Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 20. Sonntag nach Trinitatis – 1. Korinther 7, 29-31 Mit Ewigkeit im Herzen endlich leben

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'Autumn leaves', 2006, Guido Gerding

20. Sonntag nach Trinitatis

Mit Ewigkeit im Herzen endlich leben
1. Korinther 7, 29-31


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 21. Oktober 2012 in der Dreikönigskirche

Der Predigttext für den heutigen 20. Sonntag nach Trinitatis steht im ersten Brief des Apostel Paulus im 7. Kapitel – er ist auf der Rückseite Ihres Gottesdienstblattes zum Mitlesen abgedruckt. Paulus schreibt:

„Das sage ich aber, liebe Geschwister: Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht.“ 1. Korinther 7, 29-31

Gott segne unser Hören und Reden. Amen

Liebe Gemeinde!

„Das ist der letzte schöne Tag im Jahr“

Im Morgen-Radio letzte Woche wurden die derzeit am meisten ausgesprochenen Sätze ermittelt. Es sind vier, die aktuell im Umlauf sind: „Heute ist der letzte schöne Tag im Jahr.“ – „Stell dir vor: Ich habe gestern schon eingeheizt.“ – „Es riecht nach Schnee.“ – „Unmöglich: Im Supermarkt gibt es schon Lebkuchen – blöder Kommerz!“

'Herbstwald- Taunus', 2011, PSch

In diesen Sätzen schwingt das Staunen und Erschrecken über die Zeit, die unaufhaltsam vorwärtsschreitet. Sonne, Wärme, Tageslicht, die Farben in der Natur, alles wird knapp. „Die Zeit ist kurz“, schreibt Paulus. Das ist ein Bibelwort wie für den Herbst geschrieben. Die Tage sind zusammengedrängt und vergehen schneller. Es geht unweigerlich auf das Ende des Jahres zu.

Das Herz schlägt leicht daneben

Die Blätter fallen und es ist, als wäre dieses Fallen in allem (R. M. Rilke). In den bis jetzt gelebten Tagen des Jahres, in der Zeit, die noch kommt, in den Dingen meines Lebens, die ich so sicher zu haben meine und die doch dahingehen. Nichts kann ich festhalten. Alles geht und fällt. Das tut manchmal richtig weh.

Konstantin Wecker dichtet in einem „kleinen Herbstlied“: „Der Sommer geht dahin, mit ihm ein Fetzen Leben, die Tage merklich trüber, das Herz schlägt leicht daneben. Der Sommer geht dahin, die Frage wird zur Qual: Wer weiß, ob ich noch bin beim nächsten Mal?“

Das Wesen dieser Welt vergeht

„Die Zeit ist kurz“, schreibt Paulus. Er hat vornehmlich nicht den Herbst vor Augen, nicht das Ende des Jahres oder das Ende des eigenen Lebens. „Das Wesen dieser Welt vergeht“, schreibt er. Paulus will die Gemeinde in Korinth vorbereiten. Er hat die Erwartung, dass das Ende der Welt nahe bevorsteht, dass Christus bald schon wiederkehrt und die ganze Welt in das Reich Gottes verwandelt.

Bevor das geschieht, sieht Paulus Tage der Not und der Bedrängnis auf die Menschheit und die Erde zukommen. Er beschreibt den Christen in Korinth, welche Einstellung hilft, gut im jetzigen Vorletzten zu leben und gleichzeitig auf das kommende Letzte ausgerichtet zu sein.

Wie verhält man sich angesichts der Endlichkeit?

Die Welt um uns herum mit all ihren Dingen, mit ihrer Schönheit und ihren Zumutungen ist das Vorletzte, das Vorläufige. Sie ist vergänglich, sie hat keine absolute, letzte Gültigkeit. Das Ewige, Eigentliche kommt noch. Wie lebt man mit dieser Einstellung, dass diese Welt nur vorläufig ist? Völlig gleichgültig, ohne Anteilnahme, egal was mir oder anderen passiert, sei es Glück oder Leid? Oder ausgelassen hedonistisch: Wenn schon alles vorbeigeht, dann die Welt kräftig genießen, solange sie noch da ist?

'Eternal clock', 2009, Robbert van der Steeg

(Beide Haltungen gibt es in der Philosophiegeschichte angesichts der Endlichkeit unseres Seins. Die Stoiker meinten, Glück oder Unglück seien so vergänglich wie Wellen an der Meeresoberfläche. Man müsse sich eine innere, die sprichwörtliche stoische Ruhe angewöhnen wie die Tiefe des Meeres, die sich nicht von den Wellen an der Oberfläche nicht bewegen lässt. Dann können einem die Wechselfälle des Lebens nichts anhaben.

