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Predigten im Jugendgottesdienst: Heute fährt die 18 bis nach Istanbul

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Predigt „Heute fährt die 18 bis nach Istanbul“

Gehalten von Jakob Hellwig:

'Mosques at dusk in Istanbul with seagulls in foreground', 2003 - Christiaan Briggs

Das hätte sich Jürgen wohl nie zu träumen gewagt. Dass sein Proll-Ballermann-Lied einmal namensgebend für einen Gottesdienst sein wird. Ich fand es erst einmal ganz lustig, darüber zu predigen, musste dann aber feststellen, dass der Text nicht gerade viel hergibt, über das man predigen kann.

Man erfährt, dass Jürgen abends gerne in der Straßenbahn sitzen bleiben würde. Wir lernen das Verkehrsnetz von Köln etwas näher kennen – oder wusstet ihr vorher, dass die Linie 13 nach Mühlheim fährt??

Wie realistisch es ist, dass die 18 bis nach Istanbul fährt, lassen wir mal so dahingestellt…

Jedenfalls steigt er dann am Ebertplatz aus und läuft noch ein Stück die Straßen entlang und dann kommt endlich ein Satz – und dabei bleibt es auch – mit dem man etwas anfangen kann: „Da merkte ich, Istanbul ist hier, ich muss nicht woanders sein!“

Meine Mutter ist Lehrerin. Wenn man sich ihre Klassenlisten manchmal anguckt und zwischen all den Ümits, Ertuguls und Alis lange braucht, bis man mal einen Christian findet, kann man auch denken, dass Istanbul hier ist.

Das ist aber kein „türkisches“ Phänomen. Als letzte Woche Deutschland gegen Kroatien gespielt hat – glücklich schätze sich der, der es nicht gesehen hat – hat der Kommentator gesagt, dass 20% aller Kroaten in Deutschland leben.

Auch wenn niemand daran gedacht hat, als wir das Thema festgelegt haben, ist die EM eh ein schönes Beispiel. Es ist ja eigentlich egal, wer ein Spiel gewinnt, das Hupkonzert danach ist uns sicher.

Dass wir in Deutschland eine Gesellschaft haben, die aus vielen Nationalitäten besteht, ist in den Großstädten eigentlich zur Selbstverständlichkeit geworden. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, könnte ich mir meine Stufe ohne die Leute mit „Migrationshintergrund“ gar nicht vorstellen.

Wer will schon, um eine echte italienische Pizza zu essen, bis nach Rom fahren?? Ich laufe einmal über die Straße und bin da.

Für unser Brot für's Abendmahl ist auch niemand nach Ankara gereist. Der türkische Lebensmittelladen um die Ecke macht ja auch gutes Fladenbrot. Und für mein Feierabend-Guinness muss ich nicht nach Dublin reisen.

Die 3 fährt also nach Hawaii, die 10 nach Athen und die 18 halt nach Istanbul. Der RMV verlangt ja schon für eine Einzelfahrt im Stadtgebiet Frankfurt 2 €. Ich habe das mal ausgerechnet, was das Ticket nach Istanbul kosten würde:

Wenn man davon ausgeht, dass man mit einer Einzelfahrt ca. 10 km fahren kann, würde eine Karte nach Istanbul 373€ kosten. Wie lange eine Straßenbahn bräuchte, dürft ihr euch selbst ausrechnen. Aber das nur nebenbei…

Ich bin jedenfalls froh, dass ich mit meinem Semesterticket quasi die ganze Welt bereisen kann, ohne Frankfurt jemals verlassen zu haben. Was nicht heißt, dass ich für meinen nächsten Türkeiurlaub ein Zimmer im Arabella-Sheraton an der Konstablerwache gebucht habe…

Das klingt jetzt alles nach paradiesischen Umständen. Alle leben glücklich, nicht nur nebeneinander, sonder sogar miteinander, unter dem Dach der freiheitlich demokratischen Verfassung Deutschlands. Der Serbe und der Kroate, der Grieche und der Türke. Die deutsche Gesellschaft als Vorbild für die Weltpolitik. So schön passt es leider doch nicht.

Integrationspolitik ist ja ein regelmäßig in den Medien auftauchendes Thema. Und dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die in einer Art Parallelgesellschaft leben, da sie weder die deutsche Sprache beherrschen, noch die Motivation aufbringen daran etwas zu ändern, ist auch kein Geheimnis. Viele Migranten haben immer noch die Vorstellung, dass Deutschland nur eine Zwischenstation auf ihrem Lebensweg ist, was in vielen Fällen ein Irrglaube ist.

Und da fällt auch schon ein Stichwort, dass bei der Problematik der Integration und des Zusammenlebens verschiedener Kulturen eine bedeutende Rolle spielt: Glauben!!

Fundamentaler Glauben, oft gepaart mit schlechter Bildung, ist ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem guten Zusammenleben. Wenn man „fundamental“ hört, denkt man meistens gleich an Terroristen, von denen hatten wir im letzten Jugendgottesdienst aber schon genug. Ich will über die Fundamentalisten reden, denen wir täglich begegnen können. Leute die ihr Lebensmodell – oder auch Glaubensmodell – als das einzig Wahre verstanden wissen wollen. Wie bei den Worten „heilig“ und „Krieg“, besteht für mich auch bei „fundamental“ und „Glauben“ ein Widerspruch.

Etwas zu glauben, bedeutet ja, zu meinen, die Wahrheit zu kennen, ohne es aber mit Beweisen belegen zu können und damit zu „wissen“. Glauben ist nicht Wissen. Ich kann überzeugt sein von meinem Glauben, ich kann versuchen mit Argumenten andere davon zu überzeugen, dass das, was ich meine, richtig ist. Nie kann ich aber das, was ich glaube, als einzige, richtige Wahrheit darstellen. Ich glaube an Gott, so wie er in der Bibel beschrieben wird. Für mich ist das die Wahrheit, die Religion in der ich mich wieder finde. Das Entscheidende ist, dass es meine persönliche Überzeugung ist, mein Glaube.

Fundamentalismus bedeutet das „kompromisslose Festhalten“ an etwas. Damit verbunden, das nicht anerkennen anderer Ideen. Wenn etwas nicht bewiesen, sondern „nur“ geglaubt wird, darf man dann alle anderen Eventualitäten von vorneherein ausschließen??

Im Schöpfungsbericht heißt es, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, alle Menschen. Wenn man jetzt sich selbst mit seinem Glauben höher stellt, als andere mit ihrem, stellt man sich damit über die Schöpfung Gottes. Das wäre eine Vergöttlichung des Menschen und damit einer der größten Sünden.

Deshalb kann für mich gesunder Glaube nur toleranter Glaube gegenüber Andersdenkenden sein. Mit allen Vorteilen, die ich vorhin aufgezählt habe, aber auch mit Einschränkungen und Kompromissen. Die Überzeugung, dass ich mit meinem Glauben auf dem richtigen Weg bin, muss vor allem in mir drin vorhanden sein und kann dort nach außen gelebt werden, wo ich damit andere nicht an der Ausführung ihres Glaubens hindere.

Amen

Das Bild 'Mosques at dusk in Istanbul with seagulls in foreground', 2003 - Christiaan Briggs, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.

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