Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Laetare, Kantatengottesdienst Johann Ludwig Bach,
„Ja, mir hast du Arbeit gemacht“. Jesaja 43, 22-25, Lukas 18, 31-34

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'unconditional. Just love', 2007, renee

Laetare

„Ja, mir hast du Arbeit gemacht“ Kantatengottesdienst, Johann Ludwig Bach. Jesaja 43, 22-25, Lukas 18, 31-34


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 18. März 2012 in der Bergkirche

Bibeltexte in der Kantate

Jesaja 43, 22-25 Gott tilgt Israels Sünde Nicht, dass du mich gerufen hättest, Jakob, oder dass du dich um mich gemüht hättest, Israel. Mir hast du nicht die Schafe deines Brandopfers gebracht noch mich geehrt mit deinen Schlachtopfern. Ich habe dir nicht Arbeit gemacht mit Opfergaben, habe dich auch nicht bemüht mit Weihrauch. Mir hast du nicht für Geld köstliches Gewürz gekauft, mich hast du mit dem Fett deiner Opfer nicht gelabt. Aber mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten. Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht.

Lukas 18, 31-34 Die dritte Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.

Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde!

Geben und Nehmen

Leben ist Geben und Nehmen. Es gibt ein feines Sensorium in uns, das darauf achtet, dass Geben und Nehmen in unserem Leben sich die Waage halten. Wenn wir etwas geschenkt bekommen, gibt es manchmal die stillen Regungen in uns: „Das ist durchaus angemessen“ oder „Na ja, ein bisschen dürftig“ oder „O je, das beschämt mich – wie soll ich mich jemals dafür revanchieren?“ Zu viele, zu große Geschenke können einen überfordern. Man steht nicht gerne leer da, ohne etwas einigermaßen Adäquates vorweisen zu können, das man dem anderen wiedergeben könnte. Man will auf der anderen Seite aber auch nicht derjenige sein, der immer nur gibt, gibt, gibt, und nichts kommt zurück.

'Calm', 2008, Victoria Williams

Jobbeschreibung: Nimm, so viel du kriegst!

Leben ist Geben und Nehmen. Von Geburt an. Ein Säugling und Kleinkind nimmt erst einmal, so viel es nur kriegen kann. Seine Jobbeschreibung lautet: Trinken, essen, Liebe und Aufmerksamkeit aufsaugen ohne Ende. Wehe, irgendein klitzekleiner Mangel tritt ein. Dann wird sofort lauthals das Beschwerdemanagement angeworfen, ohrengellendes und nervenzertrümmerndes Schreien, das nur eine Botschaft kennt: Mir fehlt etwas! Los, gib mir!

Ausgleich über Jahrzehnte hinweg

Irgendwann entdeckt das Kind, das es nicht nur nehmen, sondern auch geben kann: Toll, wie die Eltern gleich ganz aus dem Häuschen sind, wenn ich sie mal ein bisschen anlächele. Wenn das so gut funktioniert, kann ich die Methode ja ausbauen. Im Laufe eines Eltern-Kind-Verhältnisses wandelt sich das Geben und Nehmen Schritt für Schritt: Auf einmal sind es die erwachsen gewordenen Kinder, bei denen die alt gewordenen Eltern um Rat fragen. Mit der Zeit sind es die Kinder, die den Eltern mehr geben, und die Eltern sind die, die empfangen. So kann sich Nehmen und Geben über Jahrzehnte verteilt die Waage halten. Es fehlt schmerzlich, wenn man nicht wenigstens annähernd etwas von dem zurückgeben kann, was man bekommen hat.

Kleine emotionale Erpressung gefällig?

Dieses äußerst sensible Ausbalancieren zwischen Geben und Nehmen birgt genügend Stoff für Doppelbotschaften, für kleine und große emotionale Erpressungen. Um es mit den Worten unserer heutigen Kantate zu beschreiben: „Mir hast du Arbeit gemacht!“, seufzt da zum Beispiel eine Mutter. „Ich rackere mich für dich ab. Aber das mache ich liebend gern für dich!“ Zack – schon hat man ein schlechtes Gewissen.

