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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 2. Weihnachtstag – Das erste Weihnachtslied - Weihnachtsliedergottesdienst

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'Brass players with sunlight streaming into Knox College Chapel', 2007, Glogger

2. Weihnachtstag - Weihnachtsliedergottesdienst

Das erste Weihnachtslied


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 26. Dezember 2011 im Gemeindezentrum Tucholskystraße

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe weihnachtliche Gemeinde!

Das erste Weihnachtslied

Die Eine-Million-Sterne-Frage: Welches ist das erste Weihnachtslied, das Christfest-Oldie sozusagen? Wir haben gleich zu Beginn dieses Gottesdienstes eines gesungen, das als Kandidat für die richtige Antwort in Frage kommen könnte: „Nun singet und seid froh“ ist die deutsche Übersetzung des lateinischen Hymnus „In dulci jubilo“ aus dem 14. Jahrhundert – über 600 Jahre alt. Dagegen muten die anderen Lieder „Tochter Zion“ aus dem 18. und „Kommet, ihr Hirten“ aus dem 19. Jahrhundert geradezu wie aktuelle Hits aus den Charts an.

Träumen darf man ja

In derselben jugendlichen Altersspalte tummeln sich übrigens die beiden Superprominenten „O du fröhliche“ und „Stille Nacht“, 1816 und 1818 geschrieben. Einer der weihnachtlichen Bestseller hatte gestern 70. Geburtstag: Es war am 25. Dezember 1941, als Bing Crosby in seiner Radioshow zum ersten Mal seinen Traum vom Christfest erklingen ließ: „I’m dreaming of a white christmas“ – „Ich träume von weißer Weihnacht.“ In diesem Jahr ist dieser Wunsch Traum geblieben, aber träumen darf man ja!

Von Engeln gesungen

Das alles führt uns noch nicht zur richtigen Antwort auf die Frage: Was ist das erste, das älteste Weihnachtslied? Nun, das erste Weihnachtslied steht natürlich in der Bibel. Es wurde nicht von Menschen gesungen, sondern von Engeln. Der Evangelist Lukas erzählt, wie die Menge der himmlischen Heerscharen auf dem Felde der Hirten bei den Hürden ihrer Herde das allererste Weihnachtslied anstimmen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ (Lukas 2, 14) Ein Himmelsgesang, der auf die Erde kommt. Das Lied steigt erst auf „Ehre sei Gott in der Höhe“. Dann kommt es wieder herab von der Höhe, bringt Friede auf Erden und Gottes Wohlgefallen. Das Lied ist wie eine Leiter, die Himmel und Erde verbindet.

Gott zuerst

Ehre sei Gott in der Höhe. An erster Stelle kommt Gott. „Soli deo gloria“ „allein Gott die Ehre“ – so unterzeichnete Johann Sebastian Bach viele seiner Werke. Keine Macht, kein Mensch, keine Regierung, keine Vorgesetzte, kein Chef, kein Markt, und sei er noch so global, keine Krise, die sonst so übermächtig Anspruch auf unser Leben erhebt. Nichts und niemand kann sich zum Herrn der Welt aufschwingen. Gott allein in der Höhe sei Ehre. „Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

'the Annunciation to the Shepherds', 14th century, Taddeo Gaddi

Blick nach oben

Das übersteigt alles, was sonst so groß und wichtig erscheint. Ehre sei Gott in der Höhe. Das befreit von dem, was einem den Lebensraum eng und klein machen kann. Es schließt den Himmel über uns auf. Der Blick ist nicht mehr eingeschränkt auf vorne, rechts, links, gesenkten Hauptes nach unten oder vielleicht mal ein bisschen zurück. Der Blick weitet sich nach oben. Das ist sofort eine ganz andere Lebenshaltung.

Wir sind Macher…

Ehre sei Gott in der Höhe. Wir haben viel Schaffenskraft, wir sind die großen Macher auf Erden. Das stellen wir in den Weihnachtstagen eindrucksvoll unter Beweis mit Backen, Kochen, die Wohnung schmücken, Christbaum aufstellen und putzen, ganze Krippenlandschaften in unseren Wohnzimmern inszenieren, unsere Lieben liebevoll bedenken, singen, musizieren, Karten schreiben, Weihnachtsanrufe tätigen, Besuche machen und Besuch bekommen. Alles wunderbare Zeugnisse, wie vielverbunden, einfallsreich und kreativ wir sind.

… in Wahrheit aber Beschenkte

Das alles ist eine Antwort auf das, was an Weihnachten geschehen ist. Aber an Weihnachten sind wir nicht die großen Macher, sondern Beschenkte. Gott beschenkt uns. Nicht mit irgendetwas, das er abliefert und sich nach erfolgreicher Übergabe wieder zurückzieht. Gott beschenkt uns mit sich selbst. Der große Gott verpackt sich in die Gestalt des Kindes in der Krippe. Weihnachten können wir nicht machen. Weihnachten kommt ganz von alleine. Wie kommt Weihnachten? Was bringt es uns?

Ohne Furcht und Zittern

Gott könnte kommen, so dass die ganze Erde erzittert. Gott könnte seine Allmacht demonstrieren und die ganze Welt auf den Kopf stellen. Gott könnte strafen und vernichten, was nicht nach seinem Willen läuft. Nichts von alledem. Stattdessen Engelsgesang: Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. In so schlechter Verfassung, wie wir Menschen uns mitunter präsentieren, wie wir uns selbst mitunter fühlen - Gott hat Wohlgefallen an uns. Er bringt, was die Welt im Innersten zusammenhält: Frieden. Frieden für jeden Einzelnen von uns. Frieden auf Erden.

