Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Ostersonntag - Aufstehen – Auferstehen!

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'Close-up of the rocky escarpment near the Garden Tomb', 2009, Anthony on Stilts

Ostersonntag

Aufstehen – Auferstehen! Matthäus 28, 1-10


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 24. April 2011 in der Dreikönigskirche

Liebe Gemeinde!

Als aber der Sabbat um war und der erste Tag der Woche anbrach, kam Maria Magdalena und die andere Maria, das Grab zu besehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des HERRN kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein von der Tür und setzte sich darauf. Und seine Gestalt war wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee. Die Hüter aber erschraken vor Furcht und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel antwortete und sprach zu den Weibern: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, da der HERR gelegen hat. Und gehet eilend hin und sagt es seinen Jüngern, daß er auferstanden sei von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilend zum Grabe hinaus mit Furcht und großer Freude und liefen, daß sie es seinen Jüngern verkündigten. Und da sie gingen seinen Jüngern zu verkündigen, siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßet! Und sie traten zu ihm und griffen an seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, daß sie gehen nach Galiläa; daselbst werden sie mich sehen.

'Illustration zu Goethes Faust I, Vor dem Tor, Osterspaziergang', 2011, Franz Xaver Simm

Sprungfedern und Goethe zum Frühstück

Wie sind Sie heute Morgen aufgestanden? Richtig gut ausgeschlafen, mit wohlig gereckten und gestreckten Gliedern, mit wachem Kopf und einem leichtfüßigen Satz aus dem Bett, so als gäbe es gleich Sprungfedern zum Frühstück? Mit Vorfreude auf diesen leuchtenden Tag, so dass das Morgengebet aus Kindertagen so richtig von Herzen passt: „Wie fröhlich bin ich aufgewacht, wie hab ich geschlafen so sanft die Nacht…“? Vor lauter Osterwonne noch vor dem Gottesdienst schon mal Goethes obligatorischen Osterspaziergang aufgesagt, der heute auf gar keinen Fall unzitiert bleiben darf: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick, im Tale grünet Hoffnungsglück; der alte Winter, in seiner Schwäche, zog sich in rauhe Berge zurück. (…) Jeder sonnt sich heute so gern. Sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn sie sind selber auferstanden.“ Ja, so kann es Ostern werden! So kann Aufstehen und Auferstehen sein!

Der Tag schwer wie ein Sisyphos-Stein

Das ist umso schöner, weil jeder von uns auch das andere Aufstehen kennt: mit Gliedern schwer wie Blei, mit schmerzendem Kopf und Augendeckeln, die sich kaum heben lassen, von der Nacht wie gerädert, weil man nicht schlafen konnte vor Sorge und Überlastung, aus Angst vor der Zukunft oder vor Schmerzen. Es fehlt jede innere Bewegung, es fehlt jeder Mut, um aufzustehen. Man tut es nur mechanisch, weil man weiß, man muss. Es bleibt nichts Anderes übrig, als dem Körper zu befehlen, er möge sich erheben, obwohl man am Liebsten liegen bleiben und sich verkriechen würde. Der Tag liegt groß und schwer wie ein gewaltiger Sisyphos-Stein vor einem. Keine Ahnung, wie man den wegwälzen soll. Und selbst wenn man den Stein ein bisschen bewegt, rollt er doch wieder zurück. Alles Rackern und sich Abmühen vergeblich.

Allererster Ostermorgen schwer wie ein Grabstein

So war wohl eher der allererste Ostermorgen für die Frauen, die sich bei Sonnenaufgang zum Grab Jesu aufmachten. Ein Morgen schwer wie der Stein, der vor das Felsen- und Höhlengrab Jesu gewälzt war. Alle hoch fliegenden Hoffnungen mit Jesus gekreuzigt, gestorben und begraben. Das Leben vorher – es war so leicht gewesen wie ein Stück Himmel auf Erden. Mit Jesus schien eine neue Zeit angebrochen, in der auf einmal alles möglich war. Alle Fesseln, alle Bedrohungen, alle Krankheiten und Leiden abgestriffen wie ein altes Kleid. Das Leben wie ein Fest und die ganze Welt aufgeschlossen vor einem wie eine Offenbarung.

