Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten im Jugendgottesdienst: Das jüngste Gericht – Himmel und Hölle

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Predigt „Das jüngste Gericht – Himmel und Hölle"

'Last Angel', 1912

Gehalten von Katharina Hellwig im Kirchsaal Süd:

Meine beste Freundin studiert Jura. Sie hat gerade ihr erstes Staatsexamen geschrieben und lernt nun für ihre mündliche Prüfung. Sie beschäftigt sich mit Fragen wie: „Wenn A B beklaut und B dann wieder von C beklaut wird, wie wird dann A entschädigt und wie werden B und C bestraft?“ Oder aber: „A ist in Bs Auto gefahren. As Auto gehört aber D. Wer muss für den Schaden aufkommen, wenn B nicht angeschnallt war?“ Klingt langweilig. Ist es auch. Aber irgendjemand muss ja schließlich dafür Sorge tragen, dass es in einer Gesellschaft wenigstens halbwegs gerecht zugeht. Gerechtigkeit ist ein dehnbarer Begriff. Was der Eine als gerecht empfindet, ist für den Anderen völlig absurd. Das liegt wahrscheinlich daran, dass jeder Mensch auf seinen Vorteil bedacht ist und zunächst einmal alles, was sich gegen ihn richtet als ungerecht empfindet. Außerdem stellt sich doch die Frage, welche Menschen und warum sie die Position haben, bestimmen zu dürfen, was jetzt gerecht ist und was nicht? Wer Schuld hat. Wer bestraft wird. Wer bezahlen muss. Früher entschied das einfach der reichste Mann im Dorf. Der, der am meisten Einfluss hatte. Wurde ihm von einem Typ berichtet, der ein Huhn geklaut hat, wurde dieser zu ihm gebracht und ihm wurde eine Hand abgehackt. Schlug Einer dem Anderen einen Zahn aus, bekam er auch einen Zahn ausgehauen. Auge um Auge, Zahn und Zahn. Ganz einfach. Zu einfach! Heutzutage geht das alles zum Glück etwas pädagogischer von Statten. Zumindest im Westen. In Amerika praktiziert man von Zeit zu Zeit gerne noch einmal die Todesstrafe, wenn man nicht mehr weiter weiß und in Afghanistan stehen öffentliche Vergewaltigungen immer noch auf der Liste der gängigen Bestrafungen. Wir im „alten“ Europa haben uns zum Glück von mittelalterlicher „Rechtssprechung“ distanziert und setzen unseren Schwerpunkt mehr auf Haft und Resozialisierung. Natürlich bleibt dann oftmals immernoch die Frage: Was ist eigentlich gerecht? Sind drei Jahre auf Bewährung oder vorzeitige Entlassung aufgrund guter Führung bei dem Kerl, der immer auf Spielplätzen herumhing gerecht? Reichen 25 Jahre Inhaftierung als Vergeltung für einen toten Familienvater? Wer will das entscheiden?

Doch geht es nicht nur im Bereich der Rechtswissenschaften um Gerechtigkeit. Sie fängt im Kleinen an. Den größten Gerechtigkeitssinn unter uns haben Kinder: „Der Fritz hatte zwei Gummibärchen mehr als ich!“ „Ich hatte den Bagger aber zuerst!“ „Hans hat angefangen!“ Niemand besteht so sehr auf absoluten Ausgleich wie sie. Weiter geht´s: Wie oft habt ihr euch schon gefragt, warum der dicke motzende Lehrer da vorne euch im Mündlichen eine Drei gibt und dem Schweiger da drüben auch? Warum darf eure beste Freundin grundsätzlich eine Stunde länger raus? Warum verdienen seine Eltern doppelt so viel wie deine? Warum hast du von März bis September eine Gräserallergie und andere springen munter im Feld herum? Warum ist der Onkel an Krebs gestorben und euer Nachbar raucht zwei Päckchen Marlboro am Tag und grinst dich jeden Morgen arrogant an, wenn er in seinen zugequalmten Porsche steigt? –Ja, was ist schon gerecht?

