Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Vorfastenzeit - Estomihi – Wie kann ich mit Schuldgefühlen umgehen?
Kantate von Johann Kuhnau (1660-1722) „Gott, sei mir gnädig“ zu Psalm 51

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'Die Sünde (Sin)', 1893, Franz Stuck

Estomihi - Vorfastenzeit

Wie kann ich mit Schuldgefühlen umgehen? Kantate von Johann Kuhnau (1660-1722) „Gott, sei mir gnädig“ zu Psalm 51


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 10. Februar 2013 in der Dreikönigskirche

Liebe Gemeinde!

Beichtgeheimnisse

„Was würden Sie beichten, wenn Sie beichten würden?“ Diese Frage stellte eine Zeitung an Passanten in einer Fußgängerzone. Die Menschen konnten anonym auf Postkarten schreiben und an die Zeitung schicken, was ihr Beichtgeheimnis ist. Einer schreibt: „Ich lebe schon jahrelang allein und möchte bald mit meiner Partnerin zusammenziehen. Doch ich habe so viele Schulden, dass ich von 50 Euro in der Woche lebe. Das darf meine Partnerin aber nicht erfahren. Dafür schäme ich mich sehr.“

Einer Frau geht nach, wie sie bei Karnevalssitzungen an ihrem Tisch als Königin der Scharfzüngigkeit groß rauskommt. Beim Einschlafen fühlt sie sich schlecht: „Warum habe ich mich schon wieder auf Kosten anderer amüsiert?“ Einige Sätze sind kurz: „Ich hasse meinen Bruder.“ „Ich habe ein Alkoholproblem.“ Jemand bekennt: „Um ganz nach oben zu kommen, schrecke ich auch vor unmoralischen Dingen nicht zurück.“

'Collegiale', Rama

Eine Frau schreibt sich von der Seele, was sie seit drei Jahren quält: „Als meine Mutter an Krebs erkrankt ist, hat sie sich völlig aufgegeben. Ich war wütend, habe mir ihr geschimpft, dass sie kämpfen soll. Der Gedanke, dass sie in dem Glauben starb, ich sei unzufrieden mit ihr gewesen, ist furchtbar. Ich stehe mit ihm auf und gehe mit ihm ins Bett, jede Nacht. Und ich werde ihn nicht mehr los.“ Es sind viele Postkarten, die beschrieben werden. Die Zeitungsumfrage wirkt wie eine Seelenreinigung: Man bringt zu Papier, was man sonst nie sagen würde, und kann es von sich wegschicken.

Bußpsalm

Vor Jahrtausenden hat das der Beter von Psalm 51 getan: Er hat aufgeschrieben, wie seine Schuldgefühle ihn quälen, ja richtig krank machen. Er sucht für sein Bekenntnis einen geschützten Raum: das Gebet mit Gott. Er ist allein mit sich und Gott. Er spricht:

„Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünde nach deiner großen Barmherzigkeit. Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde; denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir. An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan (…) Siehe, dir gefällt Wahrheit, die im Verborgenen liegt, und im Geheimen tust du mir Weisheit kund. Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde; wasche mich, dass ich schneeweiß werde. Lass mich hören Freude und Wonne, dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast.“ (Psalm 51, 3 – 6 a. 8-10)

Schuldgefühle

„Reinige mich von meiner Sünde.“ Was seine Sünde genau ist, sagt der Beter des Psalms nicht. Aber er beschreibt, wie sich die Schuld anfühlt. Sie ist wie ein Fremdkörper. Sie klebt an ihm wie Dreck. Er fühlt sich schmutzig, unrein. Das bin doch nicht ich, das entspricht mir doch gar nicht – und trotzdem habe ich es getan. Ich kann es nicht ungeschehen machen. „Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde“, heißt es im Psalm. Ysop ist eine Heilpflanze. Die Schuld ist wie eine offene Wunde, eine Krankheit, die in ihm steckt.

