Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Pfingsten - Apostelgeschichte 2, 1-18 „Soviel Geist du brauchst“

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'Taube als Symbol des Heiligen Geistes', 2011, GFreihalter

Pfingsten

Soviel Geist du brauchst
Apostelgeschichte 2, 1-18


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 19. Mai 2013 in der Dreikönigskirche

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.
Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.“ Apostelgeschichte 2, 1-18

Liebe Gemeinde,

Predigt-Premiere

Sie sind soeben in der Lesung Zeuge der christlichen Predigt-Premiere geworden. Die Worte von Petrus damals an Pfingsten in Jerusalem sind die allererste Predigt, die im Namen von Jesus Christus gehalten wurde.
„Nein, wir sind nicht betrunken. Es ist der Heilige Geist, aus dem heraus wir sprechen, den schon die Propheten verheißen haben. Und der hat zu tun mit Jesus von Nazareth, den ihr habt kreuzigen lassen, den Gott auferweckt hat. Gott hat durch Jesus für uns die Schmerzen des Todes ein für alle Mal aufgelöst.“

Risiken und Nebenwirkungen

Denen, die die Predigt von Petrus hörten, ging sie durchs Herz. 3.000 Menschen taten Buße, ließen sich taufen und der Heilige Geist kam über sie. Die Apostelgeschichte überliefert:
„Sie waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte.“ (Apostelgeschichte 2, 44 f)
So wirkt er, der Heilige Geist. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Bibel und fragen Sie Ihren Pfarrer oder nächsten Christenmenschen.

'Pfingstrose', 2012, Belladonna2

Urchristlicher Kommunismus

Manche nennen diese Beschreibung der ersten Gemeinde den „urchristlichen Kommunismus“. Es ist ein Ideal, das hier geschildert ist. Wir brauchen solche hohen Ideale, um uns nicht mit dem Vorfindlichen abzufinden, sondern uns nach dem Ziel von heilvoller Gemeinschaft auszustrecken. Die Apostelgeschichte beschreibt die Geisteshaltung: Ich bin von Gott beschenkt und gebe davon weiter. Ich stehe in einem Segenskreis des Empfangens und Gebens. Gott lob ist diese Geisteshaltung nicht auf das Urchristentum beschränkt geblieben. Sie wurde in der Kirchengeschichte trotz ihrer Irrungen und Wirrungen immer wieder neu wach – bis heute.

Taube, Flammen, Pfingstrosen, Silber

Eine Wirkung, eine Gabe des Heiligen Geistes. Es gibt viele. Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes. Wie feiert man den Heiligen Geist? Weihnachten wird anschaulich durch die Krippe. Karfreitag und Ostern stehen mit Kreuz und dem Osterlicht der Auferstehung vor Augen. Pfingsten bleibt schwebend. Das liegt in der Natur des Heiligen Geistes, der weht, wo er will. In der christlichen Kunst gibt es verschiedene Darstellungen für den Heiligen Geist: als Taube, als Flammen vom Himmel, die sich auf die Köpfe der Apostel setzen. Blütenblätter von Pfingstrosen von der Empore herab als Zeichen der Liebe, die Gott mit seinem Heiligen Geist auf uns herabkommen lässt. Hier im Altarraum der Dreikönigskirche steht das silberne Gemälde der Künstlerin Petra Falk für den Heiligen Geist. Silber ist ein schillerndes Material und symbolisiert, dass Gott nicht fassbar ist.

Schillernde Rede vom Geist

Die Rede vom Geist ist schillernd. Wir sprechen von einem geistreichen Menschen, von Geistesgrößen wie Goethe oder Einstein. Wenn wir als Kinder herausfinden wollten, wie Parkettboden auf größere Wassermengen reagiert, oder fanden, dass die weiße Wohnzimmertapete ein bisschen Farbe vertragen kann, rief meine Großmutter entnervt:
„Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“
Jede und jeder von uns hat Geisteskraft. Vor unserem geistigen Auge können wir ganze Landschaften aufsteigen lassen, die Straßen unserer Kindheit, Stimmungen, Gedanken, Gerüche, Gefühle wach rufen. Wir tragen ein gewaltiges geistiges Reich in uns. Die Rede vom Geist meint nicht nur den Verstand. Sie beschreibt die weite Vorstellungswelt, die jeder von uns in sich hat.

