Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten im Jugendgottesdienst: Das starke Geschlecht

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Predigt „Das starke Geschlecht"

Gehalten von Katharina Hellwig im Kirchsaal Süd:

Alice Schwarzer, 2009, Manfred Werner (Tsui)

40 Konfirmanden habe ich gefragt: Nennen sie mir einen Begriff, der ihnen zu dem Wort „Emanzipation“ einfällt! 21 Konfirmanden sagten : „Gleichberechtigung“. 12 Konfirmanden sagten: „Alice Schwarzer“. 4 Konfirmanden sagten: „Feminismus“ und 3 sagten gar nichts. Nein, diese Umfrage habe ich natürlich nicht durchgeführt, wie ihr vielleicht gemerkt habt, aber ich denke, mit meiner Einschätzung läge ich gar nicht so falsch. Emanzipation ist für die meisten eures Alters nur noch irgendein Fremdwort und vor denen hat man ohnenhin Angst. Ein paar wenige unter euch, die mit diesem Begriff noch etwas anfangen können, reduzieren dessen Bedeutung sehr wahrscheinlich auf das Streben der Frauen nach Unabhängigkeit vom Mann. Ihr müsst euch mit diesem Begriff schließlich auch kaum noch auseinandersetzen. Für unsere Mütter war er ein ganzes Lebensgefühl. Die Generation unserer Mütter hat einiges verändert. „Frauenbewegung“ ist das Stichwort im Zusammenhang mit unserer Elterngeneration. War es doch in den Fünfziger-, Sechszigerjahren noch so einfach, eine Frau zu sein! Die einzigen Aufgaben die man hatte, waren sich um die Kinder und um den Haushalt kümmern und gut auszusehen, damit der Mann auch immer gerne nach Hause kommt. Man konnte stundenlang Preise von Haushaltswaren vergleichen, Gardienen säubern und Töchtern Schleifen ins Haar binden... Unsere Mütter sorgten für den Umschwung: Oben ohne und mit Henna gefärbten Haaren tanzten sie um den Badesee und sangen dabei Simon and Garfunkel. Sie gingen an die Uni, kifften mit wildfremden Männern und hatten durchschnittlich 3,8 Mal am Tag Streit mit ihren Vätern. Sie vögelten sich durch das Studentenwohnheim, missbrauchten die „Atomkraft-Nein-Danke-Demonstration“ als riesengroße Singlebörse und erlaubten unseren Vätern, mit langen Haaren und abgeschnittenen Jeans herumzulaufen. Heute schmunzeln wir darüber und finden alte Fotos von unseren Eltern lächerlich. Im Grunde können wir unser Leben heute, unser emanzipatorisches Leben, und damit meine ich Jungen und Mädchen zugleich, nur deshalb so selbstbestimmt leben, weil unsere Eltern so komische Dinge gemacht haben.

Alice Schwarzer hat der eine oder andere vielleicht schon mal im Fernsehen gesehen. Sie scheint nach wie vor die „Ikone“ der weiblichen Emanzipation zu sein. Schwarzer hatte maßgeblichen Anteil an der breiten öffentlichen Debatte zum Thema „Recht auf Schwangerschaftsabbruch“. Das Motto der dieses Recht einfordernden Frauen lautete: „Mein Bauch gehört mir“. Insbesondere thematisierte Schwarzer das psychische Leiden von Frauen und die körperlichen Gefahren, die verbotene Schwangerschaftsabbrüche mit sich brachten. Dies war der Beginn einer langen erfolgreichen Karriere als Frauenrechtlerin, Journalistin und Herrausgeberin vieler Bücher und der Zeitschrift „Emma“. Ein weiteres Ziel des Kampfes Schwarzers und anderer Feministinnen und deren Unterstützer wurde 1976 durch das Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts verwirklicht. Dieses Gesetz beinhaltete unter anderem, dass verheiratete Frauen ihren Ehemann nicht mehr um Genehmigung bitten mussten, wenn sie eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollten, und dass das Schuldprinzip im Fall einer Scheidung vom Zerrüttungsprinzip abgelöst wurde, so dass geschiedene Frauen nun unabhängig von ihrem Verhalten während der Ehe Unterhaltsansprüche gegen ihre Ex-Ehemänner besaßen. Schwarzer sagt über diese Gesetzesreform in einem Interview:
„Wir hatten unser Ziel, Frauen finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen, politisch durchgesetzt. Frauen waren nun nicht länger nur für den Haushalt zuständig. Männer waren nicht mehr die alleinigen Verdiener in der Familie. Endlich war der Skandal beseitigt, dass Frauen nur dann berufstätig sein durften, wenn sie ihre Familienpflichten nicht vernachlässigten oder wenn sie berufstätig sein mussten, weil die Einkünfte des Mannes nicht ausreichten. Jetzt waren endlich beide berechtigt, berufstätig zu sein. Das Recht auf Berufstätigkeit eröffnete den Frauen die Möglichkeit, finanziell unabhängig zu werden. Dieses Recht war die Grundvoraussetzung völliger ökonomischer Unabhängigkeit.“
Darum geht es also: Körperliche und finanzielle Unabhängigkeit vom Mann. – Das ist Alice Schwarzers Emanzipation.