Salböle gegen die Wucht der Endgültigkeit

In nur drei Tagen alles vorbei, was drei Jahre lang das Leben leuchten ließ. Vorbei, erloschen. Zurückgeblieben nur das Entsetzen über den ans Kreuz Geschlagenen. Zurückgeblieben nur Trauer und Scham: Er war ihnen alles gewesen. Er hatte alles für sie gegeben. Und das Einzige, was sie noch für ihn tun können, ist, nach seinem Grab zu sehen. Wie lächerlich, da ein bisschen herumjäten zu wollen! Wie sollen sie den Stein vor dem Grab wegwälzen? Der Grabstein steht für die vielen Todeszeichen, die bis heute unsere Wege säumen. Wollen sie der Wucht des Todes und der Endgültigkeit ihre kleinen Salböltiegelchen entgegenhalten?

Tod dem Tod, Ende dem Ende

Und dann kommt es anders, erschütternd anders: Ein Erdbeben – nicht todbringend wie das Erdbeben in Japan. Ein Erdbeben als Vorzeichen für neues Leben. Die ganze Welt erfährt, dass sich mit der Auferstehung grundstürzend alles ändert. Der Tod ist tot. Die Endgültigkeit ist am Ende. Ein Engel wälzt den Stein zur Seite und setzt sich darauf, spielerisch, fast provokativ, als würde er frech fragen: Welcher Stein auf dieser Welt will es jetzt noch wagen, das Leben einzusperren? Die Wächter, die den Toten bewachen sollen, sind selbst wie tot und der Gekreuzigte steht auf hinein ins Leben. Der Auferstandene selbst begegnet den Frauen. Er ist kein entrückter Geist oder ein in den Olymp enthobener Gott. Die Frauen umfassen Jesu Füße. Er schwebt nicht, er steht leibhaftig auf der Erde. Und er schickt sie zu den Jüngern. Alle sollen sie nach Galiläa, dorthin, wo alles angefangen hat, dorthin, wo das Leben spielt.

'Lucky child', 2006, D. Sharon Pruitt from Hill Air Force Base, Utah, USA

Mit Furcht und großer Freude

Der Evangelist Matthäus schreibt: „Mit Furcht und großer Freude gingen sie eilends weg vom Grab.“ Die großen Ereignisse im Leben, auch die überwältigend schönen gehen nicht nur mit einer Gemütsregung einher. Mehr erreichen, mehr erleben, als man jemals für möglich gehalten hat, der großen Liebe begegnen, die Geburt eines Kindes, nach erschütternder Krankheit das Leben neu geschenkt bekommen – das löst große Freude aus und zugleich auch Furcht. Nichts wird mehr so sein, wie es war. Alles ist anders – werde ich das neue Leben auch ergreifen können? Kann ich so viel Glück überhaupt fassen oder gleitet es mir gleich wieder aus der Hand?

Ostern geht nicht so schnell

Ostern geht nicht so schnell. Es braucht seine Zeit, bis man glauben kann: Der Stein ist weggewälzt. Das Grab ist leer. Ich kann die Leichentücher zusammenfalten, in die ich so viele Hoffnungen gewickelt habe. Ich kann das neu geschenkte Leben mit Händen berühren. Es ist wirklich da. Wer tief im Dunkeln war, braucht seine Zeit, bis er das Licht der Sonne ertragen kann. Er muss erst einmal die Augen schließen, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Nach und nach kann er die Lider öffnen und das Licht in ganzer Klarheit schauen. Nach langen finsteren Tagen muss erst die Taubheit der Haut weichen, bis man die Wärme der Sonnenstrahlen wieder auf dem Gesicht spürt. Dann strömt das Leben wieder in die erstarrten Glieder und Freude kann sich ausbreiten.

Ostern als Lebensmelodie

Der Tod ist tot. Das Ende ist am Ende. Das Leben siegt. Das ist wie eine Lebensmelodie, wie ein Osterhymnus, der jeden Tag und jede Nacht durchzieht. Beim fröhlichen Aufstehen geht er leicht von den Lippen. Gerade an den bleischweren Morgen ist er unverzichtbar: Kein Stein ist so schwer, dass nicht ein Engel vom Himmel herabsteigen könnte und ihn für uns wegwälzt. Wo alles am Ende und abgestorben erscheint, gerade da geschieht Auferstehung – mitten im Leben und eines Tages hinein ins ewige Leben. Amen.

Die Photographie 'Close-up of the rocky escarpment near the Garden Tomb', 2009, Anthony on Stilts, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported license.
Die Abbildung 'Illustration zu Goethes Faust I, Vor dem Tor, Osterspaziergang', 2011, Franz Xaver Simm, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Lucky child', 2006, D. Sharon Pruitt from Hill Air Force Base, Utah, USA, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.

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