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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 4. Advent – "Wer bist Du?" Johannes 1, 19-23

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'Hl. Johannes in der Wüste', etwa 1445, Domenico Veneziano

4. Advent

"Wer bist Du?" Johannes 1, 19-23


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 23. Dezember 2012 in der Bergkirche

Einen Tag vor Weihnachten schickt uns der Predigttext für den 4. Advent in die Wüste. Ich lese aus dem Johannesevangelium im 1. Kapitel:

Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden zu ihm sandten Priester und Leviten von Jerusalem, dass sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht der Christus. Und sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elia? Er sprach: Ich bin's nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du dann?, dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: »Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn!«, wie der Prophet Jesaja gesagt hat Jesaja 40,3). Johannes 1, 19-23

Wer bist du?

Wer bist du? Die Szene wirkt zunächst wie ein Verhör: Name? Adresse? Was haben Sie zu sagen? Alibi? Und immer wieder: Wer bist du? Das klingt dann wie der Titel eines Bestsellers unserer Zeit: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Die peinlich befragenden Priester und Leviten bieten Johannes dem Täufer eine ganze Auswahl an Möglichkeiten, wer er sein könnte.

Gleich auf höchster Ebene: Bist du etwa der Christus, auf Hebräisch: der Messias, der Gesalbte, auf den Israel so sehnlich wartet? Oder Elia, das große Prophetenvorbild aus dem Alten Testament, der von einem feurigen Wagen gen Himmel entrückt wurde am Jordan, also dort, wo Johannes Buße predigt und tauft.

Oder bist du der Prophet? Der Prophet, das bezieht sich auf eine Ankündigung von Mose, der verheißen hat: Gott wird dem Volk Israel einen Propheten wie Mose erwecken. (5. Mose 18, 15)

Den Erwartungen nicht entsprechen

Es sind prominente Gestalten, die die Leviten und Priester Johannes als „role model“ vorschlagen und mit denen er sich identifizieren könnte. Doch er sagt zu allem: Nein. Das bin ich nicht. Johannes springt nicht über das Stöckchen, das sie ihm entgegen halten. Er entspricht nicht ihren Erwartungen. Er erfüllt nicht das Bild, das andere sich von ihm machen wollen.

„Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden ist.“ (5. Mose 5, 8)

So heißt es in den zehn Geboten. Wir machen uns trotz dieses Gebots gerne Bilder von anderen, wie sie nach unserer Vorstellung sein sollen. Wir versuchen die anderen zu formen, zu erziehen – nicht nur im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, auch in Ehe und Partnerschaft, Beziehungen und Freundschaften, in Arbeitskonstellationen.

Enttäuschte Erwartungen

Wir wollen, dass andere so reagieren, wie wir es gerne hätten. Wir erwarten bestimmte Verhaltensweisen von ihnen – und sind dann enttäuscht, wenn sie eben doch anders sind, als wir es uns gewünscht haben. Die Enttäuschung kann in Wut umschlagen. Du bist nicht der oder die, für die ich dich gehalten habe, denkt man und wendet sich ab.

Wer bist du? Die Frage eindeutig zu beantworten, soll helfen, einen Menschen einzuordnen. Wir meinen zu wissen, wer wie ist, und haben den anderen damit festgelegt auf eine bestimmte Wahrnehmung. Was nicht ins Bild passt, wird ausgeblendet. Eine Erfahrung, die wir mit dem anderen gemacht haben, wird absolut genommen und immer wieder erinnert. Manchmal wird unser Bild von einem Menschen auf einen Zug der Vergangenheit verhaftet und – wir selbst bleiben damit beschränkt.

Frei von Festlegungen

Das beginnt schon bei der Geburt: Ein Neugeborenes wird beglückt betrachtet und sofort setzt das Zuordnen ein: Wer bist du? Ganz der Vater? Ganz die Mutter? Es geht weiter in Kindergarten und Schule: Wir werden von Lehrern, von Gleichaltrigen sortiert: guter Schüler, schlechter Schüler, Streberin oder cooler Typ, Sportskanone oder eine Niete im Fußball. Es ist lebenslang eine Herausforderung, Menschen ohne Festlegungen wahrzunehmen, sich und den anderen Freiheit zu lassen.

'The Baptism of Christ', about 1580 - 1588, Paolo Veronese

Schroffes Nein

Wer bist du? Der oder der? Johannes sagt: Nein. Sein schroffes Nein, seine Unabhängigkeit ist bis heute eindrucksvoll. Johannes der Täufer hatte sich aus allen gesellschaftlichen Vorgaben herausgelöst. Sein Vater Zacharias war Priester am Tempel. Eigentlich wäre es selbstverständlich gewesen, dass der Junior in Vaters Fußstapfen tritt. Johannes aber verlässt die vorgegebenen Pfade und begibt sich in die Wüste, schließlich an den Jordan.

