Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 7. Sonntag nach Trinitatis – Philipper 2, 1-4 So viel du brauchst (Losung Kirchentag 2013 Hamburg)

« Predigten Home

34. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Hamburg

7. Sonntag nach Trinitatis

So viel du brauchst
(Losung Kirchentag 2013 Hamburg), Philipper 2, 1-4


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 22. Juli 2012 in der Bergkirche

Liebe Gemeinde!

Überlebenskampf am Familientisch

Am Familientisch. Das „Amen“ des Tischgebetes ist noch nicht verklungen, da beginnt schon die Schlacht um die besten Stücke. Der Bruder mit den längsten Armen hat seine Extremitäten sofort ausgefahren und schnappt seinen Geschwistern das größte Schnitzel vor der Nase weg. Die sind das schon gewohnt und setzen eigene Ellenbogentechniken ein, um auf ihre Kosten zu kommen. Die gleichaltrige Cousine, die gerade zu Gast ist, ist von Haus aus nicht so trainiert im Überlebenskampf einer kinderreichen Familie. Ehe sie es sich versieht, ist die Schnitzelplatte abgeräumt und sie sitzt vor leerem Teller. Großes Geschrei!

Nimm dir, was du brauchst, sonst ist es weg…

So viel du brauchst. Nimm dir, was du brauchst, bevor es dir ein anderer wegnimmt. So kann Wirklichkeit aussehen. Es wird dir nichts geschenkt. Du musst für dich selbst sorgen. Die Menschen sind schlecht, sie denken an sich, nur ich denk an mich. Das ist in Familien nicht nur so, wenn es ums Essen geht. Der entzückende kleine Bruder versteht es immer, sich in Szene zu setzen, alle Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen, die ganze Liebe abzuräumen. Die ältere Schwester ist nicht so geschmeidig, nicht so gewinnend – vielleicht sogar verschlossen und manchmal kratzbürstig. Insgeheim sehnt sie sich genauso nach Anerkennung und Zuwendung, will auch gesehen mit dem, was sie macht und kann. So viel du brauchst…

'Brunch på Kalaset', 2006, Thomas Angermann

Schlacht am kalten Buffet

Das Ringen darum, nicht leer auszugehen, sondern genug zu bekommen, spielt sich nicht nur am Familientisch ab. Das letzte Wort der feierlichen Eröffnungsrede ist gerade erst gesprochen, da eröffnen schon die ersten die sprichwörtliche Schlacht am kalten Büffet, wollen vorne dran sein bei den Häppchen und sie den anderen weghapsen. Im Berufsleben ist der Wettbewerb knallhart – wer da nicht rechtzeitig den Finger hebt, bleibt zurück. Und schon wieder ist der Run nach der besten Geldanlage groß. Offenbar gibt es keine Krise, die Menschen davon abhält, für sich selbst das Meiste herauszuholen. Soviel du brauchst?

Weltweiter Wettkampf

Zuerst und vor allem das Eigene suchen, das gibt es im globalen Maßstab. Ringen um Einfluss und Macht unter den Nationen, Sichern und Verteidigen der eigenen Interessen. Der Wohlstand der einen geht vielfach auf Kosten von anderen Ländern und Völkern. Die einen lassen wir auf der Strecke hinter uns, die anderen fürchten wir als Konkurrenten im Wettlauf um die Güter dieser Erde.

Eine andere Welt ist möglich

So kann Wirklichkeit aussehen. Aber auch ganz anders. Das stellt uns das Evangelium des heutigen Sonntags vor Augen, das wir vorhin gehört haben. Da ist die Botschaft: Nicht du musst dir nehmen, so viel du brauchst, sonst nimmt es dir ein anderer weg. Sondern: Dir wird gegeben, so viel du brauchst – und dem anderen auch. Am Anfang sieht es so aus, als würde es auf keinen Fall für alle reichen. Fünftausend Menschen lassen sich doch nicht mit fünf Broten und zwei Fischen abspeisen! Die wenigen Brote und Fische hat man noch dazu einem Kind abgenommen.

