Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 6. Sonntag nach Trinitatis - Apg 8, 26-39 Machtmensch trifft Gottesmann

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'Philippus und der Kämmerer
', 1869, Hans von Marées

6. Sonntag nach Trinitatis

Machtmensch trifft Gottesmann Apg 8, 26-39


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 15. Juli 2012 in der Dreikönigskirche

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in der Apostelgeschichte im 8. Kapitel:

Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.
In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?
Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.
Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. Apg 8, 26-39

Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

Liebe Gemeinde!

'Begegnungen von Weltfestspielteilnehmern', 1951, Roger Rössing, Renate Rössing

Unterwegs

Philippus und der Kämmerer aus Äthiopien sind unterwegs, so wie viele in dieser Sommer- und Reisezeit die alltägliche Umgebung verlassen und ausschwärmen in alle Himmelsrichtungen. Kennen Sie dieses Lied? „Ich brauch Tapetenwechsel sprach die Birke und macht sich in der Dämmerung auf den Weg. Ich brauche frischen Wind um meine Krone. Ich will nicht mehr in Reih und Glied in eurem Haine stehen, die gleiche Wiese sehen. Die Sonne links am Morgen, abends rechts.“

Tapetenwechsel

So sang dereinst Hildegard Knef mit rauchig-brüchiger Stimme. Tapetenwechsel ist im Urlaub angesagt. Man ist neugierig auf andere Länder, eine andere Umgebung, auf die Begegnung mit fremden Menschen. Man will ausbrechen aus Routine und Strapazen des Berufslebens und sich inspirieren lassen. Man hofft, den Alltag für einige Zeit hinter sich zu lassen und aus der räumlichen Distanz heraus Freiheit zu gewinnen. Aus einem gelungenen Urlaub verwandelt zurückkehren. In christlicher Sprache würde es heißen: wie neu geboren.

Öder Weg

Nun, Philippus ist nicht auf dem Weg in die Sommerfrische. Keine Selbsterfahrung im Sinne von „Ich bin dann mal weg“. Er hat eine Mission und wird dafür vom Engel des Herrn auf einen öden Weg geschickt. Nicht den „Oeder Weg“ in Frankfurt, sondern den von Jerusalem nach Gaza. Sein Missionsweg ist ein Wüstenweg. So wie es uns mitunter im Leben auf öde Straßen führt, auf denen wir uns fragen: „Was soll ich hier? Was ist der Sinn und Auftrag, dass ich auf diese Straße geraten bin?“

In der Wüste

Die Wüste – das ist der Ort der Verlassenheit und Versuchung, der Vorbereitung und Entscheidung. In der Wüste kann man in die Irre geraten und selbst irre werden. Die Wüste, das ist die Zeit des Mangels an Nahrung für Körper, Seele und Geist. Und es ist die Zeit des Überflusses an Hitze am Tag und Kälte bei Nacht, Sand und Sturm. Auf eine solche Wüstenstraße wird Philippus geschickt.

Machtmensch

Da kommt ein Wagen des Weges und ein Mann darin. Die Apostelgeschichte beschreibt, um wen es sich handelt: Kämmerer, also eine Art Finanzminister am Hof der Königin von Äthiopien, der ihren ganzen Schatz verwaltet. Ein mächtiger Mann. Gottes Geist spricht zu Philippus: „Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!“

... trifft Gottesmann

Es ist eine Begegnung von Ungleichen, die zwischen Philippus und dem Kämmerer stattfindet. Philippus ist einer aus der Schar der zwölf Apostel, also ein religiöser Aussteiger aus einfachen Verhältnissen. Der Kämmerer kommt von einem Königshof, Philippus aus einem Provinznest irgendwo in Galiläa. Philippus ist nicht einmal innerhalb der Apostel besonders hervorgehoben. Er kommt in den Evangelien nicht oft vor. Im Johannesevangelium wird er als Jünger beschrieben, der nicht alles versteht und trotzdem Menschen zum Glauben bringt. Philippus ist ein griechischer Name. Das unterscheidet ihn von dem meisten seinen Apostelkollegen, die hebräische Namen haben wie Simon, Jakob, Thomas. Offenbar ist Philippus jemand, der immer ein bisschen daneben liegt, aber gerade dadurch von Gott zur rechten Zeit an den rechten Ort gestellt. So wie auf der öden Straße zwischen Jerusalem und Gaza.

