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Predigten von Pfarrer Andreas Klein: 19. Sonntag nach Trinitatis - Markus 2,1-12 Ein neuer Anfang jederzeit

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'Ten Commandments', 2008, Myself - Herby

19. Sonntag nach Trinitatis

Ein neuer Anfang jederzeit Markus 2,1-12


Predigt gehalten von Pfarrer Andreas Klein am 26. Oktober 2014 in der Dreikönigskirche

Liebe Gemeinde!

die Geschichte, um die es heute geht, hat eine Vorgeschichte. Und diese Vorgeschichte endet mit einem monumentalen Satz:

„Und als der HERR mit Mose zu Ende geredet hatte auf dem Berge Sinai, gab er ihm die beiden Tafeln des Gesetzes; die waren aus Stein und beschrieben von dem Finger Gottes.“

Das ist wirklich monumental: Gott selbst schreibt mit eigenem Finger die 10 Gebote, die Grundlage seines Bundes mit dem Volk Israel:

Ich bin der Herr, der dich aus Ägyptenland geführt hat: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Und alles deutet daraufhin, dass in diesem Moment etwas Zeitloses, etwas Ewiges entstanden ist. In Stein gemeißelt. Für alle Zeiten. Die biblische Überlieferung macht das sichtbar: In diese Erzählung werden wichtige Rechtsüberlieferungen eingefügt: Das Bundesbuch, wichtige Texte, die das Rechtsleben Israels bis heute prägen. Es wird geregelt, wie es mit dem Sabbat zugehen soll: Ein entscheidendes Merkmal der Bundesbeziehung Israels mit seinem Gott. Priesterliche Texte beschreiben wie das kultische Leben Israels gestaltet werden soll. 10 wichtige Kapitel finden sich zwischen der Gabe der 10 Gebote und diesem monumentalen Schlusssatz.

Bevor ich erzähle, wie es weitergeht, würde ich Sie gern fragen, was für Sie so einen monumentalen Charakter hat: Welche Lebensgrundsätze sind für Sie unumstößlich? Was ist für Sie in Stein gemeißelt? Welche Regeln gibt es, die klären, wie es in der Familie, bei Ihrer Arbeit, oder in der Gemeinde zugehen soll? Was ist Ihnen heilig? Was ist Fels in der Brandung?
Das könnten schöne Traditionen sein, dass man z.B. – es dauert nicht mehr lang – an Weihnachten zu den Großeltern geht. Das könnten Lastenhefte fürs Leben sein, dass ein akademischer Abschluss unverzichtbar ist für das Leben und die Erziehung erst dann zum Ziel gekommen ist. Das könnten wirtschaftliche Lebensregeln sein; dass man nicht auf Pump lebt. Ich weiß nicht, was Ihnen noch einfällt – solche Dinge sind einem mitunter so selbstverständlich, dass man nicht oft darüber nachdenkt.

Es sei denn, alles zerbricht

Der monumentale Schlusssatz der Vorgeschichte war der Auftakt zur Zwischengeschichte, ohne die unsere heutige Geschichte nicht verständlich ist.
Die Zwischengeschichte: Da kommt Moses vom Berg Sinai hinunter mit den Steintafeln auf dem Arm und unterdessen hat sein Bruder Aaron nicht verhindern können, dass die Abwesenheit des großen Anführers zur Revolte genutzt wurde: Einen Gott, den man nicht sieht – wollen wir nicht, vielleicht sieht der uns ja auch nicht! Wir machen uns einen starken Gott, der gut aussieht, an den wir uns wenden können. Aus den goldenen Ohrringen der Frauen und Töchter schmiedete Aaron – er selbst aktiv beteiligt – ein gegossenes Kalb. So etwas hatten andere Völker auch in dieser Zeit. Das Symbol eines starken und mächtigen Gottes.