'Christ feeding the multitude'

Alle werden satt

Doch am Ende geht keiner leer aus. Alle werden satt. Aus dem Wenigen ist so viel geworden, dass sogar mehr übrig bleibt, als am Anfang da war. Fünf Brote unter fünftausend Menschen geteilt ergeben in der Endsumme zwölf volle Körbe. Das ist die Mathematik des Evangeliums. Die Reste hat Jesus sorgsam einsammeln lassen, damit nichts umkommt. Die Zahl Zwölf ist symbolisch. Sie steht für die zwölf Stämme Israels, für das Gottesvolk. Das Gottesvolk wird satt. Den Mangel wandelt Gott für seine Menschen in Fülle. Das ist das Brotwunder, das Jesus tut.

Brot für die Welt

Brot für alle. Brot für die Welt. Nach wie vor eine starke Vision, ein hohes Ziel, für das es sich lohnt, alle Hoffnung und Kräfte einzusetzen. Eine andere Welt ist möglich, verheißt das Evangelium. 900 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen. Jeder siebte Mensch auf der Erde hungert. Die Zahl ist in den letzten Jahren sogar gestiegen – trotz aller Entwicklungshilfe. Die meisten Hungernden leben in Asien und der Pazifikregion, gefolgt von Afrika. Aber auch in unseren Nachbarländern in Osteuropa hungern Menschen. Auch in Deutschland gibt es Armut. So viel du brauchst. Es bleibt eine starke Vision und ein hohes Ziel: Nicht nur auf das Eigene sehen, sondern auch auf das, was dem anderen dient. Suchen, was hilft, dass jeder so viel hat, wie er braucht.

Sehen, was dem anderen dient

Sehen, was der andere braucht. Darum geht es dem Apostel Paulus in dem Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im 2. Kapitel des Briefes an die Gemeinde in Philippi – das liegt damals wie heute in Nordgriechenland.

Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid.
Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst,
und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Philipper 2, 1-4

Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

Was es alles gibt

Zuerst stellt Paulus fest, was es in der Gemeinde alles gibt. Da besteht keineswegs Grund zum Jammern und Klagen über all das, was nicht ist, was fehlt. Paulus zählt erst einmal auf, was die Gemeinde zu bieten hat: Es gibt Ermahnung unter den Christen in Philippi, freilich nicht Ermahnung, indem der eine den anderen nach eigenem Gutdünken zurechtweist, sondern Ermahnung in Christus, sich gegenseitig bestärken, um im Glauben zu wachsen. Es gibt in Philippi Trost der Liebe, es gibt Gemeinschaft des Geistes, es gibt herzliche Liebe und Barmherzigkeit.

'God is love', 2010, Wingchi Poon

Defizit-Denken

So macht es Paulus vor: Zuerst feststellen, was es alles gibt. Ich kenne es oft umgekehrt, dass andere und auch ich selbst vor allem das nach vorne stellen, was fehlt, was schlecht oder falsch läuft, was unzufrieden macht, was man alles nicht geschafft hat. Defizit-Denken. Das Positive, Gelungene, Erfreuliche gerät dabei ins Hintertreffen. Es ist eigentümlich, dass man dem Negativen oft sehr viel mehr Recht und Raum gibt als dem, was gut ist.

Umarmst du mich oder untersuchst du mich?

Es können noch so viele sich positiv über etwas geäußert haben. Die eine kritische Stimme hallt in einem nach und lässt einem keine Ruhe. Es gibt das Talent, liebevoll Gemeintes so lange abzuklopfen, bis man den Kritikpunkt gefunden hat. Ein Mann schaut seine Frau liebevoll an. Sie fragt irritiert: „Was schaust du schon wieder so? Hab ich da was?“ Eine Frau umarmt ihren Mann und der fragt argwöhnisch: „Umarmst du mich oder suchst du nach meinen Speckpolstern?“

Paulus, der Charmeur

Paulus macht vor, dass es anders geht. An erste Stelle setzen, was alles an Gutem da ist. An Liebe und Aufmerksamkeit untereinander, an Trost und Unterstützung. Auch danach fährt er nicht fort à la: Alles gut und schön, aber euch fehlt noch… Paulus ist viel charmanter. Er schreibt: „Da es das alles unter euch gibt, so macht doch meine Freude vollkommen.“ Nicht vom Defizit, sondern von der Vollkommenheit her denkt und spricht Paulus. Als würde ein Friseur nicht sagen: „Nun machen wir Sie schön“, sondern „wie kann ich Ihre Schönheit unterstreichen?“ Von Paulus kann man lernen, wie man Komplimente macht, die weiterbringen.

