Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Christfest, 1. Feiertag - Micha 5, 1 und Amos 9, 11 Krippenliebhaber und Baumliebhaber

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Weihnachtskrippe in der Dreikönigskirche

Christfest, 1. Feiertag

Krippenliebhaber und Baumliebhaber Micha 5, 1 und Amos 9, 11


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 25. Dezember 2010 in der Dreikönigskirche

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe festliche Gemeinde!

Krippenliebhaber und Baumliebhaber

Es gibt Krippenliebhaber und es gibt Baumliebhaber. In einer Weihnachtsgeschichte aus Neapel erzählt der Schriftsteller Luciano de Crescenzo über den Unterschied zwischen den Krippenliebhabern und den Weihnachtsbaumliebhaberinnen. Die Frauen lieben den Baum, so seine These, weil das Glitzern und Funkeln so anziehend für sie sei, während die Männer liebevoll an ihren Krippenfiguren schnitzen, großartige Landschaften aufbauen, die das halbe Wohnzimmer füllen und mit viel Liebe zum Detail ganze Scharen von Handwerkern, Kaufleuten oder Gemüsehändlern auf den Weg zur Krippe schicken.

So wichtig wie die Blutgruppe

Luciano de Crescenzo schreibt: „Also die Einteilung in Krippenliebhaber und Baumliebhaber ist so entscheidend, dass sie meiner Meinung nach so wie Geschlecht und Blutgruppe in die Personalausweise eingetragen werden müsste. Naja, sonst entdeckt doch so ein armer Teufel vielleicht erst nach seiner Heirat, dass er sich mit einem Christenmenschen zusammengetan hat, der ganz andere Weihnachtsgewohnheiten hat.“

Was Oma nicht wissen darf

Die Vorliebe für Krippe oder Baum gründen zum großen Teil in der jeweiligen Familien- und Herkunftstradition. Das weiß jeder, der schon einmal mit einem anderen Weihnachten gefeiert hat. Für den einen gehört zu Weihnachten unbedingt etwas dazu, was der andere eher seltsam, kitschig oder allzu nüchtern findet. Eine Frau aus Norddeutschland erzählte vor kurzem: „Ich darf meiner Oma ja nicht erzählen, dass ich jetzt eine Krippe im Wohnzimmer stehen habe. Die gab es bei uns zu Hause nie!“

Weder Baum noch Krippe

„Ich kann weder mit Baum noch mit Krippe etwas anfangen.“ sagt ein anderer. Es gibt Zeiten, in denen Baum und Krippe inhaltsleer oder kitschig erscheinen, wie ein kalter Abklatsch des weihnachtlichen Konsums. Es gibt Zeiten, in denen man Baum und Krippe aus dem Weihnachtszimmer verbannt. Schließlich sind die Kinder aus dem Haus und für mich alleine lohnt es nicht. Oder: „Weihnachten fällt für mich dieses Jahr aus und das Weihnachtszimmer bleibt leer.“

'Danish Christmas', 2004, Malene Thyssen

Wegweiser nach Weihnachten

Aber hier in der Kirche stehen sie: der Weihnachtsbaum und die Krippe. Sie erzählen von Tradition und Festgestaltung. Sie schmücken unsere Kirche, aber vor allem sind sie ein Sinnbild und ein Wegweiser, um die Weihnachtsbotschaft zu verstehen. Der Weihnachtsbaum erinnert an die Suche nach dem Paradies. Er erinnert uns an die Suche nach Seligkeit und einem guten Leben, das keine Entzweiung kennt. Der Paradiesbaum aus der Schöpfungsgeschichte ist eine Wurzel unseres Weihnachtsbaumes. Nicht umsonst hängen die roten Äpfel, die Paradiesfrüchte, am Baum. Die Weihnachtsbaumkugeln, die heute viele verwenden, sind die modernen Nachfolger der Früchte.

Jenseits von Eden

Der Paradiesbaum ist der Baum der Erkenntnis, an dessen Früchten Adam und Eva sich vergriffen haben. Seitdem ist das Haben-wollen, das sich Einverleiben-wollen in der Welt. Seitdem leben wir jenseits von Eden, getrennt von dem Ort, an dem Mensch und Gott eins waren, getrennt von dem Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren.
Diese Trennung ist schmerzlich spürbar zwischen Mensch und Mensch: Man will sich lieben und verstehen und trotzdem kracht’s. Man sehnt sich nach einem Pendant, nach einem Seelenverwandten und bleibt doch auf sich selbst zurückgeworfen mit dem Gefühl großer Einsamkeit. Man streckt sich aus nach Gott, aber findet keine Antwort. Man fühlt sich Gott ab und der Welt abhanden gekommen.

