Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten im Jugendgottesdienst: Warum immer ich

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Predigt „Warum immer ich“

Gehalten von Katharina Hellwig im Kirchsaal Süd:

Ausschnitt 'Warum ? - Kleine Gedenkstätte für die Opfer des Einsturzes des Archives am Kölner Waidmarkt, direkt über der Nord-Süd Stadtbahn.'

Meine heutigen Worte beginnen mit der ersten Strophe eines Liedes von Fettes Brot. Ein Zitat aus dem Lied „Silberfische in meinem Bett“:
Guten Morgen! Ich wach´auf und denk´: Das muss mein Glückstag sein! Kuck´ aus dem Fenster, es gießt in Strömen und ich höre jemanden schreien: „Dein Glückstag muss ein anderer sein, denn ich bin Dein Tag und heute bin ich Schwein!“ Oh nein, ich sollte besser liegen bleiben bis morgen, doch das geht nicht, denn ich muss für Fettes Brot noch was besorgen. Draußen der Regen, drinnen die Pflicht im Nacken, kriegt mich morgens früh um 8 ein lustiger Würgreiz zu packen. Ich steh´auf , zieh mich an, weil ich dann losgeh`n kann. Such ein Regenschirm, doch ich kann keinen finden, man ich kann keinen finden, weil ich das Scheißteil überall vergesse, geh dann ohne, Resultat: Regen in der Fresse! Einst dacht' ich, ich geh´ zum Linienbus, weil ich die eins acht acht- Linie nehmen muss. Regenguss, sitz im Bus, nass wie´n bepisster Hund, Zähneputzen auch vergessen und ich stinke aus´m Mund. Und ich wunder´ mich, warum verzieht hier jeder sein Gesicht!? Des Rätsels Lösung: Der Grund bin ich! 1000 Stunden lang im Bus vom Publikumsverkehr erniedrigt und beim Schwarzfahren erwischt und das ist ja ordnungswidrig! 60 Kröten, sind flöten, wieder in finaziellen Nöten. Wenn der Tag so weiter geht, bin ich bald bereit zu töten. Endlich am Ziel meiner Wahl angekommen, klopfe ich an die Tür, ich hatte ja angenommen, dass wie verabredet jemand da ist, doch es macht kein Schwein auf und ich frag´ mich, ob es wahr ist. Scheiße! Scheiße! Scheiße! Mir wird schlecht, wie der Scherz, alles rückwärts! Wieder in den Bus, wieder durch den Regen, wenn ich zu Hause bin, werde ich mich hinlegen. Ich komm´ auch an und denk´: Mittagsschläfchen wär´ jetzt nett, doch mmh: Silberfische in meinem Bett!!!

Wer kennt solche Tage nicht? Man hat schon morgens im Bett das Gefühl, dass dieser Tag furchtbar wird und fühlt sich von Stunde zu Stunde immer mehr darin bestätigt, dass man Recht hatte: Der Pulli, den man anziehen wollte, ist in der Wäsche, die Milch ist alle. Die Bahn fährt einem vor der Nase weg und noch auf dem Weg ins Klassenzimmer fällt einem ein, dass man die Hausaufgaben vergessen hat. Selbstverständlich wird man drangenommen und die eigene Ausrede kommt einem selbst so schlecht vor, dass man schon während man sie ausspricht merkt: Das glaubt mir doch kein Mensch! Und so geht es munter weiter und spätestens um 15:47 Uhr, kurz nachdem man einen Anschiss vom Nachbarn bekommen hat, weil man mit dreckigen Schuhen durch´s frischgeputzte Treppenhaus gelatscht ist, fragt man sich, ob man (ohne es bemerkt zu haben) ein Schild auf der Stirn mit sich herum trägt, auf dem steht: Als drauf! In solchen Fällen gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit und dieser sollte man, wenn man nicht gerade wie König Boris Silberfische im Bett hat, auch nachgehen: Rollo runter. Ab ins Bett und diesen schrecklichen Tag einfach frühzeitig beenden.

