Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Schwerter zu Pflugscharen Jesaja 2, 1-5

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'Trilingual peace graphic (Hebrew Shalom שלום [in blue], - Arabic Salam/Salaam السلام [in green]).', 2007, Epson291

12. Sonntag nach Trinitatis

Ansprache

zum 10. Jahrestag
des 11. Septembers


Ansprache gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 11. September 2011 in der Dreikönigskirche

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde!

Massenmörder unter Engeln?

Mohammed Atta, einer der Attentäter des 11. Septembers, ein Student für Stadtplanung an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, der die erste Passagiermaschine in das World Trade Center steuerte, hatte in seinem Testament verfügt: „Diejenigen, die meinen Leichnam aufbahren, sollen beten, dass ich in den Himmel aufsteige. Diejenigen, die Totenwache halten, sollen beten, dass ich bei den Engeln bin. Ich bin im wahren Glauben gestorben.“

Religion missbrauchbar

Mohammed Atta und die anderen Terroristen des 11. September haben mit ihrer Tat fast 3.000 Menschen aus 90 Nationen ermordet. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie noch viel mehr in den Tod gerissen. Über 17.000 Menschen konnten aus den brennenden Türmen gerettet werden. Ein Massenmörder wie Atta erwartet, dass er in den Himmel kommt und unter Engeln sein wird. Mit Religion und Glaube scheint man alles begründen zu können. Religion und Glaube scheinen zu allem missbrauchbar.

Herausforderung der Religionen

Das ist spätestens seit dem 11. September 2001 eine schreckliche Herausforderung für den Islam. Wer aber meint, das sei nur im Islam so, ignoriert die gewalttätigen Seiten in der Geschichte des Christentums: „Schwertmission“ nach der Devise „willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein“, Kreuzzüge, Hexenprozesse, Inquisition, Judenverfolgung – bis jüngst zu dem Attentäter in Norwegen, ein blonder junger Mann, der aus Hass auf eine multikulturelle Gesellschaft, aus Hass auf den Islam glaubt, mit aller Gewalt das christliche Abendland verteidigen zu müssen und in seinem Wahn über Leichen geht.

Fundamentalismus

Es ist die Aufgabe aller Religionen, jede für sich und gemeinsam, dem Fundamentalismus zu wehren und ihren Beitrag zum Frieden zu leisten. Was radikalisiert einen Menschen, so dass er im Namen seines Glaubens tötet? Mohammed Atta war schon seit 1992 zum Studium in Deutschland. Ein junger Ägypter aus einer gut situierten, gebildeten Familie, sein Vater Rechtsanwalt in Kairo. Mohammed Atta war anfangs fromm, aber nicht fanatisch. Mehr und mehr verfällt er einem fundamentalistischen Freund-Feind-Denken: Wer nicht dem wahren Islam folgt, wer sich auf die Annehmlichkeiten und Freiheiten des westlichen Lebens einlässt, ist ungläubig, abtrünnig, nichts würdig. Fundamentalismus spaltet die Welt in Gut und Böse, in wahre Gläubige und verdammenswerte Ungläubige.

Diabolon – der Auseinanderbringer

Fundamentalismus will die Welt durch Hass spalten. Es liegt an uns, ob wir das zulassen. „Diabolon“ ist im Griechischen des Neuen Testaments wörtlich übersetzt der „Durcheinanderwerfer und Auseinanderbringer“. Vom griechischen Wort Diabolon stammt unser deutsches Wort Teufel. Es geht nicht darum, an den Teufel als personifizierte Macht zu glauben. Damit wären wir ja bei dem fundamentalistischen Denken, das die Welt in Teufel und Engel einteilt. Die Bibel beschreibt von Anfang an die Verführbarkeit im Menschen, die Trennung und Spaltung zu suchen und damit zerstörerisch zu werden.