Nicht mehr und noch nicht

Diese Trennung von Gott gehört zu unserem Menschsein dazu. Wir sind nicht mehr, noch nicht eins mit uns selbst, mit Gott, der Liebe und der Welt. Es geht um das Aushalten der Widersprüche in unserem Leben, auch an Weihnachten. Der Stamm des Weihnachtsbaums erinnert an den Stamm des Kreuzes, an dem der Gottessohn sterben wird. Beides wohnt in uns: Schmerz und Freude, Finsternis und Licht, Schuld und Versöhnung, Zweifel und Gewissheit. Wir sind nicht mehr und wir sind noch nicht, wie Gott uns gemeint hat. Wir sind noch getrennt von dem, dass wir aus Licht geboren und zur Liebe fähig sind.

Suche nach Glück

Aber wir haben die Ahnung in uns, dass wir aus Liebe und Licht geboren sind. Es gibt dieses schmerzliche Sehnen, es möge doch den Ort des Paradieses, den Ort von Seligkeit und guten Lebens geben. Wir suchen danach an allen möglichen und unmöglichen Orten dieser Erde: Wir suchen Erfüllung in der stimmigen und erfolgreichen Arbeit, im perfekten Partner/Partnerin, in der harmonischen Familienkonstellation, in intensiver geistlicher Gemeinschaft und einem Ideal von Gemeinde, im wahren spirituellen Weg und in den richtigen Werten. Manchmal scheint es für einen kurzen Augenblick auf, das Glück. In manchen Zeiten sind für einen Augenblick Himmel und Erde eins.

Wo war doch gleich der Haken?

Aber irgendwie gibt es doch immer etwas, liebe Gemeinde, was nicht stimmt. Wie im Leben, so auch an Weihnachten. Der Baum ist zu schief, der Baumständer zu klein oder die Baumspitze krumm. Das Krippenlicht brennt durch und kein Ersatzbirnchen ist zur Hand. Man hat vergessen, den richtigen Senf für die Würstel zu kaufen, das Weihnachtsgeld hat mal wieder nicht für die großen Geschenkwünsche gereicht, gerade am Weihnachtsabend macht der Partner eine Szene und dann wollen auch noch die Kinder nach der Bescherung mit Freunden weg. Das sind gleichwohl nur die kleinen Dramen des Lebens. Denn es gibt ja die großen Dramen: dass einem Weh ums Herz ist, weil etwas im Leben gewaltig in die Brüche gegangen ist.

Wahre Menschlichkeit ist göttlich

„Fürchtet euch nicht! Denn euch ist heute der Heiland geboren“, spricht der Engel zu den Hirten. Die Paradiestüren werden an Weihnachten geöffnet, allem Fürchterlichen und allen Ängsten zum Trotz. Gott und Mensch werden von neuem eins. Die Engel versperren nicht länger den Weg zum Paradies, sondern jubilieren und weisen den Weg zum Heil der Welt: Welt ging verloren, Christ ist geboren. Gott wird Mensch, begegnet den Menschen im Menschen. Und wir dürfen schauen, wie göttlich wahre Menschlichkeit ist.

Auf nach Bethlehem!

So oberflächliches Glanzwerk ist der Weihnachtsbaum also gar nicht! Nun müssen wir aber unbedingt auch den Krippenliebhabern gerecht werden. Die Krippe verweist uns zurück auf die alte Verheißung des Propheten Micha, sie verweist uns nach Bethlehem, was übersetzt heißt: Brothausen. Beim Propheten Micha heißt es: „Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ (Micha 5, 1)

Retter aus kleinen Verhältnissen

Der Retter der Welt kommt aus kleinen Verhältnissen, aus einer unbedeutenden Ecke der Welt. Nicht aus Jerusalem, der Hauptstadt. Wer einmal Bilder des antiken Jerusalem gesehen hat oder selbst dort war, kann sich vorstellen, wie es zur Zeit der Geburt Jesu dort ausgesehen hat. Eine Stadt, die als Verkehrsknotenpunkt gilt und in wirtschaftlicher Blüte steht. Die Stadtgrenzen werden erweitert, das Umland wird eingemeindet. Das Bauhandwerk floriert, ein Prachtbau nach dem anderen entsteht.

Provinznest

Funkelnde Lichter, pulsierendes Leben. Eine Stadt mit vielen Anziehungspunkten. Rund acht Kilometer südlich davon liegt Bethlehem, ein damals unbedeutender Ort. In Bethlehem geht das Leben ruhig und gemächlich seinen Gang. Die Leute aus der Stadt kommen nur selten her - alles ist in ein paar Schritten abgelaufen und viel zu still. Aus einem solchen Ort kommt, so sieht es der Prophet Micha im Jahr 700 vor Christus voraus, der Retter der Welt.

Das Kleine wird groß

Auf einmal ist das Kleine, vermeintlich Unscheinbare wichtig. Gott erscheint zu Weihnachten nicht in der prunkvollen Hauptstadt, nicht im Herrscherhaus Jerusalems. Ein armseliger Stall in einem Provinznest, das in keinem Reiseführer verzeichnet war, wird in einer Nacht zu dem Punkt, um den sich die Welt dreht.

