Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Palmsonntag
Der kurze Weg zwischen ‚Hosianna‘ und ‚Kreuzige ihn‘ Johannes 12, 12-19

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'Jesus entering Jerusalem on Palm Sunday', Original uploader was Flying Pharmacist 2007, Fresco in the Parish Church of Zirl, Austria

Palmsonntag

Der kurze Weg zwischen ‚Hosianna‘ und ‚Kreuzige ihn‘
Johannes 12, 12-19


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 24. März 2013 in der Dreikönigskirche

Das Evangelium für den heutigen Sonntag steht bei Johannes im 12. Kapitel.

Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!

Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.

Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus. aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.

Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

Liebe Gemeinde!

'Ecce Homo', circa 1570, Luis de Morales

Von „Hosianna“ zu „Kreuzige ihn“

„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“, ruft die große Menge, als Jesus in Jerusalem einzieht. Wenige Tage später wird wieder eine große Menge schreien, aber diesmal: „Kreuzige ihn!“ Und auf seinem Kreuz wird geschrieben stehen: „Jesus von Nazareth. König der Juden.“

Hoffnung kann verführerisch sein. Sie birgt die Gefahr, dass man eigene Wünsche auf einen anderen projiziert. Der andere soll so sein und so handeln, wie ich das haben will. Tut er es nicht, schafft er es nicht, ist die Enttäuschung groß. Ein kurzer Weg liegt zwischen „Hosianna – der Retter kommt!“ und dann „Weg mit ihm! Er kann auch nicht helfen – der Nächste bitte!“

Enttäuschte Liebe

Vom Verlieben und in der Liebe kennen wir es, wie es ist, sich falsche Hoffnungen zu machen. Man war sich so sicher: Der andere empfindet genauso wie ich. Jeder Blick, jedes Wort, jeder Anruf, jede Geste scheinen etwas ganz Besonderes zu sagen. Doch auf einmal wird einem der Schleier von den Augen gerissen: Man hat sich getäuscht, viel zu viel in alles hineininterpretiert. Der andere war einfach nur freundlich, vielleicht sogar freundschaftlich, aber nicht mehr. Enttäuschte Hoffnung tut weh.

Verkehrung der Eigenschaften

Im Berufsleben wird eine Mitarbeiterin dafür geschätzt, dass sie zuverlässig ist und ihre Aufgaben gewissenhaft erfüllt. Sie eckt nirgends an, niemand hat etwas gegen sie. Sie wird befördert, eines um das andere Mal, weil sie stets die Kandidatin ist, die keinem weh tut. So kommt sie in eine Leitungsposition, auf der sie scheitert. Auf einmal werden die Eigenschaften, für die sie bislang hoch gelobt wurde, gegen sie gekehrt. „Gewissenhaft? Dass ich nicht lache! Die Frau ist doch pedantisch. Zuverlässig? Eher langweilig. Die Frau hat keine Visionen, kein Profil, keine Führungsstärke!“ Das war’s.

'Lukas Podolski', 2012, Илья Хохлов/Ilya Khokhlov/Ilja Chochłow

Vom Fußballzauber zum Problemfall

Bei Fußballtrainern wird das Spiel vom „Hosianna – hier kommt der Retter!“ zum „Weg mit ihm!“ in jeder Saison gespielt. Eben noch heißt es in Kommentaren und Fanblogs: Der macht alles richtig. Kaum reißt die Erfolgsserie ab, wird zum Problem erklärt, was zuvor als Fußballzauber bejubelt wurde. Einer wird zur Lichtgestalt aufgebaut. Man will sich begeistern, aufschauen, jede Eigenschaft an ihm großartig finden. Oft braucht es nicht viel und der Held oder die Heldin stürzt von dem Podest, auf das man ihn doch selber gehoben hat. Wovon man vorher hingerissen war, das zerreißt man jetzt mutwillig.

Man macht sich ein Bildnis

Wir neigen dazu, uns Bilder von den Menschen um uns zu machen. Wir haben bewusst oder unbewusst bestimmte Erwartungen, wie Partner oder Partnerin, unsere Kinder, Freundinnen und Freunde sein sollen. Auf Menschen, die uns faszinieren, richten wir unsere Hoffnungen. Daran ist zunächst nichts Falsches. Es ist schön, sich für einen anderen zu begeistern.

Schwierig wird es, wenn man nicht bereit und fähig ist, andere sie selbst sein zu lassen, sich überraschen zu lassen mit dem, womit sie aufwarten. Wenn man rigoros ablehnt, was sie von sich aus geben wollen und können. Es wäre so unendlich wichtig, sich darauf zu freuen, neugierig darauf zu sein, was dieser andere uns von sich zeigen, was er, was sie selbst sein will.

Max Frisch, der Schweizer Schriftsteller und Architekt, schrieb: „‘Du bist nicht‘, sagte der Enttäuschte oder die Enttäuschte: ‚wofür ich dich gehalten habe.‘ Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.“

'Detail of a palm leaf. Florida', 2008, Eliasjorge4

Hoffnungsträger

Mit höchsten Erwartungen sind die Menschen Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem entgegen gelaufen. Jesus ist für viele ein Hoffnungsträger und ihre Hoffnungen sind hoch gesteckt: Er soll die verhasste römische Besatzungsmacht aus dem Land vertreiben, das korrupte politische System hinwegfegen, die Dauerkrise und Dauerdemütigung beenden. Mit ihm soll eine neue, gerechte Zeit anbrechen.

