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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 4. Sonnntag im Advent - Lukas 1, 26 – 38 Guter Hoffnung sein - Maria

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4. Sonnntag im Advent

Guter Hoffnung sein - Maria

Lukas 1, 26 – 38
Predigt und Fürbitten gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 19. Dezember 2010 in der Bergkirche

Liebe Gemeinde!

Wie die Jungfrau zum Kind

„Ich bin dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kinde“, sagt man und das klingt eher entschuldigend: Ich habe nichts damit zu tun, es ist mir zugefallen, ohne dass ich es wollte. Doch der entschuldigende Ton ist fehl am Platz: Wie die Jungfrau zum Kinde – das ist eine Erfolgsgeschichte. In der Bibel kommt das Höchste dabei heraus, wenn ein Mensch sich auf das einlässt, was Gott ihm oder ihr in den Schoß wirft. Wir hören den Predigttext für den vierten Advent aus dem 1. Kapitel im Lukasevangelium:

Und im sechsten Monat ward der Engel Gabriel gesandt von Gott in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Manne mit Namen Joseph, vom Hause David: und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßet seist du, Holdselige! Der HERR ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern! Da sie aber ihn sah, erschrak sie über seine Rede und gedachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen. Der wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der HERR wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben; und er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich, und seines Königreiches wird kein Ende sein.
Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Gefreunde, ist auch schwanger mit einem Sohn in ihrem Alter und geht jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe ich bin des HERRN Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Lukas 1, 26 – 38

Rutschpartie vom Himmel

Maria und Gabriel. Eine Szene zart und zugleich mächtig. Ehrerbietig spricht Gabriel, das Himmelswesen, die Erdenbürgerin Maria an: Ave Maria – sei gegrüßt, du Begnadete! Ein engelisch-menschliches Rendezvous – mit beträchtlichen Folgen für Maria: Wiewohl noch Jungfrau wird sie schwanger und wird den Sohn des Höchsten gebären.

Gruppenbild mit Engel

Die Szene ist oft gemalt worden. Ich habe Bilder vor Augen, auf denen sieht man auf der einen Seite den Engel Gabriel mit einer Lilie in der Hand als Zeichen der Reinheit. Auf der anderen Bildseite ist Maria, die Augen demütig, mutig zum Dienen niedergeschlagen. Oben sieht man aus Wolken heraus Gott-Vater auf die irdische Szene herabschauen. Ein Lichtstrahl geht von ihm aus, der das ganze Bild von oben nach unten hin zu Maria durchquert. Das Licht fällt auf Maria und ein kleines, quietschvergnügt lachendes Jesuskind, in Windeln gewickelt, macht auf dem Lichtstrahl eine Rutschpartie in Maria hinein.

Wie soll das zugehen?

„Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?“, fragt Maria den Engel. Als Jugendlicher habe ich mich über Maria gewundert: Wie, sie weiß von keinem Mann? Sie ist doch mit Josef verlobt! Hat sie den vor lauter Schreck vergessen? Nun, ich wurde aufgeklärt: „Nicht wissen“ meint das biblische „noch nicht erkannt haben“, also übersetzt: Maria und Josef waren zwar verlobt, aber noch nicht als Mann und Frau intim miteinander gewesen. Die Hochzeitsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Begegnungen zwischen Maria und Josef gibt es nur im Beisein von Verwandten. Josef braucht keinen Vaterschaftstest, um zu wissen: Dieses werdende Leben ist nicht sein Kind.

Begnadet um einen hohen Preis

Maria und Josef wird von Gott einiges zugemutet. Sie müssen Gerede, Klatsch und Tratsch befürchten. Wie sieht das für Außenstehende aus: Verlobt, noch nicht verheiratet und sie schon schwanger, noch dazu nicht von Josef. Das ist anstößig. „Du Begnadete!“, spricht der Engel Gabriel Maria an. Das Begnadetsein hat einen hohen Preis für sie, es könnte sie sogar das Leben kosten. Nach damaligem Rechtsbrauch hätte Josef Maria anzeigen können. Auf eine offensichtliche Ehebrecherin wartete die Steinigung. Das hätte das Todesurteil für Maria und ihr ungeborenes Kind sein können.

