Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Prädikantin Karin Kehr: Apg 9, 1-20 Perspektivwechsel

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12. Sonntag nach Trinitatis: Apg 9, 1-20 Perspektivwechsel

Gehalten von Prädikantin Karin Kehr am 22. August 2010

'Ananias restoring the sight of Saint Paul', 1631, Pietro De Cortana

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Amen.

Liebe Gemeinde,

'da wird aus einem Saulus ein Paulus' ist heute noch eine bekannte Redewendung, auch hat manch einer ein Damaskuserlebnis, oder es geht einem ein Licht auf. Diese Redewendungen haben ihren Ursprung in unserem heutigen Predigttext aus der Apostelgeschichte. Er ist bekannt als die Bekehrung des Saulus. In Kapitel 9 heißt es:

1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe. 3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; 9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.

10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr. 11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet 12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde. 13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wieviel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; 14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangenzunehmen, die deinen Namen anrufen. 15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, daß er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel. 16 Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muß um meines Namens willen. 17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, daß du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest. 18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen 19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich. 20 Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, daß dieser Gottes Sohn sei.

Wer war dieser Saulus, der mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn schnaubte? Saulus stammte aus Tarsus in Kleinasien. Sein Vater besaß das römische Bürgerrecht, das weist auf einen gehobeneren Stand und gewissen Wohlstand hin. Er selbst war Pharisäer, ein ausgebildeter Theologe, der die Thora und die Gesetze, die Gott den Juden gegeben hatte, ganz genau kannte. Er soll ein Schüler des großen Gelehrten Gamaliel in Jerusalem gewesen sein. Er war ein tief gläubiger Mann, fest davon überzeugt, dass der Messias kommt, wenn alle Juden zugleich die Gesetze einhalten. Deshalb konnte er es nicht gut heißen, wenn es da auf einmal Juden gibt, die die Gesetze nicht mehr einhalten wollten, schlimmer noch, sie liefen einem Menschen nach, der behauptete, er sei Gottes Sohn. Seine Anhänger glaubten daran, dass dieser Mensch von den Toten auferstanden ist, aufgefahren in den Himmel und zur Rechten Gottes sitzt. In den Augen Saulus war das Gotteslästerung und als gottesfürchtiger Jude musste er etwas dagegen tun, notfalls mit Gewalt. Dabei tat er es nicht um des Mordens willen, sondern weil durch Gotteslästerung und Untreue gegenüber dem Bund mit JHWH das gesamte Volk der Juden zugrunde gehen würde.

Saulus handelte nicht auf Befehl eines anderen Menschen, aus eigenem Antrieb besorgte er sich die Vollmachten und entschloss sich zur Verfolgung und Gefangennahme der Anhänger des neuen Weges. Dabei zog er nicht alleine los, sondern befehligte eine Gruppe von Männern.

