Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Schwerter zu Pflugscharen Jesaja 2, 1-5

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'Jerusalem Dome of the rock', 2008, Berthold Werner

8. Sonntag nach Trinitatis

Schwerter zu Pflugscharen Jesaja 2, 1-5


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 14. August 2011 in der Dreikönigskirche

Liebe Gemeinde!

Jerusalem-Syndrom

In Jerusalem gibt es pro Jahr etwa 100 Besucher oder Einwohner der Stadt, die das „Jerusalem-Syndrom“ haben und psychiatrisch behandelt werden müssen. Menschen mit dem Jerusalem-Syndrom halten sich zum Beispiel für die Jungfrau Maria, für Johannes den Täufer, für Mose oder Mohammed oder gar für Jesus. Das klingt wie eine amüsante Anekdote, doch ist damit nicht zu spaßen, denn die betroffenen Personen sind in ihrem Wahn zu allem Möglichen in der Lage.

Entrückt und ver-rückt

Wer schon einmal in Jerusalem war, weiß, dass diese Stadt auf der ganzen Welt ihresgleichen sucht. Jerusalem ist entrückt und ver-rückt. Wenn man durch die Straßen und Gassen geht und mit eigenen Augen die Klagemauer, den Tempelberg mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee, die Via dolorosa und die Grabeskirche sieht, bekommt man ein Gespür für die Jahrtausende alte Geschichte, die hier zum Anfassen lebendig ist. Der Boden von Jerusalem ist geradezu aufgeladen mit den größten Visionen und Hoffnungen der Menschheitsgeschichte. Jerusalem ist allen drei monotheistischen Religionen - Judentum, Christentum und Islam - heilig. Das könnte Juden, Christen und Muslime über Unterschiede hinweg verbinden. Stattdessen prallen die Absolutheitsansprüche hier aufeinander und machen Jerusalem zum Zankapfel der Religionen.

'In der Grabeskirche auf Golgatha', 2005, Easter Sunday, Wayne McLean

Der Schlüssel zur Grabeskirche

Nicht einmal innerhalb einer Religion herrscht Frieden: Um die Nutzung der Grabeskirche streiten sich orthodoxe, armenische, koptische und katholische Christen – die Protestanten sind ausnahmsweise außen vor. Die Uhrzeiten, wer wann Gottesdienst in der Grabeskirche feiern darf, sind strengstens reglementiert – wehe, eine Konfession hält sich nicht daran. Den Schlüssel zur Grabeskirche verwahrt seit langem die muslimische Familie Joudeh, weil die Christen sich untereinander nicht über den Weg trauen. Durchaus ein bisschen crazy, verrückt!

Stadt der Sehnsucht

Was macht Jerusalem so besonders? Jerusalem ist die Stadt der Sehnsucht nach einem Leben mit Gott. Die Stadt der Sehnsucht, dass eines Tages zusammenfinden wird, was in dieser Welt so schmerzlich getrennt ist. Mensch und Mensch, Gott und Mensch nicht mehr getrennt, sondern an einem Ort vereint. Diese Sehnsucht ist uralt. Unser heutiger Predigttext stammt vom Propheten Jesaja ungefähr aus dem Jahr 736 vor Christus. Die Worte, die Sie jetzt hören, sind vor über 2.700 Jahren geschrieben worden. Jesaja hat die Vision, dass alle Völker zum Berg Zion - das ist der Tempelberg in Jerusalem - ziehen werden.

Dies ist's, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns wandeln im Licht des HERRN!

Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

Homo homini lupus

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Es herrscht Krieg aller gegen alle. So beschrieb der englische Philosoph der Aufklärung Thomas Hobbes die Welt in ihrem Ausgangszustand. So zeigt sich die Wirklichkeit an allen Enden der Erde. Wohin man schaut, einer gegen den anderen: an den Börsen im Wettkampf um Gewinn oder Verlust, Länder und Volkswirtschaften in Konkurrenz um ökonomische Überlegenheit, Auseinandersetzungen und Kriege blutig mit zahllosen Toten in Ostafrika, in Libyen und Syrien, in Afghanistan und im Irak, in London und Birmingham, in Israel und Palästina. Die Welt scheint Hobbes jeden Tag zu jeder Stunde Recht zu geben: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Es herrscht Krieg aller gegen alle.