Wirklich ganz Mensch

Die Bibel erzählt: Gott wird wirklich ganz Mensch. Das ist die Ausgangssituation von Weihnachten: Keine traditionelle Familie im herkömmlichen Sinn, keine geordneten Verhältnisse, stattdessen Angst vor Schande, Lebensgefahr. Genau da hinein, in dieses Konglomerat von widerstreitenden Gefühlen und knallharten Gesetzen begibt sich Gott – ein Gott, der Menschen in den allerkomplexesten Lebenssituationen ganz nah, hautnah ist. Das Leben des Gottessohnes ist von Anfang an voller Wunder und zugleich den Schattenseiten dieser Welt ausgesetzt.

Genau da will Gott wohnen

Die anderen Umstände von Maria sind für damalige Zeitgenossen zweideutig, fragwürdig – so wie unsere Biographien und Familiengeschichten nicht immer geradlinig sind, sondern Brüche und offene Stellen haben. Doch genau in dieses unser Leben hinein mit seinen Widersprüchlichkeiten und gnadenlosen Härten kommt Gott und wird Mensch, um uns Menschen nahe zu sein. Er will in unseren Lebensgeschichten Wohnung nehmen, in unseren Herzen und Gedanken, um mit uns gemeinsam einen guten Lebensweg zu finden. Wer diesen Gott bei sich hat, ist wirklich begnadet.

Bedingungsloses Ja

Maria wird unehelich Mutter, obwohl das in den Augen der damaligen Gesellschaft eine Schande war und grausam bestraft werden konnte. Ihre Kraft, den Verhältnissen zu widerstehen, kommt nicht daher, dass sie blinden Gehorsam leistet - wem auch immer. Sie weiß, was sie tut und warum. Sie verhilft Gott zum Durchbruch auf Erden. Mit ihrem bedingungslosen Ja trägt sie dazu bei, dass Gott Mensch werden, sich entwickeln und entfalten kann. In vorbildlicher Weise, mit Leib und Seele, übernimmt Maria Verantwortung für das Geschehen in der Welt.

Symbol für unser Ja

Ihre Lebensgeschichte ist ein Symbol dafür, dass Gott nicht über den Kopf von Menschen hinweg handelt, sondern ihr engagiertes Ja braucht und in Anspruch nimmt, um seine Absichten zu verwirklichen. Mit Gottes Hilfe ein engagiertes Ja, das braucht die Welt, das brauchen wir, um Unterdrückung und Gewalt Einhalt zu gebieten, die ganz im Kleinen anfangen und sich schrecklich auswachsen können. Ein engagiertes Ja, um ungerechte Lebensverhältnisse nicht stillschweigend zu dulden, sondern zum Besseren hin zu verändern.

Jungfrau

„Ich bin des Herrn Magd“, sagt Maria. „Magd“ nennt sie selbst sich nur Gott gegenüber. Sie ist eine Frau, die von keinem Mann weiß, wie es in der Bibel heißt. Sie ist Jungfrau. Die biologische Seite an dieser Beschreibung Marias, die später noch mehreren Kindern das Leben geschenkt hat, war für mich nie von Interesse. Zudem handelt es sich um eine innerbiblische Übersetzungsverschiebung: In der Prophezeiung bei Jesaja heißt es, eine „junge Frau“ (hebräisch „imma“) ist schwanger. Bei den Evangelisten wurde aus der jungen Frau eine „parthenos“, eine Jungfrau. Die Mutter Jesu als Jungfrau, das führt über ein verengtes, auf medizinische Fragen fixiertes Verständnis weit hinaus. Maria ist unabhängig. Die junge Frau definiert sich nicht über irgendeinen Mann, auch nicht über den, den sie liebt. Sie ist nicht Frau Josef aus Nazareth, die Zimmermannsgattin, sondern Maria. Sie ist sie selbst – unberührt davon, wen oder was Josef darstellt. Damit liefert sie eine Lernhilfe für ihre schwarz-, blond- oder rothaarigen weiblichen Nachfahren. Maria ist als Persönlichkeit, als Frau intakt. So wird sie zu einer liebes- und gesprächsfähigen Partnerin.