Abseits vom Getriebe der Dörfer und Städte lebt er ganz auf Gott ausgerichtet. Und aus den Dörfern und Städten kommen sie zu ihm geströmt und wollen von ihm wissen: Wie sollen wir leben? Was sollen wir ändern, damit wir vor Gott bestehen können? Johannes liest ihnen die Leviten, dass sie aufhören sollen, nach dem eigenen Vorteil und nach immer mehr zu gieren und auf Kosten anderer zu leben.

Johannes und Jesus

Wer bist du? Auch die Evangelisten sahen die Notwendigkeit zu klären, wer Johannes war. Johannes der Täufer und die Jesus-Bewegung standen historisch nebeneinander. Jesus hielt sich am Anfang sogar im Umfeld von Johannes auf und ließ sich von ihm taufen. Erst dann ging er seinen eigenen Weg, seiner eigenen Berufung nach. Darum stellte sich später den ersten Christen die Frage: Wer war Johannes der Täufer?

Ein Jünger Jesu war er nicht. Etwa ein Konkurrent? Sie beschreiben Johannes den Täufer in ihren Evangelien als den Vorläufer, als den, der auch schon Buße predigt und tauft. Aber er weist über sich selbst hinaus auf den hin, der kommt, der unerkannt schon da ist: Jesus, den Gott durch sein Leben, durch Kreuzestod und Auferweckung als den Christus, als den Messias offenbart.

Nicht jedes Spiel mitspielen

Wer bist du? Bist du der? Oder der? Die Fragen sind nicht arglos oder aus echtem Interesse gestellt. Die Priester und Leviten sind von anderen vorgeschickt, andere, die ergründen wollen, was es mit diesem Johannes und der ganzen Aufregung um seine Bußpredigt auf sich hat und wie man ihn unschädlich machen kann. Es gibt sie damals wie heute, die vorgeschützten, scheinbar harmlosen Fragen mit ganz anderen Hintergründen, mit Hintermännern und auch Hinter-Frauen.

Johannes der Täufer sagt dazu Nein. Nicht jeder von uns ist zum Wüstenprediger oder Eremiten geboren. Aber Johannes der Täufer ruft für uns die Möglichkeit wach, nicht jedes Frage- und Zuordnungsspiel mitzuspielen, nicht aufzugehen in dem, wie Gesellschaft funktioniert, wie sie getaktet ist und wie wir uns nach ihrem Taktstock bewegen sollen. Nein, ich bin nicht der, als den ihr mich haben wollt. Das gibt Freiheit.

'Jordan River viewed from space, 2008, Ilmari Karonen

Sendung

Freilich Freiheit nicht aus Eigensinn, nicht aus Verachtung heraus oder zur Durchsetzung gegenüber anderen. Was sagst du von dir selbst?, fragen schließlich die Priester und Leviten. Da antwortet Johannes. Er greift wie die Priester und Leviten auf die Worte der hebräischen Bibel zurück. Aber Johannes identifiziert sich nicht mit einer Gestalt oder einem Titel. Er beantwortet nicht, wer er ist, sondern was seine Sendung ist: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn!“ (Joh. 1, 23)

Johannes tritt zurück und schafft Gott Raum. Ebnet den Weg des Herrn! Baut euer Leben nicht zu mit dem, was ihr tut, wer ihr seid. Haltet es offen, lasst und macht Platz, dass Gott zu euch kommt. Es gibt vieles, was Kopf und Herz dominieren und gefangen nimmt. Ziele, die an sich gut und erstrebenswert sind. Doch wenn man nur noch auf ihr Erreichen fixiert ist, lässt das keinen Platz mehr für anderes. Man fuhrwerkt nur noch so dahin und läuft Gefahr, am eigenen Leben vorbeizurasen.

Ebnen, nicht türmen

Sorgen können einen fest im Griff haben und so überhand nehmen, dass in Kopf und Herz kein Platz mehr bleibt für Gott und seine Möglichkeiten, heilsam in unserem Leben zu wirken. Ebnet den Weg des Herrn! Wie mache ich das ganz praktisch? Vielleicht habe ich die Frage falsch gestellt. Es geht nicht ums Machen. Ebnen, heißt es. Nicht Aktivitäten auftürmen und Berge von frommen Vorsätzen aufschichten, sondern die Ebene offen halten, Raum lassen, den Gott mit seinem Kommen füllen kann.

