Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Johannes der Täufer – der Mann für die Mitte des Jahres

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„Fair Pray“ zur Eröffnung der Fanmeile FrauenFußballWM am 25. Juni 2011 in der Dreikönigskirche

1. Sonntag nach Trinitatis

Johannes der Täufer – der Mann für die Mitte des Jahres Lukas 3, 7-14


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 26. Juni 2011 im Kirchsaal Süd

Wenn der Sommer nicht mehr weit ist ...

Willkommen im Sommer, liebe Gemeinde! Letzten Montag, zur Sommersonnenwende hat er kalendarisch begonnen. Und für alle hessischen Schülerinnen und Schüler hat er am Mittwoch begonnen mit dem letzten Schultag vor den Sommerferien.

Mich beschleicht zur Sommersonnenwende immer auch ein bisschen Wehmut. Die Tage werden wieder kürzer und die Nächte länger. Unglaublich: Das Jahr hat schon wieder seinen Zenit erreicht. Silvester, Fasching, Passions- und Fastenzeit, Ostern und Pfingsten – das alles haben wir bereits hinter uns gelassen. Die Zeit scheint zu fliegen, und wir fliegen mit. Sicher, es hat sich viel getan. Und gleichzeitig gibt es noch vieles, das ich mir vorgenommen und noch nicht geschafft habe. Von manchem dachte ich, es würde sich schneller lösen lassen, doch es steht immer noch auf der Tagesordnung. Anderes ist ganz auf der Strecke geblieben. Es ist in der Mitte des Jahres wie beim Fußballspiel: War die erste Halbzeit gut, ist es der Nervenkitzel der zweiten Halbzeit, ob es so bleibt. Hat man die erste Halbzeit vermasselt, ist der Erfolgsdruck für die zweite doppelt so hoch: Jetzt muss es klappen!

Johannes der Täufer – der Mann für die Mitte des Jahres

Im Kirchenkalender ist Johannes der Täufer der Mann für die Mitte des Jahres. Der Johannistag, das Fest seiner Geburt liegt auf dem 24. Juni. Das war letzten Freitag, genau sechs Monate vor Weihnachten. Die Bibel erzählt nämlich, dass Johannes der Täufer sechs Monate vor Jesus geboren wurde (Lukas 1, 36). Wer ist Johannes der Täufer und was hat er uns zu sagen? Scharfsichtig ist er, ein strenger Prophet, ein ernsthafter Sucher. Berühmt ist das Bild von Mathis Grünewald auf dem Isenheimer Altar. Da sieht man ihn stehen: Mit staubigen Füßen, im zotteligen Kamelhaarmantel, mit verwildertem Bart und strengen Augen. Der Mann aus der Wüste. Mit dem Finger deutet er auf Christus am Kreuz. Seine Augen aber sind aus dem Bild heraus auf uns gerichtet und schauen uns durchdringend an: „Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße (…) Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Lukas 3, 7-9) So das Lukasevangelium. Die Bußpredigt des Johannes hatte sich gewaschen. Mitten im Jahr tritt uns also ein grimmiger Bußprediger entgegen.

Der wilde Mann am Jordan

Wer damals in den Tagen des Königs Herodes Johannes den Täufer sehen wollte, der musste in die Wüste gehen, an das Ostufer des Jordan. Da wo nur dürres Schilfrohr wächst, wo das Land karg ist und unfruchtbar. Man sagt, genau an dieser Stelle hat sich das Volk Israel versammelt, bevor es durch den Jordan hinüber in das Gelobte Land ziehen durfte. Die Israeliten kamen von der einen Uferseite aus der Gefangenschaft in Ägypten, aus der Wüste. Auf der anderen Uferseite sahen sie das Land der Freiheit, das Gott ihnen versprochen hatte. Dazwischen aber lag noch der Jordan. Durch den mussten sie hindurch. Diese Stelle am Jordan hat sich Johannes der Täufer ausgesucht. Aus dem lauten Jerusalem und dem von Aufständen gebeutelten Galiläa hat er sich hierher zurückgezogen. Er steht auf der einen Seite des Flusses und hat auf der anderen das Gelobte Land immer vor Augen.

