Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 1. Thess 4, 1-8 Wie leben, wenn einem das Leben neu geschenkt wurde?

« Predigten Home

20. Sonntag nach Trinitatis:

Wie leben, wenn einem das Leben neu geschenkt wurde?

Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 17. Oktober 2010 in der Bergkirche

'Rescue of Chilean miners - Rescue worker Patricio Sepúlveda inside capsule', 2010

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Das Bibelwort für die Predigt des heutigen Sonntags steht im 1. Brief an die Gemeinde in Thessalonich: 1. Thess 4, 1-8

„Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus - da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut -, dass ihr darin immer vollkommener werdet. Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt.“

1. Thess 4, 1-8

Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

Liebe Gemeinde!

Rettung aus 600 Meter Tiefe

Es gibt doch noch gute Nachrichten. Im Journalismus gilt oft der Satz: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.“ Das war in der letzten Woche völlig anders: Die ganze Welt hat bewegt, gerührt, begeistert mit verfolgt, wie in Chile alle 33 verschütteten Bergmänner unversehrt aus der Mine San José gerettet wurden. Einer nach dem anderen kam aus dem Bauch des Berges, aus über 600 Metern Tiefe hervor. Sogar hartgesottenen Journalisten stockte bei der Liveübertragung die Stimme. Ein Kommentator sagte, als der erste Bergarbeiter der Rettungskapsel entstieg: „Die Erde hat heute einen Sohn geboren.“ Wie eine Geburt, wie das Geschenk neuen Lebens war diese Rettung.

Aufgefahren an die Erdoberfläche

Hinabgestiegen in das Reich des Todes – so könnten sich die 33 Bergleute in ihrem Zufluchtsraum 600 Meter unter der Erde gefühlt haben. Und dann aufgefahren nicht in den Himmel, sondern zurück an die Erdoberfläche. Erstaunlich quicklebendig nach 69 Tagen unter der Erde kamen sie heraus, wie wiedergeboren. Erkennbar an den extradunklen Sonnenbrillen, um ihre Licht entwöhnten Augen zu schützen, schließen sie ihre Angehörigen unter Freudentränen endlich wieder in die Arme.

Phoenix aus der Asche

„Fenix 2“ heißt aus gutem Grund die Rettungskapsel. Phoenix ist der Vogel aus der griechischen Mythologie, Jüngeren aus „Harry Potter“ bekannt. In regelmäßigen Abständen verbrennt der Vogel Phoenix und steht dann aus der eigenen Asche wieder zu neuem Leben auf. Die Rettungskapsel „Fenix 2“ hat die 33 Männer aus der Tiefe zurück ins Leben, hinein in ein neu geschenktes Leben transportiert.

'The Awakening of Icarus
', 1877 - 1939, Lucílio de Albuquerque

Nur nicht Ikarus werden…

Wie lebt man, wenn einem das Leben so überwältigend, ja wie ein Wunder neu geschenkt wurde? Wird jetzt für die Bergleute alles ganz anders, wenn sie zurückkommen in ihre Häuser, zu ihren Frauen und Familien, zurück zu ihrer Arbeit? Werden sie überhaupt noch als Bergmänner arbeiten oder etwas ganz Neues beginnen? Ist es vielleicht gar nicht so einfach, das neu geschenkte Leben zu verkraften und sich wieder zurecht zu finden? Müssen sie aufpassen, dass sie nicht vom Phoenix zum Ikarus werden? Ikarus war der junge Mann, der sich mit selbstgebastelten Flügeln von der Insel, auf der er gefangen war, befreite. Aber seine neu gewonnene Freiheit machte ihn so übermütig, dass er ganz hoch hinaus fliegen wollte. Die Sonne ließ das Wachs seiner Flügel schmelzen. Ikarus stürzte in den Abgrund des Meeres.

Wie neugeboren

Wie lebt man, wenn einem das Leben neu geschenkt wurde? Darum geht es dem Apostel Paulus in dem heutigen Bibelwort. Die Gemeinde in Thessalonich ist ganz frisch zum christlichen Glauben gekommen. Das war für die Thessalonicher wie die Erfahrung einer Wiedergeburt. Neu geboren durch den Heiligen Geist, durch den Glauben an Jesus Christus, der den Tod besiegt hat und ein ganz neues, unvergängliches Leben schenkt. Die Thessalonicher waren überfließend voll mit diesem neuen Leben. Sie sprühten geradezu vor heiligem Esprit, vor himmlischer Lebensenergie, die sie im christlichen Glauben gefunden haben. Die ganze Welt steht auf einmal offen, alles ist möglich dem, der glaubt. Wer das neue Leben in Jesus Christus lebt, kann sogar Berge versetzen.