'Study for Prayer for Death in the Desert', circa 1867, Elihu Vedder

Verstehst du auch, was du liest?

„Verstehst du auch, was du liest?“, fragt Philippus den Kämmerer, der in seinem Wagen in die Bücher der alten Propheten Israels versunken ist. Die Frage klingt wie von oben herab, ist aber von unten herauf gestellt, vom Staub der Straße hinauf zum Wagen des Vermögenden. Der Kämmerer liest Philippus von der Straße auf und bittet ihn in seinen Wagen, Nun sitzen die beiden auf Augenhöhe. Es entspinnt sich ein Gespräch zwischen Machtmensch und Gottesmann.

Was liest er?

Der Kämmerer hat im Prophetenbuch Jesaja das so genannte Gottesknechtslied gelesen, das bei uns meist an Karfreitag zu hören ist: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und nahm auf sich unsere Schuld (…) Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er den Mund nicht auf.“ Der Kämmerer aus Äthiopien fragt zu Recht: Von wem ist da die Rede? Philippus deutet ihm die Schrift des Alten Testaments in Blick auf Jesus. Jesus, der sich hat kreuzigen lassen wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Was für die Welt wie eine vernichtende Niederlage aussah, wurde bei Gott zum Sieg über den Tod, zur Erlösung für die ganze Welt. Das Ende wird zum Anfang. „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser“ singen wir auch heute in der Abendmahlsliturgie.

Das Lamm

Das Lamm ist in der klassischen Tugendlehre ein Sinnbild für Geduld. Geduldig nicht erst im Tod, sondern schon im Leben. Geduld ist die Gabe, die befähigt, Leiden, Schmerzen, Unglück und Versagen ruhig und gelassen zu überwinden. Geduld ist keine Eigenschaft, bei der die Hände im Schoß liegen oder kraftlos herabsinken. Mit dem sprich¬wörtlich sanften Lämmchen ist hier nichts zu wollen. Geduld ist eine Tugend, mit der ein Mensch tapfer und standhaft Nöte und Gefahren bewältigt.

Jesu Geduld

Jesus, so erzählen die Evangelien, hatte Geduld mit Kranken; mit denen, die sich für außerordentlich fromm halten, mit Menschen, die das genaue Gegenteil tun; Geduld mit seinen gelegentlich begriffsstutzigen Freunden, mit hinterlistigen Feinden, mit Kindern und Erwachsenen. Beharrlich, aber nicht lammfromm ist Jesus seinen Weg gegangen. Ein Lamm, das der Welt Sünde trägt - das ist der Gottessohn, der in unendlicher Geduld und energisch auf lebensfeindliche Strukturen und Beziehungen hinweist und sie zum Guten wendet.

Evangelium für den Kämmerer

Warum ist der Kämmerer ausgerechnet an dieser Bibelstelle im Prophetenbuch Jesaja hängen geblieben und was hat ihn an der Auslegung des Philippus so gepackt? Davon erzählt die Apostelgeschichte nichts Genaues. Vielleicht hat sich ihm eine neue Sicht auf die Welt eröffnet: Eine Welt, die nicht bestimmt ist von Durchsetzungskraft, Machtbewusstsein, sich behaupten müssen. Vielleicht ist ihm im Evangelium eine Stärke begegnet, die nicht Gewalt ist auf Kosten von anderen, sondern heilende Kraft für andere. Ein Schatz, der nicht vergänglich ist, sondern zum ewigen Leben führt.