Und Mose sieht das Kalb und wie die Menschen nach dem Opfer, das sie dem Kalb gebracht haben, feiern und tanzen und da wirft er die Tafeln – mit dem Finger Gottes beschrieben – aus der Hand und zerbricht sie unten am Berg.
Daraufhin ordnet er eine grausige Strafaktion an. Da finde ich Sätze, die zum dunkelsten Teil der biblischen Überlieferung gehören. 3000 Menschen sterben, angeordnet durch Mose, der Gehorsam fordert. Mose hat dabei selbst gebrochen, was auf den Tafeln stand, die er zerbrochen hat: „Du sollst nicht töten“. Da zerbrechen nicht nur zwei Tafeln, sondern da brechen auch Dämme. Das Gute, das bleiben soll, das woran man sich halten können soll, all das flutet hinweg.

Wir waren von meiner alten Gemeinde in Traisa aus immer wieder mit den Konfirmanden zum Besuch im Haus Burgwald, einer Suchtklinik für alkoholkranke Männer und haben deren Geschichten gehört: Da geraten Menschen in eine Schieflage: Der Job wurde gekündigt, dann kann man das Haus nicht mehr halten – auf einmal wird es auch kritisch in der Beziehung – Alkohol kommt ins Spiel. Das sorgsam ausgewogene Lebens-Mobile ist nicht nur windschief – es droht ganz zu zerbrechen.

Und dann?

Jetzt kommt unsere Geschichte – endlich!

1 Der Herr befahl Mose: "Meißle dir zwei Steintafeln zurecht wie die ersten beiden, die du zerschmettert hast! Dann will ich noch einmal dieselben Worte darauf schreiben.
2 Mach dich bereit, morgen früh auf den Berg Sinai zu steigen! Stell dich dort auf dem Gipfel vor mich hin! ...
4 Mose fertigte zwei neue Steintafeln an, die wie die ersten aussahen. Früh am Morgen stand er auf und stieg auf den Berg Sinai, wie der Herr es ihm befohlen hatte. In seinen Händen hielt er die beiden Steintafeln.
5 Da kam der Herr in der Wolke herab, trat zu Mose und rief seinen Namen "der Herr" aus.
6 Er zog an Mose vorüber und rief: "Ich bin der Herr, der barmherzige und gnädige Gott. Meine Geduld ist groß, meine Liebe und Treue kennen kein Ende!
7 Ich lasse Menschen meine Liebe erfahren über Tausende von Generationen. Ich vergebe die Schuld und die Bosheit derer, die sich gegen mich aufgelehnt haben, doch ich strafe auch. Wenn jemand mich verachtet, dann muss er die Folgen tragen, und nicht nur er, sondern auch seine Kinder, Enkel und Urenkel!"
8 Schnell warf Mose sich zu Boden und betete den Herrn an:
9 "Herr, wenn ich wirklich in deiner Gunst stehe, dann zieh bitte mit uns, obwohl dieses Volk so starrsinnig ist! Vergib uns unsere Schuld, und lass uns wieder zu dir gehören!"
10 Der Herr antwortete: "Ich schließe einen Bund mit euch. Vor den Augen deines ganzen Volkes will ich Wunder vollbringen, wie sie bisher bei keinem Volk auf der Welt geschehen sind. Wenn die Israeliten sehen, was ich mit dir tue, werden sie große Ehrfurcht vor mir haben!"

Es sind drei Einsichten im Blick auf diese Geschichte von denen ich mir wünsche, dass Sie sie mit nach Hause nehmen.

Erste Einsicht.

Ein Neuanfang ist möglich.

Als ich eben den monumentalen Schlusssatz der Vorgeschichte von den ersten Tafeln gelesen habe, auf denen Gott mit seinem Finger die Gebote geschrieben hat, hielt man nicht für möglich, dass diese Tafeln zerbrechen können. Und doch – sie zerbrechen. Noch weniger hielt man für möglich, dass diese Tafeln ersetzt werden können. Wie kann man etwas Ewiges denn ersetzen? Zehn Gebote 2.0? Und doch – es geht einfach.