'Abraham meets Melchisedech', 13th century

Auf der Rückseite der Tage

Jesaja beschreibt dazu die Gegenwirklichkeit: „Zur letzten Zeit“ heißt es in unserer Lutherbibel. Aus dem Hebräischen kann man wörtlich übersetzen: „auf der Rückseite der Tage“. Sozusagen hinter unserem Rücken, hinter der Wirklichkeit der Kriege läuft Gottes Wirklichkeit ab, lässt Gott seine Zukunft entstehen. Nach Jerusalem werden alle Völker strömen. Nicht um sich die Köpfe einzuschlagen, sondern Gott wird sie alle weisen und richten. Gottes Gericht ist kein Abstrafen oder Verdammen, sondern so richtet Gott: Die Völker werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Das Instrumentarium der Menschheit ist nicht länger dazu da, Leben zu vernichten, sondern um Leben wachsen zu lassen. Die Völker werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

Segen jenseits von Krieg

Damit wird Jerusalem zum Zielpunkt einer göttlichen Endzeit, die sich schon jetzt, gegenwärtig vollzieht, eben „auf der Rückseite der Tage“. Die Bibel spannt einen weiten Bogen um die Bedeutung der Stadt Jerusalem. Jerusalem gehört nicht von Anfang an zu Israel, im Gegenteil: Der Erzvater Abraham zieht mit seinen Leuten kriegerisch durch das Land Kanaan. Da kommt Melchisedek, der König von Salem, also dem späteren Jerusalem, aus seiner Stadt mit Brot und Wein und er segnet Abraham, der ja eigentlich als Feind kommt: „Gesegnet seist du, Abram, vom höchsten Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat.“ (1. Mose 14, 19). Jenseits des sich gegenseitig Bekriegens, jenseits der Einteilung in Freund und Feind geht von Jerusalem Segen aus.

'Replica of the Ark of the Covenant', 2006, Ben Schumin

Keine Opfer mehr!

Der Berg Morija, auf dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern soll und wo ihm in letzter Sekunde der Engel des Herrn ihm ins Messer fällt und ihn zurückhält, der Berg Morija ist der spätere Tempelberg. Jerusalem ist der Ort, an dem Gott zeigt, dass es ein Ende haben muss mit Menschenopfern.

Gottesstadt, Gottesberg

König David erobert schließlich Jerusalem von den Jebusitern. Er schont die Jebusiter, lässt sie in der Stadt wohnen, obwohl sie von einem anderen Volk und von anderer Religion sind (2. Samuel 5 ff). Von Anfang an, seit Jerusalem zur Davidstadt, zur Hauptstadt Israels wurde, ist Jerusalem die Stadt für Menschen verschiedener Völker, die unter der Verheißung Gottes wohnen. David holt die Bundeslade, das Wanderheiligtum des Volkes Israel nach Jerusalem (2. Samuel 6). Der Name Gottes wohnt in Jerusalem. Jerusalem ist die Gottesstadt, der Zion ist der Gottesberg.

Das neue Jerusalem

Im Neuen Testament ist Jerusalem, die Davidstadt zuerst die Stadt, die den Davidsohn Jesus verrät, ihm den Prozess macht, ihn leiden lässt und am Kreuz hinrichtet. Doch den Kreuzestod verwandelt Gott in Auferstehung. Hier in Jerusalem erscheint der erste neue Mensch, über den der Tod nicht mehr herrscht: Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene. So wird Jerusalem auch für Christen zu dem Ort, an dem Gott seine Verheißung erfüllt. Im letzten Buch der Bibel, im Buch der Offenbarung steht die Vision von der kommenden Welt und einem Leben ohne Ende: „„Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen. (…) Und ich hörte eine große Stimme, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen.“ (Offenbarung 21)

Abraham, Mose, Jesus und Mohammed

'Dome of the rock in Jerusalem', 2004, Shmuel Spiegelman

Die Anziehungskraft von Jerusalem wirkt über Judentum und Christentum hinaus. In der Tradition des Islam reitet der Prophet Mohammed eines Nachts auf dem Himmelspferd Buraka von Mekka nach Jerusalem. Auf dem Weg sieht er alle Wunder zwischen Himmel und Erde. In Jerusalem, auf dem Tempelberg angekommen trifft Mohammed Abraham, Mose und Jesus. Sie reden und beten zusammen. An dem Ort dieser nächtlichen Reise steht heute der Felsendom, eines der Hauptheiligtümer im Islam.