Um Haaresbreite

Liebe Gemeinde, Sie kennen die Erfahrung: Mir ist das Leben wie neu geschenkt. Wenn es verdammt knapp war im Straßenverkehr und man nur um eine Haaresbreite nicht von einem Auto überrollt wurde, dann wird einem schlagartig bewusst: Das Leben ist überhaupt nicht selbstverständlich. Es ist dir gerade wieder neu geschenkt worden. Wie ein Freigelassener der Schöpfung kann man sich fühlen, wenn man mit zitternden Knien, trockener Kehle und Bangen in der Magengrube die erlösende Nachricht bei einer Diagnose oder Kontrolluntersuchung bekommt: „Es ist nichts. Sie sind gesund.“

Hurra, ich bin wieder da!

Nach langer schwerer Krankheit endlich wieder heraus können aus Klinikzimmern und sich ins Getümmel der Straße begeben. Aus dem Dunkel einer Depression ganz vorsichtig tastend zurück ins Licht und ins Leben finden. Wenn man solche Krisen durchgestanden hat, kann das sein wie eine neue Geburt: Hurra, ich bin wieder da. Vielleicht so wie der auferstandene Jesus mit Narben und Wundmalen, aber auferstanden, wieder da, neu beschenkt mit Leben. Und das Leben hat eine ganz neue Qualität. Man hat einen neuen Sinn für seine Heiligkeit bekommen. Was sonst so groß und wichtig erscheint, wird plötzlich nichtig und klein und die wirklich großen Dinge zählen: dass es Liebe gibt, Menschen, die um mich gezittert haben und mich jetzt mit Freudentränen in den Augen in die Arme schließen. Dass es Rettung gibt und das Leben ein unendlich kostbares Geschenk Gottes an uns ist.

Heiligung

So, und wie geht’s jetzt weiter? Wie lebt man jetzt dieses Leben, das einem so kostbar und heilig neu geschenkt wurde? Paulus erinnert die Thessalonicher daran, was für ein Geschenk sie mit dem Glauben bekommen haben, dass sie durch Jesus Christus die Heiligkeit des Lebens spüren dürfen. Er schreibt den Thessalonichern: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung.“ Heiligung, das bedeutet: Ihr seid hineingenommen in die Lebensmacht Gottes, die in Jesus Christus offenbar geworden ist.

'Candles at a baptism in a Roman Catholic Church, Ad Meskens

Himmlische Bewegung

Hinabgestiegen in das Reich des Todes – auferstanden von den Toten – aufgefahren in den Himmel. In diese himmlische Bewegung hin zum ewigen Leben seid ihr als getaufte Christen hineingenommen. Mit der Taufe seid ihr eingetaucht in die Heiligkeit Gottes. Es gibt keine Trennung mehr – Gott hier, wir Menschen dort. Paulus erinnert die Thessalonicher: Gottes Heiliger Geist ist in euch. Das macht euch heilig.

Gemeinschaft der Heiligen

Darum sprechen wir im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.“ Die Heiligen, das sind nicht nur besondere Frauen und Männer Gottes. Die Gemeinschaft der Heiligen – das sind wir. Weil Gott uns hineingenommen hat in seinen heiligen Kreis. Das feiern wir beim Abendmahl. Schier unglaublich, aber wahr: Ich Menschlein darf an Gottes Tisch stehen. Wir gehören in Gottes Kreis. In Brot und Wein ist Gott selbst mitten unter uns gegenwärtig. Gottes Heiliger Geist ist in uns.

Überfließend

Heiligung ist kein strenger moralischer Anspruch an uns mit erhobenem Zeigefinger. Heiligung heißt, dass wir zu Gott gehören, mit seiner Heiligkeit beschenkt sind. Das ist wie einem Brunnen mit mehreren Schalen: Wenn die oberste Schale unseres Lebens so reich gefüllt wird von Gott, dann fließt sie über, dann geben wir weiter an andere. Gottes Heiligung durchströmt alle Bereiche des Lebens.

