Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Silvester 2. Buch Mose, 13 17-22 Die Seelsorge Gottes

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'Firework', 2007,  Wildfeuer

Silvester

Die Seelsorge Gottes 2. Buch Mose, 13 17-22


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 31. Dezember 2011, 18 Uhr in der Bergkirche

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde!

2011 – Gott sei Dank vorbei…?

Ein Abendessen unter Freunden, irgendwann kurz vor Weihnachten oder zwischen den Jahren. „Gott sei Dank ist 2011 vorbei“, sagt einer in die Runde. „So ein Jahr brauche ich nicht noch einmal.“ Spontan stimmen andere zu. Die Gründe sind unterschiedlich: Von harmlos, aber nervig bis einschneidend. Der eine ist ein rasender Geschäftsmann und musste seinen Führerschein für mehrere Monate abgeben. Selber schuld, ist ihm schon klar. Trotzdem eine Einschränkung und Erschwernis seines Alltags, die er gespürt hat. Eine andere war das ganze Jahr über in Sorge um ihren Vater, der von einer Krankheit in die nächste fiel. Am Ende des Jahres ist sie so erschöpft, dass sie selbst um ihr gesundheitliches Gleichgewicht ringt.

Kann es schlimmer kommen?

Für die nächste war es im Unternehmen eine schwierige Zeit: Arbeit, Arbeit, Arbeit, immer die Zeitpeitsche im Rücken, aber wenig Ertrag, kaum Vorwärtskommen. Dazu das Hin und Her, Hoch und Runter der Finanzkrise. „Und aus dem Chaos sprach eine Stimme: Sei getrost und lächle, es könnte schlimmer kommen“, stellt sie trocken fest und hebt ihr Glas. „Und ich war getrost und lächelte und es kam schlimmer“, prostet ihr der gegenüber Sitzende zu. Der Freundeskreis lacht.

Oder doch eigentlich ein gutes Jahr?

„Mein 2011 war eigentlich ein gutes Jahr“, sagt der Senior am Tisch. „Ich hatte runden Geburtstag und war total überrascht, wie viel Zuspruch ich bekommen habe.“ Das Paar neben ihm schaut sich Freude strahlend an und verkündet wie aus einem Mund: „Wir erwarten ein Baby!“ Großes Hallo in der Runde. Und was ist mit dir? Alle Augen richten sich auf die Jüngste, eine mittzwanzigjährige Studentin. „Ich“, sagt sie und bekommt leicht rote Wangen. „Ich habe mich dieses Jahr verliebt.“

'The Fukushima I Nuclear Power Plant after the 2011 Tōhoku earthquake and tsunami', 2011,  Digital Globe

Das Alte nicht vergangen, das Neue vor der Tür

So unterschiedlich fällt der Rückblick auf das vergehende Jahr aus. So gemischt ist die Stimmungslage in den Tagen um Silvester. Das Alte ist noch nicht ganz vergangen. Man kann noch gar nicht abschließend beurteilen, welche Bedeutung es hat. Welche Überschrift soll man dem Jahr 2011 geben? Doch das Neue steht schon vor der Tür. Jede und jeder von uns trägt ihren und seinen eigenen Jahreskalender in sich, gefüllt mit den Erlebnissen und Erfahrungen aus 2011. Gefüllt mit den je eigenen Jahrestagen: Ein Hochzeitstag, ein Geburtstag, der Jahrestag eines Neubeginns, der Tag einer Trennung, ein Todestag.

Weltgeschehen

Zu den persönlichen Eindrücken kommen die Ereignisse des Weltgeschehens: Arabischer Frühling. Affäre Guttenberg. Tsunami in Japan und die Kernschmelze in Fukushima. Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland. Hochzeit im britischen Königshaus und die Welt schaut zu. Tötung von Osama bin Laden. Die Massaker eines Einzeltäters in Norwegen. Hungersnot in Somalia. Aufdeckung der zehnjährigen Mordserie an deutschtürkischen Imbissbesitzern durch ein Neonazi-Trio. Und fast das ganze Jahr hindurch, jede Woche, jeden Tag: Eurokrise, Rettungsschirme, Regierungssturz in Griechenland und Italien. Hier in unserer Region markiert die Eröffnung der 3. Landebahn am Frankfurter Flughafen einen Einschnitt, mit dessen Auswirkungen viele zu kämpfen haben. Das sind nur einige Beispiele. Bei den Jahresrückblicken in den Medien bin ich immer wieder überrascht: Das alles ist noch kein Jahr her, das alles war 2011!