Un-passend

Maria passt in kein Bild. Darum gut, dass es so viele Bilder von ihr gibt. Maria ist, wie wir alle bei Gott sein dürfen: Keine Menschen, die passen müssen, die von klein auf in fremde Vorgaben gepresst werden und dem entsprechen sollen, was andere von uns erwarten. Sondern Gottes unverwechselbare Töchter und Söhne, jede und jeder für sich genommen einmalig, bei Gott unendlich wichtig. Jede und jeder von uns gepriesen, begnadet, gebenedeit. Maria nachzueifern und den eigenen, ganz persönlichen Teil dazu beizutragen, dass Gott in die Welt kommt, das lohnt sich heute wie damals.

Guter Hoffnung

Maria. Eine schwangere Frau. Immer wieder von neuem eine Sensation: Zwei Personen in einer. Bis zu neun Monate lang niemals allein, sondern in jeder Sekunde wachsendes Leben unter dem Herzen tragen. „Guter Hoffnung sein“ nannte man das früher. Einfach guter Hoffnung zu sein war nie einfach – früher wie heute. Menschliches Leben heute wird von Anfang an, noch vor der Geburt, ja in manchen Fällen sogar vor der Einnistung in die Gebärmutter untersucht, gewogen und im ungünstigen Fall für zu leicht befunden, um zum Leben kommen zu dürfen. Die Medizin hat atemberaubende Fortschritte gemacht, die vielfach ein wahrer Segen für Kinder und ihre Eltern sind.

Gewogen und für zu leicht befunden

Ich bin in Sorge, wo dieser Segen Gefahr läuft, in Fluch umzuschlagen. Wir erleben derzeit die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID). Die PID hat das Ziel, unerwünschtes menschliches Leben auszusortieren. Aber Menschen dürfen sich niemals anmaßen, menschliches Leben zu selektieren und über sein Lebensrecht zu entscheiden. Befürworter weisen darauf hin, dass sich Menschen sehnlichst ein Kind wünschen, aber befürchten, Erbanlagen zu Krankheit oder Behinderung weiterzugeben, und dieses Risiko ausschließen wollen. Solche Ängste sind ernst zu nehmen. Als Kirche und Diakonie geben wir unser Bestes, um Eltern und ihren werdenden und geborenen Kindern beizustehen.

Leben – Risiko und Geschenk

Bei allem Segen, den der medizinische Fortschritt bedeutet, müssen wir uns hüten vor der unerfüllbaren Erwartung, Leben sei mithilfe von Wissenschaft und Forschung machbar. Leben ist und bleibt ein Risiko. Und: Leben ist ein Geschenk – und kein Produkt, auf dessen optimale Fertigung es einen Anspruch gäbe. Ich möchte eine Gesellschaft, in der jedem Leben Lebensrecht zugebilligt wird. Die Lehren aus unserer Geschichte zeigen, dass wir allen Versuchen widerstehen müssen, zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben zu unterscheiden.

Solidarität statt Selektion

Unsere Gesellschaft - also wir! - müssen unsere Verantwortung wahrnehmen und Leben mit seinen Schwächen und Stärken annehmen, es willkommen heißen. Niemand wird bezweifeln, dass Eltern sehr oft durch eine Krankheit oder Behinderung ihres Kindes schwer belastet sind – aber das erfordert keine Selektion, sondern praktische Solidarität in der Gesellschaft. Das ist meine Vision: Alle Menschen sollten sein dürfen, ohne und mit Einschränkungen, sie selbst sein.