Doch was, wenn der nächste Tag ähnlich wird und der Kommende auch? Wenn nicht ein Tag beschließt, „Schwein“ zu sein, sondern eine ganze Woche, ein ganzer Monat oder ein ganzes Jahr? Und was, wenn Regen im Gesicht, vergessene Hausaufgaben oder eine verpasste Bahn nochmal überschattet werden von Arbeitsplatzverlusst, Krankheit oder gar Todesfällen? Dann kommt jeder normale Mensch irgendwann an den Punkt, wo er sich fragt: Warum eigentlich ausgerechnet ich? – Dann wird der Tag nicht furchtbar, sondern plötzlich wird das ganze Leben furchtbar und man fragt sich, womit man diesen ganzen Wahnsinn eigentlich verdient hat. Fragt sich, was habe ich falsch gemacht, damit mir all das passiert? Wir Gläubigen haben aber noch ein viel größeres Problem: Wir beschäftigen uns dann nämlich mit der Idee, ob wir gerade bestraft werden. Ob wir vielleicht gerade gerecht behandelt werden, weil wir irgendwann einmal riesengroßen Mist gebaut haben. Menschen, die an Zufälle und an das Schicksal glauben, haben es da einfacher. Die sagen sich: Naja, das ist halt jetzt so! Wir fragen nach dem „Warum“ oder nach dem Sinn dieser Tiefschläge oder vielleicht sogar, ob sie gerechtfertigt sind. Suchen krampfhaft nach dem Fehler, den wir begangen haben oder nach dem Menschen, den wir verletzt haben. Gerade in Phasen von brutalem Liebeskummer kann man schnell auf den Gedanken kommen, dass man jetzt genau das zurückgezahlt bekommt und das fühlen muss, dass man damals jemand anderes angetan hat, als man vor ihm stand und einfach sagte: Es ist aus.