Kostbares Geschenk Liebe

Paulus spricht unverblümt die Bereiche an: „Meidet Unzucht!“ Das griechische Wort, das Paulus verwendet, heißt „porneia“. „Ein jeder von euch such seine eigene Frau zu gewinnen in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.“ Sie hören, liebe Gemeinde: Heiligung spart Sexualität nicht aus. Der Gedanke des Paulus ist: Wer durch Jesus Christus die Heiligkeit des Lebens entdeckt, wer gleichsam die dunkle Sonnenbrille abgenommen und die Welt in neuem Licht sieht, der geht ehrfürchtig mit dem Geschenk Leben um. Zum Leben gehört Liebe, auch die körperliche Liebe. Liebe ist ein heiliges kostbares Geschenk und wie alle Kostbarkeiten ist sie zerbrechlich. Also, sagt Paulus, geht achtsam damit um und nicht gierig wie Menschen, die einfach nur nach allem grapschen, was sie kriegen können.

Den anderen immer neu gewinnen

„Sucht die eigene Frau zu gewinnen“, schreibt Paulus. Das heißt, man hat seinen Partner oder Partnerin nicht einfach in der Hand wie einen Besitz. Immer neu sollen wir ihn oder sie gewinnen. Eine sehr schöne Beschreibung für Beziehungen zwischen Menschen: Den anderen immer neu gewinnen, und das mit Ehrerbietung. Sie kennen die alte Geste der Ehrerbietung: Man verneigt sich und macht mit der Hand Platz für den anderen. Das ist heiliger Umgang zwischen Menschen: dem anderen Platz machen, damit er vorkommen kann, damit er Raum zum Leben hat und sich entfalten kann.

Kein Kommando Mauerblümchen

Vorsicht: Den anderen vorkommen lassen, ist keine Unterwürfigkeit. Es bedeutet nicht, dass man sich selbst in die Ecke verzieht und ein kümmerliches Mauerblümchen-Dasein für das wahre Christentum hält. Das wurde in manchen Phasen der Kirchengeschichte Menschen aufoktroyiert: Heiligung heiße, sich selbst völlig zurückzustellen, auf gar keinen Fall an sich selbst zu denken, sich für andere aufzuopfern. „Das ist Gottes Wille, eure Heiligung“, schreibt Paulus. Gott will mit seinem heiligen Geist in uns wohnen. Das ist ein Leben voller Energie und Esprit, eine geistreiche Existenz, nicht karg und kümmerlich, sondern schöpfend aus dem Fluss des Lebens, das Gott uns schenkt.

Heiliger Handel

Ehrerbietung, das ist eine Lebenshaltung, mit der wir auch in unsere täglichen Geschäfte, in Handel und Wirtschaft gehen. Paulus schreibt: „Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles.“ Wirtschaft und Handel sind kein abgeschiedener Bereich. Auch Wirtschaft ist ein Bereich für Heiligung – sozusagen ein „heiliger Handel“, zu dem Paulus aufruft. Nicht Gewinn allein kann die oberste Maxime unseres Handelns sein, sondern die Heiligung und Ehrerbietung, dass durch unser Handeln andere Menschen vorkommen, Platz zum Leben haben sollen. Wenn wir mit Geld umgehen, wenn wir kaufen und verkaufen, sind wir keine anderen, sondern genauso Christenmenschen mit wachem Geist auf der Suche, was unserer Heiligung entspricht.

Der Heiligung auf der Spur bleiben

„Damit ihr immer vollkommener werdet“, schreibt Paulus den Thessalonichern. Als Heilige sind wir nicht perfekt. Wir bleiben Menschen, Sünder, die Fehler machen und den Heiligen Geist in uns verfehlen, verletzen. Aber eben auch Gerechtfertigte, geheiligt. „Damit ihr immer vollkommener werdet.“ Glauben ist ein Wachsen, ein immer mehr Entdecken von der Heiligkeit, die Gott in uns gelegt hat. Liebe Gemeinde, lassen wir nicht nach und bleiben wir der Heiligung in unserem Leben auf der Spur! Amen.

Die Photographie 'Rescue of Chilean miners - Rescue worker Patricio Sepúlveda inside capsule', 2010, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Das Gemälde 'The Awakening of Icarus', 1877 - 1939, Lucílio de Albuquerque, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Es ist erlaubt, die Photographie 'Candles at a baptism in a Roman Catholic Church', Ad Meskens, unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

^ Zum Seitenanfang