Stadt des Friedens?

Jerusalem – in seiner ursprünglichen Bedeutung die Gründung eines Gottes mit Namen Salem. Im Verlauf der Geschichte und in weitergeführter Bedeutung Salem - Salam – Schalom: Die Stadt des Friedens. Juden, Christen, Muslime, die dort gemeinsam beten. Schwerter zu Pflugscharen. Völker, die nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Zu schön, um wahr zu sein? Alles nur fromme Betulichkeit von so genannten Gutmenschen, naiv und weltfremd?

Mit Gott über Mauern springen

Bestimmt nicht. Wer sich mit den Schwertern dieser Welt abfindet und meint, man könne Frieden immer nur mit Waffen und noch mehr Waffen schaffen, hat resigniert vor den angeblichen Sachzwängen. Entgegen allem Auseinanderdriften und Zerwürfnissen brauchen wir starke Visionen und die Einsicht, dass diese Welt zusammengehört. „Schwerter zu Pflugscharen“, das ist kein harmloses Bibelwort. Das war in der DDR eine Provokation ebenso wie der Psalmvers „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“.

'Erfurt, vor Kaserne, 'Schwerter zu Pflugscharen', 1990, Hirschberger, Ralph

Mauerfall ohne Blutvergießen

Gestern vor 50 Jahren wurde mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen. Seit fast 22 Jahren ist die Mauer gefallen. Nicht durch Rammböcke, nicht durch Angriffe von außen. Sie wurde ohne Gewalt, von innen heraus überwunden. Begonnen hatte das mit Friedensgebeten. Christian Führer, damals Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig, nannte das die „große segnende Gotteskraft, die Veränderungen schafft ohne Blutvergießen.“ Keine Utopie, keine fromme Naivität, sondern zu Geschichte gewordene Wirklichkeit.

Zu-frieden

Es geht: Schwerter zu Pflugscharen. Das Ringen um Frieden hat politische Bedeutung. Die Suche nach Frieden ist immer auch eine persönliche. Welche Worte und Handlungen sind wie Schwerter, mit denen ich anderen Leid zufügen kann, und wie können wir solche Schwerter zu Pflugscharen umschmieden, so dass unsere Worte und Handlungen neue Möglichkeiten des Zusammenlebens wie eine Saat aufwachsen lassen?

Frieden fängt bei mir an. Wie werde ich zu-frieden mit mir selbst? Wie finde ich zu Frieden mit Gott? Wie lebe ich in Frieden in Beziehung und Familie, in der Nachbarschaft? Wie halten wir Frieden in der Kirche und in der Ökumene trotz oder besser gesagt mit den Meinungsverschiedenheiten, die es unter uns gibt? Wie tragen wir zum Frieden in unserer Stadt bei?

Friede sei mit euch!

Bei uns selbst angefangen kann Frieden in die Welt hinein ausstrahlen. Freilich mit dem Wissen, dass Frieden immer die Gabe dessen ist, der zu seinen Jüngern sprach: Friede sei mit euch! Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Die Photographie 'Chromstahl Letter auf einer rostigen Stahlplatte.', 2009, böhringer friedrich, ist lizemsiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.
Die Photographie 'In der Grabeskirche auf Golgatha', 2005, Easter Sunday, Wayne McLean, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Das Mosaik 'Abraham meets Melchisedech', 13th century, ist im public domain, weil sein coparight abgelaufen ist.
Die Photographie 'Replica of the Ark of the Covenant', 2006, Ben Schumin, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.
Die Photographie 'Dome of the rock in Jerusalem', 2004, Shmuel Spiegelman, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 1.0 Generic license .
Die Photographie 'Erfurt, vor Kaserne, 'Schwerter zu Pflugscharen', 1990, Hirschberger, Ralph, wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt. Das Bundesarchiv gewährleistet eine authentische Bildüberlieferung nur durch die Originale (Negative und/oder Positive), bzw. die Digitalisate der Originale im Rahmen des Digitalen Bildarchivs.

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