Solange man es sich noch irgendwie begründen kann, ist es möglich, sich zu beruhigen. Dann ergibt für uns nämlich alles irgendeinen Sinn und weil wir von Natur aus ja alles logisch erklärt haben müssen, sind wir dann auf eine bestimmte Art und Weise beruhigt. Doch was passiert, wenn wir uns nicht mehr erklären können, warum all das Unheil mit uns passiert? Wenn wir uns plötzlich wirklich ungerecht behandelt fühlen und uns verlassen und im Stich gelassen fühlen. Dann muss Gott her! Ja, da stehen wir plötzlich wieder bei ihm auf der Matte! Ging es uns doch die letzten Wochen ganz gut und haben wir ihn nicht wirklich gebraucht und ein bißchen vergessen, was er uns so alles Gutes beschert, so ist er uns in schlechten Zeiten doch auf einmal recht präsent. Wir betteln herum, fragen nach dem Warum, bitten um Unterstützung und viele neigen dazu, schon nach kurzer Zeit leicht beleidigt von Dannen zu ziehen, wenn die heiß ersehnte Erlösung nicht auf den Fuß folgt. Wäre das nicht etwas einfach? Hallo, da oben??? Ich habe eine 5 geschrieben! Mein Leben geht zu Ende! Hilf mir, aber schnell, ich will ja schließlich nicht umsonst glauben... Aber es passiert nichts. Gar nichts. Ich glaube und bete und mache und tue und trotzdem finde ich keine Arbeitsstelle, meine Frau kann immer noch keine Kinder kriegen, in meinem Land herrscht nach wie vor Krieg und die Trauer wegen meiner verstorbenen Oma will und will nicht weniger werden. Wo ist Gott, wenn man ihn wirklich braucht? –Ja, es beginnt durchaus verlockend zu werden, an all diesem Glaubensding mal ein bisschen zu zweifeln. Denn was bringt einem Gott, wenn er doch dann im Härtefall gar nicht bei mir ist? Oder viel treffender: Was bringt mir Gott, wenn er im Zweifelsfall nicht da ist? An diesem Punkt enden leider viele Glaubenskarrieren. Das sind dann die Menschen, die vor einem stehen und Dich fragen: Wo war denn Dein Gott als... (Wir merken an dieser Stelle: Sie sprechen dann schon von meinem Gott, ihrer ist es dann anscheinend schon gar nicht mehr) ...sie fragen also: Wo war denn Dein Gott, als es meiner Mutter so schlecht ging? ...als ich den Unfall hatte? ...als ich betrogen worden bin??? ICH, ICH, ICH!!! Ja, sag doch mal ehrlich: Was soll man denn darauf antworten, bitte? Variante 1 (Wir appellieren an den Verstand unseres Gegenübers): Hast Du Affe Dir vielleicht schon mal überlegt, dass Dir all das passiert ist, gerade WEIL mein Gott da war?? Deine Mutter könnte tot sein, Du hättest den Unfall nicht überleben müssen und Du hättest Deinen Freund niemals kennengelernt, wenn der andere Depp nicht mit Dir Schluss gemacht hätte! Oder Variante 2 (Wir versuchen, den logisch denkenden Teil des Gehirns unseres Gegenübers zu erreichen): Meinst Du eigentlich, Gott ist auschließlich dazu da, Dir eine möglichst unbeschwerte Existenz zu bereiten? Wenn das sein Job wäre, gäbe es auf der Welt ausschließlich gesunde, glückliche, kinderfreundliche, demokratische und parzifistische Großverdiener, die den ganzen lieben langen Tag mit einem Lächeln durch die Gegend laufen und rufen: Oh, wie ist das Leben schön! Hört sich das nach irgendeiner glaubwürdigen Realität an? Oder Variante 3 (Wir werden aus Verzweiflung ironisch): Ja, das Leben ist wirklich hart zu Dir! Ich würde sagen, es gibt kaum jemanden auf der Welt, dem es so schlecht geht, wie Dir. Sehen wir mal von mienensuchenden Kindern in Afghanistan, von zur Prostitution gezwungenen 13jährigen in Latein Amerika und von einigen Tsunami- Opfern ab, bist Du sicherlich der, dem es von uns allen hier am Schlechtesten geht!

Menschen neigen dazu, immer gleich grundsätzlich zu werden. Läuft alles mal nicht ganz so dolle, ist gleich alles in Frage gestellt. Weil es so einfach ist zu glauben, wenn alles schön ist. Weil es so einfach ist, zu glauben, wenn alles funktioniert, wie ich das will. Weil es so einfach ist, zu glauben, wenn die Sonne scheint im Leben. So wie bei Hiob. In seinem Leben schien auch die Sonne, bis Gott auf die Idee kam, mit Satan zu wetten. Satan, der es spannend findet, einmal zu testen, ob der so reich beschenkte Hiob, mit seinen vielen Töchtern und Söhnen und Angestellten und Feldern und Tierherden und seiner Gesundheit denn noch so gläubig und treu ist, wenn ihm alles weggenommen wird. Wenn alle um ihn herum versterben, sein Hab und Gut brennt und er mit den schlimmsten Krankheiten geplagt wird. Viele hätten ihren Glauben aufgegeben. Hiob tut etwas anderes: Hiob geht mit Gott ins Gericht. Er flucht, er schreit, er fragt nach dem Warum! Er ist wütend, verzweifelt und lässt seinen Gott auch wissen. „Gefällt´s Dir dass Du Gewalt tust und verwirfst mich, den Deine Hände gemacht haben, und bringst der Gottlosen Vorhaben zu Ehren?“ Man könnte auf den ersten Blick meinen, er verflucht Gott oder (Wortspiel) er jagt ihn zum Teufel. Doch auf den zweiten Blick fällt einem dann auf: Zu niemandem kann man so harte und fordernde Worte sagen, wenn man nicht mehr an ihn glaubt. In dem Buch „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider schließt sich die Hauptperson Johannes Elias in der Dorfkirche ein und beschimpft Gott über 20 Seiten auf´s Übelste, weil ihm die Liebe einer Frau verwehrt bleibt, der er sein Herz geschenkt hat. Er schreit Gott an, wie er denn ein liebender Gott sein kann, wenn er ihn und sein Herz so verkümmern lässt. Warum er ihn sadistisch lieben lässt, obwohl er doch weiß, dass Elisabeth einen Anderen lieben wird. Johannes teilt Gott mit, dass er ihn hasst und an ihn nicht mehr glaubt, weil er nicht der Gott ist, den er als Gott anzubeten gelernt hat. „Gott lernt den Elias fürchten“ ist der Titel des Kapitels und beim ersten Mal durchlesen hat man das Gefühl, Johannes Elias schließt mit Gott ab. Denkt man jedoch eine Weile darüber nach, kommt man zu einer ganz anderen Schlussfolgerung: Nur wenige glauben so sehr wie Elias! Denn nur wer so sehr glaubt, kann solch harte Worte sprechen. Wer aufgehört hat, zu glauben, kann gar keine so intensive Auseinandersetzung mit Gott erfahren. Sind wir also gar nicht im Stich und alleine gelassen worden, wenn alles schief geht? Hat am Ende alles einen Sinn, auch, wenn es uns noch so absurd vorkommt? Können wir nicht auch aus Tiefschlägen etwas mitnehmen und aus ihnen lernen? Und wenn wir nach ihnen die schönen Dinge des Lebens wieder schätzen können...

