Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Römer 2, 1-11 Entschuldigung ist manchmal das schwerste Wort.

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Entschuldigung

... ist manchmal das schwerste Wort.

Buß- und Bettag:
Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 17. November 2010 in der Bergkirche

„Jetzt vertragt euch doch wieder!“

„Jetzt vertragt euch doch wieder!“, sagte die Mutter entnervt, wenn sich im Kinderzimmer wieder einmal großes Geschrei erhoben hatte, ein Bruder den anderen schubste, an den Haaren zerrte und heulend behauptete: „Der hat aber angefangen!“
„Vertragt euch doch wieder!“ Das ist leichter gesagt als getan, wenn einem die Wut noch tief in der Magengrube sitzt und die Faust sich ballt, weil man dem anderen nicht vergeben, sondern heimzahlen will, was der einem angetan hat.
Fast noch schwieriger ist es, dem anderen zu sagen: Das war nicht richtig von mir. Tut mir Leid, was ich zu dir gesagt habe. Tut mir Leid, dass ich dir die Schaufel weggenommen oder sie dir übergebraten habe. Entschuldigung!
Und es ist dreimal so schwierig, die Entschuldigung des anderen dann auch anzunehmen. Da muss man ja seinen ganzen schönen Groll sein lassen. Dabei ist es doch so schön, dem anderen die gemachten Fehler immer wieder neu genüsslich aufs Butterbrot zu schmieren nach der Devise „Ich bin ja nicht nachtragend, aber das werde ich mir merken.“

Wer war’s?

Es gibt Dinge, die ändern sich nie, auch wenn man dem Kindesalter entwächst, groß und scheinbar klüger geworden ist. Eigene Fehler eingestehen, um Entschuldigung bitten und umgekehrt eine Entschuldigung annehmen – das fällt auch in der Welt der Erwachsenen nicht leicht, vielmehr ungeheuer schwer. Einen Erfolg schreibt sich jeder gerne auf die Fahnen. Aber wenn eine Sache gründlich schief ging, am Ende gar mit schrecklichen Folgen, will es keiner gewesen sein. Einer schiebt die Schuld auf den anderen. Das Prinzip Verantwortung hat manchmal wenig mutige Anhänger.

'Haus der Geschichte in Bonn, Willy Brands Kniefall und sein Nobeldiplom', 2009, Holger.Ellgaard

Hoppala!

Auf der anderen Seite gibt es auch das: ein schnell dahingesagtes „Tschuldigung!“, ohne Einsicht in die eigenen Fehler, ohne Gespür, was man dem anderen angetan hat. „Hoppala, öha, du, sorry du“ und damit meint man, ist die Sache aus der Welt. Ist sie nicht. Das drückt ja der Satz aus: „Es tut mir Leid.“ Das heißt, ich erahne den Schmerz, den ich dir zugefügt habe. Dein Leid verursacht nun mir Leid. Wenn das bei einer Entschuldigung nicht spürbar wird, dann ist die Entschuldigung nichts wert. Zur Buße gehört deshalb als erster Schritt die „contritio cordis“, die aufrichtige Reue des Herzens. Ohne herzliche Reue bleibt eine Entschuldigung oberflächlich. Elton John hat unnachahmlich gesungen: „Sorry seems to be the hardest word – Entschuldigung ist wohl das schwerste Wort.“

Der Kniefall in Warschau

Vor bald 40 Jahren, am 7. Dezember 1970 kniete der damalige Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Denkmal an die Opfer des Warschauer Ghettos. Die unfassbaren Verbrechen von Nazi-Deutschland sind nicht wieder gut zu machen. Aber der Kniefall in Warschau bewegte Millionen Menschen, weil er genau dies zeigte: Reue aus ganzem Herzen.

„Nein, ich entschuldige nicht“

„Tschuldigung!“ – „Nein, ich entschuldige nicht.“ Das wäre mal ein überraschender Dialog. Das ist genau der Dialog, von dem Paulus schreibt. Gott spricht so: „Nein, ich entschuldige nicht. Es gibt nichts zu entschuldigen, denn ihr könnt euch mit nichts entschuldigen. Und zwar ihr Menschen alle miteinander. Keiner ist da, der sich über den anderen erheben könnte: Ja, ich stehe doch gut da – aber der, der hat Dreck am Stecken.“ So wie es manchmal auch in der Ökumene geschieht, dass man mit dem Finger auf die andere Kirche zeigt, sich für besser und die andere für schlechter hält. Wortwörtlich schreibt Paulus: „Du, Mensch, kannst dich nicht entschuldigen. Worin du den anderen richtest, darin verdammst du dich selbst.“

Juden und Griechen

Zu Zeiten des Paulus zeigten innerhalb der jungen Christenheit zwei mit Finger aufeinander: Der jüdische Teil der damaligen Welt auf den griechisch-römischen und umgekehrt. Die Juden sagten: Schau dir die Griechen an, Gott, mit ihren verlotterten Sitten. Vom göttlichen Gesetz haben sie keine Ahnung! Und was habt ihr vorzuweisen?, fragt Gott zurück. Seid ihr in der Lage, alle meine Gebote zu halten? Nicht einmal mit den zehn Geboten werdet ihr fertig! Umgekehrt die Griechen rühmen sich ihrer Freigeistigkeit und verachten den in ihren Augen kleinlichen Gesetzesglauben der Juden. Nichts da!, sagt Gott zu ihnen. Euer Gewissen sagt euch genauso wie den Juden, wo es lang gehen sollte. Und doch kommt ihr ab von einem humanen Weg, lebt auf Kosten anderer.