'Bust of the god Janus', 2005,  Fubar Obfusco

Janusköpfig

Die alten Römer, wie in vielen Dingen praktisch und lebensklug, gaben dem doppeldeutigen Charakter des Jahreswechsels, der Ambivalenz zwischen Alt und Neu ein Gesicht. Genauer gesagt zwei Gesichter. Der Gott des Anfangs und des Endes Janus, der unserem Monat Januar seinen Namen gegeben hat, hat einen Kopf mit zwei Gesichtern: Ein Gesicht blickt zurück auf das Gewesene, das andere blickt voraus auf das, was kommt. Doppelgesichtig. Ein sprechendes Bild für den Jahreswechsel.

Das Heer im Rücken, das Meer vor sich

In einer doppelgesichtigen Situation befindet sich auch das alte Volk Israel im Predigttext für den heutigen Altjahresabend. Der Pharao von Ägypten hat die Israeliten endlich aus der Sklaverei ziehen lassen. Frei sind sie nun, aber noch lange nicht gerettet. Sie haben das Heer des Pharao im Rücken und das Meer vor sich. Ein kleines Völkchen, das da zwischen den Mühlsteinen der Großmächte durch die Weltgeschichte irrlichtert. Doch das kleine Volk ist nicht allein. Ich lese aus dem 2. Buch Mose im 13. Kapitel die Verse 17 bis 22 in Auswahl:

Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie Gott nicht den Weg durch das Land der Philister, der am nächsten war; denn Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie könnten wieder nach Ägypten umkehren. Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste zum Schilfmeer. Und Israel zog wohlgeordnet aus Ägyptenland. (…) So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

Am Rande der Wüste

Israel lagert am Rand der Wüste. Das ist eine geographische Angabe. Das ist zugleich eine symbolische Beschreibung. Der Rand der Wüste ist im Alten Orient die Grenze zwischen Tod und Leben. Die Pharaonen haben ihre Pyramiden an den Rand der Wüste gebaut, genau auf den Übergang zwischen fruchtbarem Land und lebensgefährlicher Wüste. Übergänge haben beides: Verheißung und Bedrohung. Übergänge sind begleitet von der Frage: Wohin wird mein Weg mich führen – in Gefahr oder zu neuen Quellen?

Fragilität der Freiheit

Eigentlich hat das Volk Israel einen überwältigenden Durchbruch erlebt: das Geschenk lang ersehnter Freiheit. Doch die Freiheit ist fragil damals wie heute. Am Schauplatz von damals, im heutigen Ägypten ist die alte Unruhe der fragilen Freiheit spürbar: Was wird aus dem arabischen Frühling? Sind seine Blüten längst verweht? Droht nach der überwundenen Gewaltherrschaft die nächste? Gott damals dachte, das Volk könnte schon angesichts der ersten Schwierigkeiten auf dem Weg der Freiheit gleich wieder nach Ägypten in die Sklaverei umkehren wollen. Auch ein bis heute bekannter Reflex: Die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Ach, so schlecht war es doch gar nicht…

'He led them by a pillar of cloud', circa 1896-1913, the Providence Lithograph Company

Rückfallgefahr

Solch schwankende Gemütslage kenne ich auch aus eigenem Erleben: Man erfährt den Auszug aus harten Zeiten. Eine niederdrückende Situation, eine Krise ist endlich überstanden. Alle ringsum sind erleichtert und wollen so tun, als wäre nichts geschehen. Man unterschätzt die Gefahr eines Rückfalls in alte Strukturen. Aber neu geschenkte Freiheit, wieder geschenktes Leben will gestaltet sein. Einfach zur Tagesordnung zurückkehren geht nicht. Man darf die Fragen nicht übergehen: Wie will ich weiterleben? Was muss sich ändern? Wohin führt nun der Weg?