'Turmbau zu Babel', 1563, Pieter Brueghel the Elder

Der Geist, der stets verneint

Geist kann auch obsessiv werden, wenn innere Eindrücke und Vorstellungen sich verselbstständigen. Man ist dann geistbesessen nicht mehr Herr seiner selbst. Fanatisch betriebener Glaube kann in eine geistige Enge führen, die gefährlich wird für einen selbst und für andere. Geist kann zerstörerisch wirken. Goethe lässt Mephisto zu Faust sagen: „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Nicht nur Kinder durchlaufen die Phase, in der sie immer nur „Nein“ sagen und damit ihre Eltern bis an die geistigen und nervlichen Grenzen treiben. Es gibt auch erwachsen geworden die Geisteshaltung, alles in sein negatives Gegenteil zu verkehren und damit jedes Gefühl für Glück zu ersticken.

Babel

Die Rede vom Geist ist schillernd. Der Apostel Paulus nennt es eine Begabung, die Geister zu unterscheiden. (1. Korinther 12, 10) Wie macht sich der Heilige Geist erkennbar? In der Apostelgeschichte ist er die Kraft Gottes, die Menschen verbindet über sprachliche Unterschiede hinweg.

Das Sprachwunder an Pfingsten hat in der Bibel sein Gegenstück im Alten Testament. Beim Turmbau zu Babel waren alle einer Meinung – ein Riesenturm muss her. Wir wollen berühmt werden mit diesem Turm! Er zeigt aller Welt: Wir sind eins. Als er fast fertig war, so erzählt die Bibel, ist Gott dreingefahren. Der Turm blieb eine Bauruine. Ab da haben die Menschen nicht mehr in einer Sprache gesprochen.

Sie merkten: „Ich unterscheide mich von anderen. Ich verstehe sie manchmal nicht.“ Gut so! Gott, der dreinfährt, sorgt dafür, dass der Gleichschritt, das dumpfe Mitmarschieren aus dem Takt gerät. Wenn eine Masse von Menschen den gleichen Plan hat, ist das gefährlich. Das Individuum gerät aus dem Blick. Der Einzelne ist nichts mehr wert.

'Casa de Oración y Centro de Espiritualidad Carmel Maranathá, Valle de Bravo, Estado de México, México', 2012, Enrique López-Tamayo Biosca

Und dann kommt Pfingsten…

Und dann kommt Pfingsten … Die Jünger Jesu stellen sich hin, predigen und alle Zuhörer verstehen sie, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Turmbau und Pfingsten sind wie Phasen in der Geschichte von Verliebten. Zuerst wird nur das Gemeinsame gesehen: Du fühlst wie ich, du magst dieselbe Musik, wir lieben dieselben Reiseziele. Wunderbar, wie du mich verstehst!

Man geht völlig ineinander auf. Dann kommt der erste Streit, die erste Erfahrung von Differenz. Der Turm bröselt, er muss. Jetzt kommt´s drauf an, ob Pfingsten wird. Ob die beiden ihr Anderssein akzeptieren und sogar genießen, ob sie sich erwachsen begegnen und einander immer wieder zu verstehen suchen.

Es lebe der Unterschied!

Pfingsten, eine aufregende Liebesgeschichte. Der andere unterscheidet sich von mir, manchmal verstehe ich ihn nicht. Das ist manchmal einfach nur reizend, aber vor allem reizend. Man schaut sich gegenseitig an und denkt: Du bist wunderbar – gerade weil Du anders bist als ich. Pfingsten ist die Botschaft: Mit Gottes Geist finden Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zueinander.

Hier ist ein guter Ort für alle, weil…

Der Kirchentag in Hamburg vor zwei Wochen ging auf die Suche nach Orten, wo das passiert, dass Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit willkommen sind. Jeder Kirchentagsbesucher hatte ein blaues Kärtchen bekommen, das man an eine Türklinke hängen kann. Darauf steht:
„Hier ist ein guter Ort für alle, weil…“
Die Kirchentagsbesucher waren gebeten, mit den Kärtchen Orte sichtbar zu machen, an denen Gottes guter Geist weht, weil zu spüren ist:

Hier können alle dabei sein, Menschen mit Behinderung, Menschen, die fremd aussehen, anders sprechen, junge und alte Menschen. 120.000 himmelblaue Kärtchen, soviel wie Kirchentagsbesucher, über die ganze Stadt verteilt. Lassen wir unseren Geist wandern: Welcher gute Ort fällt Ihnen in Ihrem Lebensumfeld ein, von dem Sie sagen können: Hier ist ein guter Ort für alle, hier weht Gottes guter Geist?