Doch es steckt noch etwas mehr dahinter als das. Emanzipation bezeichnet nämlich einen ganzen Prozess der Befreiung aus Abhängigkeit und Unmündigkeit sowie der Verwirklichung der Selbstbestimmung, einem zentralen Ziel demokratischer Gesellschaften. Das kann zum Beispiel die Ablösung von den Normen und Wertevorstellungen des eigenen Elternhauses sein. Die Emanzipation gilt dann als abgeschlossen, wenn das Individuum, also jeder Einzelne, eine eigene Dynamik der Lebensgestaltung sowie Lebensplanung entwickelt hat, die sich in Motivation und Planung nicht mehr auf die der Eltern oder Lehrern beruft und stützt. „Du wirst nie erwachsen“, sagt man jemandem, der existentiell nicht auf eigenen Beinen steht und nach den „Gaben“ der Eltern schielt. Er ist nicht emanzipiert. Diese Art Mensch fühlt sich nicht verantwortlich für ihr eigenes Tun, macht auch immer noch die Eltern verantwortlich für gescheiterte Pläne und ist faktisch, psychisch und materiell, abhängig von anderen.

Es gibt also die Emanzipation der Frauen gegenüber den Männern und die Emanzipation der Kinder gegenüber ihren Eltern. Doch wenn es tatsächlich um einen ganzen Prozess der Befreiung aus Abhängigkeit und Unmündigkeit sowie der Verwirklichung der Selbstbestimmung geht, dann ist Emanzipation noch viel mehr: Ein schwarzer Präsident, z.B.

Der Status der Frau war zur der Zeit von Jesus je nach gesellschaftlichem Hintergrund sehr unterschiedlich. In der jüdischen Kultur war die Frau ein wertvoller Besitz des Mannes. Ihr wurde Ehrerbietung entgegengebracht. Seine Frau nicht gut zu behandelten, galt als schändlich. Aber sie gehörte im wahrsten Sinne des Wortes zum Hausstand des Mannes, wie Sklaven, Kühe und Möbel auch. Dementsprechend war die Frau zwar nicht rechtlos, aber doch in ihren Entfaltungsmöglichkeiten recht stark eingeschränkt. Als Zeugen galten Frauen vor dem Gesetz nichts, übernommene Verpflichtungen konnte ihr Mann ablehnen. Auch konnten Frauen normalerweise nichts erben. Und in manchen Gegenden war es sogar verpönt, Frauen auf der Straße anzusprechen. Für eine Frau war es entscheidend, möglichst viele Kinder zu gebären. Wenn sie keine Kinder bekam, konnte ihr Mann sie verstoßen. Eine Ehescheidung konnte nur der Mann vollziehen, nicht aber die Frau. Ebenso durfte ein Mann mehrere Ehefrauen haben, eine Frau jedoch nur einen Mann; sie gehörte zur Familie ihres Mannes. Nur ganz wenige Frauen übten einen Beruf aus wie z.B. die Hebamme. Zur Zeit Jesu konnten Frauen Besitz erwerben und Geschäfte machen, aber vor Gericht brauchten sie einen Vormund. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass in der Bibel Frauen als starke, selbstständige Persönlichkeiten geschildert werden. Da ist z. B. Debora, die mit großem Erfolg das Amt einer Richterin führte (Richter 4-5). An der Seite ihres Heerführers Barak zog sie selbst mit in die Schlacht, in der die Israeliten siegten.

Entsprechend war allerdings die rechtliche Ungleichbehandlung der Geschlechter offensichtlich. Beispielsweise wurde das Fremdgehen einer Frau immer als Ehebruch gewertet und entsprechend geahndet (meist mit dem Tod durch Steinigung). Vom Mann hingegen wurde keine Treue verlangt, sein Vergehen ließ die eigene Familie ja biologisch unberührt. Er konnte die Ehe nur brechen, indem er quasi die Besitzansprüche eines anderen Mannes verletzte. Soll heißen: wenn er mit dessen Ehefrau ins Bett ging.

Auf der anderen Seite blieb der starke Einfluss der Hellenistischen Kultur auch in Israel nicht ohne Spuren. Die Frauen mit römischem oder hellenistischem Hintergrund genossen sehr viel größere Freiheiten. Zwar war ihr Hauptlebensbereich das Haus und wählen durften sie auch nicht, aber sie konnten sich gesellschaftlich frei bewegen, besuchten Theater und öffentliche Bäder, gingen zu Gladiatorenkämpfen, machten Einkaufsbummel und trafen sich mit ihren Freundinnen. Auch war es selbstverständlich, dass sie ihre Männer zu Festen und Hochzeiten als Gäste begleiteten. Und immerhin waren, außer in sehr armen Familien, nicht die Frauen, sondern Sklavinnen für die Erledigung der täglichen Arbeiten wie Waschen, Putzen und Kochen zuständig, so dass die Dame des Hauses davon befreit war.

