Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten im Jugendgottesdienst: Rock n’ Roll

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Predigt „Rock n’ Roll“

Gehalten von Jakob Hellwig:

'The Rolling Stones', 26.09.2005', Samira Khan

Früher war im Allgemeinen ja alles besser. Die Wirtschaft brummte, es gab kaum Arbeitslose, ein Mercedes fuhr noch eine Million Kilometer am Stück, keine Terroristen entführten Flugzeuge und ließen sie in Hochhäuser fliegen, das Klima schien in Ordnung, niemand forderte Onlinedurchsuchungen und der türkische Gastarbeiter schien auch nur vorübergehend hier zu bleiben. Ach ja, die Musik war auch besser…
Und heute?? Gut, was die Wirtschaft und die Beschäftigungszahlen angeht befinden wir uns gerade in einem kleinen Zwischenhoch, aber Autos sind einfach nicht mehr das was sie mal waren, 9/11 hat die Welt geschockt, wir drohen dank steigender Meeresspiegel zu ersaufen, haben ein Integrationsproblem und mit 23 Jahren Verspätung sind wir auch in George Orwells Überwachungsstaat angekommen. Ehe ich es vergesse: Hip Hop!

Warum also beschweren wir uns nicht? Nein besser… Warum machen wir nichts? Man wird immer mehr zum gläsernen Menschen, jeder Schritt, den wir machen, kann nachvollzogen werden, ob wir ihn physisch tun oder im Internet ist egal. „Na gut“, denken sich viele „dann hängen an der Konstablerwache halt jetzt Kameras. Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, den muss das ja nicht stören.“ Diese Einstellung liebe ich ja. Für die paar Kameras für sich genommen mag das stimmen. Aber das ist ja nur ein kleiner Teil.
Der Chaos-Computer-Club hat herausgefunden, dass sich in dem Programm, mit dem man seine Steuererklärung am Computer machen kann, ein Trojaner versteckt, der dem Bundeskriminalamt Zugang zu dem Rechner verschafft. Es wurde sogar eine Datei in dem Programm gefunden die es ermöglicht, Mikrophone und Kameras ferngesteuert anzuschalten. Ich habe keine Demonstration erlebt, die sich über diesen massiven Eingriff in die Privatsphäre eines Menschen von Seiten des Staats beschwert hätte. Wie gesagt: Früher war alles besser.

Aber halt… Warum gab es früher dann Demonstrationen? Stichwort ’68. Waren die Leute damals überempfindlich, wollten einfach immer nur meckern? Hat die Musik, wo wir mal beim Thema Rock n Roll wären, sie aggressiv gemacht? Oder ist es eher umgekehrt und wir sind heute einfach abgestumpft und hat uns der relative Wohlstand eingelullt?
Ich gebe zu, einige von den Sprüchen, die wir vorhin gesehen haben, treffen es heute nicht mehr wirklich.
„Macht kaputt was euch kaputt macht“ Wir haben halt inzwischen erkannt, dass Kapitalismus in einer gesunden Form nichts ist, was man verteufeln muss.
„Wir sind das Volk“ Der Spruch war erfolgreich. Die Wiedervereinigung ist formal geglückt.
Einer meiner Favoriten: „Wer zweimal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment“ Herrlich… das ist griffig. Man will sich bewusst von der verklemmten Elterngeneration distanzieren und provozieren. Das ist Rock n’ Roll. Nicht die Musik, sondern das Gefühl. Leckt mich, ich mach mein Ding, eure Vorstellung von einer guten Welt ist falsch: „Fuck you, I won’t do what you tell me!!!“ Ich will nicht werden, was mein Alter ist!
Heute haben wir das Problem, dass wir unser plakatives „Feindbild“ nicht mehr am Abendessenstisch sitzen haben. Die Eltern, die noch aus der Nazizeit stammen, und von nichts gewusst haben wollen.
Meine Eltern sind aus dieser 68er-Generation. Eure wahrscheinlich schon nicht mehr. Die haben den Kampf geführt. Nur geht es weiter. Die Kämpfer von damals sind über die Jahre altersmilde geworden, oder haben ihre Einstellungen geändert. Aber wo ist die nachrückende Generation, die sich wehrt gegen etwas, zum Beispiel Spionage in den eigenen vier Wänden?
Damals war Musik ein wichtiges Ausdrucksmittel des Protests. Lieder hatten eine politische Botschaft. Auch Hip Hop war einmal politisch. In den Anfängen ging es in den Texten um schlechte Zustände in den Ghettos Amerikas, um Benachteiligung der Schwarzen und täglichen Rassismus von Seiten der Polizei. Das war Protest und nicht umsonst befindet sich auf einer DVD, die ich besitze, „The History of Rock n Roll“, auch ein Kapitel über Rap. Und was ist daraus geworden? Fast jeder Rapper singt nur noch darüber, wie groß sein Auto ist, wie viel Geld er hat, dass Frauen alles Nutten sind und wie potent er doch ist.