Melodie des Friedens

Das ist das allererste englische Weihnachtslied. In seiner Folge nehmen ungezählte Lieder die Melodie des göttlichen Friedens auf. Wir haben in der Lesung den Anfang des Johannesevangeliums gehört. Er klingt wie ein Weihnachtslied, wie ein Weihnachtshymnus: „Im Anfang war das Wort, und das Wort ward bei Gott, und Gott war das Wort. (…) Und das Wort ward Fleisch, und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Wieder die große Bewegung, die ganz oben und ganz unten, die Sphäre des Höchsten mit unserer Wirklichkeit verbindet. Das Wort, der „logos“, wie ihn die griechischen Philosophen nannten, der Weltgeist, die Weltvernunft ist nicht ein abstraktes Gebilde. Gott selbst ist das Wort und das Wort ward Fleisch, anfassbar, angreifbar, mitten unter uns.

Nicht feind, sondern Friede

Das verändert unsere Erfahrung von Gott – nicht himmelweit entrückt, sondern hautnahe. Das verändert unser Weltbild und unser Menschenbild. Die Welt, nicht unheilvoll verloren, sondern gestaltbar. Der Mensch, nicht Gott feind, nicht untereinander feind, einer gegen den anderen, nicht sich selbst feind. Sondern der Mensch, von Gott beschenkt mit Herrlichkeit, Gnade, Wahrheit – auf dass es ihm und ihr wohlergehe, dass Wohlgefallen und Frieden auf Erden herrsche.

Böse Menschen haben leider doch Lieder

Davon singen wir, alle Jahre wieder. Es hat große Bedeutung, dass wir vom Mensch gewordenen Gott singen und davon, wie wir selbst wahrhaft menschlich werden können. Denn es gibt schreckliche andere Lieder, die menschenverachtend sind. „Wo man singt, dort lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder“, heißt ein Sprichwort. Es ist leider falsch. Es wurde millionenfach Lügen gestraft. Böse Menschen haben eben doch Lieder. Sie missbrauchen die Musik, um ihre giftigen Botschaften in die Seelen anderer zu träufeln.

Nationalsozialistische Gewalt in Liedern

Die Nationalsozialisten haben in ihrem rassistischen Wahn auch vor Weihnachtsliedern nicht Halt gemacht. Das zarte Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ haben sie gewaltsam umgedichtet. Die Wurzel Jesse haben sie aus der Strophe gerissen, zeigt sie doch, dass der Heiland Jude war. Statt „von Jesse kam die Art“ hieß es „von wundersamer Art“. Maria, die jüdische Mutter Jesu, durfte auch nicht mehr vorkommen. Die zweite und dritte Strophe machten die Nazis zu einem Lobgesang auf das deutsche Mutterglück: „Nun leuchtet's in den Herzen und aller Mütter Traum (…)Viel tausend Kinderlein sind unsres Volkes Morgen, des lasst uns fröhlich sein!“ Das war 1943, als die viel tausend Kinderlein bereits im 4. Jahr in den blutigen Morgen des 2. Weltkrieges marschierten.

Hass-CDs an Schulen

Welche Macht Musik hat, wissen auch die heutigen Ewiggestrigen, Rassisten und Rechtsextremen. In Berlin und an vielen anderen Orten in Deutschland haben Neonazis gerade wieder versucht, CDs mit ihren Hass-Texten an Schulen zu verteilen. „Schulhof CD Berlin“ heißt zum Beispiel so ein Machwerk und kommt ganz harmlos daher. Rock- und Rap-Bands, die sich „Tätervolk“, „Landser“ oder bayerisch „Brauni & Klampfe“ nennen, hetzen zum Hass und zur Gewalt gegen Ausländer, Behinderte, Schwule und Lesben, gegen alle, die nicht in ihr Bild von Deutschsein passen. Dass diese Texte und Lieder zu mörderischen Taten führen, haben wir mit Entsetzen in den letzten Wochen erfahren angesichts der zehnjährigen Mordserie des Zwickauer Neonazi-Trios.

Von Gottes anderer Welt singen

Unsere Weihnachtslieder setzen Zeichen gegen alle Menschenverachtung. Sie singen von Gottes anderer Welt, von einer anderen Art, als Mensch unter Menschen zu leben. Statt sich selbst für Herrenmenschen zu halten, Gott die Ehre geben! Statt Gewalt und Mord Friede auf Erden! Statt Misstrauen gegen andere Gottes Wohlgefallen bei den Menschen. In unseren Weihnachtsliedern begegnet uns Gott, der zärtlich, gnädig, unendlich liebevoll mit uns umgeht. Gott, der will, dass wir uns selbst ebenfalls freundlich anschauen. Gott, der uns die Augen öffnet, so dass wir im anderen Menschen die Schwester und den Bruder erkennen.

'Singender Engel an der alten Orgel', 2008, Wolfgang Sauber

Ein Gedicht von Lothar Zenetti, dem früheren Priester von St. Wendel und Schriftsteller, lese ich heute als ein Weihnachtslied:

Was keiner wagt, das sollt ihr wagen.
Was keiner sagt, das sagt heraus.
Was keiner denkt, das wagt zu denken.
Was keiner anfängt, das führt aus.

Wenn keiner ja sagt, sollt ihr´s sagen.
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben.
Wenn alle mittun, steht allein.

Wo alle loben, habt Bedenken.
Wo alle spotten, spottet nicht.
Wo alle geizen, wagt zu schenken.
Wo alles dunkel ist, macht Licht.

Dazu helfe uns Gott. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Das Gemälde 'the Annunciation to the Shepherds', 14th century, Taddeo Gaddi, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Brass players with sunlight streaming into Knox College Chapel', 2007, Glogger, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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