Meißle dir zwei Steintafeln zurecht wie die ersten beiden, die du zerschmettert hast! Dann will ich noch einmal dieselben Worte darauf schreiben

Ein Neuanfang ist möglich. Noch einmal. Man könnte das für einen Schönheitsfehler halten, dass jetzt ja nicht das Original ins Spiel kommt, sondern eine „Zweitanfertigung“, aber was spielt das denn für eine Rolle. Es geht nochmal weiter. Es ist noch nicht das Ende. Ein Neuanfang ist möglich. Jesus wird einmal von seinen Jüngern gefragt, wie oft man denn vergeben müsse, ob nicht siebenmal reicht; und Jesus antwortet: 7x7mal soll man vergeben. Und das heißt nicht, bei 49 ist Schluss, sondern es heißt: Nochmal und nochmal fängt Gott mit mir an.
Vielleicht ist die Fallhöhe hoch, wenn der ethische Anspruch hoch war. Vielleicht geht man mit Kratzern und Beulen und dem Verlust des Ansehens vor einigen Menschen weiter. Aber was spielt das denn für eine Rolle, wenn Gott sagt: Ich will noch einmal mit dir den Weg beginnen!

Zweite Einsicht.

In einem solchen Moment stellt sich Gott dir vor.

In dieser Geschichte macht Gott macht sich erkennbar. Textlich ist das ein wichtiger Baustein des Alten Testaments: Gott sagt von sich selbst, wer Gott ist:

"Ich bin der Herr, der barmherzige und gnädige Gott. Meine Geduld ist groß, meine Liebe und Treue kennen kein Ende!
7 Ich lasse Menschen meine Liebe erfahren über Tausende von Generationen."

Ja, da steht auch, dass Gott Schuld ernst nimmt und Menschen über Generationen lang die Folgen der Schuld tragen müssen. Es steht da nicht, dass alles nicht so schlimm ist und nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird.
In dieser Geschichte wird Jesus sichtbar, der dem Kranken, den die vier Freunde ins Haus tragen zuerst die Schuld vergibt, sehr zum Erstaunen der Freunde, die hofften, dass er ihn doch heilt.
Schuld wird ernst genommen, nicht bagatellisiert, aber sie wird vergeben, getragen und dafür gibt Gott alles, gibt sein Leben.
In diesem Moment des Neuanfangs lernst du Gott kennen. Er ist nicht das ewige Moralgesetz, die Instanz, an der mein Leben immer scheitern muss, sondern da ist große Geduld und Liebe und Treue. Und in genau diesem Moment wird klar, worauf es ankommt:
Liebe entscheidet sich nicht, wenn moralische Kategorien entworfen werden, sondern zeigt sich in dem Moment, wenn ich untreu bin.

Ich lasse Menschen meine Liebe erfahren über Tausende von Generationen.

Und die dritte Einsicht.

Du wirst immer der oder die bleiben, der oder die du bist. Aber du kannst anders leben.

Mose ist ein Anführer. Ein Anführer gibt nicht gern Fehler vor anderen zu. Das untergräbt seine Position. Denkt ein Anführer. Und deshalb achtet ein Anführer immer auf sein Äußeres und stellt sich gut dar. Aber irgendwann geht das Spiel nicht mehr auf:
Mose hatte in seinem Zorn nach der Geschichte mit dem goldenen Kalb den Stamm Levi, aus dem er herkam, auf die anderen Israeliten gehetzt und es gab 3000 Tote. Das war keine gerechte Sache. Das war großes Unrecht – und dennoch geht Gott mit ihm weiter. Weist ihm eine neue Rolle zu: Aus dem Kämpfer soll ein Beter werden, aus dem, der mit Gewalt alles hinbiegen will einer werden, der die Hände faltet:

"Herr, wenn ich wirklich in deiner Gunst stehe, dann zieh bitte mit uns, obwohl dieses Volk so starrsinnig ist! Vergib uns unsere Schuld, und lass uns wieder zu dir gehören!"

Du wirst immer der oder die bleiben, der oder die du bist. Aber du kannst anders leben. Aus dem Kämpfer wird ein Beter, aus der Spötterin eine, die andere wertschätzt und lobt. Du bleibst der du bist, aber eine neue Rolle kann gelebt werden, ein neuer Stil eingeübt werden, ein anderes Verhalten sichtbar werden.

Ich habe Ihnen ein Lied mitgebracht, in dem kommt das vor „ein neuer Anfang jederzeit“. Wir haben das in meiner alten Gemeinde in Traisa oft gesungen und lade Sie ein, es mit mir zu singen.

Amen.

Die Photographie 'Ten Commandments', 2008, Myself - Herby, ist Lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.

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