Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Karfreitag - Meditation über die sieben Bilder zu den sieben letzten Worten Jesu am Kreuz

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Die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz

Meditation gehalten am Karfreitag von Pfarrer Martin Vorländer
am 22. April 2011 in der Dreikönigskirche

Die vier Evangelisten im Neuen Testament berichten auf je eigene Weise von Jesu Tod am Kreuz. Sie überliefern letzte Worte, die Jesus am Kreuz gesprochen hat. In der christlichen Tradition sind diese Worte zum festen Begriff geworden: „Die sieben letzten Worte“.

Die Künstlerin Rena N hat sieben Bilder zu den sieben letzten Worten Jesu am Kreuz gemalt. Sie sind hier an der Balustrade zu sehen. Gehen wir in Gedanken einen Kreuzweg mit sieben Stationen.

Das Johannesevangelium erzählt, wie die Mutter Jesu und der Jünger, den Jesus liebhatte, unter dem Kreuz stehen. Jesus sieht seine Mutter und bei ihr den Jünger. Er spricht zu ihr „Siehe, das ist dein Sohn!“ Und zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter!“ (Johannes 19, 26 f). Das Bild ist in Braun und Grau gehalten, so, als würde alle Farbe daraus weichen. Links ist schemenhaft ein übergroßes Gesicht zu sehen. Die Züge sind undeutlich, im Schwinden, so wie die Wangen von Sterbenden einfallen, wenn das Leben aus dem Körper weicht und ein Mensch sich verabschiedet. Auf der rechten Bildseite steht sehr aufrecht, sehr gerade, dem verschwindenden Gesicht zugewandt ein Mensch. Der Kopf dieses Menschen ist nicht zu sehen – Maria? Oder der Jünger? Zwischen Gesicht und stehendem Menschen ist ein Streifen Orange, die einzige kräftige Farbe auf dem Bild – wie Wärme, wie Lebensenergie. Es gibt Fürsorge, Liebe, Verbindung und das Knüpfen neuer Beziehungen im Tod und über den Tod hinaus. Im Ende, im Tod ein neuer Anfang, eine neue Gemeinschaft: „Siehe, das ist dein Sohn! Siehe, das ist deine Mutter!“