Und wieder sind wir am Anfang angekommen. Wir Menschen fühlen uns immer ungerecht behandelt, auch wenn es uns doch eigentlich ganz gut geht. Ich, ich, ich ist die Devise. Oft beschäftigen wir uns viel zu viel mit schwachsinnigen Überlegungen über unsere scheinbare Benachteiligung, als uns über unsere wahren Schätze bewusst zu werden. Die eigene Nase anpacken, das müssen wir! Ist alles, was wir so tun, denn gerecht? Ist es beispielsweise gerecht, einen Mitschüler auszulachen, weil er die Nikes aus Polen anhat? Ist es gerecht, in den H&M zu rennen und dort eine Hose zu kaufen, die von einem fünfjährigen Kind aus Bangladesch zusammengenäht wurde? Ist es gerecht, unser Pausenbrot in den Mülleimer zu werfen und uns beim Hausmeister einen Schokodonut zu kaufen, weil sich unsere Mutter erdreistet hat, uns Vollkornbrot mitzugeben? Ist es gerecht, einem Penner, der von uns fünfzig Cent möchte, nichts zu geben, weil sonst die Kohle für die „Bravo“ nicht mehr reicht? Ja, sind wir denn immer gerecht?

Wir werden uns über den Begriff der Gerechtigkeit heute und hier nicht einig werden. Denn unsere Gerichte sind menschlich. Menschen richten über Menschen. Mitmenschen richten über Mitmenschen. Viele Fragen bleiben offen. Es gibt kleine Gerichte, es gibt hohe Gerichte und es gibt das jüngste Gericht. Damit meine ich nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern das, vor dem wir alle einmal stehen werden. Nämlich in dem Moment, in dem wir die Löffel abgeben. Dann wird auf uns herabgesehen. Auf uns und unser kleines klägliches Leben. Und es wird entschieden, ob wir reindürfen in die Ewigkeit, in den Himmel und ob wir in unserem Leben den Ansprüchen für diesen Preis gerecht geworden sind. Dann gibt es keine Ausreden mehr. „Ja, aber ich hatte doch damals wirklich keine Zeit, als meine Mutter so krank war!“ „Ja, aber ich war doch immer ganz fleißig und habe gearbeitet, ich konnte mich nicht auch noch um andere scheren!“ „Ja, aber ich habe das doch gar nicht so gemeint!“ Oh, nein, keine Zeit mehr für faule Ausreden, jetzt gibt´s Tabula rasa. Durchschnittlich 76 Jahre hatten wir Zeit, uns zu überlegen, was wir mit unserem Leben so anfangen. Diese Zeit dürfte reichen. Es liegt ganz alleine an uns, wie sehr wir danach streben, gute Menschen zu sein. Gott darin zu bestätigen, dass es gut war, uns das Leben zu schenken. Ein Leben kann nicht allein darin bestehen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Wir haben den klaren Auftrag bekommen, unsere Nächsten so zu lieben, wie uns selbst. Das schließt automatisch Andere mit ein. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Steht im Buch Micha im Kapitel sechs. Wer nichts Gutes tut, tut also schon Böses genug. Wer die Anderen vergisst, Mitgefühl meidet, egoistisch ist und hartherzig, der wird es schwer haben vor dem letzten Gericht, das entscheidet, wie und ob wir unser ewiges Leben verbringen dürfen. Wem erst zu spät einfällt, welche Fehler er begangen hat und an welchen Stellen er die falschen Prioritäten gesetzt hat, der hat gelitten. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden.“ Steht in Psalm 90 geschrieben. Eine meiner Schülerinnen aus der zehnten Klasse übersetzte diesen Vers mit den Worten: „Wenn wir erst mal gerafft haben, dass unser Leben hier auf der Erde nicht für immer sein wird, dann fangen wir vielleicht auch etwas Sinnvolleres mit unserer Zeit an.“ Glaubt nicht, dass mit dem Tod alles vorbei ist und man sich somit einfach der Verantwortung entziehen kann. Am Ende muss es Gerechtigkeit geben und diese Gerechtigkeit heißt Sieben. Sieben zwischen den Guten und den Bösen. Ins Kröpfchen oder ins Töpfchen, ihr wisst schon. Und dann läuft das nicht so willkürrlich ab, wie in unserem Anspiel, in dem es von Lust und Laune des „Bestimmers“ abhing, wo die Reise hingeht. Dann stehen wir vor all unseren Taten. Haben wir bereut, haben wir gebetet, haben wir geteilt? Waren wir verantwortungsbewusst gegenüber unserer Familie, unseren Mitmenschen, unserer Erde?