Keine Utopie, sondern verortet

Keine Utopien, sondern reale Orte, an denen ein achtsames Miteinander gelebt wird. Man wirft Christenmenschen gerne verträumtes oder gar naives Gutmenschentum vor. Mir ist nicht ganz klar, warum „Gutmensch“ etwas Negatives sein soll. Ich war auf dem Kirchentag beeindruckt davon, dass nicht nur darüber geredet wurde, wie unsere Welt dem Reich Gottes ein bisschen ähnlicher werden könnte. Man konnte jede Menge konkrete Ideen, Projekte, Initiativen und vor allem engagierte Menschen erleben, die sich mit Herz, Geist und Verstand für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Der Kirchentag ist nur ein Sammlungspunkt für das, was an vielen Stellen und auch in unserer Dreikönigsgemeinde geschieht: sich einsetzen für andere, dranbleiben, dass jeder sich willkommen weiß. Räume öffnen, in denen Gottes guter Geist wehen kann.

Ich habe einen Traum

Petrus predigte:
„Eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben.“ (Apostelgeschichte 2, 17)

'Rev. Martin Luther King,', 1964, New York World-Telegram and the Sun staff photographer: DeMarsico, Dick, photographer

Vor 50 Jahren sprach Martin Luther King den Traum aus, an den morgen beim ökumenischen Pfingstfest auf dem Römerberg erinnert wird:
„Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Wahrheit selbstverständlich gilt: Alle Menschen sind mit gleicher Würde erschaffen. Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Geschwisterlichkeit sitzen. Ich habe einen Traum – heute.“
Dieser Traum ist noch lange nicht ausgeträumt. Die Theologin und Schriftstellerin Dorothee Sölle nannte Gottes Geist „Heilige Aufregung“.
Gottes Geist versetzt in heilige Aufregung, damit wir nicht aufhören, von einer besseren Welt zu träumen.

Himmlischer Einfall

Gott lob geht es dabei nicht allein um unser Machen und Tun. Was wir bewirken können, ist Antwort auf Gottes Tun an uns. Gottes Geist ist die Gabe von Gottes Gegenwart. Wir müssen in unserem Lebensgebäude nicht „Kevin allein zuhaus“ spielen. Gottes Heiliger Geist will in uns wohnen und lässt uns über uns selbst hinauswachsen.

Es gibt so etwas wie telepathische Nähe über Raum und Zeit hinweg mit Menschen, mit denen man tief verbunden ist. So und noch tiefer verbindet und verbündet sich Gott mit uns. Gott ist nicht greifbar und doch ist er da. Gott schenkt himmlische Einfälle und Erleuchtung, wo wir wie erloschen sind. Er gibt Beistand und Trost. Er inspiriert unseren Geist mit seinem Esprit. Er schenkt uns seine Nähe. Komm, Heiliger Geist, komm! Amen.

Das Glasfenster 'Casa de Oración y Centro de Espiritualidad Carmel Maranathá, Valle de Bravo, Estado de México, México', 2012, Enrique López-Tamayo Biosca, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Der Ausschnitt aus dem Bleiglasfenster 'Taube als Symbol des Heiligen Geistes', 2011, GFreihalter (Katholische Pfarrkirche Notre-Dame-de-Grâce de Passy, 10, rue de l'Annonciation im 16. Arrondissement von Paris), ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. Die Photographie 'Pfingstrose', 2012, Belladonna2, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license.
Das Gemälde 'Turmbau zu Babel', 1563, Pieter Brueghel the Elder, ist im public domain in den Vereinigten Staaten und der Staaten mit einem copyright des Lebens des Autors plus 100 Jahre oder weniger.
Die Photographie 'Rev. Martin Luther King,', 1964, New York World-Telegram and the Sun staff photographer: DeMarsico, Dick, photographer, ist unter der digitalen ID cph.3c22996 in der Abteilung für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen Library of Congress abrufbar.

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