Die Evangelisten Matthäus und Markus erzählen, wie Jesus am Kreuz um die neunte Stunde, das ist die Stunde jetzt, schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus schreit die Worte des Psalms 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, doch meine Hilfe ist ferne.“ Der Gottessohn ist Gott verlassen. Gottesfinsternis. Nichts und niemand mehr, der hört oder helfen kann. Nur noch Abgrund. Nur noch Einsamkeit. Nur noch Schmerz. Nur noch Tod. Alles, worauf man vertraut hat, ist weg. Wovon man geglaubt hat: Das trägt mich auch in der schwersten Stunde, davon ist nichts zu spüren. Nur noch der Schrei ins Nichts, in die Leere: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Auf dem Bild kann man einen Oberkörper vermuten: Entblößt, schutzlos preisgegeben, jedem Angriff ausgesetzt. Ein schwarzer, massiver Querbalken durchkreuzt die Farben Rot, Gelb und Grün. Liebe, Licht, Hoffnung schwarz durchgestrichen. Wie in den schwärzesten Nächten, in denen man vor Angst nicht schlafen kann. Alles Helle scheint von der Dunkelheit verschluckt. Vielleicht paradox, doch es ist wie ein Trost, dass Jesus selbst das durchleidet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Rechts und links von Jesus, so erzählt der Evangelist Lukas, wurden zwei Verbrecher gekreuzigt. Der eine lästert über Jesus: „Bist du nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und uns!“ Doch der andere weist ihn zurecht: „Wir werden zu Recht für unsere Taten gekreuzigt. Aber dieser hat nichts Unrechtes getan.“ Und zu Jesus sagt er: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst“. Und Jesus spricht zu ihm das dritte der letzten sieben Worte: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Das entspricht dem, was Jesus sein ganzes Leben lang verkündigt und gelebt hat: Bei Gott ist es nie zu spät umzukehren. Auf dem Bild sieht man zwei Gestalten: Die linke ist ganz in fast schwarzes Blau getaucht. Die andere Gestalt rechts hat eine gelbe, ja goldene Aura wie ein Heiligenschein. Die lichten Farben breiten sich zu dem Kopf in Dunkelblau hin aus, als würden sie ihn mit hinein in den Schein nehmen. Der im Dunkeln darf ins Licht kommen. Auch wenn man sich noch so sehr verrannt und Unrecht getan hat wie der Schächer am Kreuz, selbst auf der letzten kleinen Spanne Leben, die noch bleibt, ist es nicht zu spät für Reue, Umkehr und für die Verheißung: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“, ist das vierte Wort. „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, so hieß der deutsche Titel des amerikanischen Films mit James Dean aus dem Jahr 1955. Im Film geht es um die verlorene unglückliche junge Generation der Halbstarken, die scheinbar grundlos gegen ihre Eltern, gegen die Gesellschaft, gegen alles rebellieren. Der Titel lässt offen, wer da eigentlich nicht weiß, was er tut: Die halbstarken Jugendlichen oder ihre verständnis- und hilflosen Eltern? Im Lukasevangelium spricht Jesus diesen Satz, als ihn die Soldaten auf der Schädelstätte Golgatha kreuzigen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Der ans Kreuz geschlagen wird, bittet um Vergebung für seine Peiniger. Das Opfer bittet für die Täter. Fürbitte an Gott für die Folterknechte, die damals wie heute ihr Tod bringendes Handwerk verrichten. Die Eltern von Mirko, dem zehnjährigen Jungen, der im September ermordet wurde, haben immer auch für den Täter gebetet und ihn gesegnet. Befremdend. Beeindruckend. Auf dem Bild sind mitten im Schwarz zwei weiße Kreuze aufgerichtet, die nach oben hin in ein helles Blau übergehen. Das Kreuz wird zum Zeichen für Vergebung, für Vergebung selbst für die, die eigentlich keine Vergebung verdient haben. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Der Evangelist Johannes erzählt: „Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.“ (Johannes 19, 28). Eine rote Feuersbrunst setzt fast das ganze Bild in Brand. Der Kopf und Oberkörper inmitten dieser roten Flammen ist aschgrau. Man ahnt die Haut, die vor Trockenheit herunterblättert wie weißer Putz. Die Lippen grau, blutleer und aufgeplatzt, leicht geöffnet nach oben gerichtet nach etwas, das den Brand und Durst löschen könnte. Nur ein Tropfen Wasser, um diese entsetzliche Dürre ein bisschen zu feuchten. Bei der Hospiz- und Palliativbetreuung ist es wichtig, immer darauf zu achten, dass der Mund des Sterbenden nicht austrocknet. Auch wenn der Körper keine Flüssigkeit mehr aufnimmt, kann man mit einem getränkten Wattestäbchen den Mund feuchten und dem Sterbenden so Linderung verschaffen. Jesus, der von sich gesagt hat, dass er Wasser geben kann von der Quelle ewigen Lebens, so dass einen nie wieder dürstet – Jesus, der den Durst nach Leben so vieler Menschen stillen konnte, ist am Ende angekommen und sagt: „Mich dürstet.“

Statt Wasser hält man Jesus einen Schwamm mit Essig an den Mund. Der Evangelist Johannes schreibt: „Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied.“ (Johannes 19, 30) Es ist vollbracht. Auf dem Bild sieht man ein Haupt. Es ist zur Seite gedreht, doch nicht nach unten, sondern nach oben. Die Haltung von Gesicht, Hals und Oberkörper sind wie ein sich Ausstrecken nach oben. Heraus aus dem schwarzen Kasten, der ihn umgibt. Entrückt, das Gesicht einer Wirklichkeit zugewandt, die wir nicht sehen können. Das Ende wird zum Ziel, zur Tür zu neuem Leben. Es ist vollbracht.

Der Evangelist Lukas schreibt vom Tod Jesu: „Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.“ (Lukas 23, 46) Die Figur auf dem letzten siebten Bild ist wie ein Geist, von innen rot erleuchtet, mehr ein Torso als ein vollständiger Körper mitten in einem schwarzen Nichts. Ein düsteres, unheimliches Bild. Doch der Satz zu diesem Bild ist freundlich, kindlich vertrauensvoll: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Was immer geschieht, welches Grauen auf mich wartet, in welche Dunkelheit ich gehen muss, ich weiß mich von deinen Händen gehalten, getragen, geleitet. Von guten Mächten wunderbar geborgen, egal was kommen mag. Nicht einmal der Tod kann mich schrecken. Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.

Beim Evangelisten Markus heißt es: „Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (Markus 15, 39)

Wir danken Rena N, dass sie uns ihre wunderbaren Bilder kostenlos zur Verfügung gestellt hat.

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