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Predigten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann: Galaterbrief Kapitel 4, 4-7

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Weihnachten

Galaterbrief Kapitel 4, 4-7

Predigt gehalten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann

'Licht in der Finsternis', 1976 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Licht in der Finsternis', 1976
Walter Habdank. © Galerie Habdank

Liebe Gemeinde,

Weihnachten ist vor allem das Fest der Kinder. Wohl niemand wartet so gespannt wie sie auf den Heiligen Abend, auf den geschmückten Christbaum und auf die ersehnten Geschenke. Kinder haben das, was uns Erwachsenen im Lauf der Zeit verloren geht: Sie können im Hier und Jetzt leben und sich freuen, ohne die Gründe für ihre Freude benennen zu müssen. Sie freuen sich einfach und ohne Umschweife. Uns Erwachsene erinnert das Weihnachtsfest an unsere Kindheit – an damals, als wir klein waren und uns um nichts zu sorgen brauchten, als wir wussten: Es gibt Erwachsene, die verantwortlich sind, im Idealfall waren das Mama und Papa, und diese beiden waren die wichtigsten Menschen auf der Welt. Doch wie ist das alles in unserer heutigen Zeit geworden? Ich möchte Kindheit und Kinder nicht verklären, denn es ist immer schwer, erwachsen zu werden; ganz gleich, in welcher Zeit man aufwächst. Auch heute ist Kindsein oft schwer angesichts von Patchwork-Familien, Stiefväter und Stiefmüttern, Halbschwestern und angeheirateten Geschwistern. Kindsein ist auch schwer angesichts des drohenden Verlustes der Kindheit: Immer mehr spielen Leistungsstress und Selektion schon vom Grundschulalter an eine Rolle. Immer mehr findet kindliches Spiel medial vermittelt statt, durch Fernsehen, Videospiele und Computer. Und dann die Eltern selbst: Überlastet durch die vielen Aufgaben in Beruf und Familie – sprach man früher von der „vaterlosen Gesellschaft“, dann muss man jetzt von der vater- und mutterlosen Gesellschaft sprechen, da immer mehr Kinder den ganzen Tag lang nicht mehr von den eigenen Eltern, sondern in verschiedenen Einrichtungen betreut werden. Kindheit ist nichts Unbeschwertes mehr in diesen Zeiten – so viel steht fest.

An Weihnachten steht ein Kind im Mittelpunkt. Ein Kind wird geboren, das Bedeutung für uns haben soll. Als Erwachsener weist er uns den Weg zur Gotteskindschaft – ein schillernder theologischer Begriff, den es lohnt, näher zu erklären.

Paulus schreibt im Galaterbrief Kapitel 4, (Verse 4-7)

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz standen, erlöste und wir als Kinder Gottes angenommen würden. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: ,Abba, lieber Vater!' So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann bist du auch Erbe durch Gott“

Ich möchte Ihnen den Predigttext gerne Stück für Stück erschließen:

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“.

Die Bibel spricht von Jesus Christus als dem „Sohn Gottes“. Im antiken Denken war „Sohn Gottes“ ein Herrschaftstitel mächtiger Könige. Sie leiteten ihren Herrschaftsanspruch daraus ab, als „Sohn Gottes“ zu gelten – denken wir an die ägyptischen Pharaonen oder an Alexander den Großen. Der Titel „Sohn Gottes“ begründete einen exklusiven Anspruch. Man stellte sich dies als eine Art „Adoptionsverfahren“ vor: Gott selbst war es, der diesen oder jenen Pharao bei seiner Inthronisation zu seinem Sohn ernannte. Ein solches Inthronisatiosritual spiegelt sich in Psalm 2 wieder. Dort heißt es von Gott: „Ich aber habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berg Zion…du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Für die ersten Christen war Jesus Christus als „Sohn Gottes“ der neue König der Welt. Mit der Bezeichnung „Sohn“ ist also nicht die leibliche Ebene gemeint, sondern die geistige: Durch das genannte „göttliche Adoptionsverfahren“ ist Jesus dem Geist nach „Sohn Gottes“. Die Bibel benutzt diese Vorstellung, um klar zu machen, dass das Leben immer ein Leben in Beziehung ist. Das ist schon im Alten Testament der Fall, wenn Gott das Volk Israel seinen „eingeborenen Sohn“ nennt. Gott ist also der geistige Vater des Volkes Israel. Als Vater fordert er von seinen Kindern Gehorsam, Liebe und Respekt. Er kann das Volk durch Erziehungsmaßnahmen züchtigen und es lehren, auf ihn zu hören, so, wie es in den biblischen Schriften überliefert ist.

„Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: ,Abba, lieber Vater!"

Paulus erklärt, dass wir durch die Taufe nun alle zu Söhnen und Töchtern Gottes geworden sind. In der Taufe sind wir verbunden worden mit dem Namen Gottes und dem Namen Jesu. Damit gilt das, was für Jesus gilt, von nun an für jeden Menschen, der auf den Namen Jesu getauft ist: Er oder sie ist ein Sohn Gottes, ist eine Tochter Gottes. Was bedeutet das konkret? Dazu ist noch folgende Information wichtig: Jesus hat Gott ganz familiär mit dem Wort „Abba“ angerufen und zu ihm gebetet. Übersetzt heißt das schlicht „Papa“. Die Gebetsanrede „Abba“ war neu in der jüdischen Umwelt zur Zeit Jesu. Man sagte als gläubiger Jude allerhöchstens „abuna“ „unser Vater“. Doch Jesus sagte „Papa“. So unbefangen konnte er sich Gott nähern, und er wusste, warum – sicher nicht aus Naivität heraus, sondern weil er sich von diesem Gott so ganz und gar geborgen fühlte. Jesus hat uns die Gotteskindschaft vorgelebt, es ganz und gar gelebt, dieses „mein Leben in Gottes Hand“. Er hat diese Verbindung gespürt und diese Liebe verkörpert. Die Menschen damals hat diese Gottesanrede ungeheuer beeindruckt – heute sind wir leider davon viel weiter entfernt. Wir haben Probleme, von Gott als „gütigem Vater im Himmel“ zu sprechen. Intellektuell und von unseren Erfahrungen her ist dieses Gottesbild für uns heute außerordentlich schwierig geworden. Doch es lohnt sich, auch an dieser Rede von Gott festzuhalten. Als Getaufte sind wir Kinder Gottes. Die Rede vom Kindsein will sagen: Leben findet immer in Bindungen statt. Es gibt kein Leben ohne Beziehungen. Wir sind immer Kinder von irgendjemandem, Kinder eines Vaters, Kinder einer Mutter, Kinder unserer Zeit, Kinder Gottes. Wir sind immer auf Beziehung angelegt und insofern sind wir aneinander gebunden. Und sogar Gott selbst ist Gott in Beziehung. Im Unterschied zu Juden und Muslimen sprechen Christen von Gott als Vater, Sohn und heiligem Geist – die Dreiheit Gottes, die Trinität, heißt nichts anderes als dieses „Gott in Beziehung“ – denn es sind ja nicht drei Götter, sondern es ist der eine Gott, der uns als der Vater, der Sohn und der heilige Geist begegnet.

Paulus sagt: „So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann bist du auch Erbe durch Gott.“

An Weihnachten geschieht eine Art „Herrschaftswechsel“. Der gläubige Mensch wird von einer beliebigen ins Dasein geworfenen Kreatur zu einem einzigartigen, geliebten und wertgeschätzten Kind Gottes. Er bekommt seine individuelle Würde zugesprochen von diesem Gott. Vorher eine Art geknechtetes soziales Tier, wird jeder Mensch im Glauben zu einem Kind Gottes, für das Gott besondere Rechte bereithält wie ein Vater für seinen Erben. Welche Rechte sind das?

Heute ist Weihnachten. Wir können an das Schreckliche und Unheile in der Welt denken und tun es ja auch. Wir blenden es nicht aus indem wir auf eitle Harmonie bestehen. Wir können uns aber trotzdem freuen. Das ist unser z.B. eines unserer Rechte als Kinder Gottes: Dass wir an der Freude festhalten dürfen und sie uns durch nichts und niemanden zu vermiesen lassen brauchen – weder durch Nachrichtenjournalisten noch durch Schwiegermütter.