Sein Körper, seine Gebeine sind wie zerschlagen. Der Beter empfindet keine Freude mehr. Das Schuldgefühl überlagert alles. „Meine Sünde ist immer vor mir. (…) Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden“, ruft der Psalmbeter zu Gott. Dass Gott sein Angesicht verbirgt und sich abwendet, ist sonst in der Bibel das Schrecklichste für einen Menschen. Hier fleht jemand geradezu darum. Schau nicht hin, vielleicht ist meine Schuld dann aus dem Auge, aus dem Sinn.

Sich verbergen, vergraben, nicht unter Menschen trauen vor lauter Schuldgefühlen. Eine Reaktion damals wie heute. Eine Frau hat über Jahre einen Schuldenberg aufgetürmt. Die Designer-Handtasche hier, die teuren Schuhe dort, exquisit Essen gehen, dazu die laufenden Kosten für die Wohnung. Erst tut es nicht weh, das Konto zu überziehen. Dann kommen immer mehr Rechnungen, Mahnungen, die Aufforderung zum Offenbarungseid.

Sie öffnet die Briefe nicht mehr. Sie geht nicht mehr ans Telefon. Sie schottet sich ab, auch von Freunden. Tür zu, Rollos runter, die Bettdecke über den Kopf. Völlige Lähmung in Körper und Seele. Wie im Psalm: „Meine Gebeine, mein Herz sind wie zerschlagen.“ Doch ihre Freunde lassen sie nicht aus. Sie drängen sie zur Wahrheit. Sie legen Geld zusammen, um ihr beim Schuldenabbau zu helfen. Schuld einzugestehen schafft erst die Möglichkeit, dass Hilfe kommt, auch da, wo man sie nicht mehr erwartet.

'Bathsheba Goes to King David', between 1552 and 1554, Francesco de' Rossi

Verrückt nach ihr

Der Psalm 51 wird in der Bibel dem König David zugeschrieben. König David hatte lange ignoriert, welche Schuld er auf sich geladen hatte. Er ist ein junger König, auf dem Weg zum Höhepunkt seiner Macht. Er ist im Volk beliebt und schwimmt auf der Welle seines Erfolges. Eines Abends sieht er vom Dach seines Palastes, wie eine schöne Frau sich wäscht. Batseba, die Frau des Uria. David ist sofort verrückt nach ihr. Das lässt ihn alles andere vergessen – auch die Folgen.

Du bist der Mann

Ein König kann sich nehmen, was er will. Und das tut David auch. Batseba wird schwanger. Ihr Ehemann Uria stört. Da lässt David den Soldaten Uria in die erste Frontlinie stellen, so dass er im Kampf getötet wird. Dem Liebesglück von David und Batseba scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Problem unauffällig gelöst. Ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Meint David. Da kommt der Prophet Nathan zu ihm und erzählt ihm von einem reichen Mann mit sehr vielen Schafen und Rindern. Als der einen Gast hat, ist er zu geizig, eines seiner teuren Tiere zu schlachten. Er nimmt einem armen Mann dessen einziges Schaf weg und tischt es zum Gastmahl auf. König David brennt vor Wut über diesen Reichen: „Der Mann ist ein Kind des Todes!“ Da sagt Nathan zu David: „Du bist der Mann.“ (2. Samuel 11 + 12)

Gegen das Gewissen handeln - gar kein Gewissen haben

Der Theologe Fulbert Steffensky unterscheidet zwei Arten von Schuld. Es gibt die Schuld, gegen das eigene Gewissen zu handeln. Und es gibt die Schuld, gar kein Gewissen zu haben. König David meinte, es stünde ihm einfach zu, zu nehmen, was er begehrt. Die Tiefe seiner Schuld ist die Selbstherrlichkeit, mit der er die Gefühle, den Körper, ja das Leben von anderen wie Schachfiguren für seine Zwecke gebraucht hat. Mit einem Satz schlägt ihm die Stunde der Wahrheit: „Du bist der Mann.“ Schuld, die man erst nicht als solche erkennt, die mit einem Mal klar vor einem steht. So klar, dass es weh tut.