Wir sind ja allgemein und zur Weihnachtszeit besonders eher besser im Türmen: wir türmen Geschenke, Weihnachtspost, Listen mit Erledigungen, Lebensmittel im Kühlschrank, damit wir über die Feiertage nicht verhungern. Alles hat seinen Sinn und seine Zeit. Aber die andere Bewegung, das andere Moment muss vorkommen, wollen wir wirklich leben: das Ebnen, Seelen- und Gedankenräume weit und offen halten, sich gleichsam in die Wüste zurückziehen und abtragen, womit wir uns selbst beladen und von anderer Seite beladen werden.

Ebnet den Weg des Herrn! Das übersetze ich: Mich selbst offen halten, dass sich mehr findet und fügt, als ich selbst fügen kann. Es ist eine selige, gnadenbringende Erfahrung, wenn etwas zu einem guten Ende findet, obwohl man den Glauben an eine Wende zum Guten schon aufgegeben hatte. Wenn wir nicht wissen, woher wir die Kraft für etwas, das vor uns steht, nehmen sollen, dann beten, dass uns die notwendige Kraft geschenkt wird. Gottes Einfälle in unser Leben nicht ausschließen, sondern die Tore weit und die Türen hoch machen, dass der König der Ehre einziehe.

Böse Zeit

Nicht alles findet zum guten Ende. Es gibt Zeiten, an denen gibt es nichts positiv zu deuten, sie sind einfach böse. Ebnet den Weg des Herrn – auch der bösen Zeit nicht die Hoheit über meinen Lebensweg überlassen, sondern Gott den Weg ebnen. Auch böse Zeit ist in Gottes Hand. Und ich bin auch in böser Zeit von Gott getragen.

'The Light of the World' (Das Licht der Welt), Holman Hunt, St. Paul's Cathedral, London, Photo von Peter Smith

Vor heiligen Zeiten versucht es der Teufel besonders arg, so sagt man. Man muss den Teufel nicht an die Wand malen. Es reicht, was Menschen einander an Bösem zufügen. Der Attentäter von Newtown in den USA hieß Adam. Adam wie der erste Mensch. Adam wie der, der mit Eva Gottes Gebot missachtet und sich arrogant an Gottes Stelle gesetzt hat: Herr über Tod und Leben sein wollen, Allmachtswahn, seelische Enge, in der kein Platz ist für die Ehrfurcht vor dem Leben. Für jedes Kind und für jeden Erwachsenen, die in dieser finsteren Selbstverschlossenheit ihr Leben lassen mussten, haben die Einwohner von Newtown einen Christbaum aufgestellt. 26 Christbäume mit Lichtern. Zeichen der Hoffnung über Grausamkeit und Tod hinaus.

Feineres Gespür

Advent – Gott kommt und das führt die Welt in die Krise. Krise bedeutet übersetzt Unterscheidet. Es unterscheidet sich, was gut und was schlecht ist, was heil und was unheil ist. Gottes Heil offenbart, was in dieser Welt nicht heil ist. Vielleicht haben wir darum vor und an Weihnachten ein feineres Gespür für Leid und Not, für Schicksalsschläge, für Ungerechtigkeit, Streit und Entzweiung, die uns selbst, unseren Nächsten und Menschen in der Ferne widerfahren.

Trotzdem, gerade deswegen: Ebnet den Weg des Herrn! Alle Tore in der Welt weit und alle Türen bei uns auf! Denn Gott kommt in unsere Welt, in unser Leben. Nicht weil alles darin schon heil und hell und gut ist, sondern weil Gott uns Heil und Licht und Leben bringt. Wer bist du?, wird Johannes der Täufer gefragt. Gott kommt und erhellt, wer wir sind: Menschen, an deren Herzenstür Gott anklopft und einziehen will. Ebnen wir ihm den Weg! Amen.

Das Gemälde 'Hl. Johannes in der Wüste', etwa 1445, Domenico Veneziano, und dessen Reproduktion sind weltweit in der Öffentlichkeit. Die Wiedergabe ist Teil einer Sammlung von Reproduktionen von The Yorck Project. Das Copyright für die Zusammenstellung ist von Zenodot Verlagsgesellschaft mbH gehalten und steht unter der GNU Free Documentation License.
Das Gemälde 'The Baptism of Christ', about 1580 - 1588, Paolo Veronese, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.
Die Phootographie 'Jordan River viewed from space, 2008, Ilmari Karonen, ist gemeinfrei (public domain), da sie von der NASA erstellt worden ist. Die NASA-Urheberrechtsrichtlinie besagt, dass „NASA-Material nicht durch Urheberrecht geschützt ist, wenn es nicht anders angegeben ist“. (NASA-Urheberrechtsrichtlinie-Seite oder JPL Image Use Policy).
Wir danken St. Paul's Cathedral in London (www.stpauls.co.uk) für die Erlaubnis, das Bild "The Light of the World" kostenlos zu zeigen.

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