Die Seelsorge Gottes

Gott zeigt sich in unserem Bibelwort als wahrer Seelsorger. Er weiß um die seelischen Unsicherheiten, die der Übergang mit sich bringt. Er schlägt den kürzeren Weg durch das Gebiet der Philister aus, weil er seinem Volk nicht mehr Konfrontation zumuten will, als es verkraften kann. Er wählt den Umweg über die Wüste. Umwege und Wüstenzeiten können also ihren eigenen Sinn haben. Es kann sein, dass dieser sich nicht unmittelbar erschließt, wenn ich mich auf den Umwegen in meinem Leben und am Rande meiner Wüsten befinde und mich frage: Was mache ich hier? Wofür hat es das gebraucht? Der Weg, den Gott mich leitet, muss nicht immer der gerade sein. Ich kann nicht immer das Ziel erkennen. Der Sinn meines Wanderns, meine Bestimmung bleiben mir oft verborgen.

Wolken- und Feuersäule

Doch was Gott sein Volk wissen lässt: Ich bin bei euch. Ich bin bei euch Tag und Nacht. „Und der Herr zog vor ihnen her, am Tag in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten.“ Es ist an alles gedacht. Gott gibt, was an so vielen Enden fehlt: Orientierung. Geleit durch Irrnisse und Wirrnisse. Eine Wolkensäule zur Ausrichtung, wo zwei Menschen drei Meinungen vertreten, welchen Weg man einschlagen soll. Eine leuchtende Feuersäule, wo Hoffnung so schnell von der Nacht verschluckt wird, wo vermeintliche Lichtgestalten so leicht ins Zwielicht geraten.

Kein Spaziergang ins Gelobte Land

Doch auch mit Wolkensäule am Tag und Feuersäule in der Nacht - den Weg muss das Volk Israel selbst gehen. So wie wir auf Gottes Geleit vertrauen dürfen, aber unsere eigenen Schritte ins neue Jahr tun. Im Fortgang der biblischen Geschichte wird es kein Spaziergang für das Volk Israel werden. Das Schilfmeer steht ihnen bevor. Der Weg zum Berg Sinai. 40 Jahre Wüstenwanderung, bis sie tatsächlich eines fernen Tages das Gelobte Land erreichen. Segen, der Beistand Gottes lässt sich nicht an Wohlergehen oder schnellem Erfolg ablesen. Segen ist, auch in Bedrängnissen die Nähe Gottes nicht zu verlieren.

'Sun pillar', Grant W. Goodge

Von Gottes anderer Welt singen

Unsere Weihnachtslieder setzen Zeichen gegen alle Menschenverachtung. Sie singen von Gottes anderer Welt, von einer anderen Art, als Mensch unter Menschen zu leben. Statt sich selbst für Herrenmenschen zu halten, Gott die Ehre geben! Statt Gewalt und Mord Friede auf Erden! Statt Misstrauen gegen andere Gottes Wohlgefallen bei den Menschen. In unseren Weihnachtsliedern begegnet uns Gott, der zärtlich, gnädig, unendlich liebevoll mit uns umgeht. Gott, der will, dass wir uns selbst ebenfalls freundlich anschauen. Gott, der uns die Augen öffnet, so dass wir im anderen Menschen die Schwester und den Bruder erkennen.

Kreative Zeichenwahl

Wolken- und Feuersäule. Gott ist in der Wahl seiner Zeichen kreativ. Wie ist das in Ihrem 2011? Können Sie rückblickend Zeichen von Gottes Geleit entdecken – wie immer sie ausgesehen haben mögen? Und welche Zeichen wird Gott uns im neuen Jahr geben? Eines seiner heiligen Zeichen feiern wir an diesem Silvesterabend: Das Abendmahl. Brot und Wein, Wegzehrung für unseren Gang in die Zeit hinein. Ausblick auf das, was eines Tages vollkommen vor uns liegt: Gott und Mensch an einem Tisch vereint. So soll es sein. Amen.

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