Two in one

Eine schwangere Frau. Zwei in einer. Zwischenmenschlich ist immer mehr unterwegs, als von außen sichtbar. In einem Plausch mit der Nachbarin über Alltägliches geht einer unausgesprochen schwanger mit Lebensplänen. Mitten im Meeting ist eine Kollegin hochkonzentriert und engagiert bei der Sache – wer würde ahnen, dass sie zugleich über beide Ohren verliebt ist und voller innerer Erwartung das Rendezvous am Abend herbeisehnt?

Mehr als der äußere Schein

Glauben heißt mehr sehen als den äußeren Schein und darauf vertrauen, dass Gott in unserem Leben gegenwärtig ist in sichtbaren und in verborgenen, erst zu entdeckenden Zeichen seiner Liebe. Der erwachsene Jesus wird einmal sagen: „Siehe, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ (Lukas 17, 21 in der ursprünglichen Übersetzung Martin Luthers). Gott ist gegenwärtig in Köpfen, in Herzen, überall da, wo Menschen so leben, dass an ihnen und durch sie etwas von der Liebe und der Leidenschaft unseres Gottes sichtbar wird, der das Leben und die Freiheit will. Wir gehen gleichsam schwanger mit Gottes Reich, das in uns wachsen will und durch uns zur Welt kommen soll

Ganz Gott

Zwei in einem. Das bekennen wir von Jesus Christus: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Jesus ist ganz Mensch. Aber er ist nicht nur Mensch. Sonst würde an Weihnachten für uns Menschen nichts geschehen. Jesus wäre dann vielleicht ein Wunderheiler oder Guru gewesen, aber nicht der Heiland und Erlöser. Wir würden auf uns selbst sitzen bleiben und wären von Gott so weit entfernt wie der Morgen vom Abend. Die Geschichte von der Ankündigung der Geburt Jesu drückt aus: Dieser Mensch Jesus ist ganz Mensch und ganz Gott. Mit ihm kommt Gott selbst zur Welt. Damit ändert sich unser Leben: Gott kommt darin vor. Wie ein Lichtstrahl fällt er hinein in mein, in Ihr Leben. Gott ist uns menschlich und zugleich göttlich nahe, egal, ob unsere Lebensumstände gerade verworren oder engelgleich klar und leicht sind.

Dornen zu Rosen

Gottes Einfall in unser Leben kann eine Zumutung sein. So war es auch für Maria. Doch mutig hat sie sich Gottes Zumutung gestellt: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Maria durch ein Dornwald ging… Maria erlebt, dass Gottes Zumutungen wie Dornen sind, die zu Rosen werden. Solches zu erfahren, wenn das Leben sich kratzbürstig und verletzend zeigt, dass Dornen zu Rosen werden, das wünsche ich uns auch.
Amen.

Fürbitten zum 4. Advent

Es kommt ein Schiff geladen.

Großer Gott, unterwegs zu uns, sei voll Gnaden mit denen, die schwer beladen auf den Heiligen Abend zugehen, weil die Sorge des Lebens auf ihren Schultern lastet, Kummer und Harm ihnen das Herz schwer machen. Sei voll Gnaden mit denen, die an Körper und Seele groß Pein und Marter viel leiden.

Großer Gott, unterwegs zu uns, sei voll Gnaden mit denen, die um einen geliebten Menschen trauern. Wir bitten dich für unsere Verstorbenen: Lass sie segeln hinein in die Weite deiner Seligkeit. Lass sie ankommen und Anker werfen im Land des ewigen Lebens, das wir alle in Christus erben dürfen.

Großer Gott, unterwegs zu uns, sei voll Gnaden mit uns, die wir bis ans höchste Bord geladen sind mit Hoffnung. Hoffnung für unser Leben, für unser Miteinander, Hoffnung für unsere Welt im Großen wie im Kleinen. Sei du unser Segel der Liebe und dein Heiliger Geist unser Mast hier, jetzt und in Ewigkeit. Amen.

Das Gemälde 'The Annunciation', séc. XVIII, Catedral Basílica do São Salvador da Bahia, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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