Symbolon – Getrenntes zusammenbringen

Das Gegenstück zum „Diabolon“ ist im Griechischen das „Symbolon“, von dem unser Wort im Deutschen Symbol herkommt. Ursprünglich war Symbol ein Zeichen der Gastfreundschaft: ein Tonring, der beim Abschied in zwei Hälften auseinandergebrochen wurde, so dass man ihn beim Wiedersehen wieder zusammensetzen konnte. Nicht Spaltung also, sondern die fehlende Hälfte suchen und wiederfinden. Darum geht es. Gegen Terrorismus, gegen spalterischen Hass brauchen wir so viele und so starke „Symbole“ wie möglich. Johannes Rau, der Bundespräsident damals vor zehn Jahren, sagte am Abend des 11. Septembers, es gehe darum, „dem Hass zu widerstehen und der Nächstenliebe Raum zu schaffen. Wer nicht hasst, sagt auch nein zur Gewalt.“ Und in seiner Rede drei Tage später auf dem Pariser Platz in Berlin vor 200.000 Menschen fügte er hinzu: „Hass darf uns nicht zu Hass verführen. Hass blendet.“

Tödlicher Plan wäre aufgegangen

Der tödliche Plan der Attentäter des 11. Septembers wäre aufgegangen, wenn sich Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen nur noch hassverzerrt sehen könnten. Festgefahrene Bilder, wie wer angeblich ist, helfen nicht weiter, im Gegenteil: Sie sind brandgefährlich – weil sie zu blindem Hass führen können. Ja, es gibt Probleme im Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Kultur und unterschiedlichen Glaubens. Darüber muss man reden. Aber das Ziel ist, dass wir uns verständigen, statt uns vom Hass trennen zu lassen. Ziel ist auch, dass wir gemeinsam ein wachsames Auge haben auf die, die eine friedliche Gesellschaft verhindern wollen.

'Iraqi boys giving peace sign', 2003, Christiaan Briggs

Böses mit Gutem vergelten

Die Jahreslosung 2011 ist der Vers des Apostels Paulus aus dem Römerbrief: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Es ist kein ahnungsfreies, harmoniesüchtiges Gutmenschentum, das Paulus predigt. Der Apostel weiß sehr genau, wie die Welt aussieht, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind. Böses mit Gutem überwinden. Das ist viel verlangt. Sehr viel. Warum beschreibt der Apostel kein Racheszenario, in dem alle, die Böses tun, von Gott vernichtet werden, so dass es eine wahre Freude ist, wie das Gute über das Böse triumphiert?

Die Überraschung des Guten

Die Antwort klingt einfach und ist doch immer neu erstaunlich: Böses mit Bösem vergelten führt nicht zum Guten, sondern nur zu immer neuem Bösen. Das Gute, das ist die Überraschung. Das durchbricht den tödlichen Kreislauf. Unmittelbar nach den Attentaten des 11. Septembers haben sich an vielen Orten Christen, Juden, Muslime und andere zusammengefunden, um gemeinsam für Frieden zu beten.

Gemeinsame Erklärung zum 11. September

Der Interkulturelle Rat der Religionen in Deutschland hat zum heutigen Jahrestag eine Erklärung veröffentlicht, unterschrieben u. a. vom türkischen Muslim-Verband DITIB, vom Zentralrat der Muslime, vom Zentralrat der Juden und von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. Darin heißt es zehn Jahre nach den Terrorakten:

„Juden, Christen, Muslime wie auch Menschen anderer oder ohne Religion verabscheuen diese Verbrechen. Solche Gewalttaten sind durch nichts zu rechtfertigen. Sie lassen sich mit den Grundwerten unserer Religionen nicht vereinbaren. Gemeinsam wollen wir dazu beitragen, den Frieden zu festigen und Gewalt zu verhindern, das Miteinander zu verbessern sowie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und Christenfeindschaft zu überwinden.“

Liebe Gemeinde, wir wollen in diesem Gottesdienst tun, was helfen kann, Böses mit Gutem zu überwinden: um Frieden beten. Abendmahl feiern, das Sakrament der Zusammengehörigkeit zwischen Mensch und Mensch, zwischen Gott und Mensch. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Die Abbildung 'Trilingual peace graphic (Hebrew Shalom שלום [in blue], - Arabic Salam/Salaam السلام [in green])', 2007, Epson291Mosaik 'Abraham meets Melchisedech', wurde dem public domain von Ihrem Urheber, Epson291 auf dem English Wikipedia project zur Verfügung gestellt. Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'Iraqi boys giving peace sign', 2003, Christiaan Briggs ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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