Gott, ein paar Pfund schwer

Das bedeutet jedoch nicht: Das Kleine soll schön brav klein bleiben. Nein! Gott kommt ins Kleine und verhilft dem Kleinen zu seiner wahren Größe. Gott, die himmlische Majestät, kommt zu den Menschen und liegt gerade ein paar Pfund schwer in der Futterkrippe. Er wird ein Baby mit dunklen Augen, das ab und zu schlecht aufgelegt ist, Bauchkneifen hat und jämmerlich schreit. Gott kriegt ein Gesicht.

Königliche Geburt in kleinem Rahmen

Seine Geburt wird nicht in großem Stil begangen, sondern in kleinem Rahmen gefeiert. Die maßgeblichen Männer in Politik und Religion, die gewöhnlich gut informierten Kreise, wissen diesmal nichts. Ihnen wird nichts gesagt. Was sie doch erfahren, haben sie nicht verwerten können, weil sie den Blick für Details und das Gehör für die leisen Töne verloren haben.

Niemals Hinz und Kunz

Hirten, von denen wir nicht einmal einen Namen kennen, kleine Leute, sie sind die ersten, die das Kind sehen dürfen. Kleine Leute, von anderen verächtlich als Hinz und Kunz abgetan, haben die Ehre... Sie begegnen Gott - nicht als Hintergrund für einen Fototermin, nicht als Claqueure, die die Show willig beklatschen. Gott trifft niemals auf Hinz und Kunz - weder damals noch heute. Der Retter der Welt begegnet immer einzelnen Menschen mit ihrer ganz eigenen Lebensgeschichte, mit ihren persönlichen Sehnsüchten und Sorgen.

'The Adoration of the Shepherds', 1504-1505, Albrecht Dürer

Die abgebrochene Hütte Davids

Die Krippe in Bethlehem verweist noch auf die Vorausschau eines anderen Propheten. Amos schreibt über sieben Jahrhunderte vor Christi Geburt: „Zur selben Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Risse vermauern und, was abgebrochen ist, wieder aufrichten und will sie bauen, wie sie vorzeiten gewesen ist.“ (Amos 9,11)

Geburtsort: Bruchbude Bethlehem

Aufgrund dieser Weissagung wird die Krippe oft als ein windiger, heruntergekommener Stall dargestellt. Denn mit Jesus, dem Davidsohn, wird die Hütte Davids wieder aufgebaut. Das Geburtshaus des Königs aller Könige ist eine Bruchbude. Das Dach ist löchrig, die Mauern sind von Unkraut überwachsen und zum Teil eingestürzt. Das Kreuz der Holzbalken im Dachgiebel deutet an, welche Grausamkeit auf den neugeborenen König wartet.

Mehr Stall als Palast

„Ich will, was abgebrochen ist, wieder aufrichten“, spricht Gott aus dem Munde des Propheten Amos. Ich finde das sehr tröstlich auch für unser Leben. Selbst wer sagen kann: Schaut her, mein Leben: ein glänzender Palast! Selbst diese Glücklichen wissen, dass es ihnen verdammt schnell nass reingehen kann, dass der ganze Palast nichts nützt, wenn die Fundamente des Lebens ins Wanken geraten. Unser Leben ist wie dieser Stall, wie die abgebrochene Hütte Davids. brüchig, fragmentarisch, nie ganz fertig. Die Trümmer verweisen auf das in unserem Leben, was einmal intakt war, aber in die Brüche ging. Die Trümmer verweisen zugleich auf das, was wieder werden kann.

Genau da will Gott wohnen

Ein Palast ist unser Leben nur selten. Aber das muss es auch nicht sein. Gott will Wohnung in unserem Leben nehmen, das ist die Botschaft von Weihnachten. Gott kommt mitten in den Brüchen unseres Lebens zur Welt. Er kommt in eine abgebrochene Hütte. Nichts scheint perfekt, nichts vollkommen. Aber Christus kommt genau in dem Haus zur Welt, das unser Leben ist.

Gut genug, groß genug, weit genug

Wenn damals in Bethlehem Gott in ein kleines Kind eingetaucht ist, in einen Menschen aus Fleisch und Blut, dann heißt das, ein vergehender menschlicher Körper ist schön genug, um Gefäß des Göttlichen zu sein. Dann heißt das, wir sind geliebte und wunderbare Menschen. Das Haus unseres Lebens, wie immer es aussieht, ist gut genug, ist groß genug, ist weit genug, ist frei genug, damit Gott darin wohnen kann. Amen.

Das Gemälde 'The Adoration of the Shepherds', 1504-1505, Albrecht Dürer, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Danish Christmas', 2004, Malene Thyssen, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.

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