Eine Frau ist schon lange mit ihrem Freund zusammen. Aus beruflichen Gründen führen sie seit einem Jahr eine Fernbeziehung. Sie liebt ihren Partner und möchte ihn auf keinen Fall verlieren. Und doch hat sie ihn in diesem Jahr schon mehrmals betrogen. Sie hasst sich dafür, doch der Reiz ist so groß. Eines Abends fragt sie ihr Partner: „Bist du mir treu?“ Was soll sie tun: Lügen? Die Wahrheit sagen? „Da war mal was“, fängt sie an. In diesem Moment sieht sie, wie etwas im Gesicht des anderen stirbt. Erst jetzt spürt sie den Verrat an ihrer Liebe, den sie begangen hat.

'Baptism in Jordan River', 2011, deror_avi

Ganz rein

Wie kann man mit Schuld umgehen? Im Psalm 51 bittet der Beter Gott: „Reinige mich von meiner Sünde! Wasche mich, dass ich schneeweiß werde!“ Geht das? Schuld einfach abwaschen? So wie man Schmutz vom Körper spült und wie neugeboren aus der Dusche steigt? Im Judentum gibt es das Baden in der Mikwe, einem Wasserbassin extra für kultische Reinigung. Im Islam waschen sich die Gläubigen vor dem Gebet Kopf, Hände und Füße. Katholiken bekreuzigen sich beim Eingang einer Kirche mit Weihwasser und erinnern sich so an ihre Taufe. Ganz rein, so wollen Menschen vor Gott treten. Die äußere Waschung ist ein Ausdruck für die innere Reinigung, nach der man sich sehnt.

Martin Luther wusste das auch. Er schrieb: „Der alte Adam in uns - und natürlich auch die alte Eva – soll durch tägliche Reue und Buße ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewig lebe.“ (Kleiner Katechismus, Das Sakrament der Heiligen Taufe)

Akt der Psychohygiene

Reinigungsriten gleich welcher Art sind ein erster Schritt aus dem Teufelskreis von Schuldgefühlen. Ganz praktisch - Putzen kann ein Akt der Psychohygiene sein: Raus aus dem Bett, in das man sich bleischwer vergraben hat. Rollos hoch und Licht hereinlassen. Die Wohnung aufräumen, Ordnung ins Leben bringen, sich selbst im Spiegel ins Gesicht sehen und wieder einen Menschen aus sich machen. Das ist man ja auch. Auch und gerade mit dem Bewusstsein für die eigene Schuld. Schuldbewusstsein ist ein Zeichen für Menschenwürde. Ich weiß mich für mein Handeln verantwortlich. Ich belüge nicht länger mich und andere. Kein Beschönigen und Wegverweisen der Schuld: „Das machen doch alle so!“. Sondern: Ich stelle mich der Wahrheit und bekenne: „Das ist meine Schuld.“ Schon das kann lösend wirken. Dazu gehört Mut.

Innerer Weg

Psalm 51 zeigt einen inneren Weg, wie man den Mut dafür finden kann. Am Anfang steht die Anrede an Gott: „Gott, sei mir gnädig!“ Ich vergrabe mich nicht länger in mir selbst. Ich raffe mich innerlich auf und richte mich aus auf Gott. Es ist ein Bruch mit dem, was ich bislang von mir dachte: Dass ich alles selbst und souverän schaffe. Nein, ich schaffe es nicht allein. Ich kann nicht ungeschehen machen, womit ich mich in diese Lage gebracht habe. „Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte“, ist der erste Satz im Psalm. Gott, schreib mich nicht ab! Nicht weil ich von selbst gut bin, sondern weil du, Gott, mich bessern kannst.

