reiben. Man kann und muss diskutieren, was sie für die je eigene Zeit konkret bedeuten. Sie bleiben wie in Stein gemeißelt wuchtig und eindrucksvoll in ihrer Klarheit und direkten Sprache: „Du wirst nicht!“ Amen.

Das Glasfenster 'Les tables de la Loi*, vitrail de synagogue, Alsace, fin du 19e siècle, Musée alsacien de Strasbourg.', 2011, Ji-Elle, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.
Die Photographie 'Kleinmarkthalle Frankfurt, Gemüsestand', 2007, EvaK, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.

Das Bild 'Jhwh soderhamn', 2009, Ulca0, wurde von seinem Urheber als gemeinfrei veröffentlicht. Dies gilt weltweit.
Die Abbildung 'Alek Rapoport. Anastasis-1, 1996, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Photographie 'Michaeliskirche am Wendischen Kirchhof in Bautzen', 2009, Frank Vincentz, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Das Gemälde 'Moses with the Ten Commandments', 1659, Rembrandt, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

^ Zum Seitenanfang