'La conversione di San Paolo', Caravaggio

Felsenfest war er von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt, er war sich ganz sicher auf dem richtigen Weg zu sein, etwas Gutes für seinen Gott zu tun. Er wollte die Anderen auf den richtigen Weg zurückholen. Und plötzlich wurde er auf seinem Weg ausgebremst, ein Licht vom Himmel umleuchtete ihn und er stürzte zu Boden. Seine Glaubensgewißheit, seine Überzeugung auf dem richtigen Weg zum Heil seines Volkes zu sein, ist plötzlich erschüttert. Jesus selbst spricht ihn an. Dabei hält Jesus ihm nicht seine Taten aus der Vergangenheit vor. Weder urteilt er über das Verhalten Saulus’ noch verurteilt er den Menschen. Jesus identifiziert sich aber mit seiner Gemeinde. „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Vielleicht war dieses Wort auch der Same für Saulus, wenn er später von der Kirche als Leib Christi spricht. Diese Bekehrung des Saulus, die hier ihren Anfang nahm ging nicht zuerst von Saulus aus. Gott ist es, der initiativ wird. Er handelt zuerst, stellt sich dem Menschen in den Weg, wendet sich ihm zu. Damit ist die Geschichte aber noch nicht abgeschlossen, nach der Initiative durch Gott muss eine Reaktion von Saulus erfolgen. Doch dazu braucht er Zeit. Er, der genau wusste, welche Richtung er auf seinem Lebensweg einschlagen muss, ist nun auf einmal völlig orientierungslos. Er, der andere Menschen kommandierte, musste sich plötzlich von seinen Untergebenen helfen lassen. Sie führten ihn nach Damaskus und ließen ihn allein. Vor Damaskus war Saulus schon zu Boden gegangen, jetzt aber musste er seinem Leben auf den Grund gehen. Sein ganzes Lebenskonzept ist in Frage gestellt. Er musste auf dem Boden der Tatsachen ankommen, Gott auf den Grund kommen. Seine Beziehung zu Gott, seine Beziehung mit Gott standen in Frage. Er musste sich entscheiden, wie sein weiteres Leben aussehen soll. Auf diese Überlegungen musste er sich vollständig einlassen, keine Ablenkung von außen sollte es geben. Der Blick ist vollkommen nach innen gekehrt. Dabei möchte ich statt der Bekehrung des Saulus gerne von einem Perspektivwechsel sprechen. Er glaubte ja schon an den Gott JHWH, diente ihm schon vor seiner persönlichen Begegnung mit ihm auf der Strasse vor Damaskus. Durch die Begegnung mit Jesus ging ihm ein Licht auf, Tatsachen wurden für ihn sichtbar, die er vorher nicht gesehen hatte. Alles worauf er in seinem Glauben seine Hoffnung setzt, erfüllt sich nun in Jesus Christus. Er hat nun einen neuen Blick auf den lebendigen Gott, dem er sich schon zuvor mit seinem Leben verschrieben hat.

Auch nach der Entscheidung des Saulus ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Wenn Jesus einem Menschen begegnet und ihn in seine Nachfolge ruft, schickt er immer auch Menschen, die die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft durchführen. Hier ist es nicht die Ansprache von Jesus oder die Taufe von Saulus, sondern es ist die Handauflegung und die Segnung Hananias, die Saulus wieder sehend macht und ihn mit dem Heiligen Geist erfüllt, dass er die Verkündigung von Gottes Wort in alle Welt hinaustragen kann.

Das Zögern von Hananias zu Saulus zu gehen, kann ich dabei sehr gut nachvollziehen. Er soll zu dem Menschen gehen, der seine Glaubensgeschwister verfolgt und ermordet. Hananias läuft nicht sofort los, er wendet sich zuerst mit seinen Zweifeln im Gebet zu Gott. Und Gott nimmt diese Zweifel ernst, er zeigt Hananias den Auftrag und die Aufgabe des Saulus. Er sagt ihm auch, dass Saulus eine Vision vom Kommen Hananias hatte. Im Wissen, dass Saulus seine Einstellung den Christen gegenüber gewandelt hat und im Vertrauen, dass Jesus schon bei dem anderen Menschen war, kann Hananias auf den ehemaligen Verfolger zugehen, ihn mit Bruder anreden und in die christliche Gemeinde aufnehmen.

Wie ist das bei uns, wenn wir eine Aufgabe übertragen bekommen, bei der wir Bedenken haben. Bringen wir, wie Hananias, unsere Zweifel im Gebet vor Gott? Nehmen wir uns die Zeit auf Gottes Antwort zu hören? Gehen wir den Weg im Vertrauen darauf, dass Gott mit uns geht, ja dass er schon bei dem anderen Menschen war? Ich glaube diesem Idealbild werde ich nicht immer gerecht, obwohl auch ich schon Erfahrungen ähnlich wie Hananias gemacht habe.