'Poza azul', Iggi

Öder Weg führt zum Wasser

Die Apostelgeschichte lässt offen, was den Kämmerer bewegt hat. Sie erzählt aber, wie über dem Reisen der beiden sich die Landschaft verändert hat. So wie sich im Lauf des Gesprächs im Kämmerer eine Wandlung vollzogen hat, geht der vorher öde Weg mittlerweile an einem Wasser entlang. Die karge Straße führt zur Quelle des Lebens. So sieht es der Kämmerer und sagt zu Philippus: „Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.“

Entrückt

Die Begegnung der beiden bleibt kurz, auf die Zeit der gemeinsamen Wagenfahrt und Taufe beschränkt. Als sie wieder aus dem Wasser heraussteigen, wird Philippus vor den Augen des Kämmerers entrückt. Eine kurze Begegnung, die viel auslöst. Ich finde das ermutigend für die vielen kurzen Begegnungen en passant, im Vorübergehen, die wir erleben. Auf den alltäglichen Gängen kreuzt man die Wege so vieler Menschen, kommt für einen Moment in Kontakt und dann geht jeder wieder seines Weges.

En passant

Nicht jeder dieser Momente wird bedeutsam, doch es gibt solche flüchtigen Begegnungen, bei denen sich das ereignet: Der eine fühlt sich von dem anderen, der doch eigentlich nur ein Passant in seinem Leben ist, verstanden. Unerwartet und doch im entscheidenden Moment ist einer zu Stelle, der auf Zweifel und Fragen das rechte Wort zur rechten Zeit spricht.

Happy end?

Vom Kämmerer notiert die Apostelgeschichte: „Er zog aber seine Straße fröhlich.“ Happy End! Man sieht den Wagen des Kämmerers unter den Klängen großer Filmmusik im Sonnenuntergang entschwinden. Was ist aus ihm geworden? Wie hat sich sein Leben nach dieser Begegnung und nach seiner Taufe verändert? In der Bibel steht nichts mehr über ihn.

'Sunset Party Dancing Girl Silhouette', 2009, D. Sharon Pruitt

Puzzle flüchtiger Begegnungen

Die Erzählung von Philippus und dem Kämmerer aus Äthiopien ist ermutigend für die verstreuten Puzzleteile der flüchtigen Begegnungen, die ich erlebe, bei denen ich mich manchmal frage: Was bleibt? In der Apostelgeschichte scheint es nicht darauf anzukommen, dass die beiden sich hinterher noch Postkarten geschrieben hätten oder im E-Mail-Kontakt geblieben wären. Es war kostbar, was sie sich auf dem Stück des Weges gegeben haben. Natürlich gibt es in der Apostelgeschichte auch die anderen Begegnungen, bei denen ein bleibendes Band zwischen Menschen entsteht. Das braucht es, um christliche Gemeinschaft zu leben.

Er zog aber seine Straße fröhlich

So ist es auch heute in unserer Gemeinde: Ein Netz an gewachsenen und wachsenden Beziehungen, aber auch solche Kontakte, die en passant, vorübergehend bleiben. Die Dreikönigsgemeinde hat gut 6.300 Mitglieder. Natürlich wäre es großartig, wenn sie alle jeden Sonntag aufscheinen würden – abgesehen davon, dass wir dann ein Platzproblem in der Kirche hätten. Wertvoll ist, was sich an Begegnung zwischen Menschen ereignet, so dass man hinterher sagen kann: „Er zog aber seine Straße fröhlich.“ Auf welchen Lebenswegen Sie gerade unterwegs sind, ich wünsche Ihnen, dass man das von Ihnen, von uns sagen kann: „Sie ziehen ihre Straße fröhlich.“ Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Das Gemälde 'Philippus und der Kämmerer', 1869, Hans von Marées, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.
Das Gemälde 'Study for Prayer for Death in the Desert', circa 1867, Elihu Vedder, wurde als eine Gabe des Brooklyn Museum hochgeladen und unterliegt als solche keinerlei copyright Beschränkungen der 'institutions of the Brooklyn Museum'.
Die Photographie 'Poza azul', Iggi, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic und 1.0 Generic license.
Die Photographie 'Begegnungen von Weltfestspielteilnehmern', 1951, Roger Rössing, Renate Rössing, wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen der Deutschen Fotothek und Wikimedia Deutschland für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt.
Die Photographie 'Sunset Party Dancing Girl Silhouette', 2009, D. Sharon Pruitt, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.

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