Kein Pardon für keinen

Es bleibt dabei: Von euch aus gibt es kein Pardon. Es gibt nichts zu entschuldigen, weil sich keiner vor mir entschuldigen kann. Der Bruch, die Trennung ist da. Genau das bedeutet Sünde: „Sund“ bedeutet im Wortsinn „Abgrund“. Trennung von Gott. Das unendlich tiefe, schmerzliche Gefühl, dass man verworfen ist, verdammt, abgeschnitten von allem, was Leben, Licht, Vergebung bedeutet, ohne Hilfe, erbarmungslos dem eigenen Schicksal ausgeliefert. Wer das schon einmal erleben musste, weiß: Das ist die Hölle.

Ich kann es nicht wieder gutmachen

Wie in zwischenmenschlichen Beziehungen: Man hat den anderen verletzt, gekränkt und das ist nicht einfach mit einem „Entschuldigung“ aus der Welt zu schaffen. Die Schuld steht zwischen uns, ich komme an den anderen nicht mehr heran. Meine Worte, meine Reue, meine hilflosen Gesten erreichen den anderen nicht. Ich habe ihn oder sie verloren. Ich kann es nicht rückgängig und nicht wieder gutmachen.

'Icon of The Ressurection',  Ranosonar

Um Himmels willen

Das ist der Endpunkt. Man kann nichts tun, um den Abstand zu überbrücken. Das ist zwischen Menschen schrecklich und kaum zu ertragen. Aber was um Himmels willen tun, wenn wir so vor Gott stehen – mit leeren Händen, mit nichts, was wir vorweisen können?

Keine Trennung mehr

Nun kommt die große Bewegung von Gott her. Er will den Endpunkt nicht, an dem es keine Entschuldigung mehr gibt. Er will ihn nicht weder zwischen Menschen noch zwischen Gott und Mensch. Gott ist es, der den Abgrund überbrückt und die Schuld wegnimmt, so dass nichts Trennendes mehr steht zwischen ihm, Gott, und uns Menschen.

Fehlertoleranz

Das ist Gnade! Das ist Befreiung! Ein Gott, vor dem wir nichts beweisen müssen. Ein Gott, vor dem wir unsere Fehler und Schwächen zugeben dürfen, ohne dass wir Verdammnis befürchten müssen. Das schenkt Freiheit! Freiheit auch für das Miteinander unter Menschen. Freiheit, Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen. In manchen Büchern über Unternehmenskultur nennt man das „Fehlertoleranz“: Ein Betriebsklima, in dem Mitarbeitende sich trauen, zu gemachten Fehlern zu stehen, weil sie nicht um ihre Stellung fürchten müssen. Das Eingestehen des Fehlers ermöglicht überhaupt erst das Arbeiten an der Verbesserung. Buße eben. Besserung. Das ist eine urchristliche Erkenntnis.

Ins Gebet nehmen

Von dem großen Pardon Gottes her, von Gottes Vergebung und Versöhnung kommt die Kraft, Entschuldigung zu sagen und Entschuldigung anzunehmen. Es gibt Fälle, da müssen wir es aushalten, dass eine Entschuldigung von uns die Entzweiung nicht aufhebt. Unser Tag heute heißt „Buß- und Bettag“. Wo unsere Buße, unser Versuchen, uns selbst zu bessern, nicht zum Guten führt, können wir es ins Gebet nehmen, es im Gebet Gott anvertrauen und in seine Hände legen.

Entschuldigung? Aber klar doch!

Sich entschuldigen und eine Entschuldigung aufrichtig annehmen, so dass nichts mehr zwischen mir und dem anderen steht, macht Mühe. Es braucht innere Überwindung und Stärke. Auf Entschuldigung aber ruht Segen. Frère Roger Schutz, der Gründer der ökumenischen Ordensgemeinschaft Taizé, hat in seinem letzten unvollendeten Brief in den Wochen vor seinem gewaltsamen Tod geschrieben: „Wer aus Gott lebt, entscheidet sich zu lieben. Und ein zur Liebe entschlossenes Herz kann grenzenlose Güte ausstrahlen. Aber was heißt lieben? Lieben heißt Verzeihen, als Versöhnte leben. Und sich versöhnen ist immer ein Frühling der Seele.“ Entschuldigung? Aber klar doch! Amen.

Die Photographie 'Haus der Geschichte in Bonn, Willy Brands Kniefall und sein Nobeldiplom', 2009, Holger.Ellgaard ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported license.
Die Ikone 'Icon of The Ressurection', Ranosonar, ist im public domain.

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