Jesus selbst sagte: „So ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, so werdet ihr nicht ins Himmelreich gelangen.“ Gotteskindschaft heißt nicht: arglos und unbekümmert in einer frommen Naivität zu leben. Es heißt nicht, die schroffe Realität zu leugnen und sich in die heile Welt eines kirchlichen Kinderzimmers zu flüchten. Es heißt auch nicht, immer nur versorgt sein zu wollen ohne sich anzustrengen. Gotteskindschaft heißt eher dies: sich einiges Wertvolle aus der Kindheit bewahren zu dürfen und es sogar zu pflegen: Staunen zu können über Gottes wunderbare Welt, trotz aller Probleme. Neugierig zu bleiben, nicht immer schon zu meinen, alles zu können und zu wissen. Spielen zu können und Freude am Leben haben zu können, auch, ein Stück weit unbeschwert leben zu können im hier und jetzt, sich am Dasein zu erfreuen und das Leben nehmen zu können wie es ist. Kinder begreifen noch nicht, was „Zeit“ bedeutet, sie leben in der Gegenwart, sie können noch betrachten und staunen. Kinder weinen wenn sie traurig sind und lachen wenn sie fröhlich sind, sie ärgern sich, wenn sie sich ärgern und sie können noch gut verzeihen. Sie sind authentisch, sie sind echt, sie können sich noch nicht verstellen. Von Kindern können wir eine Menge lernen, was uns dem Leben näher bringt und damit auch Gott. Eine neue Spiritualität wäre nötig, für uns alle, und sie beginnt mit dem Staunen und der Andacht, mit der stillen Versenkung ins pralle Leben, so, wie es Kinder tun wenn sie ganz versunken sind in ihr Spiel. Und dann die Art, wie Kinder sich bewegen. Auch davon könnten wir etwas lernen: Allem voran ist es der tänzelnde Schritt auf unsicheren Beinen. Meinen wir doch nicht, immer schon alles gewusst und beurteilt zu haben. Bleiben wir doch manchmal ein Stück weit bescheiden und lieber klein, als uns allzu groß und wichtig zu gebärden. Das verhindert oft mehr als es uns nützt. Unsicher sein, das ist es. Denn Sicherheit gibt es sowieso nicht und das wusste Jesus auch sehr gut, denn er mahnte uns, lieber Schätze im Himmel zu sammeln als hier auf Erden, wo Motten und Rost sie zerfressen können- heute sind es eben die Aktienmärkte. Es ist und bleibt gut, Gott als Vater ansprechen zu dürfen, als „Vater unser im Himmel“. Denn als Christen sind wir nicht in erster Linie die Kinder unserer Eltern, sondern Söhne und Töchter Gottes, und das macht uns freier. Darin liegt der Sinn von Religion: Die Freiheit zu vergrößern. Uns dabei zu helfen, dass wir all unsere weltlichen Bindungen zu anderen Menschen in Richtung auf diese letzte Bindung zu Gott relativieren können. Und auch, was unsere Potentiale anbelangt kann die Rede von uns selbst als „Kind Gottes“ uns helfen, etwas ganz Wesentliches über das Menschsein selbst beizubehalten: Wir sind immer abhängig von Beziehungen, wir sind eigentlich auf Entwicklung angelegt. Auch als vermeintlich „Erwachsene“ sind wir immer unfertig, immer wachsend, nie perfekt auch wenn wir es noch so gerne sein wollen, immer liebes- und schutzbedürftig.

Als Kind Gottes bin ich immer beides:

Ich habe gelernt mich im Leben zurechtzufinden und ich bin trotzdem eine immerwährend Lernende, sich Entwickelnde.

„Strebt nach der Liebe“, sagt der Apostel Paulus.

Als Kind Gottes kann ich Sorge tragen für mich selbst und andere, doch ich kann trotzdem ein Leben ohne Sorgen führen: „Sorget euch nicht“, sagt Jesus!

Als Kind Gottes weiß ich, dass ich bedürftig und abhängig von meiner Umwelt bin und gerate trotzdem nicht aus dem inneren Gleichgewicht.

Ich bin realistisch und gerate trotzdem nicht in Panik.

Ich weiß, dass hier auf Erden alles Fragment bleibt, alles brüchig, alles unvollkommen, alles problematisch.

Und doch kann ich mich beschenken lassen von der Liebe Gottes in Jesus Christus.

Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: ,Abba, lieber Vater!'

So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann bist du auch Erbe durch Gott.“

Und der Friede Gottes der höher ist als all unser Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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