Zur gleichen Zeit wie die Stoa verfolgten auch die Epikureer das Ziel, wie man innerhalb der begrenzten Spanne eines Lebens zu Seelenruhe und Glück finden kann. Doch statt sich stoisch innerlich auf Abstand zu halten, empfahlen sie, die Dinge dieser Welt – freilich mit Sinn und Verstand – zu genießen, damit die liebe Seele mit ihren Bedürfnissen Ruhe hat.)

Leben als ob

Paulus formuliert eine christliche Kunst, angesichts der Endlichkeit zu leben, die bis heute eindrucksvoll ist, auch wenn das Ende der Welt nicht ganz so schnell gekommen ist, wie Paulus erwartet hat, sondern nach wie vor aussteht. „Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht.“

Das kann für uns heute befremdend klingen. Wenn ich liebe, will ich aus ganzem Herzen lieben, und nicht „als ob“. Wenn ich weine, dann kann ich nicht „als ob“ trauern. Wenn ich mich freue, dann will ich das voll und ganz tun. Und doch beschreibt Paulus eine Realität. Er führt vor Augen: Nichts haben wir in dieser Welt. Alles ist nur auf Zeit geliehen. Wir tun viel, um Bleibendes zu schaffen: Wir richten uns ein, versuchen mehr oder weniger viel Geld zu verdienen, um für die Gegenwart und Zukunft zu sorgen. Wir wollen Erfolg haben in Schule und Beruf. Wir wollen Freundschaften haben, die möglichst ein Leben lang tragen, Familie, Liebe.

Radikal

Doch all das haben wir nicht. Wir besitzen es nicht und können es nicht festhalten. Es ist vorläufig, vergänglich. Es ist noch nicht das Letzte, das bleibt. Paulus ist radikal: Selbst die engste Verbindung zwischen Menschen, zwischen Mann und Frau, zwischen Liebenden ist nur vorläufig, ist noch nicht der ganze Himmel auf Erden. Unsere höchsten Glücksgefühle und unser tiefster Schmerz, all das ist nicht das Letzte.

'Weinreben in Tiefenthal', 2012, PSch

All das hat seinen Ernst und seine Freude. Aber es ist nicht der letzte Ernst und nicht die letzte Freude. Im jetzigen Vorletzten leben ist darum ein „Leben als ob“: „Wer weint, soll so weinen, als wäre Weinen nicht das bitterste. Wer sich freut, soll sich mit dem Wissen freuen, dass die größte Freude noch aussteht. Wer etwas kauft, soll nicht meinen, dass er es hat. Er soll es gebrauchen, als behielte er es nicht.“

Nicht einmal uns selbst haben wir

Haben, als hätte man nicht. Nicht einmal uns selbst haben wir. Was wir sind, was wir haben, wie wir aussehen, was wir können, was andere von uns denken und was wir selbst von uns wissen, verändert sich, vergeht. Immer wieder im Leben kommt man zu der Frage: Wer bin ich? Der, der ich war? Der, für den die anderen mich halten? Der, als den ich selbst mich kenne? Wer werde ich sein?

Bin ich der eine oder der andere oder der, der zwischen den verschiedenen Identitäten wandert? Alles nur „als ob“. Durch diese Welt wandern, in ihr leben mit dem Ernst und der Freude, die sie geben kann, und zugleich wissen, dass unser Wandern, unser Weg über diese Welt hinausführt.

Rezept

„Das Wesen dieser Welt vergeht“. Mascha Kaléko nennt eines ihrer Gedichte „Rezept“ und schreibt darin:

„(…) Sage nicht mein. Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit, und sieh, wie wenig du brauchst.
Richte dich ein. Und halte die Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen: Was kommen muss, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen. Und ist es da,
sieh ihm still ins Gesicht. Es ist vergänglich wie Glück. (…)
Feg deine Stube wohl. Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn. Flicke heiter den Zaun und auch die Glocke am Tor. Die Wunde in dir halte wach unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiß deine Pläne. Sei klug und halt dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet im großen Plan.
Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten.“


Mit Ewigkeit im Herzen endlich leben

Das Wesen dieser Welt vergeht. Nichts haben wir hier auf ewig. Gerade dadurch – weil alles geliehen ist - ist der Augenblick so kostbar, ist unendlich wertvoll, was uns geschenkt ist an Zeit, an Liebe, an Gemeinsamkeit, an zärtlichen, verständnisvollen Momenten. Wie gut ist es, wenn wir unsre Stube wohl fegen, den Zaun flicken, die Glocke reparieren und wie Luther das Apfelbäumchen pflanzen - wenn wir uns an die alltäglichen Wunder halten. Sie sind ein kleiner, sehr feiner Vorgeschmack auf die Ewigkeit, die uns verheißen ist. Ewigkeit, die vor uns liegt. Leben wir mit der Ewigkeit im Herzen – endlich! Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Die Phootographie 'Autumn leaves', 2006, Guido Gerding, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Photographie 'Eternal clock', 2009, Robbert van der Steeg, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

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