Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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ABC des Glaubens - Inkarnation: „Wer hat Gottes Windeln gewechselt?“

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„Wer hat Gottes Windeln gewechselt?“

Schmuel Golding, der Führer des Jerusalemer Institutes für biblische Polemik, schrieb ein Traktat mit dem Titel „Wer hat Gottes Windeln gewechselt?“ In dieser Abhandlung schreibt er folgendes: „Für viele Menschen klingt die obige Frage gotteslästerlich, aber ehe Sie dieses Traktat mit Abscheu wegwerfen, denken Sie bitte daran, dass Millionen von Christen glauben, dass der Gott des Weltalls einstmals ein kleines Baby, ein Junge, war....dem man nicht nur seine Windeln wechseln musste, sondern der auch an den Brüsten einer Frau gesaugt hat, der Gehorsam lernen musste und der versucht war wie jeder irdische Sterbliche.“

Ikonen-Museum Recklinghausen: Jesus in der Krippe liegend in Windeln gewickelt

Ikonen-Museum Recklinghausen: Jesus in der Krippe liegend in Windeln gewickelt (Ausschnitt aus Geburt Jesu)

Was bedeuten die Windeln, die das Kind in der Krippe trug?

Sätze wie diese bringen zum Ausdruck, dass die christliche Botschaft tatsächlich provozierend ist. Sie verkündet ein Geheimnis, das – vordergründig betrachtet – unzumutbar ist. Denn wie kann die Christenheit es wagen, zu behaupten, dass Gott durch Geburt unser menschliches Fleisch und Blut annahm, so dass er genauso hilflos und verwundbar war, wie wir es sind?

Die Menschwerdung Gottes bedeutet, dass Gott unsere Sterblichkeit angenommen hatte, um die Trennung zu überwinden, die zwischen ihm und uns besteht. Um diese Trennung zu überbrücken, musste Gott in Jesus den Weg von Bethlehem bis zu Golgatha gehen. Denn die „Inkarnation“ Gottes wurde nicht in der Krippe, sondern am Kreuz und im Grab vollendet. Und die Windeln sind Hinweise auf diesen Vorgang.

Lukas betont die Windeln

Zweimal erwähnt Lukas, dass das Kind in der Krippe in Windeln gewickelt wurde. Von Maria heißt es: „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“ Und später sagte ein Engel zu den Hirten: „Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“
Aber warum werden diese Windeln überhaupt erwähnt? Denn selbstverständlich wurden Säuglinge damals in Windeln gewickelt. Warum will Lukas, dass der Leser diese Windeln beachtet?

Windeln sind versteckte Hinweise auf das Begräbnis

Zuerst muss man wissen, dass Windeln in der damaligen Zeit etwas anderes waren als das, was wir heute unter diesem Begriff verstehen. Ein neugeborenes Kind wurde damals in alte Wäsche- und Kleiderstücke eingehüllt. Vom Hals bis zu den Füßen wurde ein Säugling in lange, breite Stoffstreifen gebunden. Die Arme und Füße waren nicht mehr zu sehen und nicht mehr zu bewegen. Das neugeborene Kind sah aus wie eine winzige, lebendige Mumie. Und in diesem Anblick steckt eine Botschaft: so wie Jesus bei seiner Geburt aussah, so würde er am Ende aussehen. Denn bei dem Begräbnis wurden die Menschen in Tücher gewickelt, ähnlich wie bei der Geburt.
In dem Lukasevangelium beschreibt Lukas das Begräbnis Jesu mit den folgenden Worten: „Und siehe, da war ein Mann mit Namen Josef (...) der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu, und nahm ihn ab (vom Kreuz), wickelte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab.“ Die Sprache hier, wo es heißt „wickelte ihn...und legte ihn...“ erinnert an die Sprache bei der Geburt Jesu.

Lazarus

Windeln und Todesbanden

Die sogenannten Kirchenväter - d. h. die Nachfolger der Apostel in den ersten Jahrhunderten der Kirche - wussten, wie Windeln und Grabtücher damals aussahen, und sie haben einen Zusammenhang bezeugt.

  • Johannes von Damaskus schrieb: „Gott wird als Kind geboren (...) und durch seine gewickelten Windeln löst er die Banden der Sünde.“
  • Ambrosius von Mailand schrieb: „Er wurde in Windeln gewickelt, damit du von den Stricken des Todes befreit wirst.“
  • Johannes und Ambrosius hatten eine Vorlage für ihre Formulierungen in Psalm 18, wo es heißt: „Des Totenreichs Bande umfingen mich, und des Todes Stricke überwältigten mich.“
  • Und Gregor von Nazianz schrieb: „Er wurde (bei seiner Geburt) in Windeln gewickelt, aber bei seiner Auferstehung befreite er sich von den gewickelten Banden des Grabes.“ Diese Sprache findet man auch in dem Johannesevangelium bei der Auferweckung des Lazarus; es heißt: „Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen... Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen!

Die Geburtsgeschichte nach Lukas will mit dem Kind „in Windeln gewickelt“ gleich darauf hinweisen, warum Gott Mensch geworden ist: nämlich Gott ist Mensch geworden, um die Stricke des Todes auf sich zu nehmen, denn nur so konnte er uns von den Banden des Todes befreien.