'Cathedral of Gurk, Saulus/Dom zu Gurk, südliche Querhauswand: Saulussturz', ca. 1390, Benutzer:Griensteidl

Und wie ist es mit einer Gottesbegegnung, wie sie Saulus erfahren hatte? Nun ganz so dramatisch wünsche ich es mir für mein Leben nicht. Da müsste ich mir ja auch eingestehen, dass etwas verkehrt läuft in meinem Leben. Und damit tue ich mir, wie vielleicht die meisten von uns, doch etwas schwer. Hat Gott denn etwas an mir auszusetzen, muss er an mir herumerziehen? Ich denke, damit missverstehen wir die Absicht Gottes. Gott nimmt mich an, so wie ich bin, mit allen meinen Fehlern und Macken. Seine unendliche Liebe umfängt mich vollkommen. Nur ich muss zu ihm kommen, muss eine Beziehung zu ihm aufbauen. Das ist es, was Saulus von Paulus unterscheidet. Saulus dient Gott durch die Einhaltung von Vorschriften und Befolgung der Gesetze. Paulus dagegen ist eine persönliche Beziehung zu Gott eingegangen, Gott ist sein Zentrum in seinem gesamten Handeln geworden. Saulus und Paulus, nur ein Buchstabe hat sich im Namen geändert. Und doch ist ein ganz anderer Mensch aus dieser Wandlung hervorgegangen. Paulus war es sehr wichtig, dass er seine Berufung zur Verkündigung von Gottes Wort von Jesus Christus erhalten hat. Er bezeichnete sich selbst als Apostel, als von Christus berufenen, auch wenn er später lebte und Jesus nicht mehr sehen konnte. Paulus hatte gemerkt, nicht die Einhaltung der Gesetze ist der Weg zum Heil, sondern der Glaube an den Herrn, der für mich gestorben und auferstanden ist. Er hat sich auf Gott eingelassen, hat Gott in sich eingelassen. Er der verbissen den Weg verfolgte, der seiner Überzeugung nach richtig war, hat sich von Gottes Liebe durchdringen lassen. Das Licht Gottes ist ihm aufgegangen, dadurch konnte er neue Perspektiven für sein Leben erkennen.

Gott hat sich Saulus zugewendet, hat ihn in seinen Dienst genommen. Es ist für mich tröstlich, dass Gott nicht nur vorbildliche Menschen gebrauchen kann, für die Verkündigung seines Wortes in die Welt. Er wählt Menschen wie Saulus, wie dich und mich aus, mit allen Ecken und Kanten, die wir haben. Paulus, mit seinem städtischen Hintergrund, war der ideale Mann für Gott, das Evangelium über das Volk der Juden hinaus in der Welt bekannt zu machen. Er, der ein Handwerk gelernt und studiert hatte, der als Städter mit Menschen verschiedenster Herkunft verkehren konnte, der mehrere Sprachen beherrschte, wurde von den Menschen, zu denen er kam, ernst genommen. Er ließ sich auf sie ein, fühlte mit ihnen, solidarisierte sich mit ihnen, um sie für Christus zu gewinnen. So trug er entscheidend dazu bei, dass aus der kleinen Urgemeinde der Anhänger des neuen Weges eine weltweite Glaubensgemeinschaft wurde.

Seien auch wir offen für eine Begegnung mit Gott, gehen nicht stur und verbissen auf dem Weg, den wir für richtig erachten. Lassen auch wir uns von Gott erleuchten, neue Perspektiven für unser Leben erkennen. Gehen wir den Weg, den Gott uns zeigt im Vertrauen auf seine umfassende Liebe.

Was Gott uns zumutet, ist niemals größer als der Mut, den Gott uns zuteil werden lässt.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.

Amen

Das Gemälde 'Ananias restoring the sight of Saint Paul', 1631, Pietro De Cortana, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Bild 'La conversione di San Paolo', Caravaggio, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'Cathedral of Gurk, Saulus/Dom zu Gurk, südliche Querhauswand: Saulussturz', ca. 1390, Benutzer:Griensteidl, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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