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Predigten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann: Der unbekannte Gott - Paulus und die alten Griechen

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"Der unbekannte Gott - Paulus und die alten Griechen"

Gehalten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann am 13. April 2008:

'St Paul Preaching in Athens', 1515, Raphael

Liebe Gemeinde,

Könnten Sie diesen Satz sagen:

„Wir glauben doch alle an den einen, den gleichen Gott. Ob Christen oder Moslems, ob Hindus oder Buddhisten – das alles sind doch Leute, die an Gott glauben – und wenn er auch viele Namen hat, es ist doch immer der gleiche.“

Das ist der gemeinsame Nenner aller die religiös sind, an etwas oder jemanden glauben der unsere Begrenztheit übersteigt. Wer glaubt kann immer diskutieren, ob mit Hindus oder Muslimen, mit Buddhisten oder Esoterikern. Ist es nicht immer ein Gott, auch wenn er viele Namen in vielen Religionen hat? Das gilt auch in polytheistischen Glaubensgemeinschaften, die die Aspekte des Einen Gottes in vielen verschiedenen Göttern verehren. Es wäre schön, wenn die Angehörigen der vielen Religionen diese Sicht akzeptieren könnten – dann bräuchte man vielleicht überall auf der Welt nur einen Altar, einen Altar eines unbekannten Gottes.

Paulus, unterwegs auf Missionsreise durch Griechenland, trifft auf einen solchen Altar:
Apg 17:
22 Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.
23 Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.
24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.
25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.
26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen,
27 damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.
28 Denn in ihm leben, weben und sind wir [; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.
29 Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.
30 Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun.
31 Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.
32 Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.
33 So ging Paulus von ihnen.
34 Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

'View of the Acropolis from the Pynx', 1863, Rudolph Müller

Diese Erzählung aus der Apostelgeschichte des Lukas, der auch das gleichnamige Evangelium verfasste, stellt Paulus auf den Areopag mit Blick auf die Akropolis. Der Areopag war ein nordwestlich der Akropolis gelegener 115 Meter hoher Hügel mitten in Athen. Die antike griechische Kultur, ihr Sinnbild die Akropolis, beeindruckt noch heute. Für die alten Griechen hatte die Religion eine zentrale Stellung. Wegen ihr entstanden gewaltige Tempel, eine große Kunst, fantastische Artefakte in der Bildhauerei, beeindruckende Zeugnisse die wir hier in Frankfurt z.B. in der antiken Sammlung des Liebieghauses noch heute sehen können.

Der Areopag war der Ort des Gerichtes. In der Antike tagte hier der oberste Rat, der gleichfalls „Areopag“ genannt wurde. Der Rat war die älteste Körperschaft der Stadt; seine Geschichte reicht bis in die mythische Frühzeit Athens zurück. Auch heute noch heißt das oberste Zivil- und Strafgericht Griechenlands Areopag, dieses tritt jedoch nicht mehr auf dem Areopag-Hügel zusammen. Der Areopag war der Ort der der philosophischen Diskussionen und auch der Ort der Gerichtsbarkeit, denken wir an Sokrates, der im Jahr 399 in Athen zum Tode verurteilt wurde. Seine letzten Worte bevor ihm der tödliche Becher mit Gift, die selbstgewählte Art der Hinrichtung, gereicht wurde, waren: „Aber schon ist es Zeit, dass wir gehen – ich um zu sterben, ihr um zu leben: Wer aber von uns den besseren Weg beschreitet, das weiß niemand, es sei denn der Gott.“

Die Griechen glaubten an Gott. Paulus der der Überlieferung nach als Missionar nach Athen kam sieht diese Religiosität der Griechen – und er knüpft an sie an, er spricht von Gott als dem Schöpfer – doch er verkündet das Christentum als Rettung – mit welchem Recht eigentlich? Die Philosophen auf dem Areopag murrten zu Recht: Soll er uns alte Griechen doch in Frieden lassen. Was kann uns ein Paulus schon Neues bringen? Er brachte nichts Neues denn: Schon die alten Griechen hatten eine präzise Theologie, die Stoa sprach vom „Logos“, vom Weltgeist der sich in der Weisheit offenbarte, und trotz der vielen Artefakte war klar: Gott ist im letzten der Unsichtbare. Trotz der griechischen Dichter, die von der Götterwelt auf dem Olymp erzählten, und trotz der vielen in Stein gehauenen Götterbilder, das war die Behauptung der griechischen Philosophie.