Aber warum musste Gott in Jesus in Windeln und Grabtücher gewickelt werden?

Die Menschwerdung Gottes in Jesus strahlt eine befreiende, erlösende Kraft aus. Das lässt sich am besten durch eine konkrete Begebenheit darstellen.

Es gibt eine Theologin, die vor einigen Jahren eingeladen wurde, in einer Kirche in Kroatien eine Rede zu halten. Die Gemeinde an diesem Abend bestand aus etwa 200 Frauen, die als Flüchtlinge unterwegs waren. Wegen des Krieges in Bosnien und Kroatien waren ihre Männer entweder tot, Kriegsgefangene oder in Kämpfe verwickelt. Als die Theologin die Gesichter dieser Frauen anschaute, wusste sie sofort, dass sie ihre vorbereitete Rede nicht halten konnte. Sie musste sich spontan etwas einfallen lassen.

Sie hat intensiv gebetet und fing an, von der Kindheit Jesu zu erzählen. Sie erzählte, dass Jesus als Kind auch ein Flüchtling war, der wegen der Brutalität von Soldaten fliehen musste. Seine Eltern hätten alles liegen lassen und wären in ein anderes Land geflohen. Das Leben Jesu und zuletzt die Kreuzigung wurden beschrieben. Die Theologin erzählte, dass diese Kreuzigung nicht so war, wie in allen Bildern dargestellt, sondern dass Jesus nackt am Kreuz hing, denn die Nacktheit des Opfers gehörte zu der Erniedrigung dieser römischen Hinrichtungsart. Dann sagte diese Zeugin des Glaubens zu den versammelten Frauen: „Alles, was Jesus durchmachte, haben Sie auch erlebt. Sie sind heimatlos. Sie mussten flüchten. Sie haben Unrecht und Erniedrigung erlitten. Und sie hatten keine Wahl. Aber Er hatte eine Wahl. Er wusste, was ihm bevorstehen würde, wenn er auf diese Erde kommt, aber er ist trotzdem gekommen.“

Und dann erzählte sie, warum Jesus gekommen war, nämlich, um die Kluft zwischen Gott und Mensch zu überbrücken. Die Reaktion auf diese Rede war dramatisch. Viele der versammelten 200 Frauen knieten weinend nieder, ihre Hände anbetend erhoben. Und einige dieser Frauen sagten: „Er ist der Einzige, der uns wirklich versteht.“ Als sie „Er“ sagten, meinten sie gleichzeitig den Menschen Jesus und den ewigen Gott, der in Jesus war. In diesem Moment erlebten sie die befreiende, erlösende Kraft, die von der Menschwerdung Gottes ausgeht. Ihre Tränen waren sichtbare Zeichen, dass ein Heilungsprozess angefangen hatte.

Die Brücke

Gregor von Nazianz, Ikonenmuseum Frankfurt

Ikonen-Museum Frankfurt: Gregor von Nazianz

Die befreiende, heilende Kraft, die von der Menschwerdung Gottes ausgeht, hängt davon ab, dass Jesus gleichzeitig „wahrer Mensch und wahrer Gott“ ist – in einer Person. Die befreiende Ausstrahlungskraft des christlichen Glaubens hängt davon ab, dass Menschlichkeit und Göttlichkeit untrennbar und unvermischt in einer einzigen Person zusammen sind - von Geburt an. Unser Trost für Zeit und Ewigkeit hängt davon ab, dass Gott von Anfang an untrennbar dabei war, als Jesus unser menschliches Schicksal auf sich nahm.
Denn Jesus ist die Brücke zwischen Gott und Mensch. Wenn diese Brücke nicht an beiden Enden ankommt, ist sie nutzlos. Gregor von Nazianz, ein Erzbischof von Konstantinopel im 4. Jahrhundert, verkündete, dass Gott in Jesus das gesamte Menschsein – Leib, Geist und Seele – annahm und annehmen musste: „Denn was er nicht annahm, hat er auch nicht geheilt.“ Und das heißt: er hat alles angenommen, dadurch wird er auch alles heilen.

Es geht um unser ewiges Schicksal

Weil Gott untrennbar dabei war, als Jesus litt und starb, so ist er untrennbar dabei, wenn wir leiden und sterben. Alles, was wir hier auf Erden erleben und erleiden, ist in Gott aufgehoben und wird deshalb in Heil verwandelt werden. Dass Gott die Kreuzigung Jesu mitgemacht hat ist eine Offenbarung, dass er auch in unseren Schmerzen wohnt, so wie er in den Schmerzen Jesu gewohnt hat. Und Gott, so wie er in Jesus offenbart wurde, kann sich mit Leiden und Tod nicht abfinden; er wird deshalb alles verwandeln: Finsternis wird er mit ewigem Licht überfluten, aus Todesangst wird er überschwängliche Freude schaffen und Kreuzigungen werden zu Auferstehungen führen.

Wir danken dem Ikonenmuseum Frankfurt (www.ikonenmuseumfrankfurt.de ) für die Genehmigung, Ikonen aus diesem Museum kostenlos zeigen zu dürfen.
Wir danken dem Ikonenmuseum Recklinghausen (www.kunst-in-recklinghausen.de/6im.html) für die Genehmigung, Ikonen aus diesem Museum kostenlos zeigen zu dürfen.

PSch