Streicheleinheiten und Liebestöter

Wenn Geben und Nehmen eklatant aus dem Gleichgewicht geraten, kann das zum echten Liebestöter werden. Zwar zählt man keine Streicheleinheiten, auch wenn der Begriff es nahe legt. Aber irgendwann merkt man doch, dass man dem anderen seine kostbare Liebe hinterherträgt und so gar nichts zurückkommt. Man hat seine Fühler ausgefahren: Was tue ich alles für unsere Beziehung, was mache ich alles im Alltag, damit wir es schön haben, wie viel Zeit nehme ich mir, wie lange warte ich auf ihn oder sie – und was von alldem tut der andere?

Enttäuschter Liebhaber Gott?

Die vielen hohen und tiefen Töne zwischen Geben und Nehmen klingen mit, wenn Gott beim Propheten Jesaja zum Volk Israel spricht: „Nicht, dass du mich gerufen hättest, Jakob, oder dass du dich um mich gemüht hättest, Israel. Mir hast du nicht die Schafe deines Brandopfers gebracht. (…) Ich habe dir nicht Arbeit gemacht mit Opfergaben. Aber mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden.“ (Jesaja 43, 22 ff) Gott hört sich an wie ein enttäuschter, eifersüchtiger Liebhaber. Israel hat seine Opfergaben, seinen Weihrauch, sein Geld, seine Zuneigung anderen Göttern hinterhergetragen und den eigenen Gott lieblos stehen gelassen.

Liebäugeln mit anderen

Die anderen Götter scheinen stark und attraktiv: Ein ganzer Kerl wie der Stiergott Baal oder eine wahre Göttin wie die schöne Astarte. Der eigene Gott ist im Wortsinn unansehnlich. Man kann ihn nicht sehen. Er hat nicht einmal einen richtigen Namen, bei dem man ihn nennen kann. Er ist schwer zu begreifen und noch schwerer anderen zu erklären. Kein starker Siegertyp, im Gegenteil: Mit ihm ist das Volk in eine nationale Katastrophe geraten, wurde von Völkern mit anderen Göttern unterworfen und ins Exil verschleppt. Wozu taugt also noch der eigene Gott? Zu alledem ist er streng, duldet keinen anderen neben sich, fordert Treue und die Einhaltung von Geboten. Anstrengend. Dann lieber doch mit anderen Göttern liebäugeln.

'A cross in a heart formed with candles', 2010, Wingchi Poon

The winner takes it all?

„The winner takes it all. The looser standing small.” (Nicht aus der Kantate von Johann Ludwig Bach, dafür von ABBA) So könnte das Beziehungsende, das Aus heißen. Der Gewinner nimmt sich alles. Der Verlierer steht leer da. Doch hier kommt die Kehrtwende in dem Wort aus dem Prophetenbuch Jesaja. Gott setzt sich über diese Beziehungslogik hinweg. So spricht Gott: „Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht.“ Gott verrückt die Gewichte auf der Waage zwischen Geben und Nehmen.

Der, der gibt, gibt, gibt

Gott ist derjenige, der nur noch gibt, gibt, gibt. Gott ist pure Hingabe, ganz egal was der Mensch tut oder lässt. Gott durchbricht den Kreislauf, der da heißt: „Ich vergebe dir, aber dafür musst du dies oder das tun, aber erst wenn du…“ Bei Gott keine Auflagen, keine Forderungen, keine Bedingungen. „Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen.“ Nicht um deinetwillen, nicht weil du…, sondern allein um Gottes willen. „Sola gratia“ – allein aus Gnade, nannte das Martin Luther. Da steht man dann da als Menschlein und weiß nicht, wie man das annehmen kann. Kein Austarieren von Geben und Nehmen mehr, sondern Gott, der nur gibt, und ich Mensch, der nur empfängt. Wie kann ich das nehmen, wie kann ich das begreifen? Ich bin genauso begriffsstutzig wie die Jünger im Evangelium, von dem unsere heutige Kantate gesungen hat: Jesus weissagt den Jüngern, dass der Menschensohn ausgeliefert werden wird, verspottet, misshandelt, getötet und am dritten Tage wird er auferstehen. Von den Jüngern heißt es: „Sie aber begriffen nichts davon.“ (Lukas 18, 34) Wie auch?