Man war offen für Einflüsse auch aus anderen Religionen, das war der Hellenismus, der die griechischen Vorstellungen mit orientalischen verschmolz, z.B. die ägyptischen Gottheiten Osiris und Apis mit dem griechischen Göttervater Zeus:

Ein antiker Hymnus des Philosophen Klethanes aus Assos (ca. 232 v. Chr.) lautet:

„Erhabenster der Unsterblichen, vielnamiger, stets alles beherrschender Zeus, Herr der Natur, der Du alles nach Deinem Gesetz lenkst, sei gegrüßt! Denn Dich anzusprechen ziemt sich für alle Sterblichen. Denn aus Dir sind wir entstanden, da wir des Gottes Abbild erlost haben als einzige von allem was lebt und sich sterblich über die Erde bewegt.“

Der Mensch soll Gott anbeten – er ist aus ihm entstanden, er ist sterblich und Gott ist unsterblich – das klingt doch christlicher als wir es in diesem vorchristlichen Zeitalter erwartet hätten. An diese religiösen Vorstellungen knüpfte Paulus an, denn er wollte verstanden werden von den Griechen. Er verweist auf den Altar auf dem geschrieben steht „dem unbekannten Gott“. Die Athener hatten bei allen Göttern, die sie verehrten, auf Nummer Sicher gehen wollen und hatten einen Altar errichten lassen für „die Götter Asiens, Europas und Afrikas, die unbekannten und wandernden Götter“.

Ursprünglich hieß es also „der Altar für die unbekannten Götter“. Doch von Lukas, dem Verfasser der Apostelgeschichte, wurde die Pluralform in den Singular gebracht. Im Grunde setzt Paulus die Weisheit der Missionare ein. Er will anknüpfen an das was es schon gibt an Glauben, an Zeus als den Schöpfergott und an die Gottesebenbildlichkeit des Menschen:

Für Paulus selbst war Griechenland nicht fremd. Er sprach griechisch, er war vertraut mit der hellenistischen Kultur. Er war römischer Staatsbürger, ein „Zwischenweltler“, der seine eigene jüdische Kultur schon als alte Tradition erlebt hatte. Zu seiner Zeit gab es Juden überall, nicht nur in Palästina. Es gab große Gemeinden in Alexandria und Rom. Die jüdische Bibel, der Pentateuch und die Prophetenbücher, war längst übersetzt ins Griechische und damit wurden griechische Gedanken unweigerlich übernommen.

'St Paul in Veria - Mosaic
', 2006, AJ Alfieri-Crispin from San Francisco, CA, USA

Ohne Paulus wäre die urchristliche Bewegung eine rein innerjüdische Gruppierung geblieben, eine Abspaltung vom offiziellen Judentum mit Sitz in Jerusalem. Die ersten Jesusanhänger waren allesamt Juden gewesen. Durch das Apostelkonzil war es Paulus gelungen, zu vermitteln, dass auch Nichtjuden getauft und zu gleichwertigen Christen werden konnten. In gewisser Weise hatte Paulus in Europa das traditionelle Judentum hinter sich gelassen. Er war seinen eigenen Weg gegangen, er hatte die Freiheit von den jüdischen Geboten durchgesetzt, wie z.B. das Gebot der Beschneidung und das Verbot des Genusses von unreinen Tieren wie z.B. Schweinen. Der Mann wagte sich weit vor. Paulus knüpfte an an die griechische Kultur, an die AHNUNG GOTTES IN JEDEM MENSCHEN.

„Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“

Es geht Paulus nicht um einen philosophischen Gott, sondern um einen Gott mit dem man in persönliche Beziehung treten kann. Das ist eine intelligente Verbindung von Judentum, griechischer Philosophie und Christusimpuls: Gott als Urgrund des Seins, aber auch Gott als liebendes und vergebendes Gegenüber. Die Griechen hatten in der Stoa schon eine hochentwickelte Ethik. Das Gute zu suchen und zu leben war das Ziel dieser Philosophie: „So ehren auch die Götter am meisten den Eifer und die Tugend aus Liebe…göttlicher nämlich ist der Liebende als der Geliebte, der Gott ist ja in ihm“. Dies formulierte schon Plato und es erinnert klar an das Wort aus dem 1. Johannesbrief wo es heißt: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt der bleibt in Gott und Gott in ihm.“