Palmzweige

Sie nehmen sich Palmzweige und gehen Jesus entgegen. In der Antike sind vor allem die bis zu drei Meter hohen Blätter der Dattelpalme bei politischen Demonstrationen populär. Die Menschen im damaligen Palästina benutzen sie, um damit ihren König nach gewonnener Schlacht zu begrüßen. Sie stehen an den Straßenrändern, schwenken die Palmzweige und rufen „Hosianna, Hosianna!“, zu Deutsch: „Hilf doch, hilf doch!“ Die Gelegenheit war ja auch günstig. Der König, noch in Siegerlaune, ließ sich die Jubelrufe auf seine Größe und Macht gerne gefallen und hatte vielleicht ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Untertanen.

Zeichen und Wunder

Als ein neuer König wird Jesus bei seinem Einzug gefeiert. Einer, der Zeichen und Wunder tut. Er hat Lazarus aus dem Grab gerufen und von den Toten auferweckt. Er hat Kranke geheilt. Er hat fünf Brote so geteilt, dass fünftausend Menschen davon satt wurden. Er hat Wasser in Wein gewandelt und den Sinn und Geschmack geweckt, was für ein Fest das Leben sein kann.

Hilf doch auch uns!

Wer würde Jesus da nicht „Hosianna!“ entgegenrufen? Hilf doch! Hilf doch auch uns, wo wir keine Hilfe mehr wissen. Hilf doch, wo wir die Not eines Menschen sehen und alle Versuche zu helfen scheitern. Hilf doch, wo wir uns nach Heilung sehnen. Hilf doch, wo das tägliche Brot fehlt und Menschen vom Brauchbaren aus Mülltonnen leben. Hilf doch, wenn wir uns wie am Ende fühlen, leer, ohne Kraft, ohne Idee, wie wir schaffen sollen, was alles vor uns liegt, wie wir aus Kummer heraus zu Lebensfreude finden.

Kraft, die Tote erweckt

Da kommt einer, der das mit sich bringt: die Kraft, die sogar Tote zum Leben erweckt. Es kann nicht anders sein, er kommt in Gottes Namen. Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Schwenkt die Palmzweige! Das muss ein neuer König sein. Er muss bitte alles erfüllen, was wir von ihm wollen.

Was für ein König da Einzug hält, das haben selbst Jesu Jünger erst hinterher, nach Ostern verstanden und das Wort des Propheten Sacharja auf Jesus bezogen: „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ (Johannes 12, 15 nach Sacharja 9,9)

'Fresco of Entry into Jerusalem in the St. Elujah Church in Velgošti, Macedonia', 2010, Rašo

Eselsritt statt hoch zu Ross

Dieser König kommt nicht als siegreicher Feldherr, als Triumphator. Er kommt nicht hoch zu Ross, trampelt nicht alles nieder, sondern reitet auf einem Esel, dem Lasttier des Alltags. Seine Macht zeigt sich in seiner menschlichen Nähe. Er zieht zart bei uns ein, überraschend.

Und doch werden sie ihn noch in dieser Woche verurteilen. Ihm, den sie mit Palmzweigen begrüßen, werden sie eine Dornenkrone aufsetzen und ihn geißeln. Ihn, dem alle Welt nachläuft, werden alle verlassen, sogar seine engsten Anhänger. Weil sie nicht verstehen, dass er er selber ist. Weil Menschen so oft nicht akzeptieren können, dass ein anderer anders ist. Dass Jesus Gott ist und sich nicht berechnen, nicht zwingen lässt.

Sieg, der nicht vernichtet, sondern befreit

Gerade darin ist er König. Sein vernichtendes Scheitern wandelt Gott in einen Sieg. In einen himmlisch-menschlichen Sieg, der befreit von dem, was niedermacht. So zieht Jesus ein: ein König, der hilft. Der bleibt, wo alle anderen fliehen. Der aushält bis zum Tod. Der Leben ohne Ende will. Der trägt und wiederbringt, was unwiederbringlich verloren schien. Der Furcht überwindet und Freude schenkt, so dass wir aufstehen, auferstehen können.

Die Pharisäer - gerade die! - haben es verstanden. Und wir sollten es genauso machen, wie sie sagen: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach. Laufen wir ihm entgegen. „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Amen.

Das Bild 'Jesus entering Jerusalem on Palm Sunday', Original uploader was Flying Pharmacist 2007, Fresco in the Parish Church of Zirl, Austria, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'Ecce Homo', circa 1570, Luis de Morales, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.
Die Photographie 'Detail of a palm leaf. Florida', 2008, Eliasjorge4, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported license.
Die Photographie 'Lukas Podolski', 2012, Илья Хохлов/Ilya Khokhlov/Ilja Chochłow, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Das Fresco 'Fresco of Entry into Jerusalem in the St. Elujah Church in Velgošti, Macedonia', 2010, Rašo, is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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