Als nächster Schritt auf dem inneren Weg kommt im Psalm Aufrichtigkeit vor sich selbst und vor Gott: „Ich erkenne meine Missetat.“ Kein Herumreden, sondern ein ausgesprochenes Bekenntnis. Zunächst im geschützten Raum: Vor mir selbst und vor Gott. Wo nötig, dann später auch vor anderen, denen ich Erklärung schuldig bin.

Der größte Schritt, das Herzstück ist die Bitte um Vergebung. Das ist kein leichtfertiges „Tschuldigung!“ Um Vergebung bitten, fordert den ganzen Mann, die ganze Frau. Es kostet Selbstüberwindung. Ich bin nicht so, wie ich mich selbst gerne sehe und zeige. Ich muss das von mir offenbaren, was ich lieber verberge. Ich mache mich abhängig davon, wie mein Gegenüber mein Bekenntnis aufnimmt.

'Paris psalter'

Das ist schwer. Warum soll ich das auf mich nehmen? Weil ich sonst auf mir selbst und meiner Schuld sitzen bleibe. Weil sich sonst nichts ändert. Buße bedeutet im ursprünglichen Sinn Besserung. Manches kann ich vielleicht tatsächlich ausräumen und bessern. Es gibt Schuld, die kann ich nicht ungeschehen oder wiedergutmachen. Aber mit dem Mut zum Schuldbekenntnis gebe ich zumindest der Wahrheit die Ehre. Das heilt nicht alle Wunden. Aber es lässt wieder aufstehen. Es lässt leben. Aus eigener Kraft können wir Schuld nicht ungeschehen machen. „Gott, sei mir gnädig!“ Am Anfang und am Ende stehen wir in Gottes Gnade. Amen.

Psalm 51

Ein Psalm Davids, vorzusingen,
Als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba eingegangen war.
Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte,
und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
Wasche mich rein von meiner Missetat,
und reinige mich von meiner Sünde;
denn ich erkenne meine Missetat,
und meine Sünde ist immer vor mir.
An dir allein habe ich gesündigt
und übel vor dir getan, auf dass du Recht behaltest in deinen Worten und rein dastehst, wenn du richtest.
Siehe, ich bin als Sünder geboren,
und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.
Siehe, dir gefällt Wahrheit, die im Verborgenen liegt,
und im Geheimen tust du mir Weisheit kund.
Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde;
wasche mich, dass ich schneeweiß werde.
Lass mich hören Freude und Wonne,
dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast.
Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden,
und tilge alle meine Missetat.
Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz,
und gib mir einen neuen, beständigen Geist.
Verwirf mich nicht von deinem Angesicht,
und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.
Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe,
und mit einem willigen Geist rüste mich aus.
Ich will die Übertreter deine Wege lehren,
dass sich die Sünder zu dir bekehren.
Errette mich von Blutschuld, / Gott, der du mein Gott und Heiland bist,
dass meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme.
Herr, tu meine Lippen auf,
dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.
Denn Schlachtopfer willst du nicht, / ich wollte sie dir sonst geben,
und Brandopfer gefallen dir nicht.
Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist,
ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.
Tu wohl an Zion nach deiner Gnade,
baue die Mauern zu Jerusalem.
Dann werden dir gefallen rechte Opfer, / Brandopfer und Ganzopfer;
dann wird man Stiere auf deinem Altar opfern. Psalter 51

Das Gemälde 'Die Sünde (Sin)', 1893, Franz Stuck, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 80 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Die Photographie 'Collegiale', Rama, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 France license.
Bei dem Bild 'Paris psalter' der Französischen Nationalbibliothek (BNF) handelt es sich um einen Scan (Reproduktion) eines gemeinfreien Werkes. Deshalb ist auch dieses Werk gemeinfrei.
Die Photographie 'Baptism in Jordan River', 2011, deror_avi, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.
Das Fresco 'Bathsheba Goes to King David', between 1552 and 1554, Francesco de' Rossi, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.

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