Der historische Jesus war Paulus nicht wichtig. In einer Vision war er dem Christus des Glaubens begegnet. Obwohl er die Chance gehabt hätte, noch mit den ersten Freunden Jesu persönlich zu sprechen, ging er erst fast 10 Jahre später nach Jerusalem wo er noch lebenden Apostel wie z.B. Petrus traf. Die Botschaft Jesu hatte Paulus intuitiv verstanden, vermittelt durch den heiligen Geist. Sein Glaube konnte nicht gebunden bleiben an seine eigenen jüdischen Wurzeln. Sein Glaube ging eine Verbindung ein mit den Vorstellungen der griechisch geprägten Umwelt. Paulus verkündet den Griechen den auferstandenen Christus und damit die Auferstehung von den Toten. Die Reaktion darauf ist geteilt:

„Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.“

Die Idee der Unsterblichkeit der Seele findet sich bei Plato. Alle Ideen sind unsterblich. Der Mensch als Idee verkörpert sich und geht nach dem Tod wieder in die Ewigkeit der Ideen zurück. Leibliche Auferstehung und Unsterblichkeit der Seele, das sind die beiden Vorstellungen- und Paulus verbindet beide: Er stellt sich das Leben nach dem Tod mit einer Art „Geistleib“ vor – lesen Sie einmal 1. Korinther Kapitel 15! Das ist eine ganz konkrete Verbindung von jüdischem und griechischem Denken.

Paulus sagt GOTT ZU SUCHEN ist Aufgabe eines jeden Menschen:

Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, Gott suchen und Gott finden:

Das ist das universales Denken des Paulus: das ganze Menschengeschlecht ist gemeint. Es kann Gott nicht nur für Juden geben, Gott nicht nur für Griechen geben, sondern es gibt Gott für alle – für alle auf dem ganzen Erdboden.

Durch die Griechen wurde das Christentum universal. Aus einer jüdischen Sekte wurde eine Weltreligion – in der Auseinandersetzung mit Athen, mit der Kultur und Geistesgeschichte Griechenlands. Das war die Mission des Paulus. Paulus steht auf dem Areopag aus einem einzigen Grund:

Er verkündet den Gott Jesu Christi, in aller Offenheit griechischem Denken gegenüber, sogar mit griechischem Denken, in griechischer Sprache, aber mit dem Christus-Impuls eines Glaubens der befreien soll:

Von Machtstrukturen und von Glaubenssystemen, für die die Akropolis auch steht. Bei aller Schönheit der Kunst, jede Religion wird schnell zu einem starren System. Paulus steht für die Freiheit und Unabhängigkeit eines Gottes, der keine prachtvollen Tempel und keine schönen Kultbilder braucht. Paulus steht auch in Tradition der alten Propheten so wie Jesus selbst: Er will den Glauben von den Machtstrukturen eines Religionsbetriebs und befreien und die Solidarität aller Menschen bewirken. Paulus tritt ein für die Freiheit im Geist. Diese Freiheit ist geprägt durch Bedürfnislosigkeit und Verzicht auf Kult, auf Macht, auf Verfilzung und Sippendenken. Diese Freiheit ist die Freiheit, für die Jesus gestorben ist, damit wir leben können.

Paulus verkündet keinen unbekannten Gott, sondern den Gott der mit einem Namen verbunden ist: Jesus Christus. Denn der Name Gottes durfte im Judentum nicht ausgesprochen werden; fromme Juden sagten nur die Worte „ha schem“, auf hebräisch heißt das „der Name“. Der Name Gottes bleibt ein Geheimnis, etwas Unaussprechliches. Doch für Paulus ist dieser Name mit einer konkreten Geschichte verbunden, mit der von Jesus Christus. Gott ist dadurch ein persönlicher Gott, ein liebender Gott, ein Gott der sich finden lässt, wenn wir ihn suchen. Mit jedem Einzelnen von uns will er verbunden sein in einer ganz persönlichen Lebensgeschichte.

Und der Friede Gottes der höher ist als all unser Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

Die Gemälde 'St Paul Preaching in Athens', 1515, Raphael, sowie 'View of the Acropolis from the Pynx', 1863, Rudolph Müller, sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Das Mosaik 'St Paul in Veria', 2006, AJ Alfieri-Crispin from San Francisco, CA, USA, ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Attribution ShareAlike 2.0..

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