Leviten lesen

Viele kommen zu ihm, um sich von ihm taufen zu lassen. Sie kommen zu Johannes und fragen ihn: „Was sollen wir denn tun?“ (Lukas 3, 10) In einer unübersichtlich gewordenen Welt, in der Orientierung fehlt, suchen sie einen, der klar sagen kann, wo’s lang geht. Wie kommen wir hinüber, sozusagen durch den Fluss hindurch in ein besseres Leben? Johannes liest ihnen kräftig die Leviten. Den Soldaten, die zum Plündern im Nachbarland durch den Jordan ziehen. Es kommen die Zöllner, die zu viel Geld nehmen. Händler, die am Sabbat Geschäfte machen. Einer kommt nicht, aber auch ihn erreicht die Bußpredigt des Johannes: der König Herodes, der dem eigenen Bruder die Frau ausgespannt hat. Auch diesem selbstherrlichen König predigt Johannes Buße. Sein Mut kostet ihn am Ende den Kopf.

'Kreuzigung Christi, Detail: Hl. Johannes der Täufer', 1512-1516, Matthias Grünewald

Schwarz ist schwarz

Faszinierend, dieser Mann, der keine Kompromisse kennt. Messerscharf scheidet Johannes gut von böse, richtig von falsch. Schwarz ist bei ihm eindeutig schwarz und wird auch so genannt. Weiß ist weiß. Johannes der Täufer gibt jedem, der ihn fragt, eine Antwort. Er hätte es sich und den anderen einfach machen können. Er hätte auf die bösen äußeren Umstände verweisen können: „Die Römer sind schuld. Die haben das Land wie Heuschrecken überfallen und saugen es aus.“ Doch das tut Johannes nicht. Er wälzt die Schuld an der Misere nicht auf andere ab. Seine Botschaft: Fang bei dir an. Du bist nicht nur Spielball, du bist auch Akteur, ja Hauptakteur in deinem Leben. Johannes spricht die Menschen direkt an. „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.“ Den Zöllnern, die an den Toren der Städte saßen und viel zu hohe Zölle von den Einreisenden verlangten, um sich selbst zu bereichern, schreibt er ins Gewissen: „Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!“ Und den Soldaten, die ihn fragen, was sie tun sollen, befiehlt er: „Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!“ (Lukas 3, 11-14)

Weitergeben, wo ich mehr als genug habe

Von Johannes können wir lernen: Ich brauche nicht auf andere oder auf äußere Umstände verweisen – die mögen eine Rolle spielen, aber anfangen muss ich bei mir selbst. Johannes sagt: „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.“ Das ist klar und unmissverständlich. Das kann man tatsächlich tun. Es hilft, immer wieder den eigenen Kleiderschrank zu durchforsten und das, was man im Überfluss hat, an andere weiterzugeben. Das ist nicht bloß eine kleine äußere Verhaltensänderung. Es geht um ein mitteilsames Leben, um eine Lebenseinstellung, bei der ich nicht nur auf mich selber schaue, sondern etwas von dem weitergebe, was ich doppelt habe.

Eine Welt ohne Gewalt, ohne Unrecht?

„Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!“, sagt Johannes den Zöllnern. Das könnte ich leicht abtun und sagen, ich bin kein Zöllner und versuche, niemanden zu übervorteilen. Aber die Frage lässt sich auch anders formulieren: Lebe ich auf Kosten von anderen? „Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!“ sagt er den Soldaten. Eine Welt ohne Gewalt und ohne Unrecht – ist das möglich? Es ist die große Hoffnung, das große Ziel, Frieden zu schaffen ohne Waffen. Das ist doch naiv, sagen manche. Aber ohne große Ziele kommen wir nicht vorwärts, bleibt alles beim Alten. Ohne das Ideal einer friedlichen Welt gewöhnt man sich allzu leicht daran, dass Krieg und gegenseitige Abschreckung wie selbstverständlich zu unserer Politik dazu gehören. Soldatinnen und Soldaten sind davon ganz persönlich betroffen. Im Ernstfall sollen sie Gewalt anwenden, um andere zu schützen und um Konflikte zu lösen. Sie setzen dabei ihr Leben aufs Spiel. Umso mehr müssen sie und auch wir die Frage wach halten und immer wieder neu stellen: Gibt es andere Wege zum Frieden, als Gewalt mit Gewalt zu beenden?