Da gerade die Gegend um den See Genezareth eine starke römische Prägung hatte (der Hauptwohnsitz von Jesus, Kapernaum, war römischer Garnisonsstandort), ist zu vermuten, dass es jüdische Frauen hier anders als im Kernland um Jerusalem etwas einfacher hatten. Auch in der Bibel gibt es einige Anzeichen dafür, dass es zumindest mehr „emanzipierte“ Frauen gab als in anderen Gebieten. Doch auch hier hing dies stark von der jeweiligen Familientradition ab.

'Christus bei Maria und Martha', vor 1654-1655, Jan Vermeer van Delft

Jesus hob sich in seiner Beziehung zu Frauen deutlich von dem Bild eines jüdischen Rabbiners seiner Zeit ab. Von einem solchen verlangte man Strenge und Traditionstreue. Beide Erwartungen ignorierte Jesus völlig. Er wählte sich zwar nur Männer in den Kreis der „Zwölf“, also in die Apostelgruppe, aber viele Frauen befanden sich in seiner direkten Gefolgschaft und auch im engeren Kernteam. Jesus hatte keinerlei Skrupel, Frauen auf der Straße selbst auf persönliche Dinge anzusprechen und sich sogar von Huren, dem Abschaum der damaligen Gesellschaft, berühren zu lassen. Das war eigentlich unmöglich für einen jüdischen Mann, der etwas auf sich hielt. Aber Jesus sah das anders. So gab es eine Szene, in der eine Hure in das Haus eines Pharisäers eindrang und Jesus, der gerade mit dem Hausherrn beim Abendessen lag, die Füße mit teurem Öl überschüttete. Als sie auch noch seine Füße küsste und sie mit ihren Haaren trocknete, platzte dem Schriftgelehrten der Kragen: Er warf Jesus vor, sich von einer Sünderin berühren zu lassen, doch Jesus vergab der Frau demonstrativ die Schuld, die sie sich in ihrem Leben bereits aufgeladen hatte.
Besonders deutlich wird das Rollenverständnis von Jesus in einer Szene, die in Bethanien spielt. Dort besucht Jesus ebengenannte Frau – ihr Name ist Maria –, zu der sich scheinbar in der Zwischenzeit eine gute Freundschaft entwickelt hatte. Deren Schwester Marta kümmert sich verbissen um den Haushalt, während sich die unkonventionelle Maria die Freiheit nimmt, sich „zu Jesu Füßen zu setzen“ – etwas, was eigentlich nur (stets männlichen) Rabinerschülern vorbehalten ist. Jesus lässt sie nicht nur dort sitzen, sondern unterstützt sie sogar aktiv, indem er sie gegenüber ihrer Schwester verteidigt. Diese beschwerte sich nämlich, dass Maria den (ihr traditionell zugewiesenen) Platz am Herd verlassen hatte, um Jesus zuzuhören. Eine gute Frau mache so etwas nicht. Jesus ist da anderer Meinung. Höhepunkt der „neuen“ Frauenrolle, die im Neuen Testament deutlich wird, ist die Tatsache, dass es ausgerechnet Frauen sind, die das leere Grab entdecken und dem Auferstandenen als erste begegnen. Angesichts der völligen Wertlosigkeit weiblicher Zeugenaussagen ist dies höchst bemerkenswert. Und dass die Jünger sich gerade auf diese Aussage beriefen, zeigt, dass auch sie etwas gelernt hatten in ihrer Zeit mit Jesus.

Und genau diese christliche Emanzipation, die uns Jesus gelehrt hat, sollten wir weiterleben. Eine Emanzipation, die sich nicht auf einen Kampf der Geschlechter und der Suche nach dem Stärkeren beschränkt, sondern vielmehr eine Gleichberechtigung aller menschlichen Geschöpfe vorraussetzt: Frauen, Männer, Kinder, Kranke, Alte, kleine, dicke, du, ich. Weil eine Gemeinde eben nur dann funktionieren kann, wenn all diese Personen vertreten sind. Weil es unter uns Menschen genug zu tun gibt, als dass es Zeit gäbe für sinnlose Fragen, wie: Welches ist das stärkere Geschlecht? Das große Ganze des menschlichen Zusammenseins muss funktionieren und dabei ist es doch völlig belanglos, wer besser einparkt, mehr verdient oder schwerer tragen kann. Im Angesicht Christi und in seiner Gemeinde gilt deshalb das Wort des Paulus in Gal 3, 28:

„Hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

Die Photographie von Alice Schwarzer, 2009, Manfred Werner (Tsui), wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Die Malerei 'Christus bei Maria und Martha', vor 1654-1655, Jan Vermeer van Delft und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.

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