Gott hat uns ein Leben geschenkt, ja. Aber das bedeutet nicht, dass wir ab diesem Zeitpunkt fremdbestimmt, unmündig und verantwortungslos sind. Da ist sie, die Frage aller Fragen: Warum lässt Gott Böses zu? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht, sie ist Inhalt von Doktorarbeiten und wir könnten bis zum Morgengrauen darüber diskutieren, doch dies ist ein Versuch: Wenn ihr einmal ein Kind habt und es kommt zu Euch und möchte ein Skateboard haben, dann habt Ihr genau zwei Möglichkeiten: Entweder ihr verbietet Eurem Kind aus Angst, es könnte auf die Nase fallen, Skateboard zu fahren. Oder aber ihr schenkt ihm das Skateboard und gebt ihm ab dem Moment, in dem ihr es ihm überreicht die Verantwortung und die Möglichkeit eigene Erfahrungen zu sammeln...

So in etwa beantworte ich mir diese Frage. Wir haben unser Leben und unsere Erde geschenkt bekommen, aber was wir letztendlich daraus machen, liegt in unseren Händen. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Gott immer da ist, auch wenn wir gerade das Gefühl haben, er fehlt in unserem Leben und alles geht schief. Im gleichen Gedankengang sollten wir uns genau zwei Dinge fragen: 1.: Was kann ich selbst an meiner Situation ändern und 2.: Für wieviele Dinge kann ich trotzdem in meinem Leben dankbar sein?

Und wenn dann trotzdem noch das Gefühl vom Alleinesein siegt, kann man sich sicher sein, dass noch lauter andere Menschen um einem herum leben, die auch schon schwierige Zeiten hinter sich haben und sicherlich gerne helfen. Mit einem Problem oder einem Leiden ist man grundsätzlich nicht alleine, denn so einzigartig sind wir nun auch wieder nicht. Von Zeit zur Zeit ist es gesund, sich vor Augen zu halten, wie schlimm vergessene Regenschirme, leere Handy- Akkus und unfreundliche Busfahrer wirklich sind. Man sollte lieber eine Prioritäten- Liste mit Liebe, Hoffnung, Gesundheit und Glaube anlegen, denn eines von ihnen wird mit Sicherheit bleiben.

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen.

Amen.

Das Photo 'Warum ? (Kleine Gedenkstätte für die Opfer des Einsturzes des Archives am Kölner Waidmarkt, direkt über der Nord-Süd Stadtbahn, März 2009) wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.

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