"Wenn du ein Gastmahl machst", sagt Jesus in Kapitel 14 des Lukasevangeliums zu seinem Gastgeber, "dann lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten" (Luk 14,13.14). –Man kann ihn sich also tatsächlich verdienen, den „Platz an der Sonne“. Mit einem sozialen, wertschätzenden Verhalten, das Andere berücksichtigt. Jesus rät uns Menschen also hier, nicht einfach nur auf unseren Vorteil bedacht zu sein, sondern unseren wahren Vorteil der ganzen Sache zu erkennen. Nämlich, dass es sinnvoller ist, Schätze im Himmel zu sammeln, als auf der Erde. Was die Bibel mit Strafe meint, ist kein willkürlicher Akt Gottes, sondern die Konsequenz unseres Handelns. Wir bestimmen, wie der Hase läuft.

„Herr, bitte lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Die Klugheit besteht also darin, uns unserem begrenzten Dasein auf Erden bewusst zu werden, um das Beste daraus zu machen. Regele deine Sachen, solange du Zeit hast, nutze die Gelegenheit, zu bereuen und dir über deine Fehler im Klaren zu sein, bevor es zu spät ist. Denn es muss Gerechtigkeit geben. Am Ende muss Gott Gerechtigkeit herstellen, denn sonst machen wir keinen Sinn, sonst macht nichts einen Sinn. Und wir werden alle vor dem gleichen Gericht stehen, zurselben Zeit. Judas, Hitler, Milosevic, dein Klassenlehrer, der Pfarrer, dein linker Nachbar, dein rechter Nachbar, Bush, ich, du. Und es wird gesiebt werden. Es muss gesiebt werden. Und wie wir gehört haben, reicht es nicht, nichts Böses zu tun, denn nichts Gutes zu tun, ist schon böse genug.

In dem Film „Flatliners“ startet ein Uniprofessor zusammen mit einigen seiner Medizistudenten ein Experiment über sogenannte „Nahtoderlebnisse“. Nelson lässt sich als erster eine Minute lang in den Zustand des klinischen Todes versetzen und wiederbeleben, doch Joe gewinnt das Wettsteigern um die Länge des Todeszeitraums: 1:30 Minuten. Am nächsten Abend wird das Experiment durchgeführt, wieder gelingen Tod und Reanimation. Die Versuche haben ungeahnte Nebenwirkungen für die Beteiligten. Nelson erlebt beängstigende Tagträume und zieht sich dabei Verletzungen im Gesicht zu. Ein kleiner Junge greift ihn mit Händen und Gegenständen an; während der Angriffe erkennt Nelson, dass es Billy Mahoney ist, dem er vor Jahren selbst übel mitspielte. Auch Joe wird von Erscheinungen verfolgt. Er sieht auf jedem Bildschirm anklagende Mädchen und Frauen, die er durch falsche Versprechungen in sein Bett lockte und dort ohne ihr Wissen Filme von ihnen drehte. Nach und nach kommen alle Beteiligten zu der Erkenntnis, dass es für sie nach ihrem Leben recht ungemütlich werden könnte und sie beginnen, die Zeit zu nutzen, um so Einiges wieder ins Reine zu bekommen. Die Möglichkeit, mal eben abzuchecken, wie es uns so ergehen wird, haben wir leider nicht.

Nahtoderlebnisse gibt es zum Glück nicht zu kaufen. Trotzdem sollten auch wir über unsere Lebensweise nachdenken und reflektieren. Denn nur dann haben wir die Möglichkeit, vor dem jüngsten Gericht eine gute Figur zu machen. Bewusst leben, heißt dies. Sich der Rolle als Teil einer Gesellschaft bewusst sein.

Wacht also täglich auf und denkt: Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Amen.

Amen.

Das Bild 'Last Angel', 1912, ist im public domain in Russland und international nicht urheberrechtlich geschützt.

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