Eintracht

Was kann nun die Freude des Paulus vollkommen machen? Einmütigkeit, Eintracht. Mit Eintracht kennt sich Frankfurt ja bestens aus und weiß, dass Eintracht eine ziemliche Achterbahnfahrt von Abstieg und Aufstieg bedeutet. Eintracht erfordert alle Leidenschaft. Paulus schreibt: „Seid eines Sinnes, habt gleiche Liebe, seid einmütig und einträchtig, seid so untereinander gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ (Philipper 2, 2.5)

Zwietracht von Anfang an

Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus, nicht einträchtig, sondern zwieträchtig. Oft heißt es, „unter Christen soll es doch keinen Streit geben. Konflikte – und das ausgerechnet in der Kirche!“ Was mich beruhigt: Das war schon vom Anfang der Christenheit an so. Der Apostel Paulus war durchaus selbst ein streitbarer Mensch und hatte zugleich alle Hände voll zu tun, um Konflikte in seinen frisch gegründeten Gemeinden zu schlichten.

Einträchtig wie Christus

Einträchtig gesinnt wie Christus Jesus. In den Evangelien weicht Jesus keinem Streitgespräch aus. Er provoziert, er fordert seine Gegner geistvoll heraus und viele ärgern sich über ihn. Einträchtig gesinnt sein wie Christus Jesus kann also nicht bedeuten, dass es keinen Widerspruch, keine Meinungsverschiedenheiten unter Christenmenschen geben darf. Eintracht bedeutet, das Verschiedene zu Einem zusammentragen. So verschieden man ist, so unterschiedlich die Meinungen sein können, so richten wir uns doch gemeinsam auf Gott hin aus.

Dir zuliebe

Was in Auseinandersetzungen hilft: Die Liebe nicht aus den Augen verlieren, die uns von Christus aufgetragen ist. Paulus schreibt: Den anderen höher achten als sich selbst. Das gehört zur christlichen Lebenskunst. Es gibt eine schöne Formulierung: „Dir zuliebe.“ Ich tue das dir zuliebe. In Ehe und Partnerschaft, in der Familie, unter Kollegen versteift man sich mitunter gern auf den eigenen Standpunkt, den man durchsetzen will. Man beharrt, man will nicht nachgeben, man will Recht behalten. (Ganz wichtig: Recht behalten! Wie der Autofahrer, der nach dem tödlichen Verkehrsunfall in den Himmel kommt und als erstes ruft: „Ich hatte Vorfahrt!“)

Uns zuliebe

Etwas dem anderen zuliebe tun. Das durchkreuzt diese Logik, das löst solche Verhärtung auf. Dabei fällt uns kein Zacken aus der Dreikönigskrone. Im Gegenteil, es bereitet königliche Freude: Ich tue das dir zuliebe. Ein wunderbarer Grund! Der beste Grund für das „Dir zuliebe“ ist Jesus Christus, der nicht auf seiner Position als Gottessohn beharrte, sondern heruntergekommen ist auf die Erde, Mensch wurde. Ein Leben voller Hingabe. Uns zuliebe.
Amen.

'Salvator Mundi', 1494, Marco d'Oggiono

Ein Gebet aus Frankreich 1913, ein Jahr vor dem 1. Weltkrieg

Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich den Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht nur, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht nur, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht nur, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben. Amen.

Das Gemälde 'Salvator Mundi', 1494, Marco d'Oggiono, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Das Gemälde 'Christ feeding the multitude', ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
Die Photographie 'Brunch på Kalaset', 2006, Thomas Angermann, ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert.
Die Photographie 'God is love', 2010, Wingchi Poon, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

^ Zum Seitenanfang