Wann und wo gab es denn noch Protest oder Auflehnung gegen eine Autorität? Eine Stimmerhebung gab es vor ca. 500 Jahren, ohne die wir hier gerade nicht säßen. Und zwar gegen die wohl damals höchste und gefürchtetste Instanz: den Papst. Natürlich spreche ich von der Reformation und Martin Luther. An unserer Kirchentür würde nicht das Wort „lutherisch“ stehen, wenn er sich damals nicht gegen bestehende Normen und Praktiken aufgelehnt hätte.
Aus der Überzeugung heraus, etwas Gutes zu machen, und aus Glaube. Aus Glaube an einen guten Gott. „Was hier passiert, kann nicht im Sinne Gottes sein“, muss er sich gedacht haben. Als bestes und beliebteste Beispiel gilt hier natürlich der Ablasshandel. Sich von Sünden freikaufen zu können, das passt nicht in das Gottesbild, dass die Bibel einem vermittelt. Gott hat keine Gesetze geschaffen, um danach seinen „irdischen Vertreter“ daran kassieren zu lassen. Warum hätte er denn sonst Jesus Christus auf die Erde schicken sollen, dessen frohe Botschaft die Sündenvergebung ist?

Genauso handelte Jesus noch ein paar Jährchen früher, wie wir es in der Lesung gehört haben. Er vertreibt Händler und Geldwechsler aus dem Tempel. Im Johannesevangelium benutzt er dafür sogar eine Geißel. Der Zorn Jesu richtet sich hierbei wohl weniger gegen die Händler, die ihr Fehlverhalten vielleicht gar nicht richtig einschätzen konnten, jedoch gegen die Hohenpriester, die diese Praktiken gewähren ließen. Diese sind damals das höchste jüdische Machtorgan und Jesus ist Jude. Was sie sagen und wie sie die Schriften deuten, ist Gesetz. Dagegen wehrt sich Jesus. Er sagt: „Die Schriften haben Recht. Ihr lest sie nur falsch.“ Es ist keine Infragestellung des Judentums allgemein. Wie Luther 1500 Jahre später, war es nicht sein Ziel, die Glaubenden zu spalten. Es war reiner Reformwille, mit dem er allerdings nicht bei allen auf Gehör stieß.

Was ich euch vor allem mit auf den Weg geben will, ist, dass man nicht alles so hinnehmen soll und darf, wie man es vorgesetzt bekommt, sei es von den Eltern, Lehrern, Regierungen oder Pfarrern. Man sollte kritisch beäugen, um was es geht, nicht mit einer Grundhaltung die pauschal alles Verordnete schlecht macht. Man muss differenziert über etwas nachdenken und versuchen, mit der anderen Seite ins Gespräch zu kommen. Die eigene Meinung muss ja nicht die Richtige sein. Niemand hat die Wahrheit für sich gepachtet, wie es so schön heißt.
Bei den Bildern vorhin waren Leute dabei, deren Weg des Protest sicher nicht der Korrekte war: Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Bei Stauffenberg ist die Frage nach der Vereinbarkeit seiner Tat mit dem christlichen Glauben schon wesentlich schwieriger. Aber wie man an der Geschichte aus der Lesung erkennt, ist auch Jesus mal der Kragen geplatzt. Da war sein Grundsatz der Nächstenliebe für einige Sekunden anscheinend ausgeschaltet.

Also, wenn ich mit einer Situation konfrontiert werde, sollte ich darüber nachdenken, ob das was da gerade geschieht, mit meinem Verständnis von Ethik, meinem Streben nach Wohlbefinden und meinem christlichen Glauben vereinbar ist, denn: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Amen

Das Bild 'The Rolling Stones', 26.09.2005, Samira Khan, ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz.

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