Schritt für Schritt

Gleichgültig mit den Schultern zucken und sagen: „Ich bin halt so“ oder „das ist halt so“, gilt bei Johannes nicht. Wer Buße tut, öffnet sich, hat das Vertrauen, dass er nicht notorisch unverbesserlich ist, sondern sich zum Besseren hin verändern kann. Er hat sozusagen das Gelobte Land vor Augen. Wie wenn er von der alten Seite durch den Fluss hindurch auf die neue will. Das geht freilich nicht mit einem Fingerschnippen, zack, und alles ist anders. Aber es geht Schritt für Schritt. Buße ist ein Dreischritt. Sie beginnt mit der Reue, mit der Selbsterkenntnis, dass ich etwas verändern muss. Der zweite Schritt ist das Bekennen: Ich spreche vor einem anderen aus, was mir zu schaffen macht. Das ist schwer, denn wer gibt schon gerne zu, dass er einen Fehler gemacht hat. Aber es ist heilsam, Fehler nicht auszublenden oder zu verschweigen, sondern auszusprechen. Dann kommt der dritte Schritt, die Bitte um Vergebung, die Absolution, der Freispruch von dem, was mich belastet hat. Die Ermutigung, dass ich mich ändern kann und darf.

Mein persönlicher Bußprediger

Wenn ich in meinem Leben an einen Punkt komme, an dem ich merke „Hier stimmt was nicht. Ich muss mich ändern“, kenne ich den Hang, strengstens mit mir ins Gericht zu gehen. Es ist so, als hätte ich einen kleinen, hartnäckigen Bußprediger in mir. Und der hat’s in sich. Es gibt auf einmal nur noch Soll, gar kein Haben. Alles an mir stimmt mich unzufrieden, nichts scheint richtig gelungen. Überscharf und übergroß sehe ich dann vor allem die Defizite, das, was ich nicht erreicht und nicht geschafft habe.

Alles auf dem Prüfstand

Es gibt Zeiten, in denen man selbst und das ganze eigene Leben wie auf dem Prüfstand steht: Bei einem Schulzeugnis, das einen unzufrieden sein lässt. Bei Bewerbungen, wenn der eigene Lebenslauf einem dürftig und dünn erscheint und man sich fragt: „Das kann doch nicht alles sein, was mich ausmacht?!“ In Beziehungskrisen: Auf einmal kommt alles auf den Tisch, was einem fehlt und am anderen schon immer gestört hat. In Zeiten schwerer Krankheit, wenn einem das Leben wegzurutschen scheint und die Frage quält: Warum passiert mir das? Was habe ich falsch gemacht?

Der persönliche Bußprediger in einem kann einen dann ganz schön klein machen. Je mehr er kritisiert, desto mehr verliere ich den Mut, dass ich etwas ändern kann. Dann geht gar nichts vorwärts. Es braucht noch mehr als nur Kritik. Es braucht noch einen anderen als nur den Bußprediger. In der Bibel ist der Bußprediger Johannes nur der Vorläufer. Nach ihm kommt einer, der nicht nur Buße predigt, sondern echte Erlösung bringt.

'Jesus' baptism by the hand of John', 1512-1516, David Bjorgen

Wunden nicht nur aufzeigen, sondern heilen

Es ist das eine, den Finger in die Wunde zu legen. Es ist etwas völlig Anderes, die Wunde auch heilen zu können. Jesus, so erzählt es das Evangelium, kann Wunden heilen. Er sieht Menschen nicht nur schwarz und weiß. Er sieht Menschen, wie sie sind: Mit ihren Verletzungen und Fehlern, mit ihren wunderbaren und verwundbaren Seiten, mit dem, was sie sind, und mit dem, was sie sein können. Jesus setzt sich auch mit den schwarzen Schafen, den scheinbar völlig verlorenen an einen Tisch. Er stellt keine Forderung an sie. Er sagt nicht: „Erst wenn du dich änderst, gebe ich mich mit dir ab.“ Er kommt einfach zu ihnen und sagt: „Heute will ich in deinem Haus einkehren.“ Jesus verkörpert, dass wir bei Gott herzlich willkommen sind, allein aus Gnade, ohne Vorbedingung. Dass wir bei Gott bedingungslos angenommen sind, setzt die besten Kräfte in uns frei. Als Jesus an den Jordan zu Johannes kam und sich von Johannes taufen ließ, hört er eine Stimme aus dem Himmel: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ Seit Jesus gilt das jedem von uns. Mit der Taufer verheißt uns Gott: Du bist mein Kind, mein lieber Sohn, meine liebe Tochter. Du gehörst zu mir. Was immer geschieht, ich verlasse dich nicht. Gottes Gnade im Leben zu erfahren, das verleihe Gott uns allen. Amen.

Das Bild 'Kreuzigung Christi, Detail: Hl. Johannes der Täufer', 1512-1516, Matthias Grünewald (Isenheimer Altar) und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Das Gemälde 'Jesus' baptism by the hand of John', 1512-1516, David Bjorgen, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.

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