So viel Liebe schier unerträglich

Gott ist derjenige, der gibt, gibt, gibt. Der vergibt, der sich verausgabt, der sich hingibt. Das ist Gott im Alten Testament. Das ist Gott im Neuen Testament. Jesus, Menschensohn, Gottes Sohn, der den Weg der Liebe konsequent geht. Der weiß, dass so viel Liebe schier unerträglich ist. So viel Liebe löst Hilflosigkeit aus und Hilflosigkeit kann in tödlichen Hass umschlagen. Jesus weiß, dass sie versuchen werden, so viel Liebe auszulöschen, mundtot zu machen, und wenn das nicht geht, ganz tot zu machen. Obwohl Jesus darum weiß, geht er den Weg der Liebe Gottes weiter: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem und es wird alles vollendet werden.“ (Lukas 18, 31)

'Girl of Vietnam', 2009, Hanh Dung xinh

Vollendete Liebe

Vollendete Liebe. Davon singt die Kantate:

„O wundergroße Lieb, o Treu, der nichts zugleichen.“ „O große Lieb, o Lieb ohn alle Maßen.“

Liebe, für die es kein menschliches Maß mehr gibt. Liebe, vor der wir nur noch mit leeren Händen stehen, nur noch empfangen und uns füllen lassen können. Liebe, die uns dann vielleicht hilft, selbst nicht kleinlich zu sein in der Liebe, nicht Sorge zu haben, wir könnten uns etwas vergeben, wenn wir zu viel geben. Liebe, die ermutigt, das Geben und Nehmen nicht ständig zu messen, sondern aus „Liebe ohn alle Maßen“ heraus zu leben, mit Grazie zu geben, weil ich weiß: Mir wird übervoll gegeben. Es ist wie eine Quelle des sich geliebt Wissens in uns, die uns selbst zu sprudelnden Menschen macht.

Rückfallgefahr

Wir sind Mensch, nicht Gott. So aus Liebe heraus zu leben ist leider kein Dauerzustand. Ganz leicht und schnell fällt man zurück ins Aufrechnen, Vorhalten, Rechten, ins Klein-Klein, in das man sich festbeißt. Wir sind gut darin, das Museum unserer Verletzungen und Entbehrungen gut zu pflegen und immer wieder neue Stücke unserer Sammlung hinzuzufügen, die wir dem anderen im passenden Moment mit Triumph präsentieren können. Es ist Befreiung, dass wir uns in Gottes Namen immer wieder davon lösen können – mit der Erinnerung und dem Zuspruch, von was unser Leben getragen und gehalten ist.

Entdecken, wie viel Liebe wartet

Es gibt jede Menge Lieblosigkeit und Leid, das Menschen sich gegenseitig antun. Es kann einen Menschen blockieren und am Leben hindern, über Angetanes oder Entbehrtes nicht hinwegzukommen. Es ist Befreiung, wenn ein Mensch neu entdeckt, wie viel Liebe noch auf ihn wartet.

Nehmerqualitäten

Beim Boxen spricht man von „Nehmerqualitäten“. Wer die hat, kann ordentlich was einstecken: Schläge, Hiebe, knock-outs. Gottes Liebe ist von ganz anderer, von zärtlicher Wucht. Sie erbittet ganz andere „Nehmerqualitäten“. Nämlich die, dass wir uns Gottes Liebe, die einfach nur gibt, gefallen lassen. Und wir immer wieder mal spüren, was es heißt, wenn wir mitten im Leben an die Himmelstür klopfen – knock, knock, knocking on heavens door… und uns beinahe selig fühlen. So wie beim Abendmahl. Da wird uns gesagt „Für dich gegeben.“ Liebe ohne Ende. Amen.

Die Photographie 'unconditional. Just love', 2007, renee, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Die Photographie 'Girl of Vietnam', 2009, Hanh Dung xinh, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Die Photographie 'A cross in a heart formed with candles', 2010, Wingchi Poon, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Photographie 'Calm', 2008, Victoria Williams, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

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